von MATTHIAS UFFER
Doğu Perinçek wiederholt es unermüdlich: Die Ereignisse in der Türkei der Jahre 1915 bis 1917 seien kein Genozid. Die Türken hätten sich lediglich verteidigen müssen. Bloss gegenseitige Massaker und Vertreibungen hätten stattgefunden. Der Genozid sei eine internationale Lüge. Bemühungen der Armenier um Anerkennung der Tragödie als Völkermord erachtet er als Hetzkampagne.
Dafür wurde der türkische Nationalist im Jahre 2007 wegen Verstosses gegen Art. 261bis des Schweizer Strafgesetzbuches zur Bezahlung einer moderaten Geldstrafe verurteilt. Diese Anti-Rassismus-Strafnorm stellt u.a. das rassistisch motivierte Leugnen oder Rechtfertigen eines Genozids unter Strafe. Während Perinçeks Rekurse vor Kantons- und Bundesgericht abgewiesen wurden, gab ihm der EGMR mit Urteil vom 17. Dezember 2013 nun überraschend Recht. Fünf von sieben Richtern sind der Ansicht, die Schweiz hätte Perinçeks Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK verletzt.
Während diese Ansicht in der separaten zustimmenden Begründung zweier Richter („opinion concordante“) immerhin nachvollziehbar dargelegt wird, erstaunt die Begründung der federführenden drei Richter nicht nur, sondern driftet stellenweise gar ins Groteske ab. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Darlegung dreier ausgewählter Schwachstellen (für weitere Kritikpunkte siehe etwa die abweichende Meinung zweier Richter bzw. eine Kritik aus strafrechtlicher Warte): Erstens, aufs folgenschwere Zurückschrecken des EGMR vor geschichtswissenschaftlichen Erwägungen. Zweitens, auf die einem Rechtsvergleich und früheren Fällen entnommenen fehlerhaften Schlussfolgerungen. Drittens, auf die Einseitigkeit der durch den EGMR vorgenommenen Abwägung (in Verkennung des Abwägungsspielraumes der Schweiz).
Der EGMR flüchtet sich vor der „ungewissen“ Geschichte …
Der EGMR fühlt sich nicht dazu aufgerufen, als Gericht Geschichte zu schreiben (siehe etwa § 99 und § 111). Dies führt den EGMR in eine gar extensive Geschichtsabstinenz, welche er zusätzlich mit pauschaler Wissenschaftsskepsis begründet: Geschichtswissenschaft sei definitionsgemäss kontrovers und biete sich nicht für die Etablierung objektiver und absoluter Wahrheiten an (§ 117).
Es scheint in der Folge, der EGMR versuche sein Urteil in einer virtuell-juristischen Welt zu fällen, abgeschottet von unausweichlichen historischen Prämissen. Der Gerichtshof umschifft die brisanten historischen Fragen, indem er den von den Vorinstanzen festgestellten „historischen Konsens“ hinsichtlich des Genozids in Frage stellt, den Genozid selbst aber weder bestreitet, noch bestätigt. Dadurch gelangt der EGMR zum Standpunkt, dass die Frage um den Armenier-Völkermord mangels ausreichender Belege eine umstrittene sei und folglich konträre Debatten zum Thema möglich bleiben müssten. Das Problem ist nun aber Folgendes: Belege sind Teil der Fakten. Wer Belege anzweifelt, rüttelt unweigerlich auch am Charakter der Fakten. Der EGMR tut damit implizit das, wovor er sich explizit hüten will. Er bezieht Stellung zum Armenier-Genozid – auf eine stellenweise relativierend wirkende Art und Weise.
Nicht nachvollziehbar ist sodann, wie der EGMR den Holocaust von seiner historischen Relativitätstheorie ausnimmt (§ 117): Der offenbar ausschlaggebende Unterschied besteht in den Augen des Gerichtshofs darin, dass jene Verbrechen bereits durch ein internationales Gericht (Nürnberg-Tribunal) abgeurteilt worden seien.
