Der Welthandel nach Bali – die WTO zurück auf der Leinwand?

von JÜRGEN BERING

„For the first time in our history: the WTO has truly delivered.“ So verkündete der erst im September 2013 ins Amt gekommene neue Generaldirektor Roberto Azevêdo die Einigung in Bali. Aber angesichts der mittlerweile seit zwölf Jahren bestehenden Doha-Entwicklungsagenda, von der in Bali nur wenige Punkte realisiert wurden, wird die Frage nach der wahren Bedeutung des Abkommens laut.

Die Entstehung

Ab dem 3. Dezember 2013 fand auf Bali, Indonesien, die mittlerweile neunte Ministerkonferenz der seit 1995 existierenden Welthandelsorganisation (WTO) statt. Jedoch wurde es als eher unwahrscheinlich eingeschätzt, dass sich die Vertreter der mittlerweile 159 Mitgliedstaaten auf eine Fortentwicklung des Systems einigen würden. Schließlich liegt die 2001 begonnene Doha-Runde, die zu Reformen führen sollte, seit 2008 auf Eis. Stattdessen haben sich die Mitglieder verstärkt bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen zugewendet. Auch wenn im Rahmen der Verhandlungen vor der WTO bereits einige Annäherungen erzielt werden konnten, so gab und gibt es doch mehrere nahezu unüberbrückbare Differenzen unter den Mitgliedstaaten, die einer Vertragsänderung alle zustimmen müssen. Ein sehr bedeutender Streitpunkt herrscht insbesondere zwischen den USA und Indien hinsichtlich der Subventionierung Indiens heimischer Agrarindustrie. Während Indien diese Beihilfen zur Ernährung der eigenen Bevölkerung als unerlässlich ansieht, erblicken die USA darin eine handelsverzerrende Maßnahme und bestehen auf Abschaffung. Vor Bali drohte dieser Streitpunkt immer wieder zu eskalieren. Umso größer war daher die Überraschung über ein Ergebnis der Verhandlungen. Die konkrete Behandlung Indiens Nahrungssicherheitsprogramms wurde dabei schlicht vertagt und nachdem auch ein Widerstand Kubas ‑ der das amerikanische Embargo zum Anlass hatte ‑ durch einen Kompromiss überwunden wurde, konnte am 7. Dezember endlich eine Einigung verkündet werden.

Der Inhalt

Das Bali-Paket, das im Wesentlichen aus zehn Einzelentscheidungen besteht, lässt sich in die Bereiche Handelserleichterung, Landwirtschaft und die besondere Behandlung von Entwicklungsländern unterteilen.

Handelserleichterung

Am umfangreichsten und detailliertesten sind die Vorschriften zur Handelserleichterung ausgefallen. Hierbei soll durch den Abbau von Hürden wie übermäßiger Bürokratie und unnötigen Wartezeiten der Markzugang einfacher gestaltet werden und dadurch der Welthandel um eine Billiarde US-Dollar jährlich wachsen. Vor dem Hintergrund, dass die Einfuhr in manchen Ländern Tage dauern und Bürokratie auch leicht als versteckte Form des Protektionismus missbraucht werden kann, scheint eine Einigung auf vereinfachte Zugangsformen selbstverständlich. Stark umstritten war jedoch lange Zeit die Kostenfrage. Bali löst dies, indem es Entwicklungsländern die Möglichkeit gibt, bestimmte Anforderungen in verschiedene Kategorien einzuteilen, abhängig davon, zu welchem Zeitpunkt diese erfüllt werden können und ob finanzielle Hilfe benötigt wird, die im Rahmen des Bali-Pakets bereits zugesichert wurde. Da eine finale Deadline jedoch fehlt, wird sich noch zeigen müssen, wann eine Umsetzung stattfinden wird. Nichtsdestotrotz kann es wohl als Kernstück von Bali betrachtet werden, da es als einzige der Entscheidungen weitgehende Verpflichtungen verbindlich festschreibt.

