von MARTIN HEIDEBACH
Was ist von dem Vorschlag des Wissenschaftsrats zu halten, zur Ausdünnung des Lehrplans des Jurastudiums auf ein Fach des Besonderen Verwaltungsrechts zu verzichten? Eine echte Diskussion hierüber ist offensichtlich noch nicht in Gang gekommen, was angesichts der recht einschneidenden Forderung verwundert. Der Beitrag beleuchtet kurz ihren Hintergrund und nimmt anschließend zu ihrer Sinnhaftigkeit Stellung.
Schön ist alle Theorie…
Im Mittelpunkt der Empfehlungen des Wissenschaftsrats für Studium und Lehre steht die Stärkung der Grundlagenfächer. Diese Idee ist auf den ersten Blick wenig originell. Ich habe den Eindruck, der Stellenwert der Grundlagenfächer folgt einer gewissen Wellenbewegung. An der LMU München wurde beispielsweise zum Wintersemester 2000/2001 das Bestehen einer Klausur in einem der Grundlagenfächer zur Pflicht gemacht. Einige Jahre später wurde diese Regelung abgeschafft. Darüber hinaus entschied sich die Fakultät kurzerhand, einen der beiden Lehrstühle für antike Rechtsgeschichte in einen Lehrstuhl für Unternehmensrecht umzuwidmen. Seit diesem Semester scheint der Wind in eine andere Richtung zu wehen: Die Pflichtklausur in den Grundlagenfächern wurde wieder eingeführt.
Bei näherer Betrachtung enthalten die Anregungen des Wissenschaftsrats aber mehr Substanz: Die bessere Vermittlung der Grundlagen – so die Vorstellung des Wissenschaftsrats – soll dadurch erreicht werden, dass die Grundlagenfächer mit den Kernfächern verzahnt werden. Dadurch könnten die Gründe für die bisherige Marginalisierung der Grundlagenfächer beseitigt werden: Werden die Grundlagenvorlesungen am Beginn des Studiums angesiedelt, haben die Studierenden zwar die notwendige Zeit, um sich mit diesen zu beschäftigen, sie sind aber in der Regel überfordert. Wie soll das Interesse für die Geschichte des Erbrechts geweckt werden, wenn man noch keine Ahnung vom geltenden Erbrecht hat? Platziert man die Veranstaltungen hingegen an das Ende des Studiums, dann kommen die Studierenden besser damit zurecht. Es wäre aber illusorisch zu erwarten, dass sie einen Teil ihrer Examensvorbereitungszeit dafür opferten. Eine echte Verknüpfung der Kernfächer mit den Grundlagenfächern könnte hier Abhilfe schaffen. Fraglich ist allerdings, ob diese Lösung mit der akademischen Realität in Einklang zu bringen ist. Ist es wirklich vorstellbar, dass gestandene Rechtsprofessorinnen und -professoren die Inhalte ihrer Vorlesungen untereinander und sogar fächerübergreifend im Detail aufeinander abstimmen oder gar im Lehr-Tandem unterrichten? Eine Umsetzung der Vorgaben des Wissenschaftsrats setzte also nicht nur inhaltlich ein echtes Umdenken voraus.
Ich bin deshalb skeptisch, ob die Hauptempfehlung des Wissenschaftsrats für Studium und Lehre überhaupt eine Verwirklichungschance hat. Diese Zweifel möchte ich aber beiseite lassen und zu einem Folgevorschlag für den Fall der Umsetzung kommen. Der Wissenschaftsrat empfiehlt hierzu: Erweitere man den Umfang des Stoffs an der einen Stelle, so müsse er an anderer Stelle zurückgefahren werden. Im Ausgangspunkt halte ich diese Überlegung für richtig. Zweifellos sind die Studierenden mit dem bereits heute geforderten Stoff ausgelastet. Selbst wenn dem Prüfungsstoff keine neuen Rechtsgebiete hinzugefügt werden, nimmt die Stoffmenge schlicht deshalb zu, weil der Kanon der potentiell zu beherrschenden rechtlichen Problemfelder durch immer neue Gesetze, Literatur und Rechtsprechung laufend wächst.
… aber besteht sie auch den Praxistest?
