Wie in einigen anderen Krisenregionen der Welt führen die USA auch im Jemen seit Jahren ihren sogenannten „Krieg gegen den Terror“ mit Hilfe ferngesteuerter Drohnen, die Mitglieder terroristischer Vereinigungen aufspüren und dann gezielt töten sollen. (Wer sich für nähere Details interessiert, sei auf diese Dokumentation der New Yorker Columbia Law School verwiesen.) Nachrichten über erfolgreiche „surgical strikes“ sind hierzulande in der Regel indes nicht einmal eine Randnotiz wert: Zu weit weg ist das zudem kaum bekannte Krisengebiet, und viele von uns dürften den Meldungen über US-gesteuerte Drohneneinsätze ob ihres wiederkehrenden Musters eher mit stumpfem Gleichmut begegnen. Auf gut Deutsch: Was geht uns das alles an?
Eine ganze Menge, lautet die womöglich überraschende Antwort. Immerhin werden die Kampfdrohnen im Jemen über eine Relaisstation der US-Militärbasis im pfälzischen Ramstein mit Zielkoordinaten versorgt. Dagegen können direkt aus den USA (etwa per Satellit) aus physikalischen Gründen keine Signale ohne Zeitverzögerung in den Mittleren Osten gesendet werden. Ramstein – und damit deutsches Staatsgebiet – ist also conditio sine qua non für gezielte Tötungen im Ausland. Dies erkannten auch drei mutige jemenitische Staatsangehörige aus der Region Hadramout. Sie wollten sich nicht damit abfinden, dass sie im Jahr 2012 Verwandte durch todbringende US-Drohnen verloren hatten und klagten vor dem VG Köln. Ihr Ziel war es (kurz gesagt), die Bunderegierung zu verpflichten, die Nutzung der Air Base Ramstein durch die USA zum Einsatz gezielter Tötungen im Jemen zu unterbinden. Hilfsweise begehrten sie die Feststellung (wiederum kurz gesagt), dass ein Unterlassen der Bundesregierung, auf die USA einzuwirken, rechtswidrig ist. Am 27. Mai 2015 wurde ihre Klage mit dem Hauptantrag als unbegründet und mit dem Hilfsantrag als unzulässig abgewiesen. Diese Entscheidung, gegen die noch Berufung eingelegt werden kann (und womöglich auch wird), behandelt zahlreiche Fragen aus dem Völkerrecht, dem deutschen Staatsrecht und auch dem Verwaltungsprozessrecht. Aus jedem dieser drei Gebiete soll nun jeweils eine Frage besonders beleuchtet werden:
Verwaltungsprozessrecht: Warum ausgerechnet Köln?
Nicht wenige Interessierte dürften bereits hier ein besonders dickes Fragezeichen setzen, führt man sich die ohnehin schon ungewöhnliche Verbindung zwischen dem Jemen und Ramstein vor Augen. Wurde hier etwa „forum shopping“ betrieben (wie man es z.B. bei Klagen aus dem Medienrecht kennt)? Mitnichten! Die örtliche Zuständigkeit des VG Köln ergibt sich ganz nüchtern aus der VwGO, hier nämlich § 52 Nr. 5. Demnach ist (wie hier) im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage das Gericht zuständig, „in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz“ hat. Die in diesem Fall Beklagte ist die Bundesrepublik Deutschland, also müsste eigentlich der Regierungssitz – Berlin – die örtliche Zuständigkeit determinieren. Es kommt aber (in Anlehnung an § 52 Nr. 2 S. 1 VwGO) auf den Dienstsitz der zuständigen Behörde an; und die Bundesrepublik selbst ist keine Behörde, dies sind vielmehr die einzelnen Ministerien. Das hier betroffene Fachressort ist das der Verteidigung, daher ist der Dienstsitz des BMVg entscheidend. Dieses sitzt in Berlin und Bonn, wobei sich allerdings der Sitz der Behördenleiterin, Verteidigungsministerin von der Leyen, formal in Bonn befindet. Genau dieser Umstand ist der hier entscheidende Anknüpfungspunkt. Das VG Köln ist daher gem. § 17 Nr. 5 JustG NRW örtlich zuständig.