… hinüber in die „Gewissheiten“ der Politik
Für wahrhaftiger als die Geschichtswissenschaft hält der EGMR anscheinend die politischen Gezeiten. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Genozid hinreichend belegt sei (und daher dessen Leugnung im Interesse der Rassismus-Bekämpfung zulässig erscheint), sind in den Augen des EGMR folgende Kriterien massgebend:
- ob die Tathandlungen durch ein internationales Gericht entsprechend eingestuft worden sind;
- inwieweit Staaten und deren politische Instanzen die Verbrechen offiziell entsprechend einstuften;
- ob in der Öffentlichkeit die Frage noch strittig debattiert werde.
Diese Kriterien führen in der vom EGMR vorgeführten strengen Anwendung dazu, dass gewisse Staaten sich bestimmt nie mit der „objektiven“ Schuld eines Genozids herumschlagen müssen: Etwa China, Russland, USA, Frankreich und Grossbritannien. Auch andere grössere Staaten können die öffentliche Debatte und Drittstaaten entsprechend beeinflussen. Dass der EGMR bedenkenlos auf diese politisch geprägten Kriterien abstellt, ist die Folge der unglücklichen Geschichtsskepsis.
Fraglos: Auch die Geschichtswissenschaft ist keine perfekte Herrscherin über historische Fakten – aber immerhin eine vergleichsweise vernünftige. Ehe der EGMR der Wissenschaft die Herrschaft über (juristisch relevante) historische Fakten entzog, hätte er sich fragen müssen, in wessen Hände die Fakten stattdessen gelangen.
Letztlich sind die oben genannten Kriterien gerade dort erfüllt, wo die Opfer eines Genozids und deren Angehörige immerhin etwas Recht erfahren haben. Dass die Holocaust-Leugnung verbreitet unter Strafe steht und der Holocaust von der Staatengemeinschaft weitestgehend anerkannt wird, hat eben auch mit der Fortschrittlichkeit der Vergangenheitsbewältigung Deutschlands zu tun. Wer sich aber an die Anerkennung anderer Schwerstverbrechen wagt, hat mit politischem Gegenwind zu kämpfen.
Die bestimmt nicht beabsichtigte, aber m.E. implizierte Botschaft des EGMR an die Armenier ist hierbei die Folgende: Weil die Wunde noch blutet, darf sie nicht heilen. Und das so kurz vor dem 100-jährigen Geburtstag der Tragödie.
Dürftige Analyse der Rechtsgrundlagen und Vergleichsfälle
Dass ein Gericht die vertiefte Auseinandersetzung mit brisanten historischen Fragen scheut, ist für sich allein noch nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar ist, wie der EGMR selektiv mit rechtlichen Grundlagen jongliert.
Erstens führt der EGMR vergleichshalber Fälle auf, in denen er die Meinungsfreiheit von Personen schützte, welche auf türkischem Boden den Genozid thematisierten und sich hierfür Sanktionen wegen Beleidigung der türkischen Identität ausgesetzt sahen (so zitiert der EGMR auch den Fall Dink c. Türkei). Was dem EGMR dabei ins Auge hätte springen müssen, ist der Unterschied zwischen den gewichtigen Interessen an der Einschränkung der Meinungsäusserung im einen Fall (Perinçek), verglichen mit der schlichten Inexistenz berechtigter Interessen an der Unterdrückung unangenehmer Wahrheit im anderen Fall (Dink). Die Folge dieses Vergleichs ist, dass der Gerichtshof Massstäbe auf den Perinçek-Fall anwendet, welche für gänzlich unterschiedliche Konstellationen konzipiert wurden.
Zweitens geht auch der Hinweis des EGMR (§ 125) auf einen früheren Fall einer unteren Gerichtsinstanz der Schweiz fehl: 2001 wurden türkische Staatsangehörige vom Vorwurf der Genozid-Leugnung freigesprochen, weil der subjektive Tatbestand (mangels Diskriminierungsabsicht) nicht erfüllt war. Der EGMR führt den Fall pauschal als Argument dort auf, wo er nicht hinpasst: als Argument gegen die Notwendigkeit einer Kriminalisierung der Leugnung des Armenier-Genozids.
