von DARIA BAYER und SÖREN DEISTER
Am 15.4.2021 haben Mitarbeitende und Studierende der juristischen Fakultät der Universität Hamburg gemeinsam gegen drastische Kürzungen an ihrer Fakultät demonstriert. Beide Gruppen befürchten aufgrund der Maßnahmen der letzten Monate eine deutliche Verschlechterung der Lehr- und Lernbedingungen in den kommenden Semestern. Die Arbeitsgemeinschaften – bislang wichtiger Teil der juristischen Ausbildung – sind für das Sommersemester 2021 bereits deutlich gekürzt worden.
Mögliches Ausmaß der Kürzungen
Es drohen weitere Kürzungen in allen Bereichen, die nicht vertraglich oder gesetzlich verpflichtend sind, etwa in der Lehre in den Schwerpunkten (Wegfall von Lehraufträgen), den Moot Courts, der Orientierungseinheit zum Studienbeginn, den Reisebudgets, den Law Clinics und dem Gleichstellungsreferat.
Dass die wirtschaftlichen Probleme der Pandemiezeit auch an den – sowieso schon seit Jahrzehnten unterfinanzierten – Bildungseinrichtungen zu spüren sein werden, war im Grunde nur eine Frage der Zeit. Auch, dass die Kürzungen in erster Linie die Lehre betreffen würden, verwundert so richtig niemanden. So wurde stillschweigend erwartet, dass jede Studentin und jeder Mitarbeiter das technische Equipment besitzt, um zu Hause Lehrveranstaltungen geben und aktiv daran teilnehmen zu können. Laptops wurden erst sehr spät in der Pandemie zur Verfügung gestellt, Bibliotheken bleiben auf unbestimmte Zeit geschlossen. Neben der Lehre wurden aber auch Angebote wie das Magdalene-Schoch-Mentoring zur Vernetzung von jungen Frauen in der Wissenschaft (ein Programm, das angesichts der Tatsache, dass nicht mal ¼ aller W3-Professuren mit Frauen besetzt sind, dringend geboten ist) bis auf Weiteres eingestellt. Generell ist die Finanzierung vieler Gleichstellungsmaßnahmen an der Fakultät aktuell nicht gesichert. Hinzu kommt die Wiedereinführung einer Vakanzhaltungspflicht von Mitarbeiterstellen, die dazu führt, dass diejenigen Mitarbeitenden, die bereits jetzt oft nur auf halben oder viertel Stellen befristet beschäftigt sind, deutlich mehr arbeiten müssen. Auch hier sind mittelbare diskriminierende Effekte zu befürchten: Die Vakanzhaltung macht die Einstellung von Personen, die sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern aufgrund der damit typischerweise verbundenen längeren Dauer von Qualifikationsarbeiten noch unattraktiver. Auch dies wird überwiegend Frauen treffen. Leider muss damit insgesamt konstatiert werden, dass in ganz erheblichem Umfang an der Gleichstellung gespart wird.
Wo ist die öffentliche Debatte?
All dies ist leider wenig überraschend und lässt sich in anderen Bundesländern ebenfalls beobachten. Was aber verwundert, ist, dass diese Streichungen in der öffentlichen Wahrnehmung bislang vollkommen unbeachtet bleiben. Dies liegt auch daran, dass die Wissenschaftssenatorin erst kürzlich stolz verkündete, die Zukunft der Hamburger Universität für die nächsten Jahre sei gesichert. Hiervon ist zurzeit aber weder am Rechtshaus noch an den anderen Fakultäten der Hamburger Universitäten etwas zu spüren. Im Gegenteil ist allein an der juristischen Fakultät ein Defizit im sechsstelligen Bereich entstanden, Tendenz steigend. Der Kostendruck ist Folge einer jahrelangen Unterfinanzierung der Universität Hamburg durch den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg.
