von VALÉRIE V. SUHR
Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Legalisierung von Cannabis umfasst ganze 183 Seiten. Anders als ursprünglich geplant, soll es doch „nur“ eine begrenzte Legalisierung werden – aber auch eine begrenzte Legalisierung ist eine Legalisierung und viel Aufwand im Gesetzgebungsverfahren. Die Kritik am geplanten Vorhaben aufgrund von Gesundheitsgefahren – insbesondere für Heranwachsende – reißt nicht ab. Während sich Cannabis-Befürworter*innen verfassungsrechtlich auf die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG stützen, steht auf der anderen Seite der Schutzauftrag des Staates bezüglich Leben und Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 GG. Dieser Beitrag will sich weder zur Frage der Sinnhaftigkeit dieses geplanten Vorhabens noch zu der Rechtmäßigkeit einer Cannabis-Legalisierung äußern. Stattdessen will er darauf aufmerksam machen, dass dadurch zumindest der Anschein entsteht, dass die Bundesregierung äußerst fragwürdige „Priorisierungen“ setzt.
Die geplante Abstammungsrechtsreform
Ein bedeutendes Thema, welches in dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auf Seite 111 f. angesprochen – und versprochen – wird, ist nämlich die Reform des Abstimmungsrechts. Das Abstammungsrecht, welches insbesondere regelt, wer Mutter und wer Vater ist, soll auf den aktuellen Stand des 21. Jahrhunderts gebracht und damit modernisiert werden. Angedacht ist ein Großprojekt, welches von Bundesjustizminister Buschmann für diesen Herbst, also für Herbst 2023, angekündigt wurde. Momentan existiert allerdings noch nicht einmal ein entsprechender Referent*innenentwurf. Es stellt sich die Frage: Ist der Bundesregierung Cannabis wichtiger als Familie?
Lesbische Eltern und Co-Mutterschaft
Während die Abstammungsrechtsreform für einen ohnehin bereits sehr großen Personenkreis von besonderer Wichtigkeit ist – so soll etwa die Rechtslage von Mehrelternfamilien und Trans*eltern geregelt werden – ist auf eine Konstellation hier im Besonderen hinzuweisen: die Rechtslage von Kindern, die in eine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft zwischen Frauen geborenen werden. Diese Konstellation soll nicht etwa deshalb herausgegriffen werden, weil sie wichtiger ist als andere Formen. Nein, sie soll hier im Fokus stehen, da sie eine der einfachsten Gesetzesreform darstellen dürfte, die schon längst überfällig ist und die Betroffenen unnötig und unangemessen belastet. Während der Ehemann nach § 1592 Nr. 1 BGB automatisch Vater eines Kindes wird, welches in eine Ehe hineingeboren wird – selbst im Falle von Zeugungsunfähigkeit oder Gründen, die eine biologische Vaterschaft de facto ausschließen – ist dies für die Ehefrau der leiblichen Mutter nicht der Fall. Auch eine Anerkennung der Mutterschaft anlog zur Vaterschaftsanerkennung ist derzeit rechtlich nicht möglich.
