Die Reformbedürftigkeit des geltenden Asylsystems mag man wohl zurecht über alle politischen Lager hinweg als opinio communis bezeichnen. Der jüngst unterbreitete Vorschlag des parlamentarischen Geschäftsführers der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen und durch eine Institutsgarantie zu ersetzen, stieß in der öffentlichen Diskussion jedoch auf scharfe Kritik. Trotz seines – zum gegenwärtigen Zeitpunkt – freilich hohen Abstraktionsgrades und der geringen praktischen Auswirkungen wird dabei zum Teil auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Restrukturierung in Abrede gestellt. Konkret geht es dabei um die Frage, ob der vollständigen Streichung einer subjektiv-rechtlichen Gewährleistung des Asylrechts und dessen Überführung in eine objektiv-rechtliche Garantie aufgrund einer potentiellen Verletzung der Menschenwürde am Maßstab der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) Grenzen gesetzt sind. Das ist gleichwohl zu verneinen, sodass dem christdemokratischen Vorstoß jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Hürden entgegenstehen.
Verbindung bedeutet nicht gleich Änderungsfestigkeit
Der Zusammenhang des Asylgrundrechts mit der Menschenwürdegarantie steht außer Frage und wurde auch in der Rechtsprechung immer wieder hervorgehoben (etwa BVerfGE 54, 341 [357]). Das bedeutet aber nicht automatisch, dass ein verfassungsrechtlicher Abschied vom Individualrecht auf Asyl unzulässig wäre. Mit anderen Worten: Eine irgendwie geartete Verbindung zur Menschenwürde unterstellt das Asylgrundrecht nicht automatisch dem Schutz dieses änderungsfesten „tragenden Konstitutionsprinzips“ (BVerfGE 87, 209 [228]) des Grundgesetzes. Der Schutzgehalt des Art. 16a GG unterliegt damit der Gestaltungsmacht des verfassungsändernden Gesetzgebers. Dies auch nicht nur in Gestalt einer Modifikation, sondern sogar einer vollständigen Abschaffung (übereinstimmend Becker/MKS, Art. 16a Rn. 20ff.; Hopfauf ZRP 2015, 226 [229]); in diese Richtung auch Hailbronner, in: HGR V (2013), § 123 Rn. 33; a. A. Rothkegel ZRP 1992, 222 [227]). Zugegebenermaßen erweckte das BVerfG zwischenzeitlich den Eindruck, als ließe es das Asylgrundrecht jedenfalls in seinem Kern am Schutz der Menschenwürde teilhaben (BVerfGE 80, 315 [333]). Das Gericht hat jedoch im Jahr 1996 schließlich vollkommen zurecht festgestellt (BVerfGE 94, 49 [103 f.], prägnant ferner Ls. 1.b), dass das Asylgrundrecht nicht von der Ewigkeitsgarantie erfasst ist. Die referenzierte Entscheidung befasst sich mit dem vor nunmehr 30 Jahren umgesetzten „Asylkompromiss“ und der erfolgten Verschiebung des ehemals schrankenlosen Asylgrundrechts aus Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG a. F. in den „neuen“ Art. 16a GG. Mit dieser Änderung des Regelungskomplexes war ebenfalls eine weitgehende Restriktion des Schutzgehalts des Grundrechts auf Asyl verbunden, die vom Gericht insbesondere nicht mit Blick auf den Menschenwürdekern des Grundgesetzes beanstandet wurde.