Drittens: Der EGMR weist darauf hin, dass neben der Schweiz bloss zwei Staaten – nämlich Spanien und Luxemburg – die Leugnung eines Genozids generell unter Strafe stellten, und sich nicht etwa auf die Verbrechen der Nazizeit beschränkten (§ 120). Daraus schliesst der EGMR, dass alle übrigen Staaten kein zwingendes soziales Bedürfnis an der Bestrafung der Leugnung anderer Genozide erkannt hätten. Er verkennt dabei, dass die Anti-Revisionismus-Gesetzgebung allgemein höchst heterogen ist und sich ihr kein Interpretationsargument à la Konsensprinzip entnehmen lässt – oder zumindest keines im Sinne des Urteils. Denn immerhin zeigt die weit verbreitete Kriminalisierung der Holocaust-Leugnung, dass offenbar ein anerkanntes Bedürfnis besteht, rassistisch motivierten Revisionismus zu unterbinden. Der Gerichtshof ist sich dieses entscheidenden Punktes offenbar bewusst: Bemüht, die Holocaust-Leugnung als Spezialfall zu isolieren, führt er ein dürftiges Argument nach dem anderen auf (z.B. in § 117).
Einseitige Gewichtung der Interessen
Der Gerichtshof attestiert Perinçeks Diskurs juristische, historische und politische Qualität. Er vermag darin keine rassistische Motivation zu erkennen. Damit gelangt der EGMR zur Feststellung, der Abwägungsspielraum der Schweiz sei begrenzt.
Bei der Analyse der entgegenstehenden Interessen drückt der EGMR hingegen zahlreiche Augen zu. Die Würde und das Andenken der Opfer und ihrer Angehörigen werden kurz erwogen, aber für zu leicht befunden. Gar nicht erst auf die Waage kommt hingegen das von der Schweiz vorgebrachte Argument der Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die drei federführenden Richter halten es für nicht ausreichend substantiiert (anders aber die „opinion concordante“ zweier Richter).
Das ist befremdlich, ist die Bekämpfung des Rassismus doch ein evidentes und anerkanntes Interesse der öffentlichen Ordnung. Auch Perinçeks revisionistischer Kampf ist alles andere als harmlos. Wer die Täter als Opfer darstellt, dagegen aber die Opfer der Lüge und der eigentlichen Täterschaft bezichtigt, bereitet zukünftigen Verbrechen einen nährhaft-rassistischen Boden. Geschichte und Justiz haben sich mit entsprechenden Zusammenhängen hinreichend beschäftigt. Ein Beispiel liefert die Tragödie in Ruanda: In verstörender Selbstinszenierung der späteren Täter als Angegriffene und Opfer skizzierte der von extremistischen Hutus geführte Sender „Radio-Télévision Libre des Mille Collines“ bereits Monate vor dem Genozid subtil und beharrlich ein Bild der Tutsis als eigentliche Kriegsverbrecher, gegen die man zum schonungslosen Präventivschlag ausholen müsse. Der Westen erwog vor dem Genozid zeitweise, die Sendung mit technischen Mitteln zu unterbinden, tat es dann aber nicht: Aus Rücksicht auf die Meinungsfreiheit. Als der Sender dann im Verlauf des Genozids unumwunden zur Tötung der „Kakerlaken“ (despektierliche Bezeichnung für Tutsis) aufrief und der gewaltbereiten Masse gar Orte verriet, an denen sich Tutsis versteckten, erkannte man den Fehler – doch es war zu spät.
Fazit
Kurzum: Eine demokratische und pluralistische Gesellschaft hat an gefährlichen Geschichtsverdrehungen keinerlei Interesse – und sollte hier der Meinungsfreiheit eine ihrer wenigen berechtigten Grenzen setzen.
