Nach jahrelangen Diskussionen steht sie wohl kurz bevor: Die Streichung von § 219a StGB, so kündigte es Justizminister Buschmann (FDP) unter Vorlage eines Referentenentwurfs an. Als eines der ersten Projekte der Ampelregierung könnte dem Vorhaben Signalwirkung für eine generelle Reform des Schwangerschaftsabbruchsrechts zugesprochen werden. Ein zweiter Blick auf den Entwurf macht allerdings deutlich: Eine Reform von §§ 218 ff. StGB, die laut Koalitionsvertrag geprüft werden soll, wird kein leichtes Unterfangen. Eine Einordnung des Schwangerschaftsabbruchs im Konzept der reproduktiven Rechte unterbleibt.
Regelungsinhalt des § 219a StGB
Gemäß § 219a Abs. 1 StGB ist es verboten, öffentlich im Interesse an einem Vermögensvorteil oder in grob anstößiger Weise für ärztliche Abtreibungsdienste zu werben. Sinn und Zweck des „Werbeverbots“ sei mittelbar der Schutz des ungeborenen Lebens. „Werbung“ für einen Schwangerschaftsabbruch müsse verboten sein, um keine Verharmlosung eintreten zu lassen – es ist daher unerheblich, ob ein legaler oder illegaler Schwangerschaftsabbruch „beworben“ wird. Bewerben umfasst bereits das Anbieten der medizinischen Leistung „Schwangerschaftsabbruch“ auf der eigenen ärztlichen Homepage. Mediales Aufsehen erregte §219a StGB nach der Verurteilung der Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel durch das AG Gießen: Hänel bot, neben anderen medizinischen Leistungen, öffentlich über ihre Homepage die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen an. Statt die Informationen von ihrer Homepage zu nehmen, wandte sich Hänel an die Medien, zog durch die Instanzen, und stieß damit eine gesellschaftliche Diskussion an: Wie kann die reine Informationsweitergabe über eine medizinische Leistung, die rechtlich als solche zugelassen ist, als Straftat aufgefasst werden?
Reform von 2019: Tatsächliche Verbesserung?
Die politische Debatte, die zwischen Änderungsvorschlägen und Abschaffungsbestrebungen der Parteien oszillierte, mündete in der Reform von 2019. Statt einer Streichung wurde Absatz 4 eingeführt, der Ärzt:innen, Krankenhäusern und Einrichtungen erlaubte, mitzuteilen, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Außerdem ist seitdem eine Liste auf der Homepage der Bundesärztekammer verfügbar, die über die jeweilige Methodik aufklärt. Ärzt:innen selbst bleibt es weiterhin verboten, öffentlich auf die angebotene Methode und die damit einhergehenden Risiken hinzuweisen und das obwohl Patient:innen ein nachvollziehbares Interesse daran haben, sich über die Methodik des Abbruchs (auch und gerade Vorort) informieren zu wollen. In Deutschland werden beispielsweise, trotz entgegenstehender Empfehlung der WHO, immer noch circa 15% der Schwangerschaftsabbrüche über die Curretage (Ausschabung) durchgeführt. Alternativ steht der medikamentöse Abbruch bis zur 9. Schwangerschaftswoche oder die Vakkumaspiration zur Verfügung, die beide mit deutlich weniger Risiken verbunden sind.
Verfassungsrechtliche Einordnung von § 219a StGB
Und auch verfassungsrechtlich steht § 219a StGB in der Kritik: So ist der Deutsche Juristinnenbund der Ansicht, dass das Werbeverbot u.a. in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsfreiheit der Ärzt:innen eingreife (vgl. Rechtsgutachten Brosius-Gersdorf, a.A. Friehe, JuwissBlog). Ebenso wird eine Verletzung der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG diskutiert, da eben auch Tatsachenmitteilungen durch die Meinungsäußerungsfreiheit geschützt werden, „soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen“ sind. Auch ob es sich bei § 219a StGB tatsächlich um ein allgemeines Gesetz handelt, ist fraglich. Gleichzeitig muss § 219a StGB im Kontext eines internationalen Menschenrechtsdiskurses eingeordnet und verstanden werden. Dabei ist der Schlüssel das Konzept der reproduktiven Rechte, welches reproduktive Autonomie, inklusive Informationen, sicherstellen will, da nur so ein Höchstmaß an sexueller und reproduktiver Gesundheit zu erreichen ist. Die Sanktionierung von Informationen im Kontext der Reproduktion ist damit nur schwer zu vereinbaren.