Was ist aber von dem konkreten Vorschlag des Wissenschaftsrats zu halten, zum Ausgleich für die Stärkung der Grundlagenfächer (unter anderem) ein Fach des Besonderen Verwaltungsrechts vollständig aus dem Lehrplan der Universitäten zu streichen? Nach dem ersten Reflex des sofortigen Widerspruchs gegen eine derart radikale Lösung – vielleicht auch ausgelöst von der Befürchtung, bei der eigenen Spezialisierung auf das falsche Pferd gesetzt zu haben –, habe ich mir die Frage gestellt, welches der Fächer denn verzichtbar wäre. Ein Blick in die verschiedenen Landesprüfungsordnungen ergibt, dass zumindest Kommunalrecht in den Flächenstaaten, Baurecht sowie Polizei- und Sicherheitsrecht zum heutigen Kernbestand des Besonderen Verwaltungsrechts zu zählen sind.
Das Kommunalrecht ist schnell abgehandelt: Es ist eigentlich dem allgemeinen Verwaltungsrecht zuzuordnen und behandelt die Grundlagen des Staatsaufbaus. Unterrichtete man das Kommunalrecht nicht mehr, würde man das für die demokratische Verwaltung des Staates bedeutende Konzept der kommunalen Selbstverwaltung unterschlagen und den Studierenden damit einen wesentlichen Teil des öffentlichen Rechts vorenthalten.
Das Baurecht dürfte die wohl komplexeste und umfangreichste Materie des derzeit gelehrten Besonderen Verwaltungsrechts sein. Seine Streichung stellte deshalb die größte Entlastung für die Studierenden dar. Aber: Entscheiden sich die Studierenden im Berufsleben für eine Tätigkeit im Bereich des öffentlichen Rechts, so werden sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mit dem Baurecht zu tun haben, sei es in der Anwaltschaft, im Gericht oder in der Verwaltung. Darüber hinaus repräsentiert das Baurecht zumindest im weiteren Sinne das öffentliche Wirtschaftsrecht und vermittelt einen Eindruck von der wirtschaftlichen Bedeutung und Praxisrelevanz des öffentlichen Rechts. Mit anderen Worten: Streichen wir das Baurecht aus dem Lehrplan, streichen wir die einzige Materie des Besonderen Verwaltungsrechts, die gezielt auf die spätere berufliche Praxis vorbereitet. Ist es wirklich im Interesse des öffentlichen Rechts, das bei vielen Studierenden nach meinem Eindruck vor allem deshalb auf wenig Gegenliebe stößt, weil es als „trocken“ und praxisfern empfunden wird, dieses Rechtsgebiet aus dem Unterricht zu entfernen?
Es bleibt also nur das Polizeirecht. Die gerade angesprochene Praxisrelevanz scheint diesem Rechtsgebiet zu fehlen. Es dürfte auch für Juristinnen und Juristen wahrscheinlicher sein, privat mit dem Polizeirecht in Kontakt zu kommen als beruflich. Das wäre aber zu kurz gedacht: Schon das mit dem Polizeirecht strukturgleiche allgemeine Sicherheitsrecht ist deutlich relevanter für die spätere berufliche Tätigkeit. Außerdem wird mit der Vermittlung des Polizeirechts die Grundlage für das Verständnis des besonderen Sicherheitsrechts geschaffen. Das Polizeirecht steht letztlich als pars pro toto für die gesamte Eingriffsverwaltung. Mit seiner Streichung entfernte man deshalb den klassischen Kern des Verwaltungsrechts aus dem Lehrplan.
Mein Fazit lautet daher: Der radikale Vorschlag des Wissenschaftsrats, ein Fach des Besonderen Verwaltungsrechts zu streichen, ist nicht besonders durchdacht und abzulehnen.
Beschäftigt man sich mit dem Lehrkanon im öffentlichen Recht, dann scheint mir die drängendere Frage, inwieweit nicht bestimmte neue Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts im Unterricht besser berücksichtigt werden müssten, zum Beispiel innovative Materien wie das Umweltrecht. Es bleibt allerdings das auch vom Wissenschaftsrat aufgezeigte Problem des Umfangs des bestehenden Prüfungsstoffs. Nicht geholfen ist den Studierenden mit der in den Landesprüfungsordnungen an vielen Stellen zu findenden alibihaften Einschränkung, ein bestimmtes Gebiet müsse nur in den „Grundzügen“ beherrscht werden. Im Zweifel hat dies keine tatsächliche Reduzierung des Prüfungsstoffs für die Studierenden zur Folge, weil offen ist, was diese „Grundzüge“ umfassen.