Das Urteil hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, der allenfalls dann verschwindet, wenn die Schweiz appelliert und die Grosse Kammer den Fehlgriff korrigiert.
4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Sehr dürftige und mit gravierenden Schwächen ausgelegte Bewertung des Urteils. Der Verfasser verliert sich in seine eigene zugegeben hohe Sprachbegabtheit ohne dabei inhaltlich, sachlich und stringent zu argumentieren.
Dabei lässt sie wie die ganze Diskussion der Befürworter über die These es habe sich um Völkermord gehandelt die Abweichung von der Perputum mobile Argumentationskette nicht erkennen.
Dazu nur ein Auszug von vielen vom Verfasser
„Der EGMR fühlt sich nicht dazu aufgerufen, als Gericht Geschichte zu schreiben“
Das Gericht soll also Geschichte schreiben und geichzeitig sie dann als Grundlage nehmen für seine Entscheidung. Der Verfasser kann dann auch nicht mehr davon ausgehen, dass die Geschichte feststellend geklärt ist.Immerhin soll es das Gericht schreiben.
Ein weiteres sich selbst konstruierendes Beispiel
„Was dem EGMR dabei ins Auge hätte springen müssen, ist der Unterschied zwischen den gewichtigen Interessen an der Einschränkung der Meinungsäusserung im einen Fall (Perinçek), verglichen mit der schlichten Inexistenz berechtigter Interessen an der Unterdrückung unangenehmer Wahrheit im anderen Fall (Dink)“
Gerade der Streit um die Wahrheitsfindung ist Kernpunkt der ganzen diskussion bei der Völkermordthese. Der Verfasser scheint aber je nach Fallgestalltung die Entscheidung treffen zu wollen was die Wahrheit ist und was nicht. Das der EGMR genauso gut die dem Verfasser unangenehme Wahrheitsentscheidung treffen, dass es kein Völkermord ist, und demgemäss das Urteil gegen die Meinungsfreiheit von Dink C mit der Urteilsbegründung einer schlichten inexistens berechtigter Interessen an einer Verläumdnung und Verbreitung unwahrer Behauptungen knüpfen könnte und das türkische Urteil nicht gerügt hätte, entgeht dem Verfasser.
Beide Fälle sowohl „Dink“ und „Perincek“ hat der EGMR juristisch einwandfrei positiv für die Meinungsfreiheit entschieden.
Der Weiterzug der Schweiz zur grossen Kammer in diesem Fall würde mit einer anderen Entscheidung bezüglich der Wertung über den Völkermord das Urteil in sich selber ababsurdum führen. Jeder Jurist weiss, dass entgegenstehende Urteile die Streitigkeit in dieser Sache nur betonen. Fragt sich wie denn die grosse Kammer jetzt in irgendeiner Weise dem Argument der Befürworter folgen könnte die Völkermordthese sei unstrittig belegt, wenn ihre potenzielle Entscheidung zugunsten der Schweiz gerade die Streitigkeit,zwischen grosse und kleine Kammer in dieser Frage noch zementiert. So gesehen hat Herr Dogu Perincek das Kartenhaus der Perputum mobile Argumentationskette der Befürworter bereits zum Einsturz gebracht, egal was die grosse Kammer noch entscheiden mag. Zu einer anderen Wertung als die kleine Kammer dürfte sie aber aus juristischer Sicht nicht kommen. Die Befürworter werden wohl am ende einer kritischen Fragestellung bezüglich Ihrer Historiker und Ihren Auswertungen nicht umhin kommen. Und da werden viele unstimmigkeiten über Quellen der Völkermordbefürworter wie z.b Hitlers Tagebuch(Verfasser/Fälscher gefasst und wurde rechtskräftig verurteilt, Andonia Dokumente(von der mehrheit der Historiker bereits als Fälschung eingestuft), Aussagen von Johannes Lepsius( Aussage von Ihm zu seinem Werk: Lepsius beschreibt diese schwierige Aufgabe beim Erstellen dieses Werkes mit den Worten, dass es „eine Kunst zwischen den vier Fronten Entlastung Deutschlands, Belastung der Türkei, Reservebedürftigkeit des Amtes und Vertrauensgewinnung der Armenier war“)
Bei dieser Sachlage ist es auch allzu natürlich, dass die Befürworter der These bei einer objektiven Betrachtung zumindest mit denen von Ihnen Vorgelegten Quellen scheitern würden. Andere scheint es nicht zu geben. Einer der Befürworter einer Völkermodthese der nicht nur die oben erwähnten Quellen zu grunde genommen hat sondern sich ausnahmsweise auch in den türkischen Arschiven zusätzlich zu den obigen Quellen herangezogen hat begründet seine Sicht mit diesen Beweissätzen: “ Der Umstand dass keine Beweise vorliegen ist der Beweis dass es ein Völkermordbefehl gegeben haben muss“ Das dürfte wohl dann die Qualität der Historiker die sich für eine Völkermordthese ausgesprochen haben verdeutlichen.
