Der Braunkohlekonsens und die Launen des Gesetzgebers (Teil I)

Aus der Reihe UMWELTRECHT am FREITAG

Von PHILIPP OVERKAMP

Der angestrebte konsensuale Braunkohleausstieg hat teilweise den Ausstieg aus der Kernenergie zum Vorbild. Er zielt ebenso auf Rechts- und Investitionssicherheit ab, weckt aber auch Erinnerungen an die unstete Gesetzgebungsgeschichte des Atomrechts. Auch ein „Braunkohlekonsens“ müsste mehrere Legislaturperioden und damit die Verschiebung ökonomischer und ökologischer Prioritäten überstehen. Vor allzu radikalen, nachträglichen Umbrüchen bietet dabei das Verfassungsrecht Schutz. Unsicherheiten, die in einem zweiten Teil in den Blick genommen werden, verbleiben aber im Hinblick auf die Bepreisung von CO2.[1]

Klimax der Energiewende

Am 16. Januar 2020 traten die Bundesminister Altmaier, Schulze und Scholz vor die Presse: Fast ein Jahr nachdem die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (sog. Kohlekommission) einen grundsätzlichen Vorschlag für den deutschen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 vorgelegt hatte, konnte man sich nunmehr mit den Ländern, in denen sich die deutschen Braunkohlekraftwerke und -tagebaue befinden, auf einen konkreten Abschaltplan einigen. Dieser wird nun mit den Betreibern der Anlagen vertraglich festgesetzt. Der einvernehmliche Ausstieg im Braunkohlebereich soll durch einen Gesetzesmechanismus ergänzt werden, der Steinkohlekraftwerksbetreiber dazu anhält, sich im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens bis 2026 auf Stilllegungsprämien zu bewerben, bevor die verbleibenden Steinkohlekraftwerke entschädigungslos vom Netz gehen müssen. So sollen durch Abschaltungen im Braun- und Steinkohlesektor gemeinsame Minderungsziele erreicht werden (der Entwurf findet sich hier). Wie gut diese Verzahnung tatsächlich funktioniert und welche (juristischen) Folgen die Wahl derart unterschiedlicher Instrumente hat, ist noch ungewiss. Im Folgenden soll nur der geplante Umgang mit der Braunkohle näher betrachtet werden.

Der mittlerweile durch das Kabinett beschlossene Vorschlag soll noch in der ersten Jahreshälfte das Parlament passieren. Die Kritik an den auf der Bundespressekonferenz präsentierten Ergebnissen ließ gerade aus ökologischer Perspektive nicht lange auf sich warten, was unter anderem daran liegt, dass mit der Anlage Datteln-IV tatsächlich noch ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz gehen wird. Ferner wird dem Vorhaben der Vorwurf gemacht, zu teuer und ineffizient zu sein. Dabei darf die historische Dimension der Ausstiegsentscheidung jedoch nicht gänzlich aus dem Blickfeld geraten. Sollte tatsächlich das Ende der Kohleverstromung im Bundestag beschlossen werden, ist Deutschland weltweit der erste Staat, der sich aktiv dazu entschließt, aus Atom- und Kohlekraft gleichermaßen auszusteigen. Das mit dem Stromeinspeisungsgesetz von 1990 begonnene Projekt Energiewende im Stromsektor hätte nach 30 Jahren seinen Höhepunkt erreicht.

Erinnerungen an den Atomkonsens

Die schon von der Kohlekommission angeregte Wahl einer einvernehmlichen Lösung im Braunkohlesektor erinnert an die Anfänge des Atomausstiegs: Die Vereinbarung zwischen den Atomkraftwerksbetreibern und der Rot-Grünen Bundesregierung im Jahre 2000, der sog. Atomkonsens, und die Verhandlung mit den Betreibern von Braunkohleanlagen dienen den gleichen Zielen: Unternehmerische Interessen werden gewahrt, was gleichzeitig Planungs- und Investitionssicherheit vermittelt. Der Staat kann sich gewiss sein, dass der mühsam erarbeitete Kompromiss nicht durch eine Verfassungs- oder Investitionsschutzklage der Betreiber zunichte gemacht wird – volenti non fit iniuria. Sofern ein Bürger bei Verhandlungen mit einer staatlichen Stelle nicht unzulässig unter Druck gesetzt wird – etwa weil der Staat mit der Anwendung rechtswidriger Mittel droht – und soweit eine freie Entscheidung möglich bleibt, geht mit der Zustimmung des Bürgers zu einer Maßnahme ein Grundrechtsverzicht einher. Das kann nun auch für die Braunkohlebetreiber gelten, die sich so lange nicht auf ihre Eigentums- und Berufsfreiheit berufen können, wie der Staat sich an seinen Teil der Abmachung hält.

