Tierschutz vs. Freihandel

von CAROLINE HEMLER und DANA RUDDIGKEIT

HemlerRuddigkeit-2In der Entscheidung EC – Seal Products vom 22. Mai 2014 hat der Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO) die Handels­beschränkungen der EU zum Schutz von Robben als unvereinbar mit dem Recht der WTO erklärt. Dennoch wird die Entscheidung von beiden Parteien als Erfolg gefeiert. Der Appellate Body scheint tatsächlich einen ange­messenen Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen gefunden zu haben – auf den ersten Blick zumindest.

Der Appellate Body der WTO hat mit EC – Seal Products eine weitere Entscheidung zur „trade and…“-Problematik vorgelegt. Es geht also letztlich um die Frage, wieviel politischen Gestaltungs- und Regulierungs­spielraum Freihandelsabkommen den Nationalstaaten zum Schutz öffentlicher Güter überlassen. Die Thematik ist spätestens seit der Tuna – Dolphin-Entscheidung 1992 ein Dauerthema im Welthandelsrecht und gewinnt, wie die Diskussionen um das TTIP zeigen, auch in der breiteren öffentlichen Debatte zunehmend an Aufmerksamkeit. Im Robbenfall befasst sich der Appellate Body erstmals mit dem Aspekt des Tierschutzes als Rechtfertigungsgrund zum Schutz der „öffentlichen Sittlichkeit“ nach Art. XX (a) GATT.

Hintergrund

Gegenstand der Entscheidung sind Importverbote der EU auf Robbenprodukte (VO 1007/2009 und 737/2010). Hintergrund waren die anhaltenden Proteste der Tierschutzorganisationen gegen die brutalen Methoden der Robbenjagd, die häufig einen unnötig qualvollen Tod für die Tiere bedeuteten. Das Regelwerk der EU sieht zu dem grundsätzlichen Verbot der Einfuhr von Robben­produkten in die EU einzelne Aus­nahmen vor. So können bestimmte indigene Bevölkerungs­gruppen der Inuit, nachdem sie eine einmalige Akkreditierung durchlaufen haben, Robbenprodukte importieren. Voraussetzung ist u.a., dass die zu importierenden Produkte aus Jagden stammen, deren Ausbeute zumindest teilweise innerhalb der Gemeinschaft entsprechend den Traditionen verarbeitet und verbraucht wird. Bislang haben jedoch nur die grönländischen Inuit, nicht aber die kanadischen oder norwegischen Inuit von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht.

Kanada und Norwegen gingen gegen diese Importbeschränkungen vor und baten noch im November 2009 um Kon­sul­ta­tionen vor dem Streitschlichtungsgremium der WTO, dem Dispute Settlement Body (DSB). Schließlich wurde im März 2011 zur Entscheidungsfindung in erster Instanz ein Panel ein­ge­richtet. Das Panel erklärte das Importverbot im Ergebnis als unvereinbar mit dem Recht der WTO. Gegen den Panelentscheid legten beide Seiten Rechtsmittel ein und wandten sich an den Appellate Body.

Anwendungsbereich des TBT-Übereinkommens

Der Appellate Body setzt sich anfänglich mit der Anwendbarkeit des TBT-Übereinkommens auseinander, das als Spezialabkommen zum freien Warenverkehrsabkommen (GATT) der Harmonisierung technischer Produktstandards dient. Entgegen der Rechtsauffassung des Panels lehnt der Appellate Body dessen Einschlägigkeit jedoch ab. Es handele sich bei den verbotenen Fang- und Tötungsmethoden nicht um Eigenschaften, die dem Produkt selbst anhaften. Somit liege keine technische Produktregulierung vor. Der Appellate Body grenzt den Anwendungsbereich des TBT-Übereinkommens damit folgerichtig ein. Ungeklärt bleiben jedoch die Fragen, was unter einer technischen Vorschrift („technical regulation) zu verstehen ist und inwieweit Maßnahmen, die zum Tierschutz ergehen, unter den Begriff der Verfahrens- und Herstellungsmethoden (PPMs) von Produkten zu fassen sind.