Auch die Historiker die zwar meinten 20 Jahre geforscht zu haben um dann vom ersten Völkermord des 20 Jahrunderts zu sprechen scheinen von fragwürdiger Qualität zu sein, wenn diese nicht mal die Ereignisse um die Herero die zeitlich vorgelagert waren völlig überspringen und an Ihre Grudnaussage es habe sich um den ersten Völkermord des 20 Jahrhundert gehandelt festhalten. Eine klare tendenziöse subjektive Abischt ist da kaum noch abstreitbar.
Im endeffekt wird man um eine anständige Aufarbeitung von beiden Seiten mit beidseitigen Opfern und den Ihr zugeteilten Rollen nicht drum herum kommen um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Die Argumentationsüberbrückungsversuche der Völkermordthesenverbreiter scheint fehlgeschlagen zu sein.
Sehr geehrter „Tolga1000“
Ich freue mich, kurz auf ihren Anmerkungen eingehen zu dürfen.
Leider ist es mir beim besten Willen nicht möglich, mich folgender Überzeugung zu erwehren: Sie haben das Urteil und die umfassenden Erläuterungen des EGMR nicht gelesen.
Falls Sie auf meine Antwort erneut eine Antwort schreiben möchten, wäre ich Ihnen doch sehr verbunden, wenn Sie davor die Lektüre des Urteils nachholen könnten. Es ist übrigens neuerdings auch auf Englisch verfügbar (leider noch nicht auf Deutsch).
Weil das Gros Ihrer Anmerkungen sowohl an meinem Beitrag, als auch am Urteil des EGMR vorbeischiesst, möchte ich kurz das Wichtigste festhalten: Nirgendwo behauptet der EGMR, dass der Genozid nicht stattgefunden hat. So schlecht ist das Urteil nicht!
Zwei der Richter, die für das Urteil stimmten (Raimondi und Sajó), hielten es sodann für ihre moralische Pflicht in einem „opinion concordante“ noch explizit die Tatsachen des Genozids festzustellen: („Pourquoi avons-nous cette obligation particulière à l’égard des Arméniens ? Parce que la destruction d’un peuple commanditée par un gouvernement appelle toujours une attention spéciale et nous impose à tous des obligations particulières. De 1915 à 1917, le peuple arménien a subi des souffrances d’une intensité inimaginable. »)
Hinzu gesellen sich natürlich die beiden Richter, welche eine scharfsinnige abweichende Meinung publizierten. Diese Richter erinnern unter anderem daran, dass auch die Türkei die entsprechenden Verbrechen anerkannt hatte.
