Strafanzeige beim IStGH: Ein wirksames Mittel gegen die Straflosigkeit?

von INGA META MATTHES

Inga_Meta_Matthes_Foto (134x200) (4)Am 10. Januar 2014 reichte das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) aus Berlin gemeinsam mit Public Interest Lawyers (PIL) aus Birmingham Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag ein. Inhalt der Strafanzeige sind zahlreiche Fälle von systematischer Folter und Misshandlungen an irakischen Gefangenen durch Angehörige des britischen Militärs im Irak zwischen 2003 und 2008. Bis heute sind weder die Verantwortungsträger auf mittlerer und höherer Militärebene noch die politisch Verantwortlichen juristisch zur Rechenschaft gezogen worden.

Bereits im Jahre 2006 hatte sich der IStGH mit Vorwürfen von Kriegsverbrechen durch britische Soldaten im Irak auseinandersetzen müssen, nachdem diese von Opfervertretern und NGOs an ihn herangetragen worden waren. Der damalige Chefankläger, Luis Moreno-Ocampo, ließ verlauten, dass nach seinerzeitigem Kenntnisstand nicht davon auszugehen gewesen sei, dass die Vorwürfe schwerwiegend („gravity treshold“) genug gewesen seien, um eine Zulässigkeit der Fälle anzunehmen und entsprechende Ermittlungen aufzunehmen. Die ablehnende Entscheidung müsste bei einer geänderten Fakten- oder Beweislage erneut überprüft werden, so Moreno-Ocampo. Acht Jahre später soll anhand der Strafanzeige der Beweis geführt werden, dass die Taten des britischen Militärs im Irak die „gravity treshold“ überschreiten und den Tatbestand der Kriegsverbrechen gem. Art. 8 des Rom-Statuts erfüllen. ECCHR und PIL haben die Folter- und Missbrauchsvorwürfe von über 600 ehemaligen irakischen Gefangenen gesammelt und analysiert. Die 250–seitige Anzeige umfasst 85 repräsentative Einzelfälle. Die Betroffenen berichten von Foltertechniken wie dem sogenannten „hooding“, dem Entzug von Nahrung und Trinkwasser, dem dauerhaften Verharren in Stresspositionen, der Ankündigung von Bedrohung von Familie und Freunden der Häftlinge sowie von schweren körperlichen Misshandlungen wie Verbrennungen und Stromschlägen, religiösen Demütigungen und sexuellen Übergriffen. Die Zeugenaussagen gleichen sich stark, unabhängig sowohl von Ort und Zeitpunkt der Inhaftierung als auch von der beteiligten Militäreinheit. Nach Ansicht vom ECCHR und von PIL bedeutet dies, dass es sich nicht um bedauerliche Einzelfälle handelt, sondern dass den Vorfällen vielmehr eine Systematik zugrunde liegt und der Tatbestand der Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 des Rom-Statuts damit erfüllt ist.

Strafanzeige eingereicht – und nun?

Doch wie geht es nach Einreichung der Strafanzeige weiter? Welche Schritte kann die Anklagebehörde des IStGH ergreifen und wie wahrscheinlich ist es, dass sie dies auch tut? Seitdem der IStGH im Jahre 2002 seine Tätigkeit aufgenommen hat, wurden insgesamt 10.470 Strafanzeigen eingereicht, sogenannte „communications“ (Stand: Ende 2013). Jede Anzeige wird zunächst einer Vorprüfung unterzogen, nach welcher die Anklagebehörde, die seit dem 15. Juni 2012 unter der Leitung von Fatou Bensouda steht, entscheidet, ob sie Ermittlungen einleitet (Art. 53 Abs. 1 Rom-Statut). Hierbei wird geprüft, ob hinreichende Verdachtsmomente für das behauptete Verbrechen vorliegen, ob die Sache zulässig wäre und ob dennoch Umstände vorliegen, auf Grund derer die Durchführung von Ermittlungen nicht im Interesse der Gerechtigkeit läge. Für die Zulässigkeit ist entscheidend, ob in dem betroffenen Staat bereits ernsthafte Ermittlungen oder sogar eine Strafverfolgung stattfinden, die betreffende Person bereits gerichtlich belangt wurde und die Sache schwerwiegend genug ist, um weitere Maßnahmen des Gerichtshofs zu rechtfertigen, Art. 17 Abs. 1 lit. a) – d) Rom-Statut. Derzeit werden zu Situationen in acht Ländern derartige Vorprüfungen durchgeführt. Wenn die Hürde der Vorprüfung passiert ist, beantragt die Anklagebehörde bei der Vorverfahrenskammer die Genehmigung von Ermittlungen (Art. 15 Abs. 3 Rom-Statut). Derzeit sind acht Ermittlungsverfahren anhängig, die alle Situationen in Afrika betreffen. Der Kontext Irak/Großbritannien wäre somit geografisches Neuland für den IStGH, der allen Kritikern entgegentreten würde, die die Doppelstandards in der Fallauswahl und den ausschließlichen Fokus auf Afrika immer wieder als einer der Hauptkritikpunkte am IStGH hervorheben. Am Ende von formalen Ermittlungen stehen schließlich entweder ein Haftbefehl, die Ladung des Verdächtigen gemäß Art. 58 Abs. 1 des Rom-Statuts oder aber die Einstellung des Verfahrens.