Verfassungsrechtlicher Investitionsschutz

Der Blick auf den Atomsektor zeigt aber auch, dass wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen von derartiger ökonomischer, ökologischer und sozialer Tragweite, deren Umsetzung auf Jahrzehnte angelegt ist, über die Grenzen der Legislaturperioden hinaus immer wieder in Frage gestellt werden. Der Atomkonsens von 2000 wurde durch die Schwarz-Gelbe Bundesregierung 2010 aufgebrochen, um den Kraftwerksbetreibern längere Laufzeiten zu gewähren. Als dies nach der Katastrophe von Fukushima in 2011 wieder rückgängig gemacht wurde, klagten die grundrechtsberechtigten Atomkraftwerksbetreiber vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Kernaussagen des daraus resultierenden Urteils vom 6. Dezember 2016 wirken nun im Falle nachträglicher „Verschärfungen“ des Ausstiegs auch zugunsten der Braunkohleanlagen- und Tagebaubetreiber, denn die Konstellation wäre trotz Unterschieden im Detail durchaus vergleichbar. Es ginge gleichermaßen darum, dass der Bürger und seine Investitionen nicht zum Spielball gesetzgeberischer Launen werden sollen: Entschließt sich eine kommende Regierung dazu, von der einmal getroffenen Regelung abzuweichen und Ausstiegsdaten vorzuverlegen, gebietet das nunmehr entstandene Vertrauen in die zugesicherten Restlaufzeiten von Verfassungs wegen zumindest die Zahlung zusätzlicher Entschädigungen (vgl. BVerfGE 143, 246 zu nicht nutzbaren Reststrommengen, s. dazu etwa hier). Es besteht grundrechtlicher Investitionsschutz.

Kein Ausstieg vom Ausstieg

Ungewisser ist, ob das Grundgesetz auch einer Aufkündigung der Vereinbarung mit einer anderen politischen Stoßrichtung entgegenstünde: Ein „Zurück zur Kohle“ wäre für den Kohlesektor und seine Akteure bloß vorteilhaft, die in der Folge länger am Netz bleiben könnten. Ob und inwieweit mangelnder staatlicher Klimaschutz dagegen die Grundrechte der vom Klimawandel betroffenen Bürger*innen betrifft, ist eine offene Frage, die womöglich bald auch in Deutschland im Wege der „Klimaklage“ geklärt wird. Es ist jedoch auch erwägenswert, ob nicht Art. 20a GG im Lichte der Ziele des Pariser Klimavertrags von 2015 ausgelegt werden kann. Zwar haben völkerrechtliche Verträge nur den Rang einfachen Bundesrechts und können nicht einfach ohne Weiteres in die Verfassung „hineingelesen“ werden. Das Grundgesetz beinhaltet aber mit Art. 20a GG ohnehin schon eine staatliche Klimaschutzverpflichtung, deren programmatische und offene Verbürgungen durch die völkerrechtsfreundliche Berücksichtigung des Pariser „Zwei-Grad-Zieles“ bloß ein wenig konkretisiert würden. Wegen des verbleibenden großen gesetzgeberischen Spielraums bei der Erreichung des Klimaschutzziels ginge damit kein Paradigmenwechsel für den verfassungsrechtlichen Klimaschutz einher. Gerade im Hinblick auf die Kohlekraft als emissionsintensivste Technologie Deutschlands träte aber doch eine Bindungswirkung ein: Der deutsche Anteil an den Pariser Zielen ist ohne den Kohleausstieg perspektivisch nämlich nicht zu leisten. Selbst wenn man eine solche Lesart des Art. 20a GG ablehnt, ist daran zu erinnern, dass Art. 20a GG nach wohl herrschender Auffassung ein Rückschrittverbot enthält, welches untersagt, ein einmal erreichtes Umwelt- und Klimaschutzniveau insgesamt substanziell abzusenken. Ein „Ausstieg vom Ausstieg“ wäre mit dieser Anforderung nicht vereinbar, da dessen Klimaschädlichkeit wegen der außerordentlichen CO2-Intensität der Kohle wohl kaum durch Emissionseinsparungen in anderen Sektoren kompensiert werden könnte. Hier schützt das Grundgesetz vor einer klimaskeptizistischen Wende in der Bundespolitik.

Zitiervorschlag: Dr. Philipp Overkamp, Der Braunkohlekonsens und die Launen des Gesetzgebers, JuWissBlog Nr. 7/2020 v. 31.1.2020, https://www.juwiss.de/7-2020/

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[1] Vgl. auch Overkamp, „Ökonomische Instrumente und Ordnungsrecht: Verfassungsfragen angesichts des Ausstiegs aus der Kohleverstromung“ , Mohr Siebeck, Reihe Energierecht, im Erscheinen.

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