Landwirtschaft

Der Handel mit Agrarprodukten ist ein äußerst sensibler Bereich und dementsprechend intensiv diskutiert. Bali beschränkt sich in diesem Bereich darauf, bereits vorher gefundene Kompromisse abzusichern. Verbindliche Zusagen darüber hinaus werden vermieden. Dennoch zeigt sich bereits quantitativ, dass mit fünf Entscheidungen ein Fokus auch auf diesem Gebiet liegt. Diese Entscheidungen befassen sich mit nur minimal-handelsverzerrenden und damit erlaubten Beihilfen, der Nahrungsmittelsicherheit, der Administration von Zollkontingenten und Exportsubventionen. Schließlich gibt es noch eine Entscheidung in Bezug auf Baumwolle, welche als Handelsware für Entwicklungsländer von besonderer Bedeutung ist. Am interessantesten ist sicherlich die Entscheidung zur Nahrungssicherheit, die zugleich durch die Verschiebung der Meinungsverschiedenheit USA-Indien ein Resultat in Bali erst ermöglicht hat. Ausgangspunkt ist eine Zwischenlösung, die hauptsächlich aus Berichts- und Transparenzpflichten für die Zeit besteht, bis eine permanente Lösung vereinbart wird. Die Entscheidung selbst geht dabei zwar von einem Zeitraum von vier Jahren aus. Aufgrund der Brisanz des Themengebiets lässt sich aber bezweifeln, dass eine Einigung realistisch bis zu diesem Zeitpunkt gefunden werden kann.

Entwicklungsländer

Ein weiterer Fokus von Bali ist die besondere Behandlung von Entwicklungsländern, denen im Rahmen der WTO in verschiedenen Kontexten Ausnahmen gestattet sind. Besonders gilt dies für die Gruppe der Least Developed Countries (LDCs). So herrscht auch Einvernehmen, dass auf die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer reagiert werden muss. Zündstoff ergibt sich hierbei durch den Umstand, dass Staaten im Rahmen der WTO selbst bestimmen dürfen, ob sie als Entwicklungsland gelten oder nicht. Aufgrund der Wirtschaftskraft einzelner Schwellenländer wird dies immer wieder kritisiert. Bali enthält einen Beobachtungsmechanismus für die besondere Behandlung von Entwicklungsländernund im Hinblick auf LDCs Maßgaben zu Ausnahmebewilligungen im Rahmen von Dienstleistungen, Regeln zur Bestimmung des Herkunftslandes und insbesondere Vorgaben zum zoll- und quotenfreien Marktzugang. Letztere Maßnahme wurde lange Zeit für LDCs gefordert, die hierdurch signifikant profitieren würden. Unter formalen Gesichtspunkten wird ein solcher Zugangbereits weitgehend ermöglicht. So gewähren die meisten Industriestaaten ‑ nach Zollpositionen (die alle potentiell gehandelten Waren umfassen) berechnet – bereits für 97 % der Produkte eine zoll- und quotenfreie Einfuhr. Berücksichtigt man aber, dass viele LDCs nur sehr wenige Produkte exportieren, können die verbleibenden drei Prozent bereits den gesamten Handel abdecken. So bleibt auch die Entscheidung Balis hinter den Erwartungen zurück, da diese in unverbindlicher Weise lediglich verlangt, auf gerade diese 97 % hinzuarbeiten.

Fazit – die Zukunft der WTO?

Betrachtet man also die Ergebnisse aus Bali im Detail, offenbart sich, dass noch ein langer Weg zu umfangreichen Reformen bevorsteht. Nichtsdestotrotz kann das Paket auch nicht als unbedeutend abgeschrieben werden. Es darf nie vergessen werden, dass es sich bei der WTO um eine internationale Organisation mit 159 Staaten und jeweiligen Partikularinteressen handelt. Auch sind Ergebnisse, die den heimischen Markt weiter für ausländische Produkte öffnen und Beihilfen verbieten dem heimischen Wählervolk oft nur schwer zu vermitteln. So kommt es selbstverständlich schneller zu kleineren Abkommen mit ausgewählten Staaten. Trotz allem kann Bali vor zwei Gesichtspunkten doch als Errungenschaft gewertet werden. Zunächst besteht eindeutig der Trend zu bi- und plurilateralen Abkommen. Zu einer Zeit, in der selbst die EU und die USA über ein solches verhandeln, ist es ein gutes Zeichen, dass überhaupt noch Interesse an einem Weiterkommen der WTO besteht. Auch ist festzustellen, dass durch den neuen Generaldirektor frischer Wind in die WTO gekommen ist. Dass dieser nun sehr schnell einen Erfolg verbuchen konnte, lässt hoffen, die Ziele aus Doha vielleicht doch noch erreichenzu können.

Bali, Doha, Internationales Wirtschaftsrecht, Jürgen Bering, Least Developed Countries, Subventionen, Völkerrecht, Welthandelsrecht, WTO
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