So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich (gesagt)!

von JAKOB KNAPP und MADINA WESTPHAL

Vor rund einem halben Jahr versetzte der hessische Minister für Wirtschaft, Energie und vieles mehr seine Staatssekretärin in den einstweiligen Ruhestand. Noch vor offizieller Bekanntgabe setzte die mediale Berichterstattung ein. Daraufhin unterrichtete der Staatsminister die Öffentlichkeit in einer Pressemitteilung über die geplante Versetzung sowie deren Gründe: „Ein nicht hinnehmbares Fehlverhalten, das meinen Werten und Ansprüchen an meine engsten Mitarbeitenden widerspricht, entzog mir die Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihr. Da sich der Vorfall außerhalb des Dienstverhältnisses ereignete, werde ich mich zu den Einzelheiten nicht äußern.“ Nun begannen die Spekulationen darüber, worin das Fehlverhalten bestanden haben könnte. Es geht wohl um einen Vorfall in der Schule der Tochter. In einem Elterngespräch soll die Staatssekretärin ihr Amt ausgespielt haben. Der gesamte Vorgang der Versetzung mündete in einem von der Opposition angestrengten und mit rund einer Millionen Euro Kosten veranschlagten Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag. Nachdem das VG Wiesbaden die Versetzung im Eilverfahren bereits für offenkundig rechtmäßig befunden hat, geht es in dem Untersuchungsausschuss jetzt insbesondere noch um die begleitende, eingangs erwähnte Pressemitteilung des Staatsministers.  

Gefangener eines Dilemmas

Der Staatsminister sagte dazu in einer aktuellen Stunde selbst: „Einerseits lautet der in der Debatte erhobene Vorwurf, ich hätte zu viel gesagt, andererseits wird der Vorwurf erhoben, ich hätte zu wenig gesagt.“

Der in Halbsatz 1 in Bezug genommene Vorwurf lautet: Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht. Denn durch die Nennung eines Grundes für die Versetzung, der über die Wiederholung des durch die Rspr. ausbuchstabierten Tatbestandes „zerrüttetes Vertrauensverhältnis“ hinausgeht, werden die Persönlichkeitsrechte verletzt. Für den im 2ten Halbsatz aufgeführten Vorwurf zirkulieren gleich drei Gründe im Diskurs. Grund Nr. 1: Unbefriedigtes öffentlich-mediales Interesse am Versetzungsvorgang. Zweiter Grund: Fürsorgepflichtverletzung im Zuge der Vagheit des in der Pressemitteilung genannten Grundes. Es werden über ein zu tolerierendes Maß nachteiliger Auswirkungen der Aussage hinaus besonders rufschädigende Spielräume zur Spekulation eröffnet. Nach dem Motto: Wenn du dich schon zu Gründen äußerst, dann aber richtig; ansonsten lässt du es bleiben! Letzter Grund: Auch hier Fürsorgepflichtverletzung, aber mit ausgetauschter Begründung. Dieser letzte Grund wurde erst ex post eröffnet; durch einen Sachverständigen, der Ende Januar im Untersuchungsausschuss angehört wurde und sich bereits zuvor in der hessenschau dazu einließ. Dazu gleich mehr.

Stellt man nun Vorwürfe samt Gründen einander gegenüber, ergibt sich nachfolgendes Bild. Halbsatz 1 vs. Halbsatz 2 (Grund 1): Hier ist der Staatsminister Gefangener eines Dilemmas, aber nicht Opfer widersprüchlicher Rechtsauffassungen. Recht und Politik können Gegensätzliches verlangen. Allerdings sollten wir uns fragen: Ist das Recht den politischen Zwängen gegenüber wirklich gleichgültig und wenn ja, in welchem Umfang? Halbsatz 1 vs. Halbsatz 2 (Grund 2+3): Hier nun stehen sich zwei Rechtsauffassungen gegenüber, aber nicht ohne Schnittmenge. Rechtskonform hätte sich der Staatsminister in jedem Fall verhalten können. Nämlich durch Nichtnennung der Versetzungsgründe. Zur rechtlichen Beurteilung der Vorwürfe samt Gründen im Einzelnen:

Zu viel gesagt? (Hs. 1):

Im Grundsatz gilt laut BVerwG: „Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht verbietet dem Dienstherrn, den Beamten durch Kritik an seiner Amtsführung gegenüber Dritten ohne rechtfertigenden Grund bloßzustellen. […]Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht ist hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums iSd Art. 33 Abs. 5 GG. Sie ist für Landesbeamte kodifiziert in § 45 BeamtStG. Die negative Beschränkung der Äußerungsbefugnis des Dienstherrn ist im Wege des Erst-Recht-Schlusses aus dem positiven Schutzauftrag gegenüber Drittäußerungen gewonnen worden. Ein Beispiel für letztere Fallgruppe: Der Fall des früheren BSI-Chefs Schönbohm.