Asylrecht und Menschenwürde
Das Karlsruher Räsonnement ist freilich nicht ohne Kritik geblieben, die sich jedoch vor allem auf die unbefriedigende Begründung konzentriert (so etwa Frowein/Zimmermann JZ 1996, 753 [754]). Bei näherer Betrachtung ist es gleichwohl nur folgerichtig. Gegen die Teilhabe eines Individualrechts auf Asyl am änderungsfesten Schutzgehalt der Menschenwürdegarantie spricht zunächst die mit Blick auf den Ausnahmecharakter gebotene restriktive Interpretation des von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Identitätskerns (so etwa BVerfGE 109, 279 [310]), denn die Vorschrift ist aus demokratietheoretischer Sicht nicht unproblematisch (Evers/BK, Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 67 m. w. N.). Mit Blick auf den Wortlaut fällt die Einschränkung auf „politisch Verfolgte“ ins Auge. Wenn der Menschenwürdesatz ein letztlich änderungsfestes subjektives Recht auf Asylgewährung im Zuge menschenunwürdiger Behandlung im Heimatstaat garantieren soll, erscheint eine solche Beschränkung wenig plausibel, denn eine derartige Behandlung muss nicht zwingend politischer Natur sein. In historischer Perspektive stellt das Asylrecht daneben in der Tat eine Reaktion auf das nationalsozialistische Unrecht dar, reagiert aber auch auf die zeitgenössischen Fluchtbewegungen aus dem sich formierenden Ostblock (PR 1948-1949, Bd. 5/I, S. 84 ff., sowie Bd. 14/II, S. 1415). Überdies ist eine direkte Verknüpfung der Menschenwürde mit dem Asylgrundrecht im Vorstellungsbild des (historischen) Verfassunggebers keineswegs belegt (Quaritsch, Recht auf Asyl, S. 31 f.). Sinnvoll ist im Rahmen der Konkretisierung des Schutzgehalts ferner die Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 2 GG. Auch im Parlamentarischen Rat bezog man sich auf die Grundsätze des Völkerrechts (PR 1948-1949, Bd. 5/I, S. 83 f.). Jenes allerdings begreift das Asylrecht gerade nicht als Menschenrecht, sondern als Souveränitätsrecht des Aufnahmestaates (Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 33 m. w. N.). Die vor dem Hintergrund dieser völkerrechtlichen Standards „überschießende“ Inkorporation eines subjektiven Rechts auf Asylgewährung in das Grundgesetz ist zeitgenössisch lediglich als „Generosität“ betrachtet worden (PR 1948-1949, Bd. 14/I, S. 540). In Ansehung dieser entstehungsgeschichtlichen Zusammenhänge erscheint es widersprüchlich, das Individualrecht auf Asyl am Schutz der Menschenwürde und damit der Ewigkeitsgarantie teilhaben zu lassen. Gestützt wird dieses Ergebnis ferner durch einen rechtsvergleichenden Blick in die Verfassungsrechtsordnungen anderer Staaten. Vielen ist ein Individualgrundrecht auf Asyl unbekannt, so beispielsweise auch der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten. Dort werden lediglich jährliche Aufnahmequoten durch den Präsidenten auf Grundlage des 8 U.S.C. § 1157 (INA § 207) festgelegt. Dennoch würde niemand diesen Staaten eine „menschenunwürdige“ Verfassung attestieren (zum Rechtsvergleich auch Tomuschat EuGRZ 1996, 381 [386]). Die Menschenwürdegarantie würde hier de constitutione ferenda allenfalls in Ausnahmekonstellationen eine Rolle spielen, als dass sie im Sinne des Refoulement-Verbots (Art. 33 Abs. 1 GFK) etwa Abschiebungen in Gebiete entgegensteht, in denen mit Folter zu rechnen ist. Dies indes nur, soweit eine durch „stichhaltige Gründe“ belegte „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ (BVerfGE 108, 129 [138]) besteht, dass es zu solchen Rechtsverletzungen kommen würde.