De Facto-Diskriminierung

Bei der Prüfung des Tatbestands der Diskriminierungsverbote des GATT schließt sich der Appellate Body dem Panel im Ergebnis an. Obwohl die Regelung gleichermaßen für sämtliche Robbenprodukte gilt, stellt sie nach Ansicht des Appellate Body eine de facto-Diskriminierung dar. Gestützt wird dieses Ergebnis darauf, dass sich die Regelung faktisch zuungunsten der kanadischen und norwegischen Produzenten auswirkt. Hervorzuheben ist, dass der Appellate Body den Prüfungsmaßstab nochmals nach­drücklich klar­stellt: Auch bei einer bloßen de facto-Diskriminierung habe die Bewertung der regulatorischen Zwecksetzung nicht innerhalb des Tatbestands der Diskriminierung gleicher Produkte zu erfolgen. Der Regelungszweck könne vielmehr erst im Rahmen der Recht­ferti­gung geprüft werden (para 5.115). Daraus folgt, dass die beklagte Partei die Beweislast für die kon­sistente Verfolgung eines legitimen Regulierungszwecks zu tragen hat. Der Appellate Body bestätigt ferner, dass so­wohl das Meistbegünstigungsprinzip als auch das Prinzip der Inländergleichbehandlung bereits die Erwartung entsprechender Wettbewerbsbedingungen schützen, so dass eine konkrete Aus­wirkung auf die Handelsvolumina nicht nachgewiesen werden muss (para. 5.82). Der Tatbestand der Diskriminierungsverbote wird damit durch den Appellate Body überaus weit gefasst. Besonderes Augenmerk wird zukünftig wohl auf jene Kriterien gelegt werden müssen, die eine Eingrenzung bewirken können. Insbesondere wird die Frage zu klären sein, welche negativen faktischen Aus­wirkungen auf den Handel noch der staatlichen Regulierungsmaßnahme im Sinne einer „genuine relation­ship“ zugerechnet werden können. Schließlich können auch die besonderen Umstände, „including the design, structure, operation and application of the measure“, eine einschränkende Rolle spielen (para. 5.112). Angesichts der Weite des jeweiligen Tatbestands ist die Anwendung der Recht­fertigungs­norm des Art. XX GATT von umso größerer Bedeutung.

Tierschutz als Rechtfertigungsgrund von Handelshemmnissen

Dass der Appellate Body im Anschluss an den Panelentscheid den Tierschutz („animal welfare“) als legitimes Regulierungsziel unter Art. XX (a) GATT gefasst hat, wird von Tierschützern als wichtiger Etappen­sieg gefeiert. Art. XX (a) GATT erlaubt Maßnahmen, die notwendig sind zum Schutz der „öffentlichen Sittlichkeit“. Die vom Appellate Body verwendete Definition (para. 5.199) wird erstaunlich weit gehandhabt. Maßgeblich ist allein, ob in der EU eine entsprechende moralische Über­zeugung vorherrscht. Es werden weder objektive Kriterien aufgestellt noch muss die EU darlegen, dass die Robbenjagd unterhalb des in der EU im Übrigen vorherrschenden Standards im Tierschutz fällt. Zwar ist dem Appellate Body zuzugeben, dass eine wissenschaftliche Risiko­bewertung nicht zum Konzept der „öffentlichen Sittlichkeit“ passt. Die gewählte Herangehensweise wäre aber dazu geeignet, jeder öffentlichen Entrüstung Anlass zu protektionistischen Maßnahmen zu geben.

Zu dieser weiten Definition passt auch die ablehnende Haltung des Appellate Body, die EU-Regelung am Rechtfertigungsgrund des Art. XX (b) GATT zu messen. Dieser lässt handelsbeschränkende Maß­nahmen zum Schutz der Gesundheit von Tieren zu. Nachvollziehbare objektive und vor allem bereits multilateral ausgehandelte Kriterien könnten hierfür die schon seit einiger Zeit von der Welt­organisation für Tiergesundheit (OIE) erarbeiteten internationalen Standards zum Tierschutz bieten. Zwar beruhen auch diese Standards auf ethischen Wertvorstellungen, was ein Abrücken vom vorherrschenden Wissenschaftlichkeitsprinzip für Art. XX (b) GATT bedeuten würde. Es wird aber kaum zu leugnen sein, dass das tierische Wohlergehen („animal welfare„) auch auf tiergesund­heit­lichen Aspekten beruht. Mit der Argumentation, dass die EU ihre Importverbote allein auf das Regelungsziel der öffentlichen Sittlichkeit stützt, hatte jedoch bereits das Panel eine Rechtfertigung nach Art. XX (b) GATT ausgeschlossen.

