von KATIA ALEXANDRA PROKAEVA

Was geschieht, wenn das Recht die Täuschung erkennt, aber nicht greifen kann? Der Fall „Sweet Bobby“ handelt von einer vorgetäuschten Online-Beziehung, die mit massiven Folgen für die psychische Gesundheit der Getäuschten endete. Wie kann und soll das Recht auf Catfishing reagieren –  und welche Rolle spielen dabei die Online-Plattformen?

Der britische Fall „Sweet Bobby“, bekannt aus dem gleichnamigen Podcast und der Netflix-Dokumentation, handelt von einer Frau, die zehn Jahre lang in einer Online-Beziehung mit ihrem Freund Bobby zu sein glaubte. Hinter dem Profil stand jedoch lediglich ihre Cousine. Das Verfahren in Großbritannien endete in einem Vergleich, doch neben Datenmissbrauch und psychischer Belastung machte die Betroffene etwas geltend, das sich rechtlich schwer erfassen lässt – den unwiederbringlichen Lebenszeitverlust.

Rechtliche Grenzen im Umgang mit Täuschung

Catfishing als gezielte Identitätstäuschung zur Anbahnung emotionaler Beziehungen findet im geltenden Recht kaum Beachtung. Die Lüge selbst ist straflos, solange sie kein anderes „lügenexternes“ Rechtsgut verletzt. Die bisherige juristische Diskussion konzentrierte sich auf die missbrauchte Identität, der Fall jedoch lenkt den Fokus auf die getäuschte Person und ihre Schutzbedürftigkeit. In Großbritannien wurde die Scammerin wegen misuse of private information verurteilt – entscheidend war das böswillige Täuschungsvorgehen.

Catfishing als Herausforderung für das Persönlichkeitsrecht

Nach deutschem Recht schützen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG die informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie umfasst das Recht, über die Preisgabe und Verwendung eigener Daten zu entscheiden. Ein Eingriff liegt vor, wenn Daten unrechtmäßig erhoben, verwendet, gespeichert oder weitergegeben werden. Dies gilt, wie typischerweise in datenschutzrechtlichen Konstellationen, auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen über die mittelbare Drittwirkung.

Auch hier stellt sich die Frage, ob ein Eingriff anzunehmen ist, wenn Informationen zwar freiwillig, aber auf einer manipulierten Entscheidungsgrundlage preisgegeben werden. Dies zu verneinen, wäre den Besonderheiten der modernen digitalen Welt nicht gerecht: Der unrechtmäßige Datenzugriff erfolgt nicht selten über eine Täuschung oder wird durch diese erst ermöglicht, wie z.B. in Phishing-Fällen. Ein systematischer Vergleich verdeutlicht dies: Die durch Täuschung erschlichene Vermögensverfügung im Betrug ist ebenso strafbar wie die Wegnahme einer fremden Sache im Diebstahl.

Doch das eigentliche Unrecht liegt für die Betroffene nicht in der Datenverwendung, sondern im Verlust von vielen Lebensjahren. Sie sprach öffentlich von dem Zusammenhang zwischen dem Scam und der sich womöglich nicht mehr zu realisierenden Elternschaft.

In ihrer Dissertation “Zeit als Ressource im Recht“ schlägt Alice Bertram vor, Zeit als schützenswerte Ressource und Voraussetzung für Freiheit und Teilhabe zu verstehen. Wer gezielt Lebenszeit entzieht, würde folgerichtig in individuelle Autonomie eingreifen. Problematisch wird es allerdings, wenn das Recht beginnt, Lebenszeit im Kontext reproduktiver Möglichkeiten zu werten und damit unausweichlich normative Erwartungen an gebärfähige Personen aufzustellen. Ein historisches Beispiel hierfür ist der sog. Kranzgeld-Paragraf, § 1300 BGB a.F.

Zwischen Selbstverantwortung und staatlichem Schutzauftrag

Da die Autonomie des Einzelnen auch das Risiko umfasst, sich zu täuschen und dadurch Lebenszeit zu verlieren, muss der Staat nicht jede private Täuschung regulieren. Nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts greifen staatliche Schutzpflichten erst bei erheblichen Grundrechtsgefährdungen. Doch wann wird aus einem persönlichen Vertrauensbruch ein strukturelles Schutzproblem? Angesichts der Dauer und Intensität der Täuschung lässt sich der Fall „Sweet Bobby“ nicht mehr allein als privater Vertrauensbruch begreifen, sondern als qualitativ anderes Phänomen – eine durch digitale Infrastrukturen begünstigte Form psychischer Gewalt. Im Lichte der Schutzpflichten könnte sich deswegen staatliche Verantwortung für Mindeststandards digitaler Räume abzeichnen.

Fake-Profil als rechtswidriger Inhalt i.S. des DSA

In Deutschland richtet sich die Plattformenverantwortung seit 2024 nach dem Digital Services Act (DSA) und dem begleitenden Digitale-Dienste-Gesetz. So verpflichtet Artikel 16 DSA die Hostingdienste, darunter gem. Art. 3 lit. i) DSA auch Online-Plattformen, zur Einrichtung von Melde- und Abhilfeverfahren für rechtswidrige Inhalte. Rechtswidrig sind dabei gem. Art. 3 lit. h) DSA gegen Unionsrecht oder nationales Recht verstoßende Inhalte. Nicht nur an sich rechtswidrige Inhalte, sondern auch Informationen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Handlungen – etwa die unbefugte Verbreitung urheberrechtlich geschützter Bilder – gelten dabei als rechtswidrig. In der Catfishing-Konstellation schützt dies primär die missbrauchte Identität des realen Bobby, der Getäuschten gegenüber gilt dies jedoch nur mittelbar. Relevanter sind deshalb Art. 34 und 35 DSA, die sehr große Online-Plattformen (Art. 33 Abs. 1 DSA) zur Erkennung, Analyse und Begrenzung systemischer Risiken verpflichten.