Staatsrecht: Muss die Bundesrepublik Deutschland gegen von Ramstein ausgehende rechtswidrige Aktivitäten der USA einschreiten und, wenn ja, wie?
Dieses sehr komplexe Themenfeld bildet den Kern des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Die Air Base Ramstein ist natürlich kein „extraterritoriales Gebiet“ (ein völkerrechtlich längst obsoletes, aber in den Köpfen der Öffentlichkeit hartnäckig verharrendes Konzept), sondern Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die deutsche Staatsgewalt macht vor den Toren der Air Base nicht Halt, es gelten lediglich einige Sondernutzungsrechte zu Gunsten der USA, die sich aus dem NATO-Truppenstatut (NTS) sowie einem später hierzu geschlossenen Zusatzabkommen (ZA-NTS) ergeben. Artikel II NTS verpflichtet die USA zur Achtung des deutschen Rechts, also auch der Grundrechte. Diese Grundrechtsgeltung führt für die Bundesrepublik zu der Pflicht, für den Schutz der Grundrechte einzutreten. Grundrechte begründen bekanntlich nicht nur Abwehrrechte des Einzelnen, sondern auch Schutzpflichten des Staates. Doch endet die Grundrechtsbindung der Bundesrepublik nicht an deutschen Außengrenzen, sondern erstreckt sich nach h.M. grundsätzlich auf sämtliches hoheitliches Handeln auch im Ausland – Art. 1 III GG sieht nämlich gerade keine territoriale Beschränkung des Grundrechtsschutzes vor. Dieser Ansicht schließt sich das VG Köln mit sorgfältiger Begründung zu Recht an und bejaht damit zunächst die Klagebefugnis der jemenitischen Kläger im Hinblick auf deren Recht auf Leben aus Art. 2 II 1 GG, für das auch der deutsche Staat in den Grenzen seiner Hoheitsgewalt einzustehen hat (Rn. 28 ff.).
Dies führt es im Rahmen der Begründetheit weiter aus und stellt richtigerweise klar, dass sich die Schutzpflicht der Bundesrepublik zwar nicht auf die Gewährung diplomatischen Schutzes erstreckt, weil diese besondere Form nur deutschen Staatsbürgern zu Gute kommen kann. Allerdings bejaht das Gericht eine Schutzpflicht in Form einer Einwirkung auf die USA, wenn deren Aktivitäten auf deutschem Boden zu nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriffen führen. Die deutsche Hoheitsgewalt erstreckt sich nämlich auf das gesamte deutsche Staatsgebiet, also auch auf Ramstein. Für einen Moment scheint das Pendel nun zu Gunsten der Kläger zu schwingen, doch wird deren zarte Hoffnung auf eine politisch womöglich erdrutschartig ausfallende Entscheidung gegen die Bundesrepublik mit einem Federstrich (Rn. 85) ausradiert: „Gemessen an dem Maßstab der dem Gericht nach Vorstehendem nur möglichen Rechtskontrolle, ob die Beklagte auf der Basis einer zumindest vertretbaren völkerrechtlichen Einschätzung (1.) gänzlich untätig geblieben ist (2.) oder ob die bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind (3.), kann die Beklagte nicht zu der im Klageantrag formulierten Betätigung verurteilt werden.“ Es kommt also, erstens, zum einen auf die Völkerrechtskonformität der US-Drohneneinsätze (dazu sogleich unten) an, die zum anderen von der Bundesrepublik allerdings nur vertretbar (d.h. nicht evident unvertretbar!) beurteilt werden muss. Auf Grundlage dieser Einschätzung muss, zweitens, jedenfalls irgendeine Reaktion Deutschlands erfolgen, die, drittens, ein zumindest nicht willkürlich bestimmtes Ausmaß haben muss. Anders, aus der Sicht des Gerichts formuliert: Die gerichtliche Kontrolldichte in dieser Angelegenheit ist ausgesprochen dünn.