Einschränkung durch den „Chapeau“

Alleiniger Maßstab zur Rechtfertigung von Importbeschränkungen aus Gründen des Tierschutzes bleibt somit Art. XX (a) GATT. Dieser scheitert jedoch am sog. „Chapeau“ (principle of good faith) von Art. XX GATT, der zwischen legitimen Regulierungsinteresse und verschleiertem Protektionismus unter­scheiden soll. Hiernach darf die handelsbeschränkende Maßnahme nicht so angewendet werden, dass sie zu einer willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern führt, in denen gleiche Verhältnisse bestehen. Sie darf auch nicht zu einer verschleierten Be­schränkung des internationalen Handels führen. Der Appellate Body erkennt in der Importbeschränkung auf Robbenprodukte der EU eine „willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung“ zwischen Grönland und Kanada bzw. Norwegen. Die EU habe nicht widerlegt, dass in den Ländern die gleichen Verhältnisse den Tierschutz betreffend bestehen. Sie habe es auch nicht geschafft, zu entkräften, dass die Robbenfangmethoden der Inuit keine tierschutzspezifischen Bedenken ver­gleich­bar derer kommerzieller Fangmethoden aufwerfen. Die unterschiedliche Handhabe von Robben­produkten aus indigener Jagd zu denen aus kommerzieller Jagd sei daher mit der Verfolgung des Regelungsziels Tierschutz nicht in Einklang zu bringen. Die EU habe nicht versucht, auch die Robben­fang­methoden der Inuit im Hinblick auf Tier­schutz­aspekte zu verbessern. Dem Wortlaut der Regelung nach könnten auch kommerzielle Fang­methoden unter die Ausnahmevorschrift zu ziehen sein. Schließlich hätte die EU mehr dazu beitragen können, den Marktzutritt der kanadischen Inuit zu verbessern.

Ausblick

Ob tatsächlich – wie von machen Seiten zu vernehmen – nur kleinere Anpassungen nötig sind, um die WTO-Konformität der EU-Regu­lierungen herzustellen, ist damit zu bezweifeln. Der Appellate Body hat eine Reihe von Problemen nach dem Prinzip der „judicial economy“ nur angedeutet, nicht aber entschieden. Bewusst („while recognizing the systemic importance of that question“) hat er etwa das Problem des Schutzes extraterritorialer Güter und der daraus resultierenden Jurisdiktionskonflikte ausgespart. Grundsätzlich gilt, dass Handelsbeschränkungen, die nicht an Eigenschaften eines Produkts, sondern an Handlungen außerhalb des Hoheitsgebietes des jeweiligen Staates anknüpfen, nur sehr eingeschränkt einer Recht­fertigung offenstehen können. Anderenfalls könnte vorliegend gerade der weite Begriff der „öffent­lichen Sittlichkeit“ dazu führen, dass einzelne Staaten ihre jeweiligen Vorstellungen unilateral durchsetzen. Eine Diskussion, ob die zum Schutz extraterritorialer Güter vor allem in US – Shrimp entwickelten Kriterien übertragen werden könnten, wäre insofern wünschens­wert gewesen. Ohne Klärung dieser Fragen wird die grundsätzliche Bejahung des Art. XX (a) GATT im Ergebnis kaum von Nutzen sein können. Dass die Entscheidung als Sieg für den Tierschutz gefeiert wird, dürfte daher als übereilt zu bewerten sein.

 

Caroline Hemler ist Rechtsanwältin bei Redeker Sellner Dahs am Standort in Brüssel und promoviert derzeit bei Prof. Dr. Andreas Heinemann an der Universität Zürich zu einem WTO-rechtlichen Thema. Daneben übt sie eine Lehrtätigkeit an der DUW in Berlin aus und ist Mitveranstalterin des Brussels Round Table on World Trade Law. Sie hat zum WTO-Recht, zum Kartellrecht und zum Europäischen Lebensmittelrecht veröffentlicht.

Dana Ruddigkeit ist Referendarin am Oberlandesgericht Naumburg und absolviert derzeit ihre Wahlstation im Brüsseler Büro von Redeker Sellner Dahs. Als Stipendiatin der Stiftung Geld und Währung wurde sie im Rahmen des Graduiertenkollegs Global Financial Markets an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter Betreuung von Prof Dr. Christian Tietje promoviert. Sie hat zum Recht der WTO, zur internationalen Finanzarchitektur und zum Kartellrecht veröffentlicht.

Caroline Hemler, Dana Ruddigkeit, GATT, Tierschutz, TTIP, Völkerrecht, WTO
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