Protest am Rechtshaus
Auslöser des Protests am 15.4.2021 war die inzwischen umgesetzte Ankündigung des Dekanats, alle examensrelevanten Arbeitsgemeinschaften im Hauptstudium zu streichen und für die verbliebenen Arbeitsgemeinschaften – abgesehen von denen des ersten Semesters – die Größe von 25 auf 40 Teilnehmende zu erhöhen. Hiergegen wendeten sich die Studierenden zunächst mit einer Petition, die über 1400 Unterstützerinnen gefunden hat. Schnell solidarisierte sich auch der akademische Mittelbau des Rechtshauses, der maßgeblich für die Durchführung der Arbeitsgemeinschaften zuständig ist, mit der Forderung der Studierenden. Unter anderem auf Initiative der Autoren entstand eine Stellungnahme, die von ca. der Hälfte aller wissenschaftlichen Mitarbeitenden der Fakultät unterzeichnet worden ist. Hierin wird die Wissenschaftsbehörde dazu aufgefordert, zu den aktuellen Kürzungen Stellung zu nehmen und das Versprechen, eine ausreichende Finanzierung der Universität Hamburg – die seit Juli 2019 den Status einer „Exzellenzuniversität“ trägt – sicherzustellen, einzulösen. Insbesondere soll gewährleistet werden, dass auch denjenigen Studierenden, die kein Geld für kommerzielle Zusatzangebote haben, eine gute Ausbildung ermöglicht wird. Dies gestaltet sich unter den aktuellen Bedingungen jedoch schwierig.
Bundesweite Vernetzung
Die Kundgebung am Rechtshaus war Teil der überregionalen Aktionswoche #stop the cuts!, in der Hochschulbeschäftigte an zahlreichen Standorten gegen Kürzungen, befristete Stellen und prekäre Arbeitsbedingungen demonstrierten. Zugegen waren ca. 50 Studierende und Lehrende. Einige hielten Plakate in die Höhe, auf denen zu lesen war: „Ihr nennt euch exzellent, wir sind insolvent.“ Weitere Protestaktionen fanden unter anderem am 15.4.2021 in Göttingen in Form einer Demonstration und am 16.4.2021 in Marburg in Form einer Vollversammlung statt. Unzureichende Grundfinanzierung, intransparente Verwendung der Mittel aus dem Zukunftsvertrag und Stellenstreichungen sorgen schon länger für Unmut im akademischen Mittelbau. Es ist daher gerade im juristischen Bereich, in dem attraktive Jobs in Großkanzleien und Ministerien winken, kein Wunder, dass sich immer mehr qualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen gegen eine akademische Laufbahn entscheiden. Denn am Ende hilft auch die größte Leidenschaft für die Sache nichts, wenn man um jeden Euro betteln muss.
Ausblick und Aufruf
Der Protest am 15.4.2021 war nur der Auftakt einer langfristigen Auseinandersetzung um die ausreichende Finanzierung der Hamburger Hochschulen. Bereits am 5.6.2021 wollen Studierende und Mitarbeitende – fakultätsübergreifend – unter dem Motto „#stop the cuts – mehr statt weniger!“ durch Hamburg demonstrieren. Es bleibt zu hoffen, dass sich möglichst viele Angehörige aller Statusgruppen dem Protest anschließen. Vielleicht ergibt sich dabei sogar die Chance, darüber nachzudenken, wie eine ganz andere, demokratisierte Universität ohne Dauerbefristungen und persönliche Abhängigkeiten aussehen könnte.
Zitiervorschlag: Daria Bayer/Sören Deister, Protest am Rechtshaus! „Ihr nennt euch exzellent, wir sind insolvent“, JuWissBlog Nr. 54/2021 v. 25.05.2021, https://www.juwiss.de/54-2021/.
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hier der Aufruf zur im letzten Absatz angesprochenen Demonstration:
http://www.fsr-rechtswissenschaft.de/2021/05/demoaufruf-stop-the-cuts-05-06-21/
Danke für Euren Einsatz! Eine ordentliche Grundfinanzierung würde so viele Missstände der Wissenschaft beseitigen. Aber an den bereits vollkommen verknappten Mitteln noch zu knapsen?! Unmöglich.
Unzureichende Grundfinanzierung…unterstellt dem sei so, wo sollte das zusätzliche Geld herkommen?