von ENNIO FRIEDEMANN
Das Recht von Anwohner*innen und standortnahen Gemeinden auf wirtschaftliche Beteiligung an Windenergieanlagen soll für durch deren Bau und Betrieb erlittene Nachteile ausgleichen und so die „Akzeptanz“ der Betroffenen erhöhen. In einem pragmatischen Beschluss hat der Erste Senat nun ein erstaunlich empirisches Verständnis von „Akzeptanz“ an den Tag gelegt – und meidet so die Auseinandersetzung mit den Tücken einer Übertragung des Akzeptanzbegriffs in einen verfassungsrechtlichen Kontext.
In dem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 23.3.2022 (1 BvR 1187/17) hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts das Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern (BüGembeteilG) im Grundsatz für verfassungsgemäß erklärt. Das BüGembeteilG sieht zur Akzeptanzsteigerung eine Beteiligung betroffener Bürger*innen und Gemeinden (Kaufberechtigte) an den Projektgesellschaften, die zum Bau eines Windparks gegründet werden müssen (§ 3 Abs. 1; § 4 Abs. 1 BüGembeteilG), vor. Diese Beteiligung soll in Höhe einer Quote von mindestens 20% erfolgen (§ 4 Abs. 1 BüGembeteilG). Kaufberechtigte sind die im Umkreis von fünf Kilometern eines Windparks wohnhaften Bürger*innen (§ 5 Abs. 1 BüGembeteilG) sowie im selben Umkreis angrenzende Gemeinden (§ 5 Abs. 2 BüGembeteilG): Die Bürger*innen sollen zum „Akteur“ (Rn. 77) des Windenergieanlagenbaus werden. Proteste sowie vor allem rechtliche Schritte zur Verlangsamung oder Verhinderung des Anlagenbaus sollen so von vorneherein gehemmt werden.
Akzeptanz und Gemeinwohlziele
Das BüGembeteilG schränkt das Recht der Vorhabenträger über die Verwendung der durch ihre Windenergieanlagen erzielte Wertschöpfung und die Organisation ihrer Projektgesellschaften frei zu entscheiden zugunsten einer „Akzeptanzsteigerung“ des Ausbaus der Windenergie an Land ein. Diese Regelungsidee hält der Senat für grundsätzlich verfassungsgemäß. Die „Akzeptanz“ des Ausbaus der Windenergie in Mecklenburg-Vorpommern ist dabei nach Verständnis des Senats allerdings nicht für sich genommen Ziel der Regelung. Es geht vielmehr um die Förderung des Ausbaus der Windenergie an Land und damit das Erreichen der über Art. 20a GG verfassungsverbindlichen Klimaziele des § 1 Abs. 3 KSG (Rn. 102, 126). Zu deren Verwirklichung sollen die von der Landesregierung MV diagnostizierten Akzeptanzdefizite (Rn. 102) abgebaut werden. Dass der Senat gleichzeitig die „Verbesserung der Akzeptanz für Windenergieanlagen“ als „unmittelbare[n] Normzweck“ (Rn. 100) ansieht, zeigt, dass die Beseitigung von Akzeptanzdefiziten nach seiner Vorstellung dann legitimer Zweck einer Regelung sein kann, wenn diese die Durchsetzung eines verfassungslegitimen Zwecks begünstigen soll. Sowohl der Landesgesetzgeber als auch der diesem zustimmende Senat gehen von fehlender Akzeptanz als „wesentlichem Hindernis“ (Rn. 102) für den Ausbau der Windenergie an Land aus.
Diese Annahme bildet den argumentativen Konnex zur Verwirklichung des eigentlichen Regelungsziels, dem Ausbau der Windenergie an Land. Sie ist deshalb entscheidend für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Regelungen des BüGembeteilG: Die Akzeptanzsteigerung als unmittelbarer Normzweck kann nur dann die mit dem BüGembeteilG verfolgten, beträchtlichen (Rn. 135), Eingriffe in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger rechtfertigen, wenn sie mit dem Erreichen des eigentlichen Regelungsziels gleichgesetzt wird. Um diese Gleichsetzung zu begründen, bedient sich der Senat in der Geeignetheitsprüfung eines argumentativen Dreischritts: Zunächst wird die Verbesserung der „Akzeptanz“ für Windenergieanlagen durch das BüGembeteilG, dann die Förderung des Windenergieausbaus durch die Akzeptanzverbesserung und schließlich der Beitrag des Ausbaus der Windenergie an Land zum Erreichen der Klimaziele bei gleichzeitiger Sicherung der Stromversorgung dargestellt (Rn. 112 ff.).
Akzeptanzverständnis des Ersten Senats
Dabei fällt im ersten Argumentationsschritt insbesondere auf, dass der Senat den Begriff „Akzeptanz“ wirkungsorientiert versteht und – deshalb (?) – empirisch auszufüllen versucht: Eine Verbesserung der Akzeptanz wird vor allem aus schon von der Landesregierung im Gesetzgebungsverfahren (S. 32) vorgebrachten Umfragen gefolgert. Nach diesen Umfragen waren zwar drei Viertel der Landesbevölkerung für die Energiewendepolitik der Landesregierung, aber nur „knapp die Hälfte“ wollte Windkraftanlagen „vor der eigenen Haustür“ akzeptieren. Dieser Prozentsatz habe sich auf zwei Drittel gesteigert, wenn den Betroffenen ein wirtschaftlicher Vorteil durch diese Anlagen versprochen worden sei. Zudem hätten rund drei Viertel der Befragten die Möglichkeit finanzieller Teilhabe als gute oder sogar sehr gute Maßnahme benannt (Rn. 113). Rechtlich eingebettet werden diese Umfrageergebnisse nur recht karg durch das Erfordernis, dass die durch die finanzielle Teilhabe bedingten Vorteile für die Bürger*innen „konkret erfahrbar“ (Rn. 76, 101) werden müssen. Dies sei dann der Fall, wenn für die Einwohner*innen erkennbar wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer das Gemeinwohl fördernden Maßnahme und den aus der Windenergieerzeugung generierten Mitteln besteht (Rn. 76).
