Bei der Zwangsversteigerung gepatzt – wer haftet jetzt?

von MARVIN KLEIN

Das Urteil des OLG Brandenburg brachte für eine Familie eine schreckliche Gewissheit: In Folge eines Verfahrensfehlers durch das Amtsgericht Luckenwalde muss sie nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten ein von ihnen bebautes Grundstück nicht nur zurückgeben, sondern auch das selbst errichtete Gebäude abreißen. Wer bleibt am Ende auf diesen Schäden sitzen?

Es ist ein Urteil, das medial Aufmerksamkeit erweckt hat. Eine Familie (die Beklagten) mit Kindern muss nach dem Berufungsurteil des OLG Brandenburg ein kreditfinanziertes Gebäude zurückbauen und das durch Zwangsvollstreckung erworbene Grundstück dem festgestellten Eigentümer übergeben. Das Urteil, das auf dem ersten Blick wie ein furchtbarer Justizskandal erscheint, ist aus der Lupe der Rechtswissenschaft eine konsequente Entscheidung des Berufungsgerichtes. Geschlampt hat nicht das Berufungsgericht, sondern das Amtsgericht Lückenwalde als Vollstreckungsgericht.

Das Drama nimmt seinen Lauf

Was war passiert? Stark verkürzt ging es um eine Zwangsvollstreckung in das Grundstück eines seinerzeit in den USA lebenden Schuldners (Kläger), bei der das Amtsgericht Lückenwalde 2010 den Zuschlag den Beklagten gab. Die Beklagten rissen das auf dem Grundstück befindliche Ferienhaus ab und zogen mit ihren Kindern in einen errichteten Neubau ein. Ein Jahr später wurden sie mit den Ansprüchen des Klägers konfrontiert. Dieser wurde nämlich entgegen 43 Abs. 2 ZVG nicht über die bevorstehende Zwangsvollstreckung unterrichtet. Stattdessen wurde die Information einem Vertreter zugestellt. Der Zustellungsvertreter wurde mit Beschluss nach § 6 Abs. 1 ZVG vom Vollstreckungsgericht bestellt, da der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt gewesen sei. Tatsächlich hatte das Amtsgericht jedoch nicht nur verschiedene Anhaltspunkte die Adresse des Schuldners herauszufinden, sondern diese sogar in der Akte. Das LG Potsdam hatte für die Schlamperei des Vollstreckungsgerichts kein Verständnis und hob den Zuschlagsbeschluss nach § 100 Abs. 1 ZVG auf. Hierauf folgte nach einem kurzen Abstecher zum Bundesverfassungsgericht ein jahrelanger Rechtsstreit. Die Beklagten versuchten die Aufhebungsentscheidung anzufechten, während der Kläger u.a. die Grundbuchkorrektur und Herausgabe des Grundstücks verlangte. Dies mündete in dem Berufungsurteil.

Dieser dramatische Rechtsstreit hat nicht nur alles, was es für eine fiese Examensklausur benötigt (Testamentsauslegung, Rechtskraftwirkung, Verwirkung, Treue und Glaube), sondern wirft auch spannende staatshaftungsrechtliche Fragestellungen auf. Das OLG Brandenburg befand nämlich, dass die Grundstückherausgabe für die Familie bei gebotener Interessenabwägung „eine gravierende und nur schwer erträgliche Folge bedeutet“, diese Folgen jedoch abgefedert würden, da Amts- und Staatshaftungsansprüche „in Betracht kommen“.

(K)ein treuwidriges Verhalten des Klägers?

Bevor auf die Frage eingegangen wird, ob tatsächlich die schweren Folgen staatshaftungsrechtlich abgefedert werden, soll ein Blick auf die vom Gericht vorgenommene Interessenabwägung geworfen werden.

Bekanntlich greifen Juristen auf Treu und Glaube (§ 242 BGB) zurück, wenn alle positiv-rechtlichen Verteidigungslinien eingebrochen sind. Im vorliegenden Fall ging es dabei um die Institute von Rechtsmissbrauch bzw. Verwirkung. Im Rahmen der Abwägung gegenläufiger Interessen und Rechtspositionen verneinte das Gericht einen „schlechthin unerträglich[en]“ Extremfall, da der Kläger weder subjektiv noch objektiv ein Vertrauen der Familie begründet habe, sie dürften das Grundstück behalten. Dass eine solche Interessenabwägung auch anders ausfallen kann, bewies die Vorinstanz. Diese wertete nämlich das Interesse des Klägers als weniger gewichtig. Dieser sei zwar Eigentümer (hier waren sich beide Instanzen einig), lebe aber dauerhaft im Ausland. Im Gegensatz dazu habe die Familie im Vertrauen auf das rechtskonforme Handeln des Staates das Grundstück bebaut und seinen Lebensmittelpunkt dort eingerichtet. Bei einer solchen Ausgangslage sei die Sache ja klar.

So naheliegend die Argumentation des Ausgangsgerichtes wirkt, so wenig vermag sie juristisch zu überzeugen. Das Institut von Treue und Glaube setzt zwar die Berücksichtigung grundgesetzlicher Wertungen voraus, lässt aber vorliegend kein rechtliches Übergewicht des einen oder anderen Interesses erkennen. Denn sowohl der Kläger als auch die Beklagten unterliegen dem Schutz von Grundrechten. Der Kläger, der nach allgemeinen zivil- und prozessrechtlichen Gesichtspunkten nie das Eigentum verloren hat, kann sich auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG berufen. Umgekehrt streitet für die Beklagten der Schutz des Besitzes als Aspekt des Art. 14 S. 1 GG. Diese widerstreitenden Grundrechte unterliegen nach Art. 14 Abs. 1 S 2 GG den Schranken des allgemeinen Zivilrechts, wobei der Gesetzgeber mit § 985 BGB eine rechtliche Grundentscheidung getroffen hat, dass der unberechtigte Besitzer zur Herausgabe verpflichtet ist. Nichts anderes folgt aus einem Recht der Kläger nach Art. 13 GG, da durch §§ 985 ff. BGB ein grundsätzlicher Vorrang des Eigentümers gegenüber dem unberechtigten Besitzer statuiert wurde. Von diesen gesetzgeberischen Wertungen darf ein Gericht nur in strengen Ausnahmefällen abweichen.