Wir sind also bereits bei vier Richter (von sieben), welche explizit vom Genozid ausgehen. Und wie steht es mit den drei von mir stark kritisierten Richter? Nun, auch die lassen keinen Zweifel daran, dass ungeheuerliche Massaker und Deportationen (sprich, mindestens Verbrechen gegen die Menschlichkeit) stattgefunden haben. Dann aber weichen die drei Richter der auf der Hand liegenden Schlussfolgerung aus, indem sie sinngemäss feststellen, endgültig beweisen könne man geschichtliche Sachverhalte ohnehin nie. Ich bin bei weitem nicht der einzige, der den seltsamen Umgang der Richter mit der Geschichte kritisiert. Aber daraus lässt sich nicht ableiten, dass das Gericht die Leugnung des Genozids gutheisst. Bestenfalls lässt sich daraus in Ihrem Interesse ableiten, dass die drei Richter es für richtig halten, dass Staaten den Genozid feststellen / anerkennen, jedoch für nicht notwendig, dass die Leugnung des Genozids unter Strafe gestellt wird.
Zu einzelnen Einwänden:
Sie schreiben:
„Dabei lässt sie wie die ganze Diskussion der Befürworter über die These es habe sich um Völkermord gehandelt die Abweichung von der Perputum mobile Argumentationskette nicht erkennen.“
Ich halte „Befürworter“ für ein höchst unpassendes Wort. Selbst wenn es sich „nur“ auf die These und nicht auf die Tat bezieht. Später verwenden Sie die reichlich unglückliche Formulierung der „Völkermordbefürworter“.
Meine Empfehlung: Wenn Sie in aller Strenge Beiträge kritisieren, sollten Sie mit eben solcher Strenge auch Ihre eigenen Äusserungen überprüfen.
Weiter. Aus meinem Satz:
“Der EGMR fühlt sich nicht dazu aufgerufen, als Gericht Geschichte zu schreiben“
… leiten sie Folgendes ab:
„Das Gericht soll also Geschichte schreiben und geichzeitig sie dann als Grundlage nehmen für seine Entscheidung. Der Verfasser kann dann auch nicht mehr davon ausgehen, dass die Geschichte feststellend geklärt ist.Immerhin soll es das Gericht schreiben.“
Dazu zweierlei:
(1) Der Bezug zu meiner Aussage ist unhaltbar. Lesen Sie meinen Text nochmals durch und Ihnen wird auffallen: Ich empfehle dem Gericht an keiner einzigen Stelle, Geschichte zu schreiben. Ganz im Gegenteil: Ich werfe dem Gericht sinngemäss vor, dass es zwar behauptet, nicht Geschichte schreiben zu wollen, aber durch seine relativierenden Erwägungen eben doch Geschichte schreibt.
(2) Ausserdem verwenden Sie den Begriff „Geschichte schreiben“ in einer der Verwirrung dienenden, ambivalenten Weise. Ihr Satz erscheint auf den ersten Blick nur deswegen einigermassen logisch, weil man „Geschichte schreiben“ im ersten Moment als „Geschichte erfinden“ versteht. Lesen wir das Wort „schreiben“ hingegen im Sinne von „feststellen“ (was sonst soll das Gericht tun?), zeigt sich Ihr Argument als das, was es ist: Ein Sophismus (allerdings ein geschickter, zugegeben).
Wenn ich Ihren zweiten einigermassen konkreten Vorwurf („sich selbst konstituierendes Beispiel“?) verstehe:
Sie werfen mir vor, dass meine ganze Argumentation nur vor der Prämisse standhält, dass der Genozid an den Armeniern auch tatsächlich einer war? Nun, in der Tat, von dieser Prämisse gehe ich aus. Und meine Kritik am Gerichtsurteil ist deswegen (entgegen Ihrer Ansicht) stringent, weil das Gericht selbst ebenfalls von dieser Prämisse ausgeht oder sie immerhin für wahrscheinlich hält. Übrigens, selbst Perinçek streitet die Massaker nicht grundsätzlich ab, sondern sucht für diese nach einer Rechtfertigung (obwohl er Jurist ist, scheint er vergessen zu haben, dass es für Verbrechen gegen die Menschlichkeit keine Rechtfertigungstatbestände gibt).
