Die Causa Maaßen erregte die politischen Gemüter und tut es wohl auch weiterhin: Ein zuständiger Ressortchef will den Chef einer ihm nachgeordneten Bundesbehörde im Amt halten, der Koalitionspartner fordert hingegen dessen (politischen) Kopf. Auch die Kanzlerin schien den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, so jedenfalls die Medienberichterstattung, für nicht mehr tragbar zu halten. Mittlerweile wurde eine Lösung durch „Wegbeförderung“ gefunden. Abseits dieses politischen Formelkompromisses fragt sich: Wer darf von Rechts wegen über die Zukunft eines hochrangigen Beamten im Amt entscheiden? Konkreter: Hätte die Bundeskanzlerin über den Kopf des Bundesinnenministers hinweg die Entlassung des BfV-Präsidenten betreiben können?
Der Fall Maaßen als Frage des Machtdreiecks
Die Zuständigkeit für eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand liegt nach Art. 60 Abs. 1 GG bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 3 BBG beim Bundespräsidenten. Gesetzliche Voraussetzungen hierfür bestehen nicht. Seine Stellung als überparteiliches Bundesorgan aber gebietet eine politische Rücksichtnahme auf die tagespolitisch handelnden Akteure. Ein politischer Beamter wird in den einstweiligen Ruhestand versetzt, wenn er das Vertrauen der politischen Verantwortlichen nicht mehr genießt. Auf wen aber kommt es für diese Beurteilung an? Auf den zuständigen Minister? Auf die Bundeskanzlerin? Auf die Bundesregierung als Kollegialorgan? Der Fall Maaßen stellt also die Machtfrage im Dreieck von Ressort-, Kollegial- und Kanzlerprinzip nach Art. 65 GG.
Christoph Schönberger stellt sich im Verfassungsblog auf den Standpunkt, allein die Beurteilung der Bundeskanzlerin sei ausschlaggebend. Er argumentiert, die Frage des politischen Vertrauens in Beamte sei eine solche der Richtlinienkompetenz und damit der Kanzlerin zuzuweisen, wenn sie ein Eingreifen für nötig erachte. Zudem sei sie gegenüber dem Bundespräsidenten Vertreterin der Bundesregierung und folglich zutreffende Ansprechpartnerin in dieser Frage. Mit Blick auf das Regierungsinnenverhältnis kann man das, wie zu zeigen sein wird, auch anders sehen.
Ressortprinzip und Kollegialprinzip bei Personalentscheidungen
Das Ressortprinzip nach Art. 65 S. 2 GG beinhaltet als wesentliche Leitungsbefugnis des Ministers die Personalhoheit in seinem Geschäftsbereich (Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 65 Rn. 90). Das zu beschäftigende Personal unterliegt seiner Organisationsgewalt. Er agiert in dieser Hinsicht grundsätzlich selbstständig. Andererseits können politische Beamte Funktionen innehaben, deren Wirkung über den Geschäftsbereich des Ministeriums, dem ihre Behörde organisatorisch zugeordnet ist, hinaus ausstrahlt. Das kann etwa der Fall sein hinsichtlich einer notwendigen Ressortabstimmung (Busse, GO-BReg, 2. Aufl. 2014, § 15 Rn. 13). Dies berührt damit Angelegenheiten der Regierung insgesamt. Ausdruck dessen ist § 15 Abs. 2 lit. a) GO-BReg, wonach Vorschläge für die Ernennung politischer Beamter dem Kabinett zu „unterbreiten“ sind. Ob damit ein Recht des Kollegialorgans verbunden ist, einen Vorschlag rechtlich bindend abzulehnen (dafür Busse, GO-BReg, 2. Aufl. 2014, § 15 Rn. 14) oder lediglich ein Recht des Kabinetts besteht, in Kenntnis gesetzt zu werden (so Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 65 Rn. 102), ist streitig, bedarf hier aber auch keiner Entscheidung – dass die nunmehr avisierte Beförderung Maaßens zum Staatssekretär im Kabinett tatsächlich blockiert würde, scheint mir sich formierenden politischen Widerständen zum Trotz doch fernliegend. So oder so bedarf die Ernennung der Mitwirkung des zuständigen Bundesministers in Form seines Vorschlags an das Kabinett.
