Vom Organisationsteam JTÖR Münster 2021
Zugang zu Recht ist das Thema der diesjährigen 61. Jungen Tagung Öffentliches Recht in Münster (s. bereits den Blogartikel und die ausführliche Themenbeschreibung). Als 21-köpfiges Organisationsteam trafen wir uns bereits vor einem Jahr das erste Mal im Münsteraner Juridicum – damals noch präsent. Covid-19 war uns zwar bereits ein Begriff, mit dem Ausmaß der Pandemie und der damit einhergehenden Aktualitätssteigerung unseres Tagungsthemas hat jedoch keine:r von uns gerechnet. So betrifft die Pandemie in besonderem Maße auch den Zugang zu Recht, sei es den Zugang zu Bibliotheken oder zur Universität und damit zu rechtlichem Wissen oder den Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren und damit zu Rechtssicherheit und Gerechtigkeit.
Die JTÖR: Digital und zugänglich
Auch für die Zugänglichkeit der JTÖR stellten sich uns neue Fragen. So kam es, dass wir die Tagungsteilnehmenden entgegen unserer ursprünglichen Vorstellung nicht persönlich an der Universität Münster begrüßen durften. Das hat uns indes nicht daran gehindert, an der Tagung festzuhalten und sie für alle Teilnehmenden so „präsent“ und zugänglich wie möglich zu gestalten. Benedikt Huggins baute kurzer Hand das Münsteraner Schloss und die wichtigsten Kneipen nach – virtuell begehbar über die digitale Tagungsplattform Gather.town (s. Tutorial). Ein Vorteil der digitalen Ausrichtung: Das Plenum ist mit 421 Teilnehmenden so groß wie nie zuvor. So familien-freundlich, physisch barrierefrei, günstig und leicht zu erreichen war die JTÖR noch nie.
Eröffnungsabend: Die Bedeutung individueller Klagerechte
Nach einem ersten Kennenlernen und Austauschen in den Arbeitskreisen, begann die JTÖR mit der Begrüßung durch das Organisationsteam. Es folgten Grußworte der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, des Oberbürgermeisters der Stadt Münster Markus Lewe, des Rektors der WWU Prof. Dr. Johannes Wessels und des Dekans der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Prof. Dr. Matthias Casper.
Den Festvortrag zur Eröffnung des Abends hielt Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein, Richterin am Bundesverfassungsgericht. Sie sprach über den Zugang zum Recht als Zugang zu den Gerichten. Das Recht stünde vor der Herausforderung, zum einen auf materieller Ebene Belange und Interessen der Einzelnen abzubilden und zum anderen verfahrensrechtlich die Geltendmachung und Durchsetzung materieller Rechte vor Gericht zu ermöglichen. Dies sei von wesentlicher Bedeutung für den Rechtsstaat, da die Rechtsprechung maßgeblich zur Fortentwicklung des Rechts beitrage. Dazu bedürfe es Bürgerinnen und Bürger, die von ihrem Klagerecht Gebrauch machen.
Nach einer sich daran anschließenden anregenden Diskussion ließen wir den Abend virtuell in Münster-Gather.town ausklingen, versorgt durch ein zuvor verschicktes „JTÖR-Care-Paket“ sogar mit klassisch-analogem Weißwein.
Panel I: Zugang zu rechtlichem Wissen
Traditionell leitete der „Gong“ am nächsten Morgen das erste Panel zum Thema Zugang zu rechtlichem Wissen ein.
Julia Hoffmann startete mit ihrem Vortrag zur gerichtlichen Anerkennung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse im Umweltrecht. Übergeordnete Fragen ihres Vortrags waren: Wie wird Wissen anderer Disziplinen Bestandteil des Rechts? Welche Rolle spielt außerrechtliches Wissen in der Rechtsanwendung? Sie bemängelte, dass es gerade im Umwelt- und Technikrecht an Rechtssetzung fehle, die wissenschaftsbasierte Standards als Maßstäbe für behördliche Entscheidungen setze. Daraus folge eine Verlagerung der Letztentscheidungsverantwortung von Gerichten zu Behörden.
Danach gab uns Dr. Ruth Weber einen Einblick in die juristische Archivforschung und Rechtserkenntnis: Archivmaterialien, insbesondere Beratungsprotokolle zu den zur ständigen Rechtsprechung gewordenen Gerichtsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, werfen eine neue Perspektive auf die herkömmliche Dogmatik und den Umgang mit Präjudizien. So kann die Archivforschung ein Mittel sein, um Kontextualisierung und Historisierung von Gerichtsentscheidungen beim argumentativen Rückgriff auf Präjudizien umzusetzen.
