von ANNA WEININGER

Klimaklagen bergen ein enormes Veränderungspotential. Mögen die Fälle an sich auch relativ speziell sein – eine Klage gegen einzelne Normen des Klimaschutzgesetzes, peruanischer Bauer gegen RWE, deutscher Bauer gegen VW – so beinhalten doch alle die Möglichkeit, das Klimaschutz- und -schadensersatzrecht zu revolutionieren. Wie durchschlagend die Argumente der Klagenden sind, ist in den zivilrechtlichen Klagen noch nicht letztinstanzlich festgestellt worden. Je nach Ausgang der derzeit anhängigen Verfahren eröffnen sich jedoch scheinbar grenzenlose Möglichkeiten für Zivilklagen. Werden diese für zulässig und begründet erklärt, sind die Hürden für eine Klage zwischen Privatpersonen aufgrund von Klimaschäden niedriger als bisher angenommen. Denkbar wären Klagen von Allen gegen Alle.

Klimaklagen gegen Staaten

Weltweit beschäftigen sich inzwischen Gerichte mit Klimaklagen, wie der Hoge Raad, der Oberste Gerichtshof der Niederlande. Dieser bestätigte die Entscheidungen der Instanzgerichte, den Staat zu einer stärkeren Reduzierung der CO2-Emissionen zu verpflichten.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Klimabeschluss die Verpflichtung des Staates zu Klimaschutzmaßnahmen direkt durch die Grundrechte bestätigt. Anfang 2022 hat es jedoch einige gegen die Länder gerichtete Verfassungsbeschwerden (1 BvR 1565/21 u.a.) nicht zur Entscheidung angenommen, mit dem Hinweis, dass keine einklagbaren Handlungspflichten vorlägen, da nur der Bund die Verantwortung für den Klimaschutz trägt.

Peruanischer Bauer gegen RWE

Brisant ist auch die Heranziehung von Privatpersonen für den Klimaschutz. Ein momentan bei dem Oberlandesgericht Hamm anhängiges, schillerndes Verfahren betrifft die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE.

Saúl Luciano Lliuya klagt seit 2015 gegen die RWE AG. Herr Lliuya ist Eigentümer eines Hauses in Peru. Perus Geographie ist maßgeblich durch Gletscher gekennzeichnet, die hinsichtlich des Schmelzwassers einerseits lebensspendend sind, aber andererseits lebensbedrohlich sein können. Durch den Klimawandel schmelzen die Gletscher schneller und lassen das Volumen des Sees Palcacocha enorm ansteigen. Dadurch droht ein sogenannter Gletscherseeausbruch, der zu massiven Überschwemmungen führen würde. Dieser See liegt oberhalb des Hauses von Herrn Lliuya, mithin ist dieses durch die Folgen des Klimawandels konkret bedroht. Das Haus wurde inzwischen durch Schutzmaßnahmen aufgerüstet. Die umgerechneten Kosten der erfolgten Maßnahmen belaufen sich auf 6400 Euro. (Goldmann/Verheyen, ZNER 2022, 126)

Auf Grundlage von § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB fordert Herr Lliuya von der RWE AG 0,47% der Kosten für geeignete Schutzmaßnahmen. RWE ist Europas größter CO2-Einzelemittent. Die 0,47% stammen aus Berechnungen des Klägers, dies sei der Gesamtanteil RWEs an den weltweiten CO2-Emissionen. In erster Instanz hat Herr Lliuya (vertreten durch Frau Dr. Verheyen, unterstützt durch Germanwatch) vor dem Landgericht Essen verloren. Der Kläger hat beim Oberlandesgericht Hamm Berufung eingelegt. Dieses hat die Klage für schlüssig erklärt und damit immerhin den Weg für eine Beweisaufnahme geebnet. Es wurde schon ein Ortstermin in Peru durchgeführt. Voraussichtlich soll die mündliche Verhandlung über ein – noch vorzulegendes – Gutachten in der ersten Jahreshälfte 2023 terminiert werden. Hinweise für den Ausgang des Verfahrens kann man aus diesen Entwicklungen jedoch nicht ziehen.

Dafür kommt es wesentlich auf die Anspruchsbegründung an, die zahlreiche Hürden zu nehmen hat. Zunächst müsste RWE Störerin sein. Die Störereigenschaft kann begründet werden, indem die Tochtergesellschaften der RWE AG zugerechnet werden und der Gesamtanteil der weltweiten Emissionen als Handlung identifiziert wird. Anschließend daran stellt sich die Frage, ob diese Handlung überhaupt rechtswidrig war. Immerhin hat RWE bei dem Betrieb und den damit verbundenen Emissionen geltendes Recht beachtet. Die Rechtswidrigkeit begründet der Kläger mit dem Hinweis, dass die Emissionen zu unzumutbaren, nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen des klägerischen Eigentums führen. Für die Begründung der Kausalität müsste das, was eine Person emittiert, mit dem durch den Klimawandel bei einer anderen Person angerichteten Schaden korrespondieren. Nicht ausreichend für den Kausalzusammenhang ist die Tatsache, dass eine Person irgendwo auf der Welt eine bestimmte Menge an CO2 emittiert und eine andere Person einen auf dem Klimawandel beruhenden Schaden beweisen kann. Vielmehr müsste konkret das ausgestoßene CO2 den Schaden verursachen, es bräuchte also einen Zusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und dem Schaden. Da der Nachweis, dass das von RWE emittierte CO2 den spezifischen Gletscher in Peru zum Schmelzen gebracht hat, schier unmöglich ist, wird auf die kumulative Kausalität rekurriert, um den Zusammenhang herzustellen. Ob ein Fall der kumulativen Kausalität vorliegt, erscheint aber fragwürdig – waren die Emissionen von RWE tatsächlich derart entscheidend, dass, wenn sie hinweggedacht werden, der Gletscher nicht schmelzen würde?