Die dem zitierten Obersatz folgenden Erwägungen des Gerichts sind wohlfeil formuliert und ganz sicher gut vertretbar. Doch bei deren Lektüre lässt sich zuweilen das Gefühl nicht unterdrücken, dass sich die Kammer hier dankbar in einen sicheren Hafen zurückgezogen hat und den wirklich brisanten Aspekten aus dem Weg gegangen ist. Dies mag vor allem die vom Schicksal geplagten Kläger treffen, die auf diese Weise keinen Sieg erringen konnten, aber zumindest im Subtext eine sicher aufrichtige Anerkennung ihrer Leiden erfahren. Denn immerhin die Schutzpflicht als Einwirkungspflicht Deutschlands ist nun verbrieft. Allein die Wahl der Mittel steht im politischen Ermessen der Bundesregierung, unterliegt jedoch nur eingeschränkter gerichtlicher Überprüfung – Stichwort: Evidenzkontrolle. Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik hat mit den von ihr im Verfahren vorgetragenen Konsultationen mit den USA jedenfalls nicht evident ihre Schutzpflichten vernachlässigt; möglich ist ein Verstoß allerdings schon – nur eben (in diesem Fall) nicht gerichtlich feststellbar. Ein gerichtlicher Triumph in dieser staatsrechtlichen Kernfrage sieht sicher anders aus. Womöglich mag hier eine Berufungsinstanz auch zu einem anderen Ergebnis gelangen.
Völkerrecht: Dürfen die USA überhaupt gezielte Tötungen durchführen?
Leider verhält sich das Gericht hierzu noch zurückhaltender als zum Ausmaß deutscher Einwirkungspflichten auf die USA. Diese Zurückhaltung ist allerdings der eingeschränkten Kontrolldichte der Entscheidung geschuldet, denn das Gericht geht zu Gunsten der Bundesrepublik davon aus, dass im Jemen das Konfliktsvölkerrecht Anwendung findet (Rn. 86). „Diese Beurteilung der völkerrechtlichen Situation im Jemen stellt sich […] als vertretbar und frei von Willkür dar. Denn es dürfte im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Überwiegendes dafür sprechen, dass im Jemen – und zwar im gesamten Staatsgebiet – derzeit ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt […] herrscht. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kämpfen die Truppen der von Saudi-Arabien angeführten Koalition auf Seiten der gewählten Regierung gegen die sogenannten Houthi-Rebellen, die weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht haben, und gegen die AQAP, die zwischenzeitlich wohl wesentliche Teile der Region Hadramout beherrscht.“ Schonungslos schlicht gesprochen: Im Krieg darf man töten; im Jemen herrscht Krieg, also sind tödliche US-Drohneneinsätze auf Einladung der jemenitischen Regierung auch völkerrechtskonform im Rahmen des humanitären Völkerrechts. Diese Auffassung ist, so hart es klingen mag, richtig. Anders gestaltet sich die Rechtslage natürlich außerhalb eines bewaffneten Konflikts. Diese so wichtige Stellschraube könnte übrigens dem eingangs genannten Hilfsantrag den Erfolg verwehrt haben: Die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit deutscher Untätigkeit bezog sich nämlich (ebenso wie der Hauptantrag) auf die heutige Lage im Jemen und eben nicht auf jene aus dem für die Kläger schicksalhaften Jahr 2012. Es liegt nicht auf der Hand, dass damals schon der hier ins Visier genommene bewaffnete Konflikt in der Region Hadramout herrschte, sodass sich die Bundesregierung hier wohl nicht so einfach mit Verweis auf das humanitäre Völkerrecht aus der Sache hätte herauswinden können (vgl. dazu etwa die „Conflict Barometer“ des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung der Jahre 2012 (dort S. 102) einerseits und 2014 (dort S. 150) andererseits).