Dem oben genannten Urteil des BVerwG lag indes folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Schulleiter eines Gymnasiums wehrte sich gegen die durch den zuständigen Kultusminister in einer Rede wiederholten öffentlichen Vorwürfe gegen ihn: Er hätte die Erstellung eines Buches durch Lehrkräfte verhindert, das die nationalsozialistische Vergangenheit der Schule aufarbeiten sollte. Diese öffentlichen Vorwürfe begleiteten jedoch lediglich das Erscheinen des Buches und sie lagen nunmehr drei Jahre zurück. Das BVerwG sah unter anderem deshalb seinerseits keinen rechtfertigenden Grund für die Äußerung des Kultusministeriums.  Allerdings stellte es klar: Der Dienstherr ist für seine „Amtsführung nach außen, gegebenenfalls auch gegenüber der Öffentlichkeit, verantwortlich. […] [Diese] Verantwortung nach außen kann es auch erfordern, daß Betroffene oder die Öffentlichkeit über Beanstandungen oder getroffene Weisungen informiert werden.“

Für einen Staatsminister kann die Verantwortung nach außen gegenüber der Öffentlichkeit an seiner Ressortkompetenz (Art. 102 S. 2 HessVerf) aufgehangen werden. Personalverantwortung ist Annex dieser Ressortkompetenz. Aufgrund dieser Verantwortung fordert die Öffentlichkeit Rechenschaft ein.

So auch im hiesigen Fall: Sowohl Opposition (Grüne, FDP, AfD) als auch die Presse forderten noch vor offizieller Bekanntgabe der Versetzung Aufklärung über deren Gründe; und zwar im Namen eines öffentlichen Interesses. Die Personalie war von der Ernennung an Gegenstand medialer Berichterstattung. Das per se gesteigerte öffentliche Interesse an der Personalie politischer Spitzenbeamter realisierte sich vorliegend in besonderer Weise. Und das Recht reagiert auf diese Eigenrationalität und verarbeitet sie im Begriff des öffentlichen Informationsinteresses. Es aktiviert als rechtfertigender Anlass bzw. Grund eine Äußerungsbefugnis auch betreffend der Versetzungsgründe. Inhaltlich kann sich dies jedoch nicht in einer Wiederholung des offenen Tatbestandes „zerrüttetes Vertrauensverhältnis“ erschöpfen. Dann hätte der Staatsminister schließlich nicht mehr sagen dürfen als: „Ich habe sie versetzt und ich behaupte, diese Versetzung war rechtmäßig!“

Zu wenig gesagt? (Hs. 2, Grund 2):

Grund 2 hat die Art und Weise der Äußerung zum Gegenstand. Der Versetzungsgrund sei zu vage bezeichnet worden. Dagegen ist einzuwenden: Den konkreten außerdienstlichen Sachverhalt nicht preiszugeben, der die Grundlage für das Werturteil des Staatsministers bildete, schützte die Persönlichkeitsrechte der ehemaligen Staatssekretärin und ihrer Tochter. Gleichzeitig soll der Staatsminister seine ehemalige Staatssekretärin nach eigenen Aussagen über die gegen sie erhobenen Vorwürfe unterrichtet und sie informell angehört haben. Der Staatsminister hätte es insoweit in die Hände seiner ehemaligen Staatssekretärin gelegt, Spekulationen auszuräumen, ihr auf diesem Weg also – soweit eben möglich – Hoheit über die sie und ihre Tochter betreffenden Informationen in der öffentlichen Sphäre gegeben. Daran hätte sie auch § 37 Abs. 1 BeamtStG nicht absolut hindern können.