Systemische Relevanz digitaler Täuschung

Ein Risiko gilt als systemisch, wenn es über den Einzelfall hinaus das Gesamtsystem betrifft. Der Fall „Sweet Bobby“ mag in seiner Intensität als Einzelfall angesehen werden – das Phänomen Catfishing jedoch nimmt laut Umfragen zu. Das Unrecht des Scams könnte unter den in Art. 35 lit. d) DSA genannten nachteiligen Folgen für das körperliche und geistige Wohlbefinden einer Person subsumiert werden. Dazu zählen laut Erwägungsgrund 83 etwa die Entstehung verhaltensbezogener Abhängigkeiten, Depressionen oder Online-Sucht. Da die psychischen Folgen des Scams einen vergleichbaren Schaden darstellen, können sie unter lit. d) subsumiert werden.

Gemäß Art. 34 Abs. 1 DSA werden nur Risiken beachtet, die sich in der EU auswirken und aus dem Betrieb, der Konzeption oder Nutzung der Plattform entstehen. Auf den letzteren Punkt käme es an, wenn man sich einen zeitaktuellen hypothetischen Fall innerhalb der EU vorstellt. Relevant sind also Risiken, die aus dem Interaktionsprozess der Nutzer*innen mit der Plattform resultieren: Darunter fallen laut Erwägungsgrund 84 Manipulationen, automatisierte Ausnutzung, aber auch unauthentische Verwendung i.S. eines “Scheinprofils”. Diese Faktoren sollen berücksichtigt werden, sofern sie rechtswidrige Inhalte darstellen oder mit den Geschäftsbedingungen einer Online-Plattform unvereinbar sind. In diesem Fall stellt ein Fake-Profil nicht nur einen rechtswidrigen Inhalt i.S.d DSA dar, sondern verstößt auch gegen die aktuellen Geschäftsbedingungen von Meta, die für Facebook als Produkt gelten. Besondere Relevanz kommt den Punkt 3.1., wonach Nutzer*innen zur Verwendung des im echten Leben relevanten Name und wahrheitsgemäßen Angaben zu ihrer Person verpflichtet werden. Daraus ließe sich unmittelbarer Schutz der Betroffenen ableiten – mit der Folge, dass die psychischen Auswirkungen der Täuschung als systemisches Risiko im Sinne des Art. 34 DSA zu qualifizieren wären.

Jedoch ist bzgl. der Plattformen-AGB nach dem BGH-Urteil zur Klarnamenpflicht Vorsicht geboten. Die für die Entscheidung maßgebliche Norm, § 13 Abs. 6 TMG a.F. entspricht dem heutigen § 19 Abs. 2 TDDDG, der digitale Dienste dazu verpflichtet, anonyme oder pseudonyme Nutzung zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Schutzzweck der Norm ist es, selbstbestimmte digitale Teilhabe zu ermöglichen, woraus allerdings keine Legitimierung des Identitätsmissbrauchs konstruiert werden darf. Ein Fake-Profil ist nicht Ausdruck informationeller Selbstbestimmung, sondern eine Form von Identitätsdiebstahl.

Mögliche Risikominderungsmaßnahmen im Kontext von Catfishing

Nach Art. 35 Abs. 1 DSA sind Plattformen verpflichtet, den zuvor ermittelten Risiken entsprechend Risikominimierungsmaßnahmen zu ergreifen und dabei insbesondere die Grundrechte zu wahren. Auch die Norm enthält eine beispielhafte Liste möglicher Maßnahmen. Unter Anpassung der Gestaltung, Merkmale oder Funktionsweise der Dienste in Art. 35 Abs. 1 lit. a) DSA werden verschiedene Formen von Anpassungen der Benutzeroberfläche verstanden. Im Catfishing-Kontext wären freiwillige Verifikationsmöglichkeiten oder Verifizierungsanfragen an andere Nutzer*innen denkbar, wie diese beispielsweise auf Dating-Plattformen Hinge und Bumble bereits existieren. Als Präventionsmittel kommen an die Nutzer*innen gerichtete Sensibilisierungsmaßnahmen (lit. i) in Betracht. Erwägungsgrund 88 bezieht sich zwar ausdrücklich auf Desinformation, jedoch spricht der Zweck der Vorschrift nicht dagegen, auch plattformeigene Risiken wie Fake-Profile in den Maßnahmenbereich miteinzubeziehen. Als Beispiel für ähnlich gelagerte Konstellationen dienen Warnhinweise auf der Verkaufsplattform Kleinanzeigen. Ebenso denkbar ist eine konsequentere Durchsetzung der AGB (lit. b).

Digitale Täuschung und das Versprechen der Plattformregulierung

Ob es sich bei „Sweet Bobby“ um einen Einzelfall oder ein Schutzdefizit handelt, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Klar ist jedoch: Digitale Kommunikation sorgt für grundlegende Veränderungen zwischenmenschlicher Beziehungen und das Recht tut sich schwer damit, neue daraus resultierende Formen immateriellen Unrechts zu erfassen. Um der digitalen Täuschung zu begegnen, muss der Staat sie nicht kriminalisieren – vielmehr bietet der DSA ein Instrumentarium, das an der Bedingung ihrer Ermöglichung ansetzt.

 

Zitiervorschlag: Prokaeva, Katia Alexandra, Catfishing im Lichte des DSA, JuWissBlog Nr. 54/2025 v. 17.06.2025, https://www.juwiss.de/54-2025/

Dieses Werk ist unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 lizenziert.

Catfishing, DSA, Lüge, Plattformregulierung, Sweet Bobby
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