Helfen kann nur eine echte Eingrenzung des Stoffs, freilich ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten und gleich ein ganzes Fach abzuschaffen. Erwägenswert scheint mir, das Staatshaftungsrecht aus dem Lehrplan zu streichen. Es handelt sich um eine relativ gut abgrenzbare, recht spezielle Materie, in die man sich aber zugleich nicht zuletzt aufgrund ihrer in vielen Punkten zumindest ähnlichen Struktur zum Zivilrecht auch nach dem Studium gut einarbeiten kann, wenn dies beruflich erforderlich ist. Für das Examen ist das Staatshaftungsrecht demgegenüber ein sehr komplexer, mit hohem Lernaufwand verbundener Gegenstand, da es sich überwiegend um ungeschriebenes Recht handelt. Die Streichung des Staatshaftungsrechts aus dem Lehrplan wäre deshalb eine wirkliche Entlastung für die Studierenden, ohne eine schwerwiegende Lücke in der öffentlich-rechtlichen Ausbildung zu hinterlassen.
5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Lieber Martin,
Guter Beitrag zur Diskussion – volle Zustimmung . Ich glaube auch, dass eher innerhalb der Gebiete „entrümpelt“ werden muss, um Platz für neues zu schaffen. Auch das allgemeine Verfassungsrecht verfügt über innovative Themen (E-Government) – gelehrt wird aber eine Verwaltung der Vergangenheit. Im Übrigen auch mit negativen Folgen für die Verwaltungspraxis, die immer noch vielfach auf Juristen zurückgreift . Juristen und Innovation dürfte aber ein Thema für sich sein – dazu könnte eigentlich jemand mal bloggen .
Beste Grüße
Lieber Martin,
vielen Dank für Deinen Beitrag. Die Empfehlung war mir nicht einmal bekannt. Ich denke, man muss diesen Vorschlag wohl im Zusammenhand mit der Bachelorisierung (EU sei dank…^^) des Studiums sehen: Es ist klar, dass man in das Bachelorstudium nur etwa 50-60% des Staatsexamensstudiengangs sinnvoll einarbeiten könnte (die Regelstudienzeit von 9 Semestern suggeriert max. 65% bei einem 6-semestrigen LL.B.). Das Staatshaftungsrecht (ausgerechnet) mag zwar schwer sein, aber sicherlich bedeutend praxisrelevanter als für die meisten das Baurecht. Wie der Staat mir bei begangenem Unrecht (und eben teilweise auch rechtswidrigen Eingriff) zu haften hat, stellt in der „was kriege ich?“-orientierten Praxis wohl schon eine wichtige Frage dar und mit entsprechendem Einsatz lässt sich das Staatshaftungsrecht innerhalb von zwei Wochen erlernen (Wdh. exklusive). Da fände ich – außerhalb einer Spezialisierung, die man genauso gut (und besser als die St.haftung) auf nach dem Studium verschieben kann – das Baurecht schon eher einen „Wackelkandidaten“, der (nach meiner Erfahrung) den meisten Studenten weit mehr Ballast abnehmen würde.
Aber im Grunde ist es so: Das gesamte öffentliche Recht bildet eine Einheit. Es gibt Fächer, die – wie Du richtig beschreibst – in ihrem „besonderen“ Gewand die grundlegenden Einsichten festigen. Dies trifft aber auf nahezu jedes besondere Verwaltungsrecht zu. Wir müssen besser zwischen einer Spezialisierung und einem Erlernen der Grundlagen unterscheiden:
Angesichts der unüberblickbaren Fülle kann der Anspruch nicht sein, dass wir Studierenden jedes später evtl. relevante Fach unterrichten.
Meine eigene Idee war es einmal, dass wir in einem LL.B. etwa nur die Grundlagen unterrichten (Ö-Recht: GRe, StaatsOrga, Allg. VerwaltungsR, Verw.prozessrecht anhand ausgesuchter Fälle mit Bezug zum Bes. Verw.R.) und dann nach dieser Basisphase (4 Semester) die Studierenden einen Bereich (Ziv, Straf, Ö) aussuchen lassen, in dem sie sich alle Kenntnisse aneignen (Für das Ö-R: Bes. VerwR).
Aber wir sitzen ja leider nicht in Kommissionen…
Nochmal danke für den Beitrag!
Beste Grüße
Christoph
Der Beitrag widmet sich gezielt einer der wenigen richtigen Schwachstellen des Wissenschaftsratsberichts. Der Bericht wird an dieser Stelle zwar wenigstens einmal konkret. Aber leider entscheidet er sich auch für den falschen Zungenschlag, indem er einmal mehr das traditionelle „Streichungsparadigma“ bemüht, um zu einer Stoffreduktion im Studium zu gelangen.