Und, ceterum censeo: Ein auch beharrlich und wiederholt ausgerufener „Krieg gegen den Terror“ ist kein bewaffneter Konflikt im völkerrechtlichen Sinne! Außerhalb bewaffneter Konflikte ist Gewaltanwendung völkerrechtlich nur dann legal, wenn sie im Rahmen eines auf Kapitel VII der UN-Charta gestützten Mandats des UN-Sicherheitsrats, als Selbstverteidigungshandlung i.S.v. Art. 51 UN-Charta oder auf Einladung des betroffenen Staates erfolgt. Regelmäßig kommen nur die beiden letzten Varianten in Betracht – allerdings darf auch dann tödliche Gewalt nicht schrankenlos ausgeübt werden. Auf Selbstverteidigung kann sich ein Staat etwa nur dann berufen, wenn von dem ins Visier genommenen Terrorverdächtigen ein unmittelbar bevorstehender Angriff zu erwarten ist (und man – wohl zu Recht – unterstellen möchte, dass das Selbstverteidigungsrecht auch gegen private Akteure anwendbar ist). Im Rahmen einer Intervention auf Einladung gilt das jedenfalls völkergewohnheitsrechtlich etablierte Menschenrecht auf Leben, in das zumindest nicht willkürlich eingegriffen werden darf. Doch bei Tötungen nur auf Verdacht lässt sich der böse Schein der Willkür kaum verdecken. Daher müsste jeder Einzelfall eines Kampfdrohneneinsatzes abgewogen und auch ausreichend dokumentiert werden; es darf vorsichtig bezweifelt werden, ob die US-Praxis der „surgical strikes“ dies berücksichtigt.
Fazit
Das Urteil des VG Köln hat einige Fragen sorgfältig, andere dagegen kaum beantwortet. Als Sieger darf sich hier wohl keine der Parteien fühlen. Die USA dagegen, ganz heimlich, vielleicht schon.
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Hallo Björn,
einen schönen Beitrag hast Du uns da geleistet.
Ich bin ein bisschen über die Begründung zur Schutzpflicht der BRD bzgl. der US Air Base in Ramstein gestolpert. Zum einen sagst Du, dass die Air Base zum deutschen Staatsgebiet gehört. Zum anderen schreibst Du aber, dass die Grundrechtsbindung der BRD nicht an deutschen Außengrenzen endet. Du erstreckst die Grundrechtsbindung gem. Art. 1 Abs. 3 GG auch auf „sämtliches hoheitliches Handeln im Ausland“. Meinst Du mit Ausland hier den Jemen oder die Air Base? Wenn Jemen, inwiefern liegt ein Handeln deutscher Staatsgewalt im Ausland vor, welches Anknüpfungspunkt für eine Grundrechtsbindung ist? Wenn Air Base, sind auch Ausländer im Ausland von den Grundrechten geschützt, auch wenn gar kein unmittelbares Handeln deutscher Staatsgewalt vorliegt?
Des Weiteren schreibst Du, dass tödliche US-Drohneneinsätze „auf Einladung der jemenitischen Regierung“ völkerrechtskonform iRd humanitären Völkerrechts sind. Ich teile diese Aussage dahingehend, dass die Verwendung von Drohnen nach dem Humanitären Völkerrecht (HVR) nicht per se verboten sind. Das klingt ein bisschen so, als ob Du die Bewertung der Drohneneinsätze iRd HVR von einer völkerrechtlichen Rechtfertigung zur Gewaltanwendung abhängig machst. Mit anderen Worten: Inwiefern ändert sich Deine Aussage, wenn es bspw. keine Einladung durch die jemenitische Regierung gegeben hätte und auch sonst keine Rechtfertigung zugunsten der USA in den Konflikt einzugreifen? Wären die Drohneneinsätze dann nicht völkerrechtskonform?
Mit den besten Grüßen aus Kiel nach Köln
Oliver
Lieber Oliver,
hab vielen lieben Dank für Deinen Kommentar und Deine ergänzenden Fragen. Die von Dir aufgeworfenen Punkte sind natürlich allesamt diskussionswürdig. Das Urteil des VG Köln bietet insgesamt einen guten Anlass, einen großen bunten Strauß streitiger Rechtsfragen zu diskutieren. Viele davon konnten einem Format wie diesem leider nicht in der gebotenen Tiefe behandelt werden. Auf die beiden von Dir aufgeworfenen Kernaspekte möchte ich nun aber gern näher eingehen:
I. Wirkung der Schutzpflicht der BRD in diesem Fall
In meinem Beitrag versuche ich zu differenzieren zum einen zwischen der grundsätzlichen Reichweite deutschen Grundrechtsschutzes (dazu mehr sogleich unter 1.) und zum anderen dem Bestehen einer Einwirkungspflicht der BRD zur Gewährung dieses Schutzes im konkreten Fall (dazu mehr sogleich unter 2.).
