von ERIK SOLLMANN
Brandenburg hat ein Paritätsgesetz! Schon werden erste Rufe nach dessen Verfassungswidrigkeit laut. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Regelungen des brandenburgischen Paritätsgesetzes mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit kollidieren. Aber ist das Paritätsgesetz damit wie von seinen Gegnern behauptet verfassungswidrig?
Das brandenburgische Paritätsgesetz
Das Gesetz verpflichtet die Parteien bei Landtagswahlen abwechselnd gleich viele Frauen und Männer als Kandidaten/innen auf ihren Landeslisten aufzustellen. Die Aufstellung der Direktmandatskandidaten/innen in den Wahlkreisen wird von ihm nicht berührt.
Einschränkung der passiven Wahlrechtsgleichheit und der Freiheit der Parteien
Art. 38 I 1 GG und der diesem entsprechende Art. 22 III 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV Brdbg.) regeln das aktive und passive Wahlrecht sowie die Wahlrechtsgrundsätze. Als spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes beinhalten diese die Wahlrechtsgleichheit. Kann abwechselnd nur eine Kandidatin oder ein Kandidat gewählt werden schränkt sie dies in ihrer passiven Wahlrechtsgleichheit ein (Jutzi, Gendergerechte Demokratie, LKRZ 2012, 92 ff.). Dies gilt dann für Kandidatinnen genauso wie für Kandidaten. Zudem greift der Zwang, Listen paritätisch zu besetzen, in die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Parteien (Art. 21 GG bzw. Art. 20 LV Brdbg.) ein und berührt mittelbar die Wahlrechtsfreiheit der Stimmberechtigten.
Rechtfertigung wegen Unterrepräsentation von Frauen
Eine Einschränkung von Verfassungsrecht führt nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit. Sie kann durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sein (BVerfG, Urt. v. 26.2.2014 – 2 BvE 2/13, Rn. 52 f.). Art. 3 II 2 GG und ähnlich Art. 12 II 2 LV Brdbg. bestimmen, dass der Staat die tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Danach könnte auch ein Paritätsgesetz wie es nun Brandenburg verabschiedet hat verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, soweit dadurch eine Benachteiligung von Frauen im Parlament beseitigt und so die Gleichberechtigung von Frauen und Männern gefördert wird (Laskowski, Pro Parité!, djbZ 2014, S. 93 ff.).
Unterrepräsentation nicht nur von Frauen
Benachteiligt wären Frauen, wenn sie im Parlament unterrepräsentiert sind. Darauf deutet ein Frauenanteil im Bundestag von 30,9 % und im brandenburgischen Landtag von 36,4 % gewiss hin. Art. 38 I 1 GG bzw. Art. 56 I LV Brdbg. sehen vor, dass die Abgeordneten Vertreter (und Vertreterinnen) des ganzen Volkes sind. Abgeordnete sollen nicht nur Vertreter/innen ihrer Wähler/innen sein, auch nicht nur von Personen, denen sie nach bestimmten Attributen wie Parteizugehörigkeit, Alter, Religion, Berufs- und Bildungsstand oder auch dem Geschlecht möglichst nahekommen. Ich bezweifle, dass eine Frau von einer Abgeordneten schon deshalb vertreten wird, weil diese eine Frau ist. Ich jedenfalls fühle mich nicht durch Alexander Gauland vertreten nur, weil wir demselben biologischen Geschlecht angehören oder von Phillipp Amthor nur, weil er ein junger Jurist ist. Repräsentation ist zu komplex, als dass sie auf bestimmte Attribute oder Gruppenzugehörigkeiten verengt werden sollte oder könnte. Sie ist eine vielschichtige Beziehung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten, die über verschiedene Kanäle, insbesondere periodische Wahlen und politische Grundrecht, vermittelt wird und sich auf verschiedenen Ebenen – gemeinsame Werte, Meinungen, Interessen und soziale Perspektiven – abspielt (Young, Inclusion and Democracy, 2000). Kein Abgeordneter kann das ganze Volk vertreten, was Art. 38 I 1 GG und Art. 56 I LV Brdbg. aber auch nicht verlangen, sondern dass sie – also alle Abgeordneten in ihrer Gesamtheit – das ganze Volk vertreten. Ich bin davon überzeugt, dass Männer und Frauen über die Grenze ihres biologischen Geschlechts hinweg, dieselben Werte, Meinungen und Interessen haben können und insoweit durch den jeweils anderen repräsentiert werden können. Insoweit bedarf es möglicherweise keiner Quote von 50/50. Ich möchte aber nicht bestreiten, dass Frauen soziale Perspektiven haben, die gerade aus ihrer Rolle und ihren Erfahrungen als Frauen folgen und die Männer daher nicht teilen und allenfalls eingeschränkt nachvollziehen können. Insoweit verlangt die parlamentarische Repräsentation von Frauen ganz gewiss eine Mindestbeteiligung weiblicher Abgeordneter, die aber nicht notwendig bei 50 % liegen muss. Dies gilt allerdings nicht nur für die Repräsentation der sozialen Perspektive von Frauen, sondern auch – sogar noch stärker – für andere soziale Gruppen wie Junge, Migranten, Arbeiter und viele mehr. Der Bundestag besteht schon seit geraumer Zeit überwiegen aus Männern mittleren Alters mit akademischer Ausbildung (Schäfer, Die Akademikerrepubik, in: MPIfG Jahrbuch 2015-2016, S. 89 ff.). Dieser eklatante Mangel an Heterogenität sozialer Perspektiven stößt m.E. an die Grenze der von Art. 38 I 1 GG und Art. 56 I LV Brdbg. geforderten parlamentarischen Repräsentation.