Noch etwas:
„Gerade der Streit um die Wahrheitsfindung ist Kernpunkt der ganzen diskussion bei der Völkermordthese. Der Verfasser scheint aber je nach Fallgestalltung die Entscheidung treffen zu wollen was die Wahrheit ist und was nicht.“
„Wollen“? Glauben Sie mir: Ich habe persönlich nichts davon, dass der Völkermord stattgefunden hat. Ich wünschte mir noch so sehr, der Völkermord hätte nie stattgefunden und ich könnte mit gutem Gewissen anderer Ansicht sein. Es ist eine Tragödie, zuallererst für die Opfer. Und die Anerkennung dieser Tragödie ist kein Angriff auf die Ehre der heutigen Türkei, im Gegenteil: Die Leugnung oder Minimisierung der Tragödie ist ein Angriff auf die Ehre türkischer Staatsbürger (von denen ich ein durchaus positives Bild habe). In der Geschichte des Osmanischen Reiches gibt es Kapitel, auf die man Stolz sein kann. Die Ereignisse in den Jahren 1915-1917 gehören ohne jeden Zweifel NICHT dazu.
Und noch etwas:
„Das der EGMR genauso gut die dem Verfasser unangenehme Wahrheitsentscheidung treffen, dass es kein Völkermord ist, und demgemäss das Urteil gegen die Meinungsfreiheit von Dink mit der Urteilsbegründung einer schlichten inexistens berechtigter Interessen an einer Verläumdnung und Verbreitung unwahrer Behauptungen knüpfen könnte und das türkische Urteil nicht gerügt hätte, entgeht dem Verfasser.“
Es ist absurd, die beiden Fälle dergestalt gleichzusetzen:
Erstens wäre das höchst unwahrscheinlich, dass der EGMR „genauso gut“ zu diesem Schluss kommen könnte (aus oben genannten Gründen).
Zweitens, ihre Parallele ist unhaltbar. Sie scheitert schon daran, dass das Klima der „freien“ Meinungsäusserung im Falle Dinks so schlecht war, dass am Ende auch noch sein Recht auf Leben verletzt wurde. Es ist schon fast pietätslos, die beiden Fälle zu vergleichen. Es gab gute Gründe anzunehmen, dass die Strafnorm wegen „Beleidigung des Türkentums“ (Art. 301 Strafgesetzbuch der Türkei) am Mord mitverantwortlich ist, weil dadurch Dink, der vieles fürs Zusammenleben der Türken und Armenier geleistet hatte, zum Feind der Türken deklariert und dem Hass ignoranter Nationalisten ausgeliefert worden war.
Drittens: Die Norm (Art. 301) genügte übrigens auch der simplen Anforderung der Vorhersehbarkeit nicht, weil niemand klar erkennen kann, was sie nun sanktioniert. Demgegenüber ist die Schweizer Antirassismustrafnorm glasklar und in ihrem Zweck auch absolut vereinbar mit dem internationalen Recht.
Damit ist ihre Aussage bereits dreifach widerlegt. Ich könnte noch einen vierten Grund nennen: Im Falle Perinçek ging es um den Angriff eines Angehörigen einer Minderheit gegen eine andere Minderheit. Im Falle Dinks vertrat er mit seinen Meinungen eine Minderheit gegenüber einer grossen Mehrheit inkl. des staatlichen Dogmas. Letzteres verdient mehr Schutz.
Noch was:
„Der Weiterzug der Schweiz zur grossen Kammer in diesem Fall würde mit einer anderen Entscheidung bezüglich der Wertung über den Völkermord das Urteil in sich selber ababsurdum führen. Jeder Jurist weiss, dass entgegenstehende Urteile die Streitigkeit in dieser Sache nur betonen.“
Wozu dann überhaupt eine Grosse Kammer? Wozu überhaupt verschiedene Gerichtsinstanzen und Revisionsmöglichkeiten?