Zu wenig gesagt? (Hs. 2, Grund 3):

Der Sachverständige schlägt sich auf die Seite derjenigen, die den Vorwurf erheben: Der Staatsminister hätte zu wenig gesagt. Aber nicht aufgrund Vagheit, sondern aufgrund Fehlens eines kennzeichnenden Zusatzes wie zB: Es sei derzeit nicht geklärt, ob sich das durch das Werturteil in Bezug genommene Verhalten tatsächlich so ereignet habe. Es bestehe also eine bloße Vorwurfslage. Er bemüht damit – ohne dies offenzulegen oder zu begründen – die presserechtlichen Maßstäbe der Verdachtsberichterstattung. Dies scheint auf den ersten Blick nicht illegitim, verschweigt aber eine insoweit einschlägige Entscheidung des OVG Koblenz aus dem Jahr 2000. Ein Landrat erhob gegenüber der Presse den Vorwurf eigenmächtigen Handelns des Kreisoberamtsrats, ohne dass dies zum Zeitpunkt des Pressegesprächs erwiesen gewesen war. Der Kreisoberamtsrat hätte aufgrund seines Verhaltens Bauverzögerungen und erhebliche Kostensteigerungen im Rahmen der Planungs- und Bauarbeiten für die Erweiterung der Kreismülldeponie verursacht. Das OVG Koblenz entschied nun: „Sind schwerwiegende Mängel des Verwaltungsvollzugs […] der breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, kann die Verantwortung nach außen es erfordern, die Öffentlichkeit durch die Presse über Beanstandungen und die daraus gezogenen Konsequenzen zu unterrichten.“Der Kläger kann dem nicht entgegenhalten, der Landrat des Beklagten habe die betreffenden Erkenntnisse […] erst in einem viel späteren Zeitpunkt erlangt, so dass der im Pressegespräch erhobene Vorwurf […] übereilt und deshalb rechtswidrig gewesen sei.“ Der durch die Öffentlichkeit hervorgerufene zeitliche Äußerungsdruck rechtfertigt die Äußerung. Der Dienstherr trägt allenfalls das Risiko einer nachträglichen Richtigstellung, das Recht verbietet ihm aber nicht vorab die öffentliche Stellungnahme. Das OVG Koblenz attestierte: „der Beklagte [hat] gegen diese Grundsätze [der Fürsorgepflicht] auch insoweit nicht verstoßen, als er in dem fraglichen Pressegespräch dem Kläger eigenmächtiges Verhalten vorwarf.“ Es folgt entgegen dem Sachverständigen: Eine Fürsorgepflichtverletzung besteht erst ab dem Zeitpunkt, zu dem sich die Vorwurfslage (iRe Disziplinarverfahrens) nicht bestätigt und der Dienstherr trotzdem nicht für Klarheit sorgt. Nebenbei: Dies läuft auch parallel zu der dogmatischen Konstruktion in Fällen der Verdachtsberichtserstattung.

Genau richtig!

Das öffentliche Informationsinteresse an der Personalie politischer Spitzenbeamte will befriedigt werden. Dem kann sich das Recht nicht einfach entziehen. Die Unterrichtung über Versetzungsgründe ist also in gewissem Umfang gerechtfertigt. Der Staatsminister hat also so viel wie nötig, aber eben so wenig wie möglich gesagt. Genau richtig eben!

Transparenzhinweis: Die Autor:innen dieses Beitrags sind Mitarbeitende des Untersuchungsausschusses für die Fraktion der SPD.

Zitiervorschlag: Knapp, Jakob und Westphal, Madina, So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich (gesagt)!, JuWissBlog Nr. 23/2025 v. 28.02.2025, https://www.juwiss.de/23-2025/

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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Lennart K.
    3. März 2025 09:30

    Der Transparenzhinweis könnte hier vielleicht noch etwas erweitert werden, denn an keiner Stelle im Text findet sich, dass auch der Staatsminister für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum (warum die volle Amtsbezeichnung nicht in den Teaser gepasst hat, erschließt sich nicht recht) Mitglied und stellvertretender Landesvorsitzender der SPD ist. Im Rahmen des Untersuchungsausschuss hat die ehemalige Staatssekretärin behauptet, dass der Minister ihr mehrmals energisch den Eintritt in die SPD oder Spenden an die SPD nahegelegt habe. Die Parteizugehörigkeit der Beteiligten spielt also im Verfahren durchaus eine Rolle und ist auch Teil des Untersuchungsgegenstands (vgl. Nr. 1 lit. f) des Einsetzungsantrags).

    Ein Hinweis auf die Parteizugehörigkeit des Ministers wäre mit Blick auf die dienstliche Funktion der Autor:innen in der SPD-Fraktion zur Einordnung also hilfreich, zumal der Beitrag zu dem Schluss kommt, der SPD-Minister habe nichts falsch gemacht, sondern „genau richtig“ gehandelt. Damit soll dem Text nicht der Vorwurf politischer Voreingenommenheit gemacht werden. Es gehört aber zur Redlichkeit des Transparenzhinweises, ihn auch in einen Kontext zu den Kernaussagen des Texts zu setzen.

    Antworten

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