Erik Sollmann hat in seinem Beitrag dem brandenburgischen Parité-Gesetz attestiert, zur Erreichung seines Ziels nicht in der Lage und daher ungeeignet zu sein, sodass es verfassungswidrig sein könnte. Doch die Frage drängt sich auf: Muss die Eignung des Gesetzes an der Erreichung tatsächlicher Parität gemessen werden?
Das Parité-Gesetz
Das Parité-Gesetz strebt ausweißlich der Begründung der beschlossenen Landtagsdrucksache (Drs. 6/10466) das Ziel an, die Gleichberechtigung auch durch Regelungen im Wahlrecht aktiv zu fördern. Dieses Ziel wird im durch Art. 1 Nr. 1 lit. a des Gesetzes modifizierten § 25 Abs. 3 Satz 2 BbgWahlG erneut bekräftigt.
In Konflikt mit Verfassungswerten
Damit soll die „Unterrepräsentation der Frauen in den Volksvertretungen“ – und nicht (nur) Parität im passiven Wahlrecht – angegangen werden. Dadurch, dass dieses Ziel durch die Vorgabe der paritätischen Listenbesetzung die Möglichkeiten der personellen Zusammensetzung und der (effektiven) Reihenfolge der Wahlvorschläge beschränkt, liegt ein Konflikt mit den verfassungsrechtlichen Prinzipien der passiven Wahlrechtsgleichheit (Art. 22 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VerfBbg bzw. Art. 38 Abs. 1 GG), der Parteienfreiheit (Art. 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 VerfBbg bzw. Art. 21 Abs. 1 GG) sowie mittelbar der Wahlrechtsfreiheit der Stimmberechtigten (Art. 22 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. Abs. 3 VerfBbg bzw. Art. 38 Abs. 1 GG) vor.
Dennoch verfassungsgemäß?
Auch der Gesetzesentwurf erkennt diese Konflikte, erachtet die Regelung jedoch explizit durch den staatlichen Auftrag, zur tatsächlichen Gleichberechtigung von Frau und Mann beizutragen (Art. 12 Abs. 3 Satz 2 VerfBbg bzw. Art. 3 II GG) für verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Legitimer Zweck
Den Ausführungen von Erik Sollmann bzgl. der tatsächlichen Unterrepräsentation von Frauen in den Parlamenten kann im Ergebnis nur zugestimmt werden: Die Verfassung verlangt durch den Grundsatz, dass die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit (!) das ganze Volk vertreten (Art. 56 Abs. 1 VerfBbg bzw. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) mit Sicherheit keine zwingende Abbildung der sozialen und kulturellen Diversität des Staatsvolks oder gar der gesamten Bevölkerung.
Die Festlegung der „Vertretung des ganzen Volkes“ ist vielmehr zunächst als historische Ablehnung einer Rätedemokratie und damit eines imperativen Mandats und der darin inhärenten harten Rückbindung an den Willen derjenigen zu verstehen, die die konkreten Abgeordneten wählen. Die im System der unmittelbaren Wahl eines Parlaments angelegte Repräsentation des Staatsvolks als Träger der Staatsgewalt (Art. 2 Abs. 2 VerfBbg bzw. Art. 20 Abs. 1 Satz 1 GG) wird sich aber auch nicht auf die rein formelle Repräsentation durch die Abgabe einer Stimme bei den Wahlen erschöpfen. Auch wenn das bisher herrschende Verständnis in der Wahlgleichheit vorrangig eine formale Gleichheit sieht und daher einer verfassungsrechtlich verpflichtenden geschlechtergerechten Besetzung der Volksvertretungen wohl entgegensteht, reicht die Ablehnung des imperativen Mandates nicht soweit, dass sich die Verfassung des Landes Brandenburg oder auch das Grundgesetz der Realität der Vertretung politischer Interessen durch die einzelnen Abgeordneten verschließen würden. Insbesondere in der brandenburgischen Verfassung tritt dies deutlich zutage, wenn diese den politischen Parteien in Art. 20 Abs. 3 Satz 2 den Anspruch zubilligt, an der politischen Willensbildung teilzuhaben und dies durch die Teilnahme von Parteien an Wahlen in Art. 22 Abs. 3 Satz 2 explizit untermauert.
Wenn die Verfassung also anerkennt, dass die Vertretung des ganzen Volkes nur durch das Parlament als Ganzes erfolgen kann, die Abgeordneten selbst aber durchaus spezifische Interessen und Erfahrungen aus der Gesellschaft vertreten und im Parlament Frauen aber dauerhaft unterrepräsentiert sind und somit ihre Perspektiven, die gerade vorrangig ihrer sozialen Rolle und spezifischen Erfahrungen als Frauen entspringen, daher zu kurz kommen, liegt ein verfassungsrechtlich anerkennungswürdiges Defizit vor.