Die Gegenansicht hält § 219a StGB nicht nur für verfassungskonform, sondern für einen integralen Bestandteil des vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Beratungskonzepts. Als Beratungskonzept wird die grundsätzliche Ermöglichung des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen nach einer obligatorischen Beratung verstanden (siehe § 218a Abs. 1 StGB). Nach dieser Ansicht wäre eine Streichung des Werbeverbots verfassungswidrig, da die Mindestanforderungen des Schutzes des ungeborenen Lebens unterlaufen werden würde.
Eine solche Verortung des § 219a StGB ist allerdings nicht unmittelbar aus dem Urteil des BVerfG von 1993 abzuleiten. Zwar verlangt das Gericht, dass der Schwangerschaftsabbruch auch über die Beratungslösung als Unrecht gekennzeichnet sein müsse, das Werbeverbot aus § 219a StGB ist jedoch an keiner Stelle Gegenstand der Entscheidung. Das Beratungskonzept müsse vielmehr darauf ausgelegt sein, das Verantwortungsbewusstsein der Schwangeren zu stärken, die die Letztverantwortung trägt. Die flankierenden Regelungen sollen die Rahmenbedingungen für eine positive Ausgestaltung für ein Handeln zugunsten des ungeborenen Lebens schaffen (BVerfGE 88, 203 (267)). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Informationsweitergabe über den Vorgang des Schwangerschaftsabbruchs durch Ärzt:innen, das der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins der Schwangeren dient, entgegenwirken würde.
Der Referentenentwurf: Festhalten am Maßstab von 1993
Diese Letztverantwortung wird auch vom Referentenentwurf betont, womit das Bundesjustizministerium sich klar gegen eine Auslegung des § 219a StGB als integralen Bestandteil innerhalb des Beratungskonzepts stellt. Somit erfreut der Entwurf durchaus, wenn er sich deutlich für freie Informationen für Schwangere einsetzt und klar definiert, dass eine Verschleierung von Informationen nicht zielführend sein kann. Gleichzeitig sprach Buschmann bei der Vorstellung des Gesetzesentwurf eigenständig an, dass eine Streichung von § 219a StGB die bestehenden Versorgungsdefizit nicht automatisch löse, sondern weitere Maßnahmen zur Sicherung des Zugangs für Schwangeren notwendig seien.
Und doch muss bei der Lektüre des Gesetzesentwurf, bei aller nachvollziehbarer Freude, auch zwischen den Zeilen gelesen werden: Die generelle Wirksamkeit des Beratungsmodells wird mehrmals betont, wobei der Rückgang der Abbruchsquote für den Erfolg angeführt wird. Inwiefern es sich dabei um reine Korrelation oder Kausalität handelt, bleibt offen. Die aktuelle Studienlage weist viel mehr darauf hin, dass der vermehrte Zugang zu Verhütungsmittel die Abbruchsquote maßgeblich beeinflusst, und auch Investitionen in Familienplanungsdienste führen zu einem Rückgang der Abtreibungsrate. Gleichzeitig wird das Urteil des BVerfG von 1993 als Maßstab des Gesetzesentwurfs betont, es bleibt Messlatte für jede Gesetzesänderung. Das weist darauf hin, dass eine langfristige Liberalisierung und Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit der FDP, die das Justizministerium leitet, durchaus schwierig werden könnte. Besonders die Bedeutung von sexueller und reproduktiver Gesundheit als Bestandteil der Menschenrechte, wie zuletzt im Matic Report dargelegt, bleibt unbeleuchtet. Das ist durchaus eine verpasste Chance, da der Schwangerschaftsabbruch im Kontext von reproduktiven Rechten gelesen und eingeordnet werden muss. Die deutsche Debatte gestaltet sich dabei leider als etwas träge, was nicht zuletzt auf die besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen des Urteils von 1993 zurückzuführen ist. Es bleibt nur zu hoffen, dass die im Koalitionsvertrag festgesetzte Kommission zur Prüfung einer Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des StGB die internationalen Vorgaben zu reproduktiven Rechten stärker berücksichtigt.
Zitiervorschlag: Valentina Chiofalo, Ein (begrenzter) Grund zur Freude? Der Referentenentwurf zur Streichung des § 219a StGB, JuWissBlog Nr. 6/2022 v. 25.1.2022, https://www.juwiss.de/6-2022/.
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