Wechselseitige Ergänzung der Rollen durch § 19 GO-BReg
Diskutiert wurde im Fall Maaßen freilich vor allem dessen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand. Es ließe sich nun sagen, dies sei gleichsam der actus contrarius zur Ernennung, schon deshalb folge dieser den gleichen rechtlichen Regeln. Das stimmt freilich nur zum Teil, denn der in den Ruhestand zu versetzende Beamte wird ja nicht entlassen. Es liegt insofern eine „Minusmaßnahme“ zum actus contrarius vor. Regelungen hierzu trifft § 19 GO-BReg. Danach ist bei der Versetzung eines Beamten ab Besoldungsgruppe B9 (hierzu gehört ausweislich Anlage I zum BBesG der Präsident des BfV) in den einstweiligen Ruhestand „vor entscheidenden oder verpflichtenden Maßnahmen oder Mitteilungen die Stellungnahme des Bundeskanzlers einzuholen.“
Wie ist nun § 19 GO-BReg zu verstehen? Schönberger folgert daraus, dass die Entscheidung über die Versetzung in den Ruhestand „nie allein eine Angelegenheit des zuständigen Ressortministers“ sei. Diese Interpretation scheint mir ein Stück weit irreführend. Es gilt, hier die Rollenverteilung der Akteure klar herauszuarbeiten: § 19 GO-BReg bestimmt nicht, dass der Bundeskanzler über die Entlassungsempfehlung an den Bundespräsidenten „entscheidet“, er nimmt lediglich Stellung. Wer holt der Idee der Regelung nach diese Stellungnahme ein? Der Bundespräsident? Natürlich nicht, denn die GO-BReg vermag ihn als bloßes Regierungs-Binnenrecht gar nicht zu binden – dieser Prozess ist rein politischer Rücksichtnahme geschuldet. Der Bundeskanzler selbst braucht seine eigene Stellungnahme nicht „einzuholen“. Betrachtet man diese Rechtsebene, scheidet schon aus systematischen Gründen eine Allein-Handlungsbefugnis der Bundeskanzlerin aus. Einholen kann die Stellungnahme daher nur der zuständige Fachminister auf eigene Initiative. Nur er kann das Verfahren nach § 19 GO-BReg auslösen. Das entspricht auch der Verfassungspraxis (Busse, GO-BReg, 2. Aufl. 2014, § 19 Rn. 4).
Richtlinienkompetenz als überlagerndes Prinzip?
Das ist freilich nur der binnenrechtliche Befund. Folgt aus der verfassungsrechtlichen Reichweite der Richtlinienkompetenz etwas anderes? Die Grenzziehung zwischen Kanzler- und Ressortprinzip ist naturgemäß schwierig. Das einfache Recht ist zur Auslegung unergiebig: Beweist die Stellungnahmemöglichkeit des § 19 GO-BReg, dass es sich bei der Versetzung hochrangiger Beamter in den einstweiligen Ruhestand um eine so gewichtige Personalentscheidung handelt, dass der Alleinverantwortungsbereich des Ministers verlassen wird? Lässt sich nicht umgekehrt sagen, die Tatsache, dass hier die Stellungnahme explizit durch die Geschäftsordnung eingefordert wird, beweist, dass diese Entscheidungen im Allgemeinen nicht der Richtlinienkompetenz zuzuordnen sind? Die Regelung hätte ja sonst eher deklaratorischen Charakter, denn eine allgemeine Verpflichtung der Bundesminister, den Bundeskanzler in Angelegenheiten einzubinden, die der Richtlinienkompetenz zuzuordnen sein können, findet sich bereits in § 3 GO-BReg. Meines Erachtens lässt sich beides vertreten. Für die Auslegung des Verfassungsprinzips ist ein solches Herangehen daher nicht geeignet.
Wird die Personalentscheidung in einer nachgeordneten Behörde aber durch mediale Aufmerksamkeit zu einer derart bedeutsamen, dass Grundlinien der Politik der Regierung betroffen sind? Dafür mag es gute Argumente geben – noch dazu hinsichtlich eines sicherheitsrelevanten Amtes. Darauf kommt es für die Frage der Handlungskompetenz aber auch gar nicht an: Selbst wenn man hier die Richtlinienkompetenz aufgerufen sieht, gibt das der Bundeskanzlerin nicht das Recht, die Entscheidung über den Kopf des Ministers hinweg und damit unter völliger Ausschaltung des Ressortprinzips an sich zu ziehen. Die Richtlinienkompetenz kennt kein Selbsteintrittsrecht (Hermes, in: Dreier, GG II, 3. Aufl. 2015, Art. 65 Rn. 27). Die Bundeskanzlerin kann gegenüber ihrem Ressortminister Stellung beziehen. Dieser hat der Richtlinienkompetenz Folge zu leisten und dem Bundespräsidenten ein Entlassungsgesuch für den ihm zugeordneten Beamten zu unterbreiten. Tut er das nicht, bleibt der Bundeskanzlerin nur der Weg, die Entlassung des Ressortministers zu betreiben – die höchste Eskalationsstufe, die im Fall Maaßen noch einmal vermieden werden konnte. Um einen entsprechenden politischen Preis setzt sich also das Kanzlerprinzip im Ernstfall durch. Im Grundsatz aber verbleibt ein austariertes Dreieck von Ressort-, Kabinetts- und Kanzlerprinzip, das nicht einseitig durchbrochen werden kann. Das Grundgesetz bekennt hier also Farbe – für eine Kanzlerdemokratie zwar, nicht aber für eine (dem Präsidialsystem eigene) gänzliche Unterordnung der Ressortminister.
Zitiervorschlag: Beckermann, Alle Macht der Kanzlerin?, JuWissBlog Nr. 79/2018 v. 20.9.2018, https://www.juwiss.de/79-2018/
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