Stattdessen muss die frisch gebackene Familie den mühsamen Weg der Stiefkindadoption gehen. Diese kann jedoch erst nach der Geburt des Kindes angestrengt werden und dauert im Schnitt sechs bis 18 Monate. In dieser Zeit ist weder die Partnerin der leiblichen Mutter – die sogenannte Co-Mutter – noch das Kind rechtlich adäquat geschützt. Die Co-Mutter hat lediglich das sogenannte kleine Sorgerecht nach § 1687b BGB, um zumindest bei Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes Entscheidungen treffen zu können. Sollte es zwischen Geburt und Adoption zu einer Trennung kommen, würde die Co-Mutter in der Regel rechtlos dastehen, obwohl es sich um ein gemeinsam geplantes Kind handelt. Zudem ist längst nicht sicher, ob die Co-Mutter als rechtliche Mutter anerkannt wird, sollte die leibliche Mutter versterben, bevor die Co-Mutter einen Adoptionsantrag stellen konnte oder bevor über einen solchen Antrag entschieden wurde – insbesondere ohne vorherige Bestimmung der Co-Mutter zum Vormund für den Todesfall. Diese Rechtslage schadet nicht nur der Co-Mutter, sondern auch dem Kind, so dass auch das Kindeswohl eine Rechtsänderung dringend gebietet. Statt ab Geburt gegenüber zwei Personen – nämlich beiden Müttern – erbberechtigt zu sein und zwei Personen zu haben, die ihm gegenüber sorgeverpflichtet sind, hat das Kind diese Rechte zunächst nur gegenüber einer Person, der leiblichen Mutter. Im Übrigen schließt § 1600d Abs. 4 BGB nämlich – richtigerweise – aus, dass der Samenspender einer Samenbank in Anspruch genommen werden kann. Aufgrund der tatsächlich vorhandenen emotionalen Beziehung der beiden Mütter ist klar, dass das Kind in jedem Fall, also auch ohne den „rechtlichen Segen“ einer Adoption, in der Familie aufwachsen wird. Entsprechend wird in aller Regel dem Adoptionsantrag stattgegeben. Gleichwohl müssen alle Betroffenen mit dem Aufwand und der Ungewissheit leben. Hinzu kommt eine gewisse „Entblößung“ der Co-Mutter im Adoptionsverfahren: So wird etwa nach ihrer finanziellen und gesundheitlichen Situation sowie gegebenenfalls nach vorhandenen Vorstrafen gefragt – dies alles ein Kind betreffend, welches sie selbst von der „Planung“ an mitbegleitet hat und mit dem sie ohnehin zusammenlebt.
Rechtsverbesserung per Gerichtsentscheidung?
Der Bundesgerichtshof hat im Jahre 2018 eine Analogie der bereits genannten Regelung in § 1592 Nr. 1 BGB abgelehnt, was zu Recht von vielen kritisiert wird. Auch diese Entscheidung zeigt, wie dringend notwendig es ist, das Gesetz schnellstmöglich zu ändern und an die modernen Lebensverhältnisse anzupassen.
Diese Problematik anerkennend setzt sich die Kampagne Nodoption – teils unterstützt durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) – auch vor Gerichten für eine automatische Anerkennung der Mutterschaft ohne Adoptionsverfahren ein. Einige dieser gerichtlichen Verfahren sind inzwischen beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Dies betrifft sowohl konkrete Normkontrollen wie auch eine Verfassungsbeschwerde. Bisher hat sich das Bundesverfassungsgericht jedoch noch nicht dazu geäußert. Es hat den Anschein, dass das Gericht auf die Politik wartet und die Politik auf das Gericht. Niemand möchte sich des Themas annehmen, obwohl es angebrachter ist, eine Änderung dieser Rechtslage endlich auf den Weg zu bringen. Die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht stützen sich auf das in Art. 3 Abs. 3 GG verbriefte Geschlechtsdiskriminierungsverbot und auf die Grundrechte auf besonderen Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie auf elterliche Pflege und Erziehung nach Art. 6 Abs. 2 GG. Auch das Bundesverfassungsgericht ist aufgerufen, zeitnah zu entscheiden. Aus demokratischer Perspektive noch wünschenswerter wäre, wenn der demokratisch legitimierte Gesetzgeber direkt selbst handelte.
Fazit
Es bleibt zu hoffen, zu erinnern und anzumahnen, dass sich das Abstammungsrecht umfassend und zeitnah ändert – jedenfalls für den einfach gelagerten Fall von Kindern, die in die Ehe zweier Frauen hineingeboren werden. Hiermit würde sowohl das Versprechen von Bundesjustizminister Buschmann als auch der Koalitionsvertrag diesbezüglich endlich eingelöst. Im letzteren heißt es wortwörtlich: „Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist.“ Sollte dies nicht zeitnah der Fall sein, bleibt wirklich der sehr ungute Eindruck, dass der derzeitigen Bundesregierung Cannabis wichtiger ist als die Belange von Familien.