Das erste Panel wurde abgerundet durch den Vortrag von Paul Eberstaller zum Zugang zu juristischen Daten. Darunter versteht er Rechtsprechung, Normtexte und parlamentarische Protokolle sowie Kommentarliteratur und Vertragstexte. Eine bessere öffentliche Verfügbarkeit solcher Daten würden empirische Untersuchungen ermöglichen, deren Ergebnisse Eingang in den juristischen Diskurs finden könnten. Durch die nicht allumfassende Veröffentlichung von Gerichtsurteilen würde aktuell etwa die Rechtsprechung nur verzerrt abgebildet.
Panel II: Zugang zum Staat
Im zweiten Panel beschäftigten wir uns mit der Frage, wer Zugang zu staatlichen Institutionen hat und wie weit dieser reicht.
Dr. Cara Röhner kritisierte aus einer antidiskriminierungsrechtlichen Perspektive die homogene Besetzung von Staatsämtern als Ausdruck ungleicher gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Sie schlussfolgerte, dass demokratische Gleichheit nur im Wege eines demokratisches Antidiskriminierungsrechts verwirklicht werden könne. Eine Möglichkeit dies zu erreichen sei es, das materiale Gleichheitsverständnis aus Art. 3 Abs. 1 GG auf die Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG zu übertragen. Insbesondere Paritätsgesetze würden bisher zu wenig als Antidiskriminierungsrecht wahrgenommen werden, stellten die Gerichte doch strukturelle Ungleichheiten in ihren Urteilen nicht heraus.
Thematisch daran anknüpfend, warf Lea Rabe einen Blick auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Parität sowie auf den Zugang zum Diskurs über ebendiese. Dabei stellte sie fest, dass es an einem Diskurs über diejenigen, die den Paritätsdiskurs in den vergangenen Jahrzenten geprägt haben, fehlt. Die männlich geprägte Perspektive der Diskutierenden werde nicht offengelegt, obgleich sie doch den Diskurs über Parität an sich und damit die Entwicklung des Rechts beeinflusst.
Sarah Praunsmändel schloss das Panel mit einem Blick auf die ambivalente Geschichte der Amtssprache Deutsch. Diese habe einerseits – im Kontext der Aufklärung – eine Erweiterung subjektiver Rechte zum Ziel gehabt. Andererseits habe sie der Unterdrückung ebendieser Rechte durch Preußen in Polen gedient. Insbesondere vor dem Hintergrund von Sprachproblemen Deutschunkundiger, also insbesondere geflüchteter Menschen, bedürfe es einer Erweiterung der behördlichen Arbeitssprachen, um den Zugang zu verwaltungsrechtlichen Verfahren sicherzustellen.
Der Nachmittag: Digitales Gathering
Nach diesen bereichernden Vorträgen und den daran anschließenden Diskussionen machten sich die Teilnehmenden auf, mit ihren Avataren Münster-Gather.town weiter zu erkunden, sich kennenzulernen, auszutauschen und alte Bekanntschaften wiederzubeleben!
Podiumsdiskussion: Zugang zum Recht durch mediale Wissensvermittlung
Der Tag endete mit einer Podiumsdiskussion zu juristischer Expertise in der Medienöffentlichkeit. Zu Gast waren VRinOVG Dr. Gudrun Dahme, Vizepräsidentin der DFG Prof. Dr. Julika Griem, justizpolitischer Korrespondent der SZ Dr. Wolfgang Janisch und der in der Öffentlichkeit bekannte Verfassungsjurist Prof. Dr. Christoph Möllers. Corinna Budras, Wirtschaftskorrespondentin der FAS führte uns durch den Abend. Ziel der Diskussion war es, eine Metaperspektive auf den wissenschaftlichen Diskurs, insbesondere während der Pandemie, einzunehmen. Die Diskutierenden berichteten von einem stark gestiegenen Informationsbedürfnis, die die Rechtswissenschaft vor die Herausforderung stellt, ihr Wissen allgemein verständlich und dennoch präzise kundzutun. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch Fernsehsendungen, soziale Medien oder auch – wie dieser Beitrag – Blogartikel als Genre zwischen Zeitungsartikeln und wissenschaftlichen Publikationen.
Nach diesen vielseitigen Eindrücken freuen wir uns auf die zwei kommenden und ebenfalls vielversprechenden JTÖR-Tage!
Janna Ringena für das JTÖR-Organisationsteam
Zitiervorschlag: Organisationsteam JTÖR Münster 2021, Ein Zwischenstand: So läuft junges Tagen im digitalen Münster, JuWissBlog Nr. 20/2021 v. 25.02.2021, https://www.juwiss.de/20-2021/.
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