Kein Verfassungsrecht, sondern Unionsrecht
Wie eine solche grundlegende Umgestaltung des Art. 16a GG im Detail aussehen könnte, ist keine verfassungsrechtliche, sondern eine rechts- bzw. verfassungspolitische Frage. Hier sei es wohl in Zukunft angezeigt, entweder eine über reflexartige Empörung hinausgehende, substantielle Kritik an der Anregung aus der Union zu formulieren oder aber an einer inhaltlichen Ausgestaltung zu partizipieren. Die Idee aus der Opposition knüpft an Vorschläge aus früherer Zeit an, das Asylgrundrecht wie zum Beispiel in den Verfassungen Italiens (Art. 10 Abs. 3 CRI) und Spaniens (Art. 13 Abs. 4 CE) in eine objektiv-rechtliche Garantie umzuwandeln (so etwa zum alten Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG Papier, Der Staat 1988, 33 [35]: „Politisch Verfolgten wird nach Maßgabe der Gesetze Asyl gewährt.“). Denkbar ist ebenfalls die Transformation in eine Staatszielbestimmung (diese Idee aufgreifend Hopfauf ZRP 2015, 226 [229]). Der einfache Gesetzgeber könnte im Rahmen einer solchen Garantie die aus dem öffentlichen Diskurs des Jahres 2015 bekannten Obergrenzen oder auch Kontingente festsetzen. Als rechtspolitisches Vorbild für letzteres Konzept mag dabei die gängige Praxis in den Vereinigten Staaten (s. o.) fungieren. Eine Änderung des nationalen Asylgrundrechts hätte indes keine großen praktischen Auswirkungen, die Anerkennungsquote auf Grundlage des jetzigen Art. 16a GG liegt kontinuierlich bei unter 1%. Viel bedeutsamer ist hingegen der asylrechtliche Regelungskomplex auf Unionsebene. Folgerichtig ist also die auch von Frei vorgeschlagene Hochzonung der Festlegung etwaiger Quoten auf die Ebene der EU, denn das Asylrecht ist – wie bereits die gegenwärtige Fassung des Art. 16a GG erahnen lässt – ohnehin weitgehend supranationalisiert. Bewerkstelligen ließe sich dies neben einer Grundgesetzänderung zum einen auf Ebene des Primärrechts mit einer Änderung des Art. 18 GRCh, der indes nur klarstellende Funktion zukäme, denn die Vorschrift gewährleistet ohnehin kein individuelles Asylrecht (Rossi/CR, EUV/AEUV, Art. 18 GrCh Rn. 4; Bernsdorff/MH, Art. 18 GRCh Rn. 13; a. A. Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU, § 21 Rn. 835). Konkreter ginge es zum anderen um das sekundärrechtliche Regelungsensemble, vor allem um weitreichende Modifikationen etwa der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) sowie der Dublin-III-Verordnung (VO [EU] 604/2013). Die zu überwindenden unionsrechtlichen Hürden können an dieser Stelle indes nur angedeutet werden. Insgesamt stellt sich also weniger die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit aus Perspektive des nationalen Verfassungsrechts, sondern vielmehr nach der Umsetzbarkeit auf EU-Ebene sowie der politischen Realisierbarkeit.
Fazit und Ausblick
Der Vorstoß aus den Reihen der Unionsfraktion begegnet aus Perspektive des Grundgesetzes keinen Bedenken, insbesondere lässt sich keine Verletzung der zum Identitätskern des Grundgesetzes zählenden Menschenwürdegarantie konstatieren. Eine gänzlich andere Frage ist dagegen diejenige nach der rechtlichen und politischen Umsetzbarkeit auf EU-Ebene. Die Erfahrung einer schwierigen Konsensfindung in den Themenbereichen Flucht und Migration auf EU-Ebene deutet jedoch auf einen komplexen Entscheidungsprozess der vielfach beschworenen (aber zugleich notwendigen) „europäischen Lösung“ hin. Wie effektiv eine Implementation des Vorschlags wäre, bleibt abzuwarten und hängt ohnedies von seiner konkreten rechtlichen Ausgestaltung ab. Eine umfassende Lösung für die zeitgenössischen Probleme mit Flucht- und Migrationsbewegungen bietet das Konzept selbstverständlich nicht, aber diesen Anspruch erhebt es auch nicht.
Zitiervorschlag: Zons, Jonas von, Keine Ewigkeitsgarantie für das Asylgrundrecht, JuWissBlog Nr. 51/2023 v. 18.08.2023, https://www.juwiss.de/51-2023/
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