Das Paritätsgesetz als (un-)geeignetes Mittel
Nun stellt sich die Frage, ob ein Paritätsgesetz geeignet ist diese verfassungsrechtlich bedenkliche Unterrepräsentation zu beseitigen. Sollte das Paritätsgesetz den Frauenanteil im Parlament erhöhen, liegt darin ein begrüßenswerter Repräsentationsgewinn. An der Unterrepräsentation anderer sozialer Perspektiven ändert es jedenfalls nichts. Repräsentativ wird das Parlament aber nicht durch die Spiegelung des Bevölkerungsanteils der Frauen, sondern nur durch die Beseitigung der im Widerspruch zur gesellschaftlichen Heterogenität stehenden sozioökonomischen Homogenität seiner Zusammensetzung. Man kann zudem selbst an einer möglichen Steigerung des Frauenanteils Zweifel anmelden. Aus der paritätischen Besetzung der Wahllisten folgt keineswegs ein paritätisches Parlament. Denn die von den Parteien erlangten Sitze werden zunächst durch die Direktmandate der Wahlkreise aufgefüllt. Parität im Parlament erfordert zusätzlich eine paritätische Aufstellung der Wahlkreiskandidaten/innen. Das Beispiel Frankreich, wo bereits seit dem Jahr 2000 eine Paritätsregelung – auch für Direktwahlen – gilt, zeigt zudem, dass Parteien lieber Abschläge bei ihrer Finanzierung hinnehmen, so dass das Paritätsgesetz dort weitgehend wirkungslos geblieben ist.
Fazit
Nur widerwillig gebe ich den Unkenrufen der Paritätsgegner Recht. Gleichwohl komme auch ich nicht umhin zuzugestehen, dass das Paritätsgesetz verfassungswidrig sein könnte. Dies nicht, weil sein Zweck – die Steigerung des Frauenanteils und damit der Repräsentation von Frauen im Parlament – nicht gerechtfertigt wäre, aber weil es zur Erreichung dieses Zwecks nicht das geeignete Mittel sein könnte. Allerdings gesteht das BVerfG dem Gesetzgeber bei Fragen der Geeignetheit eine weite Einschätzungsprärogative zu (BVerfG, Urt. v. 28.3.2006 – 1 BvR 1054/01, Rn. 112 m.w.N.). Es bleibt abzuwarten wie die Verfassungsgerichtsbarkeit das brandenburgische Paritätsgesetz beurteilen wird. Sinnvoll war es allemal, um auf den Missstand der Unterrepräsentation in deutschen Parlamenten aufmerksam zu machen und als erster Schritt diesen zu beseitigen. Egal wie es mit dem brandenburgischen Paritätsgesetz weitergehen wird, es war hoffentlich nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer besseren parlamentarischen Repräsentation!
Zitiervorschlag: Sollmann, Liberté, Égalité, Parité?, JuWissBlog Nr. 13/2019 v. 5.2.2019, https://www.juwiss.de/13-2019/
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Leider macht es sich der Author etwas einfach, wenn er eine Benachteiligung von Frauen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 GG bereits deshalb als gegeben ansieht, weil der Frauenanteil im brandenburgischen Parlament nicht 50% beträgt. Dabei übersieht er, dass Art. 3 Abs. 2 GG nach h.M. nicht auf Ergebnisgleichheit sondern lediglich auf die Herstellung von Chancengleichheit abzielt. D.h. eine Benachteiligung von Frauen würde nur dann vorliegen, wenn sich der geringere Frauenanteil darauf zurückführen liesse, dass weibliche Kandidaten schlechtere Chancen hätten ein Mandat zu erringen als männliche.
Alexander Hobusch weist in seinem sehr lesenswerten Artikel auf lto.de (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/paritaetsgesetz-brandenburg-verfassungswidrig-quoten-wahlrecht-geschlecht-landesliste/) aber treffend darauf hin, dass der Frauenanteil in den Fraktionen des brandenburgischen Landtages in der Regel höher ist als der Anteil in den jeweiligen Parteien. Daraus lässt sich ableiten, dass die Chancen von Frauen sich innerparteilich durchzusetzen zumindest nicht schlecher sind, als die von Männern.
Da es somit bereits an der strukturellen Benachteiligung fehlt, die das Paritätsgesetz vorgibt zu beseitigen, ist auch der Widerwillen des Autors ungerechtfertigt, mit der er eingesteht, dass das Gesetz vermutlich verfassungswidrig ist.