Das Ende des „worst deal ever“: Hat der Iran-Deal noch eine Zukunft?

von MAX JÜRGENS

Am 8. Mai 2018 verkündete US-Präsident Trump den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran. Die EU, Russland und China haben bereits angekündigt, das Abkommen notfalls ohne die USA weiterzuführen. Paradox: Gerade der Völkerrechtsverstoß der USA ermöglicht die Fortführung des Abkommens. Zugleich erschwert die extraterritoriale Geltung der US-Sanktionen seine Weitergeltung.

USA verhalten sich völkerrechtswidrig

Unter der Annahme der – von einigen US-Kommentatoren bestrittenen – Rechtsverbindlichkeit des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) verstoßen die USA gegen eine völkerrechtliche Vereinbarung, da sie ungerechtfertigt aus dem JCPOA austreten und ihre unilateralen Sanktionen gegen Iran reaktivieren. Den USA stehen weder ein Kündigungs-, Rücktritts- oder Aufhebungsrecht zu, noch planen sie, das verbindliche Streitbeilegungsverfahren abzuwarten, bevor sie ihre Sanktionen gegen Iran reaktivieren. Zugleich wollen die USA eine Aufhebung des gesamten Abkommens wohl nicht erzwingen – eine Möglichkeit für die übrigen Parteien.

Eingeschränkte Aufhebungsmöglichkeiten

Die Aufhebungsmöglichkeiten der Vereinbarung ergeben sich abschließend aus dem JCPOA, wonach einziger vorzeitiger Aufhebungsgrund die maßgebliche Nichterfüllung der Vertragsverpflichtungen durch eine andere Partei ist (Ziff. 36 JCPOA). Der Aufhebung hat ein Streitbeilegungsverfahren voranzugehen, das den Vorwurf einer Vertragsverletzung bestätigen soll. Nur wenn im Rahmen des Streitbeilegungsverfahren ein Verstoß festgestellt oder der Vorwurf der Vertragsverletzung nicht beseitigt wird, greift der snapback-Mechanismus, der die Reaktivierung der VN-Sanktionen zur Folge hat und die Vereinbarung aufhebt.

Eine Kündigung der USA setzt damit entweder eine tatsächliche Nichterfüllung der Vertragsverpflichtungen durch den Iran voraus, oder zumindest den Vorwurf einer solchen Vertragsverletzung, der durch das Streitbeilegungsgremium nicht beseitigt werden konnte. Sofern ein Vorwurf nur behauptet wird, muss dieser geeignet sein, eine Vertragsverletzung darzustellen. Fernliegende Vorwürfe, die nur zum Ziel haben, eine Vereinbarung zu beenden, sind rechtsmissbräuchlich und verstoßen gegen den im Völkergewohnheitsrecht anwendbaren good faith-Grundsatz (vgl. Art. 26 Wienervertragsrechtskonvention und dessen Präambel, Ziff. 3).

Die US-Regierung hat bisher keinerlei Vorwürfe erhoben, die geeignet wären, eine Vertragsverletzung darzustellen: Ein Verstoß gegen den „Geist“ des JCPOA, wie ihn Trump dem Iran vorwirft, ist aufgrund der Detailfülle der Verpflichtungen aus dem Abkommen zu unbestimmt. Das iranische Programm zur Entwicklung ballistischer Raketen kann schon deshalb nicht Aufhebungsgrund sein, da das Programm nie Gegenstand des JCPOA war. Entsprechend hat der JCPOA die diesbezüglichen US- und EU-Sanktionen (insbesondere das umfassende Waffenembargo) ausgeklammert. Auch Irans Einmischung in Syrien ist nie Gegenstand des JCPOA gewesen, ebenso wenig wie die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen durch das iranische Regime. In diesen Bereichen greifen weiterhin US- und EU-Sanktionen, die der JCPOA nicht berührt. Schließlich ist in dem Vorbringen Israels, der Iran habe ein geheimes Archiv mit Plänen zum Atombombenbau, kein geeigneter Verstoß zu erblicken, unabhängig davon, ob die Vorwürfe zutreffen. Denn zur Vernichtung seiner (vermeintlichen) in der Vergangenheit entwickelten Pläne zum Kernwaffenbau hat sich der Iran nicht verpflichtet. Entsprechend räumte Israel ein, dass es sich um ein „Archiv“ handelt, nicht um aktuelle Pläne. Nur aktuelle Pläne könnten unter Umständen einen Verstoß begründen, hat der Iran doch in der Präambel des JCPOA beteuert, zukünftig keine Atombomben zu entwickeln (Präambel, Ziff. 3).

Da andere geeignete Verstöße des Iran gegen den JCPOA nicht ersichtlich sind, hat die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) dem Iran regelmäßig die Einhaltung seiner Pflichten aus dem Atomabkommen bestätigt.

