Die lang beschworene „zweite Welle“ der Corona-Pandemie ist in vollem Gange, es gibt aktuell die höchste Anzahl an Neuinfektionen in Deutschland seit Beginn der Pandemie. Die Landesregierungen müssen sich nun Maßnahmen ausdenken, dieser effektiv zu begegnen, was einige Länder dazu bewogen hat, ein sogenanntes Beherbergungsverbot zu erlassen. Solche Beherbergungsverbote sind allerdings politisch umstritten und rechtlich problematisch.
Ein Beherbergungsverbot verbietet es Gaststättenbetreibern und Hoteliers, Gäste aus Risikogebieten aufzunehmen. Als Risikogebiete gelten solche Gebiete, in denen die Neuinfektionsrate innerhalb der letzten sieben Tage 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner überschritten hat. Ausnahmen hiervon sehen die entsprechenden Verordnungen etwa vor, wenn ein Gast einen negativen Corona-Test vor Anreise vorlegen kann oder es sich um eine beruflich veranlasste Reise handelt. Nach größerem öffentlichen Protest gegen die Regelungen werden die Beherbergungsverbote nach kurzem Gastspiel in dem Konzert der Coronamaßnahmen nun wieder zurückgenommen (z.B. in Sachsen), auslaufen gelassen (Bayern) oder wenigstens vorläufig gerichtlich außer Kraft gesetzt (etwa Baden-Württemberg und Niedersachsen).
Handwerkliche Ungenauigkeit der Regelung
Die im Eilverfahren getroffene Entscheidung zur Außervollzugsetzung des Beherbergungsverbots in Niedersachsen durch das OVG Lüneburg vom 15. Oktober 2020 (Az. 13 MN 371/20) veranschaulicht mehrere Schwächen in der Ausgestaltung des Beherbergungsverbots. Bereits dem Bestimmtheitsgebots wurde in der nds. Verordnung nicht hinreichend Rechnung getragen. Ob das Beherbergungsverbot nur für Personen gilt, die in einem Risikogebiet gemeldet sind oder ob diese dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben müssen, bleibt offen. Verständlicherweise sorgt dies für Unsicherheiten bei Hotelbetreibern und Reisenden. Diese handwerkliche Ungenauigkeit bei der Normsetzung lässt sich sicherlich nicht allgemeingültig zur Beurteilung des Für und Widers von Beherbergungsverboten zur Eindämmung der Pandemie heranziehen. Aufschlussreicher sind dagegen die Erwägungen, die das OVG zu den materiellen Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG und der Vereinbarkeit des Beherbergungsverbots hiermit angestellt hat.
Fragwürdige Notwendigkeit
Diese materiellen Anforderungen, wonach die entsprechende Maßnahme des Infektionsschutzes notwendig sein muss, erfüllt das niedersächsische Beherbergungsverbot nämlich nicht. Lediglich nützliche Maßnahmen sind unzulässig, es bedarf einer objektiven Notwendigkeit in Gestalt einer Geeignetheit und Erforderlichkeit. Aufgrund der zahlreichen Ausnahmeregelungen (negativer Corona-Test innerhalb der letzten 48 Stunden vor Einreise, nicht-touristische Übernachtungen, Einreise in das Bundesland für bloße Tagestouren) ist der Anwendungsbereich der Regelung sehr eng, sodass die Geeignetheit des Verbots, das Infektionsgeschehen einzudämmen, bereits bezweifelt werden kann. Die Erfolgsaussichten hinsichtlich dieses legitimen Zwecks sind marginal. Jedenfalls bestehen aber erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit der Regelung. Die Beherbergung als solche wird kaum zu einem erhöhten Infektionsgeschehen beitragen. Ein höheres Risiko birgt laut dem Gericht eher die Ansammlung einer Vielzahl an Reisegästen, sodass Infektionsschutzmaßnahmen, wenn überhaupt, auf die Reisetätigkeit als solche abstellen sollten. Die nachts friedlich schlafenden Hotelgäste werden im Schlaf keine schwer nachverfolgbare Infektionskette weiterführen, wohingegen die Tagestouristen in mitunter überfüllten Fußgängerzonen, wie man sie mancherorts beobachten kann, kaum nachvollziehbaren Kontakt zu einer Vielzahl an Menschen haben könnten. Trotzdem soll ersteres erlaubt, letzteres hingegen verboten sein? Schwer vermittelbar!
Allerdings fehlen auch hinsichtlich der Tagestouristen gesicherte Erkenntnisse, inwiefern innerhalb der letzten Wochen ein erhöhtes Infektionsgeschehen auf innerdeutsche Reisen zurückzuführen ist. Auch dem Umstand, dass ein erhöhtes Infektionsgeschehen in einem bestimmten Landkreis dadurch zustande kommen kann, dass ein Ausbruch innerhalb eines klar bestimmbaren Personenkreises stattgefunden hat (man denke hier etwa an Großausbrüche in Altenheimen oder Schlachtbetrieben), wird nicht hinreichend Rechnung getragen. Aufgrund dieser Zweifel an der Effektivität des Beherbergungsverbots wird die Berufsausübungsfreiheit der Gastronomen (respektive die Freizügigkeit von Urlaubsreisenden, wie in einem Verfahren vor dem VGH Baden-Württemberg) letztendlich unangemessen eingeschränkt.