Die Streichungsdebatte war schon in der Vergangenheit nicht zielführend und ist schon deswegen für zukünftige Debatten keine Option. Diese Vorgehensweise hat regelmäßig zu einer Verhärtung der Fronten geführt. Kennzeichnend für solche Streichungsdebatten ist, dass sie sich früher oder später darauf konzentrieren die einzelnen Inhalte der „Prüfgegenständekataloge“ in den Justizausbildungsgesetzen zu verhandeln, zu ergänzen und zu streichen (teilweise je nach persönlichem Gusto). Außenperspektiven, veränderte wissenschaftliche Schwerpunkte, die Frage nach Bedürfnissen der Studierenden und späteren Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber werden dabei häufig ausgeblendet. Durch diese Verengung des Sichtfelds werden alternative Strukturierungsmöglichkeiten für Prüfgegenständereglungen gar nicht erst in Erwägung gezogen. In dem Beitrag von Martin wird am Beispiel der Streichung eines Fachs des Besonderen Verwaltungsrechts exemplarisch, konsequent und in aller Kürze dargestellt, wie eine solche Debatte verlaufen kann. Die Kommentare zeigen, wie schwer es ist, solche Lösungen erstens als akzeptabel (Christoph) und zweitens als ausreichend (Sönke) hinzunehmen. Sie sind es nämlich weder noch. Gerade dann, wenn der WR vorschlägt, Wissen besser ineinander zu integrieren, müsste doch gerade nach neuen Mustern gesucht werden, wie sich beispielsweise im Besonderen Verwaltungsrecht die einzelnen Rechtsgebiete auch in den Prüfgegenständeregelungen durch übergeordnete sie verbindende Begriffe besser in Beziehung setzen lassen, um den Lehrenden Raum für flexible Gestaltung zu schaffen. Es spricht eigentlich nicht viel dagegen, Gefahrenabwehrrecht als Oberbegriff oder übergreifend Planungsrecht als Ausgangspunkt für die Gestaltung von Lehre zu wählen. Im Rahmen solcher abstrakteren Vorgaben könnten Lehrende dann viel flexibler eigene Schwerpunkte setzen oder exemplarisch auf einzelne Rechtsmaterien zugreifen und Grundlagenwissen einbinden. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen sonst getrennt dargestellten Rechtsmaterien könnten besser herausgearbeitet werden. Struktur- und Grundlagenwissen „am Beispiel von“ „im Vergleich zu“ würde in den Vordergrund treten. Eine explizite Streichung eines einzelnen Fachs wäre dann nicht mehr notwendig. Stoffreduktion und Integration wären die Folge. Teilweise wird ein solcher Strukturierungsansatz schon in den Schwerpunktbereichen umgesetzt. Auf etwas allgemeinerer Ebene bietet er sich aber auch für das gesamte Studium an.
Ich stimme Dir völlig zu, Tina. Aus Sicht der Studierenden würde dann allerdings schnell die Frage nach der ausreichenden Vorbereitung auf das Examen auftauchen. Denn solange die Fakultäten ihren Studierenden nicht vermitteln, dass es im Examen gerade nicht auf Spezialwissen in bestimmten Rechtsgebieten ankommt, sondern auf Systemverständnis und der Möglichkeit zur Operationalisierbarkeit von Rechtswissen, wird der Wunsch bestehen, einen festen Kanon an Fächern und Dachinhalten zu haben, der dann vor dem Examen beim Repetitor wiederholt wird. Folgt man deinem Vorschlag, müssten daher sowohl die Prüfungsämter, als auch die Professoren die Anforderungsprofile des Staatsexamens transparenter machen und gegebenenfalls an ein solches Konzept anpassen. Die gegenseitige Abstimmung von Prüfungsanforderungen gelingt ja selbst in den Schwerpunktsprüfungen oft nicht (da werden dann in der Mündlichen Dinge gefragt, die in Schwerpunktvorlesungen nie angesprochen wurden oder aber auch zu den banalsten Grundlagen zählten)
Liebe Claire,
das Gegenargument hatte ich bewusst „unterschlagen“. Ich dachte mir schon, dass es früher oder später jemand vortragen wird. An und für sich ist Deine Logik genau richtig. Ich möchte das Ganze aber einfach mal positiv wenden und über mögliche positive Folgen entsprechender Veränderungen der Prüfgegenständeverordnungen in den Bundesländern für das Studium nachdenken. Denn darum müsste es dem WR auch gegangen sein, weil nur an dieser Stelle eine Streichung tatsächlich Sinn macht.