Erfolgloses Streitbeilegungsverfahren kann VN-Sanktionen reaktivieren

Der JCPOA sieht vor, bei jedem Vorwurf einer Vertragsverletzung das Streitbeilegungsverfahren zu aktivieren. Innerhalb von 30 Tagen sollen sich erst das Streitbeilegungsgremium zur Beratung treffen, dann die Ministerrunde. Danach beschäftigt sich der VN-Sicherheitsrat mit dem Vorwurf. Stimmt dieser nicht innerhalb von weiteren 30 Tagen der weiteren Aussetzung der Sanktionen zu, greift der snapback-Mechanismus. Ab diesem Zeitpunkt gilt der JCPOA als aufgehoben. Das Verfahren stellt sicher, dass ein Veto im Sicherheitsrat den JCPOA zwar zu Fall bringen kann, ein Veto aber nicht zur Weitergeltung des JCPOA führt. Es zeigt zugleich die von Trump stets bestrittene, vorteilhafte Gestaltung der Vereinbarung zugunsten der USA: Wegen ihres Vetos im VN-Sicherheitsrat können die USA entgegen aller Widerstände einen geeigneten Vertragsverletzungsvorwurf zur Aufhebung der Vereinbarung nutzen.

Durch Ziffer 36 JCPOA erhalten die USA zwar die Möglichkeit, vor Befassung des VN-Sicherheitsrates die Erfüllung der eigenen Verpflichtungen einzustellen. Verpflichtend bleiben aber die Beratungen im Streitbeilegungsgremium und in der Ministerrunde als Voraussetzung der Reaktivierung eigener Sanktionen. Davon wollen die USA ihre Sanktionen jedoch nicht abhängig machen – ein weiterer Verstoß gegen die Vereinbarung.

Dass die USA vertragswidrig aus dem JCPOA austreten, ohne zugleich die Aufhebung des Abkommens durchzusetzen, kommt derweil den übrigen Parteien entgegen. Sie erhalten dadurch die Möglichkeit, den JCPOA noch am Leben zu halten.

Extraterritoriale US-Sanktionen erschweren Fortführung des JCPOA

Das wird den übrigen Vertragsparteien jedoch durch die bevorstehende Reaktivierung der US-Sanktionen erschwert: Kernbestandteil der US-Versprechen war die Aufhebung sog. secondary sanctions. Solche Sanktionen richten sich vor allem an ausländische Unternehmen und verfolgen den Zweck, ein sanktioniertes Land weltweit zu isolieren. Sie bewirken, dass non-US-Persons mit Dependancen oder Filialen in den USA für Sanktionsverstöße haftbar gemacht werden können, selbst wenn die Geschäfte keinen US-Bezug haben. Andere Unternehmen ohne US-Tochter können vom US-Geschäft ausgeschlossen werden. Die Aussetzung dieser Sanktionen ermöglichte es vielen EU-Unternehmen, mit iranischen Unternehmen Geschäfte abzuschließen, ohne ihr US-Geschäft zu riskieren.

Diese Sanktionspolitik ist rechtlich fragwürdig, da die USA damit eine extraterritoriale Geltung ihrer Sanktionen beanspruchen. Art. 2 Nr. 7 VN-Charta verbietet Staaten, in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten einzugreifen. Zu den inneren Angelegenheiten gehört auch die Wahl eines Wirtschaftssystems und die Ausgestaltung der eigenen Außenpolitik (Friendly Relations Declaration, 3. Grundsatz). Völkerrechtswidrig ist die Intervention, wenn ein Nötigungselement hinzutritt (IGH, Nicaragua, para. 205).

Die Außenhandelsfreiheit, wie sie für Deutschland beispielswiese in § 1 Abs. 1 Außenwirtschaftsgesetz normiert ist, ist Ausdruck der Wahl eines liberalen, freien Wirtschaftssystems. Sie wird durch die US-Sanktionen erheblich eingeschränkt: Die Sanktionen schreiben anderen Staaten nicht nur vor, mit welchen Staaten ihre Unternehmen Handel betreiben dürfen. Die USA nehmen sich auch heraus, bei Zuwiderhandeln Strafmaßnahmen gegen solche Unternehmen zu verhängen. Der ausgeübte Druck erreicht dabei die Schwelle einer Nötigung und führt in der Praxis dazu, dass sich ausländische Unternehmen an die US-Sanktionen halten. Fremde Staaten können ihren Unternehmen die Außenhandelsfreiheit nicht mehr garantieren und verlieren so die Autonomie über ihr eigenes Wirtschaftssystem.

Die EU verabschiedete daher bereits 1996 eine Verordnung (VO (EG) 2271/96), mit der sie EU-Unternehmen zur Missachtung solcher Sanktionen verpflichtete. Die Verordnung soll nun wiederbelebt werden, um die Fortführung des Atomabkommens zu ermöglichen und die Wirkungen der US-Sanktionen abzufedern. Ob das gelingt, werden die nächsten Wochen zeigen.

Zitiervorschlag: Jürgens, Das Ende des „worst deal ever“: Hat der Iran-Deal noch eine Zukunft?, JuWissBlog Nr. 49/2018 v. 25.5.2018, https://www.juwiss.de/49-2018/

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