Der Ausgleich dieses Defizits ist, wie der Wortlaut „Das Land ist verpflichtet, für die Gleichstellung von Frauen […] in Beruf, öffentlichem Leben, […] zu sorgen.“ des Art. 12 Abs. 3 Satz 2 VerfBbg zeigt, gerade Inhalt des staatlichen Gleichstellungsauftrags. Dieser zielt eben nicht nur auf eine rein formelle Gleichberechtigung, sondern fordert vom Staat die aktive, auch rechtliche, Bekämpfung von Nachteilen für Frauen aufgrund ihres Frauseins, die auch bei formell gleicher Rechtslage in der Gesellschaft bestehen können. Der Gleichstellungsauftrag hebt sich durch seinen aktiven Auftrag an den Staat auch von den Diskriminierungsverboten der sonstigen Gleichheitssätze ab. Eine Erstreckung auf andere soziale Gruppen, Migrant*innen und Arbeiter*innen, ist daher auch verfassungsrechtlich schon nicht vom Gleichstellungsauftrag umfasst oder angezeigt. Somit steht das Ziel paritätischer Parlamente wohl im Einklang mit dem Verfassungsziel der tatsächlichen Gleichberechtigung.
Ist das Parité-Gesetz nun ungeeignet?
Sollmann macht nun darin, dass Kreiswahlvorschläge nicht in das Parité-Gesetz einbezogen sind, die Ungeeignetheit des Gesetzes fest. Denn die direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten kommen vorrangig zum Zug, sodass die paritätischen Listen nur die verbleibenden Mandate auffüllen. Daher folge aus der paritätischen Besetzung der Listen keineswegs ein paritätisches Parlament und das Ziel, die „Unterrepräsention zu beseitigen“ werde verfehlt.
Dabei kommt es für die Eignung im Sinne der notwenigen Verhältnismäßigkeit im Rahmen der gegenseitigen Abwägung zweiter konfligierender Verfassungswerte aber gar nicht darauf an, ob das Ziel tatsächlich erreicht wird. Relevant ist lediglich, ob die Regelung dem Zweck zuträglich ist und eine Zielerreichung möglich ist. Paritätische Listen stellen zwar kein paritätisch besetztes Parlament sicher, aber sie fördern dennoch die tatsächliche Anwesenheit von Frauen in diesem. Sie garantieren in der Gesamtheit auch im Fall von Überhangmandaten über Ausgleichsmandate, dass ein gewisser Anteil von Frauen im Parlament nicht unterschritten wird, auch wenn dieser Wert eben nicht bei der Stufe der Parität liegt.
Ein Blick zurück auf die bereits angeführte Begründung zeigt zudem auch: Das Ziel ist nicht, die Unterrepräsentation restlos „zu beseitigen“. Das Ziel ist lediglich, aktiv für einen besseren Anteil von Frauen in Parlamenten zu sorgen, da die tatsächlichen Zahlen die Annahme untermauern, dass die bisherige gesellschaftliche Realität Frauen in Bezug auf die Abgeordnetenstellung wohl strukturell benachteiligt. Das unmittelbare Ziel des Gesetzes selbst ist also lediglich eine Annäherung an die Parität. Mittelbar ist durch die so erzwungene Mindestbeteiligung von Frauen im Parlament aber durchaus vorstellbar, dass es auch zu einem tatsächlich paritätisch besetzten Parlament kommt. Denn die paritätischen Listen mindern auch – so ist jedenfalls zu hoffen – die Unattraktivität des Engagements von Frauen in Parteien und erhöhen somit mittelbar die Chancen dieser, Wahlkreismandate zu erringen.
Fazit
Wie gezeigt, verfolgt das Parité-Gesetz durchaus einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck und dies auch auf geeignete Weise. Angesichts dessen, dass bisherige Versuche, den Frauenanteil in Parlamenten zu erhöhen, angesichts jahrelanger Stagnation und teilweisem Rückgang wohl als gescheitert betrachtet müssen, steht wohl auch der Erforderlichkeit und Angemessenheit des Gesetzes in Bezug auf die konfligierenden Verfassungswerte nichts entgegen. Dass der ursprüngliche Vorschlag der Grünen (Drs. 6/8210) durch den Einbezug der Wahlkreisabgeordneten gar für ein insgesamt dem Ziel der Parität näherkommendes Ergebnis gesorgt hätte, kann dem beschlossenen Gesetz verfassungsrechtlich wohl kaum entgegengehalten werden, wollte man nicht im gleichen Zug eine verfassungsrechtliche Pflicht zum paritätischen Parlament fordern.
Zitiervorschlag: Florian Zumkeller-Quast, Ist die ledigliche Annäherung an eine Parität im Parlament ungeeignet? Replik auf Erik Sollmann, JuWissBlog Nr. 15/2019 v. 11.2.2019, https://www.juwiss.de/15-2019/
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