Mir wäre zunächst einmal ganz lieb, wenn alle Studierenden wieder Rechtswissenschaft an ihrer Hochschule tatsächlich studieren und sich nicht Klausurwissen beim Repetitor einpaucken lassen (und das inzwischen immer früher) oder überhaupt nur permanent sog. „klausurrelevantes Wissen“ in sich hineinfutterten. Ich habe auch das Gefühl, dass sich das Klausurschreiben im Gutachtenstil zu einer Art Manie ausgewachsen hat, die alles andere was im Studium wichtig ist in den Schatten stellt. Ich kann nur für mich sprechen aber ich glaube, dass sich hieran einfach was ändern muss. Das ist eine Herausforderung aber man kann sich ja trotzdem überlegen, wie man selbst noch mit Flip-Flops an den Füßen am besten auf den Mount Everest kommen könnte.
Ich denke, dass man durchaus bei der Gestaltung völlig anderer Prüfgegenständeregelungen anfangen kann. Hier gibt es sicherlich eine Vielzahl möglicher Gestaltungsansätze, denen aber gemeinsam sein sollte, inhaltlich abstrakter, übergreifender und facettenreicher zu formulieren als es derzeit der Fall ist. Das kann so weit gehen, dass sogar personale Kompetenzen mit in die Prüfungsanforderungen aufgenommen werden, um ein ganzheitlicheren Überblick über das Wissen und Können eines Juristen oder einer Juristin abbilden zu können. Die Fakultäten wären dann viel besser in der Lage Curricula zu entwerfen, die beispielsweise besser mit ihren Forschungsprofilen und der personalen „man und womanpower“ vor Ort übereinstimmen. Es würde also hier schon mehr Individualität entstehen. Die Lehrenden wiederum hätten die Möglichkeit und würden vor der Herausforderung stehen, pointiertere und flexiblere Lehrveranstaltungen zu entwerfen, die möglicher auch viel wissenschaftlicher sind als derzeitige Standardvorlesungen, weil sie sich auf bestimmte Themen exemplarisch konzentrieren anhand derer juristisches Grundlagenwissen dargestellt wird.
Mit Blick auf die staatlichen Pflichtteilprüfungen würde dies bedeuten, dass die Prüfungsämter viel enger mit den jeweiligen Fakultäten zusammenarbeiten müssen, weil sich die Prüfungen auch an dem orientieren müssten, was tatsächlich gelehrt wurde und was die Studierenden an den jeweiligen Fakultäten tatsächlich studiert haben. Prüfungen würden inhaltlich also auch viel individueller an den einzelnen Standorten. Für den Wettbewerb wäre das sicherlich gar nicht schlecht. Das Ganze bedeutet vor allem in denkbaren Übergangsphasen viel Arbeit bei der Umstellung und bei der Erfindung neuer Prüfungsleistungen (möglicherweise ist nicht mehr alles in Gutachtenklausuren abprüfbar). Möglicherweise müssten auch Kompetenztest erfunden werden. Dies hätte jedenfalls Auswirkung auf die Gestaltung der mündlichen Prüfung), Prüferinnen und Prüfer müssten möglicherweise sogar geschult werden, das nationale Klausurrotationsprinzip wäre obsolet und höchstwahrscheinlich müsste jedenfalls für die Übergangszeit Geld in die Hand genommen werden, um gestiegenen Personalbedarf abzudecken. Nach der Übergangszeit würde sich dann auch im neuen System Routine einstellen und alles wäre – wie es bei solchen Umstellungsprozessen oft ist – im Nachhinein gar nicht so dramatisch wie eingangs gedacht. Im Ergebnis wären auch die Juristinnen und Juristen, die in einem solchen System ausgebildete werden individueller. Gerade das ist aber auch nicht schlecht, weil der sich ausdifferenzierende Arbeitsmarkt das mit Sicherheit ganz gut aufnehmen würde.
Die Repetitorien hätten es in einem solchen System schwer. Jedenfalls deutschlandweit aufgestellte Ketten würden dann nicht mehr funktionieren und das wäre doch fein. Allenfalls lokale Repetitorien könnten sich halten, wenn sie einen guten Draht zur Fakultät habe. Examensangst wäre damit nicht obsolet aber die Prüfungsvorbereitung könnte viel transparenter ablaufen und wäre von weniger diffusen Ängsten geprägt als es derzeit der Fall ist. Möglicherweise vertrauen die Studierenden dann auch wieder mehr den Lehrenden an ihrer Fakultät und können sich besser auf ein tatsächliches Studieren konzentrieren anstatt auf Stoffhuberei zwecks Examen.
Ich empfinde diese vielleicht etwas überzeichnete Vision als eine sehr charmante und wissenschaftsfreundliche Alternative im Vergleich zum Status quo.
Den Vortrag des nächsten Gegenarguments, das jetzt an und für sich kommen sollte, überlasse ich gerne einem anderen :-).