Ermittlungen in Großbritannien?

Es geht also zunächst darum, dass die Anklagebehörde die Vorprüfung einleitet. Sie könnte sich dabei auf den Standpunkt stellen, dass die Sache gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. a) des Rom-Statuts auf Grund einer bereits stattgefundenen Strafverfolgung durch die britischen Behörden unzulässig wäre. Tatsächlich kam es bereits zu einigen wenigen Urteilssprüchen gegen beteiligte Soldaten von einem britischen Militärgericht. Nach Meinung vom ECCHR und von PIL sind diese jedoch nicht als eine ernsthafte Strafverfolgung im Sinne der eben genannten Vorschrift anzusehen. Dies verdeutlicht der sogenannte „Camp Breadbasket“-Fall. Hierbei handelt es sich um Fotoaufnahmen aus einem britischen Militärcamp in der Nähe von Basra, die mit denen des Abu-Ghraib-Folterskandals vergleichbar sind. Die Bilder zeigen Häftlinge in nachgestellten Oral- und Analsexpositionen, Häftlinge am Boden, eingewickelt in ein Netz, während ein Soldat zuschlägt, sowie einen Häftling hängend am Träger eines Gabelstaplers. Vier teils sehr junge beteiligte Soldaten wurden von einem Militärgericht für schuldig befunden und erhielten geringe Freiheitsstrafen, wobei die nachgestellten sexuellen Handlungen nicht Gegenstand der Anklage waren. Nicht nachgegangen wurde den Fragen, wer die diensthabenden Offiziere waren und warum sie die Misshandlungen nicht verhinderten oder zur Anzeige brachten.

Die vom ECCHR und von PIL gesammelten Zeugenaussagen zeigen, dass es sich bei dem „Camp Breadbasket“-Fall nicht um einen Einzelfall handelt, sondern dass während des Irakkrieges und der anschließenden Besatzungszeit in britischen Hafteinrichtungen systematisch gefoltert und misshandelt wurde. Indem die britischen Behörden sich in ihren strafrechtlichen Tätigkeiten auf wenige Personen am unteren Ende der Befehlskette konzentrieren, kommen sie ihrem Strafverfolgungsauftrag nur unzureichend nach. Das Verhalten Großbritanniens sollte deswegen unbedingt von der Anklagebehörde umfangreich untersucht und gegebenenfalls zur Anklage gebracht werden. Es spricht sehr vieles dafür, dass das Verhalten Großbritanniens zunächst im Rahmen der Vorprüfung untersucht werden wird. Es liegt dann an der Anklagebehörde zu prüfen, ob die Strafverfolgung von Einzeltätern, die geringe Zahl von Verurteilungen und die niedrigen Strafen der Zulässigkeit eines Ermittlungsverfahrens entgegenstehen. Die Tatsache, dass zehn Jahre nach den ersten Vorfällen nur wenige Täter unteren Militärranges verurteilt worden sind und die Verantwortlichkeit der Vorgesetzten bislang überhaupt nicht strafrechtlich ermittelt wurde, spricht jedenfalls deutlich für eine Zulässigkeit der Ermittlungen.

Veranstaltungshinweis

Die eingereichte Strafanzeige und ihre Erfolgschancen werden am Mittwoch, den 15. Januar 2014 um 19 Uhr im ECCHR Büro erörtert. Diskutanten auf dem Podium werden Professor William Schabas, Professor für Völkerrecht an der Universität Middlesex und Autor von „The International Criminal Court: A Commentary on the Rome Statute“ sowie Wolfgang Kaleck, Gründer und Generalsekretär des ECCHR, und Phil Shiner, Gründer und Anwalt von PIL , sein. Die Veranstaltung findet auf Englisch statt. Weitere Informationen zum Veranstaltungsort finden Sie auf der Website des ECCHR.

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