„Fragt sich wie denn die grosse Kammer jetzt in irgendeiner Weise dem Argument der Befürworter folgen könnte die Völkermordthese sei unstrittig belegt, wenn ihre potenzielle Entscheidung zugunsten der Schweiz gerade die Streitigkeit,zwischen grosse und kleine Kammer in dieser Frage noch zementiert.“
Ich bezweifle verschiedene Ihrer Grundüberlegungen. Die These „einmal umstritten = immer umstritten“ ist ein Sophismus. Weiter muss die grosse Kammer nicht zum Schluss kommen, etwas sei unstrittig belegt (welches Verbrechen ist schon unstrittig belegt?). Es reicht, wenn dass Gericht vom Völkermord ausgeht und anschliessend daraus die richtigen Schlussfolgerungen zieht – dass es den Staaten zumindest gestattet sein muss, die Leugnung des Völkermords unter Strafe zu stellen.
(Abgesehen davon: kein Richter des EGMR hat behauptet, der Genozid hätte nicht stattgefunden! Verwechseln sie das Umstrittensein einer These nicht mit dem Relativieren der Möglichkeit historischer Gewissheit seitens der drei Richter.)
Noch etwas:
„Lepsius beschreibt diese schwierige Aufgabe beim Erstellen dieses Werkes mit den Worten, dass es „eine Kunst zwischen den vier Fronten Entlastung Deutschlands, Belastung der Türkei, Reservebedürftigkeit des Amtes und Vertrauensgewinnung der Armenier war“
Liege ich richtig in der Annahme, dass Sie das Buch nicht gelesen haben?
Auch ihre Aussagen betr. Quellen sind fragwürdig. Die Fehlerhaftigkeit einzelner Belege beweist noch lange nicht das Gegenteil. Die Erde wird auch nicht plötzlich wieder flach, bloss weil jemand schlecht begründet, warum sie kugelförmig ist.
Meine Antwort ist bereits jetzt viel zu lang. Zeit aufzuhören.
Bitte nehmen Sie mir nicht übel, dass ich mit Ihren Einwänden nichts anfangen kann. Wenn ich schon inhaltlich ihren Ausführungen nichts Positives abgewinnen kann, so darf ich wenigstens das sprachliche Kompliment erwidern: Sie schreiben für einen nicht-Muttersprachler höchst vielfältig und in relativ gutem Deutsch. Ich hoffe, Sie nutzen diese Fähigkeit und ihr argumentationstaktisches Geschick in konstruktiver Weise.
Mit besten Grüssen
Matthias Uffer
Sehr geehrter Herr Uffer,
ich muss festhalten, das Tolga1000 sachlich argumentiert währen Sie emotional versuchen, den „Völkermord“ zu beweisen. Das klingt für mich wie „Es ist passiert, akzeptiert es einfach!“. Sie und andere schreiben vom „Konsens unter den Historikern“. Bernhard Lewis, Guenther Lewy sind Ihrer Meinung nach keine Historiker? Schauen wir uns einmal an, wer den Türken Völkermord vorwirft: USA, Frankreich, Deutschland, Holland, Belgien… . Alle genannten Staaten haben nachweislich Völkermord begangen. Die deutschen trauen sich nicht die Amerikaner aufzufordern, sich zum Völkermord an den Ureinwohnern zu bekennen. Wiso ziehen die verfechter des „Vöklermords“ und die armenische Diaspora nicht vor Gericht und lassen die Ereignisse überprüfen? So könnten sie doch die Türkei bei einer Verurteilung zu Entschädigungen zwingen? Die Anerkennung des „Völkermords“ durch die Parlamente zeigt, das diese Debatte politisch motiviert ist. Viele, vor allem amerikanische Politiker würden Armenien auf der Karte nichtg finden.
Gruß
Levent
Wenn es Ihnen wirklich um die Opfer geht, dann bitte ich Sie diesen Artikel zu lesen. Sich einseitig zu informieren ist „grob Fahrlässig“
„Michael Reynolds hat die einschlägigen Dokumente studiert. Demgemäss notierte der Vizekönig des Kaukasus, dass die Armenier sich jede Art von Grausamkeit zuschulden hatten kommen lassen – sie töteten Greise, Frauen und Kinder.“
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2006-43/artikel-2006-43-es-war-kein-voel.html