Akzeptanz: Mittel oder Zweck?
Mit dieser Mischung aus weitem rechtlichem Maßstab und Rückgriff auf Indizien für die Meinung potentiell Betroffener hat der Senat den Akzeptanzbegriff zwar pragmatisch operationalisiert. Allerdings hat er damit auch darauf verzichtet, die Frage zu stellen, welcher Anteil der Bevölkerung durch die vom BüGembeteilG gewährten Vorzüge eigentlich überzeugt werden soll und ob dessen Meinungsänderung den Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger rechtfertigt. Zur Beantwortung dieser Frage hätte er genauer auf die potentiellen Effekte, die eine verbesserte „Akzeptanz“ der Betroffenen auf den Ausbau der Windenergie an Land haben könnte, eingehen und so die im Beschluss nur impliziten und unter dem Oberbegriff „Akzeptanz“ zusammengefassten Annahmen zu den Wirkungen des BüGembeteilG explizieren können. Durch das BüGembeteilG könnte beispielsweise die Ausbaugeschwindigkeit erhöht werden, indem die Klagefreudigkeit der Anwohnenden verringert wird. Die Notwendigkeit einer möglichst hohen Ausbaugeschwindigkeit ist– zumindest seit dem Klimabeschluss des BVerfG über Art. 20a GG – „direkt“ verfassungsrechtlich indiziert (vgl. Rn. 107 f.): Der Zusammenhang zwischen der Erhöhung der Ausbaugeschwindigkeit und der Verwirklichung des in Art. 20a GG verankerten Gemeinwohlziels Klimaschutz ist wesentlich eindeutiger als der zwischen einer – auch empirisch verstandenen – „Akzeptanzsteigerung“ und dem Erreichen der Klimaziele. Durch die Benennung der Wirkungsweisen des BüGembeteilG wäre demnach deutlich geworden, dass „Akzeptanzsteigerung“ nur ein Mittel einer möglichst effektiven Durchsetzung anderweitiger gesetzgeberischer Ziele darstellt. Daraus folgt, dass akzeptanzfördernde Maßnahmen hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit nicht nur mit anderen, auf Akzeptanz abzielenden Maßnahmen, sondern auch mit alternativen Möglichkeiten zu einer effektiveren Durchsetzung gesetzgeberischer Ziele verglichen werden müssen. Einen solchen Vergleich nimmt der Senat allerdings nicht vor (Rn. 124 ff.), sondern beschränkt sich allein auf die Prüfung alternativer akzeptanzfördernder Maßnahmen (Rn. 126).
Akzeptanzsteigernde Regelungen als Zukunftsmodell?
Der Senat kontrolliert den vom Gesetzgeber behaupteten Zusammenhang zwischen dessen akzeptanzfördernden Maßnahmen und der Verwirklichung der durch Infrastrukturprojekte angestrebten Gemeinwohlziele nur darauf, ob dieser „plausibel“ (Rn. 116) ist. Damit setzt er der Fantasie des Bundes- und der Landesgesetzgeber – deren Kompetenz er aufgrund der Öffnungsklausel in § 36g Abs. 5 EEG nach längerer Prüfung bejaht (Rn. 95) – hinsichtlich möglicher akzeptanzfördernder Maßnahmen nur sehr lose Grenzen. Zudem wird im Beschluss der Pilotcharakter (Ls. 4, Rn. 145 ff.) des BüGembeteilG ausdrücklich benannt und sogar in der Beurteilung dessen Gemeinwohlbedeutung davon ausgegangen, dass andere Länder oder Gemeinden vergleichbare Maßnahmen ergreifen könnten (Rn. 147). Diese verfassungsgerichtliche „Prognose“ wird bisher auf Bundesebene durch die Gesetzentwürfe des Osterpakets zur wirtschaftlichen Beteiligung von Kommunen an Windenergieanlagen auf Gemeindegebiet und zur Privilegierung von Bürgerenergiegesellschaften bestätigt – und so vielleicht zur selbsterfüllenden Prophezeiung: Indem der Erste Senat sich zur Ausfüllung des Akzeptanzbegriffs hauptsächlich auf Umfrageergebnisse und die Einschätzung des Gesetzgebers verlässt, öffnet er diesem Spielräume, mit innovativen Ansätzen Akzeptanz für umstrittene Infrastrukturprojekte zu schaffen. Eine extensive Nutzung dieser Spielräume könnte den Senat jedoch schon bald dazu zwingen, sein Akzeptanzverständnis nachzuschärfen.
Zitiervorschlag: Ennio Friedemann, Akzeptanzsteigerung als Regelungsziel?, JuWissBlog Nr. 28/2022 v. 12.05.2022, https://www.juwiss.de/28-2022/
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