Diese Auffassung ist unter den Obergerichten nicht unumstritten. Das OVG Schleswig beispielsweise hat das Beherbergungsverbot für Schleswig-Holstein aufrechterhalten. Anders als das OVG Lüneburg hat das OVG Schleswig hier allerdings scheinbar (der Beschluss ist aktuell noch nicht veröffentlicht worden, der Autor bezieht sich auf die Pressemitteilung des OVG Schleswig) lediglich eine Folgenabwägung vorgenommen und ist deutlich weniger umfassend in die materielle Prüfung des Beherbergungsverbots eingestiegen. Die Entscheidung des OVG Schleswig dürfte somit weniger sichere Rückschlüsse auf das Ergebnis in der Hauptsache zulassen als der Beschluss des OVG Lüneburg. Auch die Argumentation des OVG Schleswig, es sei finanziell und auch im Übrigen zumutbar, einen Test vorzulegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, ist angesichts aktuell begrenzter Testkapazitäten und damit einhergehender Verzögerungen bis zum Vorliegen des Ergebnisses nicht überzeugend.
Gerichtlich verengter Entscheidungsspielraum des Staates
Das Beherbergungsverbot fußt auf dem nachvollziehbaren Bedürfnis der Landesregierungen, gegen die erneut erhöhte Dynamik des Infektionsgeschehens Maßnahmen präsentieren zu können. Der Erlass der Beherbergungsverbote in den Bundesländern war allerdings kopflos. Am Beispiel Niedersachsens hat sich gezeigt, dass bereits die Eignung von Beherbergungsverboten äußerst zweifelhaft ist. Dies rechtfertigt auch die Kritik an Beherbergungsverboten, wie sie nicht nur aus der Gastronomie, sondern auch von Gesundheitsexperten in der Politik kommt. Die Pandemie stellt den Normgeber immer wieder aufs Neue vor die Herausforderung, sowohl wirksame als auch auf Akzeptanz stoßende Regelungen zu treffen. Mit zunehmender Dauer der Pandemie ist jedoch zu beobachten, dass die Gerichte kritischer gegenüber den Infektionsschutzmaßnahmen werden. Wäre noch vor einem halben Jahr eine Sperrstunde für Bars mutmaßlich ohne größere Bedenken als zulässig erachtet worden, verweist das VG Berlin nun in zwei kürzlich ergangenen Beschlüssen auf die fehlende Erforderlichkeit einer solchen. Mit der zunehmend strengeren Kontrolle durch die Gerichte verengt sich auch der Ermessensspielraum, den der Staat bei der Wahl der Infektionsschutzmaßnahmen hat, immer mehr. Eine Option wäre es für den Staat, nach dem trial and error-Prinzip seine Grenzen langsam abzutasten und zu probieren, was die Gerichte ihm (gerade noch) durchgehen lassen. Für die Rechtssicherheit hinsichtlich der Maßnahmen wäre das fatal. Vielmehr muss der Staat von vornherein verhältnismäßige und hinreichend bestimmte Regelungen treffen und so automatisch eine erhöhte Akzeptanz der Normadressaten bewirken.
Alternative: Höhere Akzeptanz durch bewährte, lokal begrenzte Kontaktbeschränkungen
Wie kann dem Bedürfnis der Landesregierungen nun aber erfolgversprechend Rechnung getragen werden? Eine jedenfalls geeignetere Methode ist ein abgestuftes Restriktionskonzept auf Grundlage der sog. Corona-Ampel. Das bedeutet, dass je nach Infektionsgeschehen regional unterschiedliche Restriktionen (bspw. Kontaktbeschränkungen auf eine festzulegende Höchstpersonenzahl) gelten sollen. Solche Kontaktbeschränkungen haben sich bereits während der „ersten Welle“ als wirksam erwiesen. Dieser Umstand lässt auch vermuten, dass lokal begrenzte Kontaktbeschränkungen auf eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz stoßen als landesweite Beherbergungsverbote zweifelhafter Wirksamkeit. Durch die lokale Beschränkung wird bewirkt, dass nur so viele Personen wie nötig, gleichzeitig aber so wenig wie möglich von Einschränkungen betroffen werden. So berücksichtigt man das Verhältnismäßigkeitsprinzip und wahrt ein Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit in der Pandemiebekämpfung. Auch trägt man so der Auffassung beispielsweise des VGH Baden-Württembergs Rechnung, dass „Treiber der Pandemie“ weniger überschaubare Reisegruppen als eher Feiern einer Vielzahl von Menschen seien. Durch wenig effektive Verbote vermag der Normgeber diese Herausforderung nicht zu meistern. Eher lohnt ein Rückgriff auf bekannte und bewährte Instrumente.
Zitiervorschlag: Schröder, Christoph, Kopflose Coronamaßnahmen: Beherbergungsverbot vor dem OVG Lüneburg, JuWissBlog Nr. 120/2020 v. 19.10.2020, https://www.juwiss.de/120-2020/
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