Schikanöses Verfahren?

Neben den materiellen Fragen stellt sich auch eine formelle Frage. Die Zulässigkeit der Klage könnte am Rechtsschutzbedürfnis scheitern, denn dieses entfällt bei schikanösen Verfahren. Beispielsweise hat das Amtsgericht Stuttgart (8 C 7155/89) festgestellt, dass ein Restanspruch von 0,41 DM kein Rechtsschutzbedürfnis begründen kann. Das Gericht verweist einerseits auf das kostbare Gut des Rechtswesens, das durch solche Klagen blockiert wird, und andererseits darauf, dass 0,41 DM kein wirtschaftliches Interesse, sondern vielmehr das Interesse am Rechthaben darstellen.

Die vorliegende Konstellation könnte ähnlich liegen. Ohne die Hilfsanträge beläuft sich der Wert des Anspruchs (0,47% von 6400 Euro) auf eine Summe von 30,08 Euro. Daneben steht die Tatsache, dass eine Klage gegen einen großen Konzern vorliegt. Ist die Intention der Klage tatsächlich Wiedergutmachung des Schadens oder steht dahinter die Inszenierung eines aufsehenerregenden Prozesses? Auf die Frage, warum der Kläger speziell und ausschließlich RWE ins Visier nehme, antwortete Frau Dr. Verheyen, dass die Klage gegen RWE ein erster Schritt und RWE immerhin Europas größter CO2-Emittent sei. Vermutlich treten hier mehrere Interessen nebeneinander: der berechtigte Ersatzanspruch und das öffentlichkeitswirksame Vorgehen gegen RWE.

Diese Überlegungen bleiben gleichwohl theoretisch, da das Oberverwaltungsgericht Münster (II A 1311/59) in einem Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis bei einem Betrag von 0,20 DM angenommen und die Verwerfung des Rechtsschutzinteresses nur begründet mit der Geringfügigkeit der Forderung für unzulässig erklärt hat.

Ausufern der Klimaklagen?

Sollte das Oberlandesgericht Hamm trotz alldem zu Gunsten des Klägers entscheiden, dürfte die deutsche Rechtsgemeinschaft die Frage nach den Grenzen dieser Anspruchskonstellation beschäftigen.

Theoretisch denkbar sind Klagen von Allen gegen Alle. Als Voraussetzung stünde lediglich der Nachweis eines Schadens durch den Klimawandel im Raum. Dann könnte diese Person aber gegen jede beliebige Person mit der Begründung, dass diese durch das Atmen, Essen oder Konsumieren von Gütern einen Anteil an dem weltweiten CO2-Ausstoß hat, klagen. Sodann müsste noch ausgerechnet werden, wie hoch der Anteil der betreffenden Person an den privaten Emissionen des entsprechenden Landes ist. Hierzu könnten die bereits verfügbaren Rechner zur Ermittlung des individuellen CO2-Fußabdrucks herangezogen werden. Im Folgenden könnte diese Person auf den entsprechenden Schadensanteil verklagt werden. Beispielsweise könnten alle geschädigten Bewohner des Ahrtals von beliebigen Bürgern einen Anteil des Schadens fordern.

Die Konstruktion dieser Zusammenhänge ist insofern abstrus, als Atmen, Essen und der Konsum zumindest bestimmter Güter lebensnotwendig und als sozialadäquat einzustufen ist. Darüber hinaus bleibt fraglich, ob es möglich ist, rechtstreu handelnde Bürger auf – in den eigenen Augen – richtig(er)es Verhalten zu verklagen. Dazu tritt die Frage, inwiefern der eigene Beitrag des Klagenden zum Klimawandel zu berücksichtigen ist. In Betracht kommt eine Aufrechnung der Anteile am Klimawandel. Dies dürfte regelmäßig dazu führen, dass der Schaden in den Centbereich fällt. Dies allein ist aber nach dem Oberverwaltungsgericht Münster (II A 1311/59) noch kein Hindernis für die Rechtsdurchsetzung. Aufzufangen wären solche Konstellationen über die Ablehnung des Rechtsschutzbedürfnisses bei schikanösen Klagen. Sollten Klimaklagen nach einem Erfolg der Klage gegen RWE in Mode kommen, um Nachbarstreitigkeiten vor Gericht austragen zu können, so müsste dieses Korrektiv genutzt werden. Anders liegt der Fall bei Klagen gegen große Unternehmen – dort gäbe es einen Präzedenzfall, der den Weg ebnet. Die Rechtsprechung zeigt jedoch, dass eine rein quantitative Beurteilung, sei es nach Emissionsmenge, sei es nach Forderungshöhe, nicht herangezogen werden darf. Klimaklagen werden auf voraussehbare Zeit eine intensive Einzelfallbetrachtung erfordern und die Gerichte beschäftigen.

 

Zitiervorschlag: Weininger, Anna, Quo vaditis, Klimaklagen?, JuWissBlog Nr. 48/2022 v. 03.08.2022, https://www.juwiss.de/48-2022/.

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Anna Weininger, climate change litigation, Klimaklagen, Klimarecht, Schadensersatz, Umweltrecht
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