Zitiervorschlag: Suhr, Valérie V., Cannabis – wichtiger als ein modernes Familienrecht? Die Prioritäten der Bundesregierung, JuWissBlog Nr. 52/2023 v. 21.08.2023, https://www.juwiss.de/52-2023/
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Die von Dir angemahnte Reform des Abstammungsrechts ist keine der „einfachsten“ Fragen, sondern eine, die Du Dir (zu) einfach gemacht hast. Vereinfacht hast Du Dir diese Frage, indem Du nur eine einzige Perspektive grundrechtlich betrachtest, andere grundrechtlich relevante Perspektiven aber ausblendest. Enscheidend ist die Perspektive des lesbischen Paares, das sich ein „gemeinsames“ Kind wünscht – eine verständliche Perspektive. Aber sind die womöglich konkurrierenden Interessen anderer Beteiligter nicht ebenso relevant und die Dinge deswegen womöglich komplizierter?
So kommt ein biologischer Vater, der mit einer in einer gleichgeschlechtlichen BGB-Ehe lebenden Frau auf natürliche Weise (ohne Samenbank) ein Kind zeugt, in Deinem Beitrag gar nicht erst vor. Dabei müsste doch eine umfassende grundrechtliche wie rechtspolitische Würdigung den Fall auch aus seiner Perspektive und unter diesem Aspekt auch aus der des Kindes betrachten: Ist es unumstößlich eine faire und dem Kindeswohl entsprechende Lösung, dass der biologische Vater rechtlich nichts mit dem Kind zu tun hat und stattdessen die Partnerin der Frau Co-Mutter wird? Oder sichert nicht gerade die Stiefkind-Adoption eine Beteiligung des biologischen Vaters, ohne dessen Zustimmung die Elternschaft einer dritten Person nur ausnahmsweise etabliert werden kann?
Dass der Samenspender (im Fall einer „offiziellen“ Samenspende über die Samenbank) nach einfachem Recht zwingend von jeder Vaterschaft ausgeschlossen wird (§ 1600d IV BGB), ist Dir ebenfalls nur ein lapdiares „richtigerweise“ wert. Dabei handelt es sich um einen ausgesprochen scharfen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Kindes. Muss das Kind einfach hinnehmen, dass Erwachsene verabreden, wer die Eltern sein sollen? Was, wenn das Kind es als „natürliche… Pflicht“ (Art. 6 Abs. 2 GG) des Vaters ansieht, für sein Kind rechtlich einzustehen? Ist ein solcher Wunsch, der zumindest von manchen Betroffenen artikuliert wird, einfach irrelevant?
Wie Du selbst siehst, habe ich mich in meinem Kurzbeitrag auf die rechtlich einfachste Konstellation fokussiert, die deshalb so schnell wie möglich im Gesetz angepasst werden muss. Hier ist die Interessenlage meines Erachtens nach ganz klar – dies sieht ferner auch der Dir sicher bekannte Koalitionsvertrag so. Ein Kind, das mittels einer Samenspende aus einer offiziellen Samenbank gezeugt wurde, hat im Übrigen wenn es volljährig wird, einen Rechtsanspruch darauf, zu erfahren, wer der Spender ist. Die entsprechenden Daten werden im Samenspenderregister gespeichert. Damit wird zum Schutze des Kindes in gewisser Weise sogar mehr „geleistet“ als bei jenen Kindern, die aus einer losen Beziehung oder einem „One-Night-Stand“ hervorgehen.
Andere Konstellationen, die von einer umfassenden Abstammungsrechtsreform geregelt werden sollen, wie etwa Mehrelternkonstellationen oder trans*Eltern, mögen in der Tat komplexere rechtliche Fragen aufwerfen, die allerdings nicht Gegenstand des Kurzbeitrags sind. Gegen eine sofortige Rechtsanpassung für die oben genannte Konstellation spricht dies jedoch nicht.