Eine solche Ausnahme läge in einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des Klägers. Diese setzt jedoch  eine gewisse „Verantwortlichkeit“ des Prozessgegners für ein gegenteiliges Vertrauen voraus. Im vorliegenden Fall mag man bezweifeln, ob das rein wirtschaftlich motivierte Interesse am Eigentum moralisch höher wiegt, doch juristisch kann dem Kläger nicht das rechtswidrige Verhalten des Staates zur Last gelegt werden. Dieser wurde nämlich seinerseits durch den rechtswidrigen Zuschlag konfrontiert und dazu gezwungen, sein Eigentum wiederzuerlangen. Ebenso ist kein großer Zeitraum verstrichen, der eine illoyale Geltendmachung durch den Kläger nahelegen könnte. Der Kläger hat binnen drei Jahren seit der Versteigerung seine Rechte geltend gemacht. Selbst wenn man die fehlende Verjährungsmöglichkeit § 902 Abs. 1 S. 1 BGB außer Acht lässt, kann durch den Ablauf von drei Jahren kein überwiegendes Vertrauen der Beklagten begründet werden.

Das Rechtsinstitut von Treu und Glaube ist somit nicht der geeignete Hebel, um das nach Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen in rechtskonformes Staatshandeln zu Lasten anderer Grundrechtsträger zu schützen. Ebenso kann auch dem Kläger kein schikanöser Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden.

Der Staat ist in der Verantwortung!

Wenn also die Grundstückherausgabe (nebst Abriss des Gebäudes) nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechtes geschuldet ist, sollte der Staat tatsächlich für die hierdurch entstehenden Schäden finanziell aufzukommen. Anspruchsgrundlage dafür ist § 839 BGB iVm. Art. 34 GG. Erörterungsbedürftig bei dem Amtshaftungsanspruch ist hierbei (nebst konkreter Höhe) lediglich, ob eine den Beklagten gegenüber bestehende Schutzpflicht verletzt wurde. Daran könnte man auf dem ersten Blick zweifeln:

Das Vollstreckungsgericht hat vorliegend gegen eine Pflichtenkette der ZVG verstoßen. Es hätte nach § 83 Nr. 1 ZVG den Zuschlag gar nicht erteilen dürfen, da es zuvor die Pflicht aus § 43 Abs. 2 ZVG missachtet wurde. Das Gericht hätte nämlich den Termin aufheben oder den Beschluss, auf Grund dessen die Versteigerung erfolgen kann, dem Vollstreckungsschuldner rechtzeitig zustellen müssen. Eine Zustellung an den bestellten Zustellungsvertreter war nicht zulässig. Freilich haben diese verschiedenen Pflichten nach der Schutznormtheorie Drittschutz. Fraglich ist indessen, ob dieser Schutz auch gegenüber der Familie als Begünstigter des Zuschlags besteht. Denn die Pflicht, dem Vollstreckungsschuldner den Versteigerungsbeschluss rechtzeitig zukommen zu lassen oder den Termin aufzuheben, dient bei erster Betrachtung dem Schutz des Schuldners. Bei diesem Ergebnis kann die rechtliche Betrachtung aber nicht stehen bleiben. Gerade die Rechtswirkung des § 83 Abs. 1 ZVG (Zuschlagsversagung) demonstriert, dass auch Zuschlagsinteressenten ein berechtigtes Interesse an Einhaltung der essenziellen Verfahrensvorschriften haben. Diese sollen nicht – wie es vorliegend geschehen ist – nachträglich ihr erworbenes Eigentum rückwirkend verlieren, da sie vielmehr nach Art. 20 Abs. 3 GG ebenfalls auf das rechtskonforme Handeln des Staates vertrauen kann und können sollen. Diese Wertungen sind bei der Reichweite des Drittschutzes positiv zu berücksichtigen. Insoweit spricht einiges für eine weite Auslegung und die Bejahung des Amtshaftungsanspruchs.

Wie es für die Familie weitergeht, ist derzeitig noch offen. Obschon die Feststellungen des OLG bezüglich eines Amtshaftungsanspruchs keine Rechtskraft haben, ist nicht davon auszugehen, dass sie ihren Anspruch gerichtlich durchsetzen müssen. Das Landesjustizministerium erklärte, für die Fehler des Vollstreckungsgerichtes einzustehen. Zwar kann ein Schadensersatz das lieb gewonnene Zuhause nicht ersetzen, doch vielleicht finden die Beteiligten die von der Landesjustizministerin Hoffmann angesprochenen „Handlungsoptionen“.

Zitiervorschlag: Klein, Marvin, Bei der Zwangsversteigerung gepatzt – wer haftet jetzt?, JuWissBlog Nr. 44/2023 v. 18.07.2023, https://www.juwiss.de/44-2023/

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Eigentumsfreiheit, Grundstückversteigerung, Justizskandal, mittelbare Drittwirkung, Staatshaftung
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