1. Zur Reichweite des Grundrechtsschutzes vertrete ich – wie auch das VG Köln – die Auffassung, dass Art. 1 III GG überall dort eine Schutzpflicht statuiert, wo die BRD Hoheitsgewalt innehat oder sich ihr hoheitliches Handeln auswirkt. Innerhalb des deutschen Staatsgebiets ist dies immer der Fall, weil sich die deutsche Staatsgewalt hierauf in Gänze erstreckt. So wollte ich meinen Hinweis, dass auch die Air Base Ramstein zum deutschen Staatsgebiet gehört, verstanden wissen. Es wäre also kein Argument zu behaupten, dass die Air Base dem Grundrechtsschutz grundsätzlich entzogen wäre. Darüber hinaus kann sich der Schutz auch auf hoheitliche Aktivitäten jenseits deutscher Staatsgrenzen erstrecken, beispielsweise im Rahmen von Bundeswehr-Einsätzen in Krisengebieten. Der Jemen würde auch darunter fallen, wenn der BRD zurechenbare Einheiten hier tätig wären. Davon gehe ich in meinem Beitrag aber nicht aus. Vielmehr möchte ich klarstellen, dass auch grundrechtlich relevante Wirkungen im Ausland von der Schutzpflicht umfasst sind, wenn sie einen Bezug zur deutschen Staatsgewalt aufweisen. Wenn also die BRD schon bei eigenem Handeln im Ausland der grundrechtlichen Schutzpflicht unterliegt, dann gilt dies erst recht für Sachverhalte, die von eigenem Staatsgebiet ausgehen und nur ihre Wirkung im Ausland entfalten.
2. Dieser Gedankenschritt führt sodann zum Bestehen einer Einwirkungspflicht der BRD in diesem Fall. Diese Pflicht sehe ich aber nicht schon dadurch begründet, dass im Jemen Kampfdrohneneinsätze der USA geflogen werden; dieser Umstand allein ist noch nicht der BRD zurechenbar. Vielmehr begründet die (hier vom VG unterstellte) Tatsache, dass diese Einsätze von deutschem Boden aus koordiniert werden, einen hinreichenden Anknüpfungspunkt zur Schutzgewährungspflicht. Wie oben unter 1. dargestellt, sehe ich die BRD in der Pflicht, innerhalb ihres Hoheitsgebiets auch auf solche grundrechtlich relevanten Tätigkeiten einzuwirken, die ihre Wirkung erst im Ausland entfalten. Dies folgt einerseits aus der absoluten Grundrechtsgeltung innerhalb des eigenen Territoriums und andererseits aus dem Erst-recht-Schluss, dass schon eigenes hoheitliches Handeln im Ausland dem Grundrechtsschutz unterliegt und daher das eigene Territorium unter keinem Gesichtspunkt von diesem Schutzumfang ausgenommen werden kann. Wenn also die USA den deutschen Grundrechtsstandard bei Handlungen auf deutschem Boden nicht einhalten, ist es der territoriale Bezug, der es der BRD verbietet, hier tatenlos zuzusehen. So detailliert konnte ich meine Gedankengänge leider nicht im Ausgangsbeitrag darlegen. Auch das Gericht scheint, soweit ich es verstehe, diese Zurechnungskette stillschweigend vorauszusetzen, wenn es von „hinreichend konkreter Bezug zur eigenen hoheitlichen Tätigkeit“ (Rn. 38) spricht.
II. Kampfdrohneneinsätze im Völkerrecht
Hier muss man wohl zwischen dem ius ad bellum (1.) und dem ius in bello (2.) unterscheiden.
1. Ich halte Kampfdrohneneinsätze nach dem ius ad bellum im Ausgangspunkt für völkerrechtlich illegal, weil es sich dabei um Gewaltanwendung handelt. Gewaltanwendung kann allerdings völkerrechtlich unter den von mir genannten Voraussetzungen gerechtfertigt werden. Hier sehe ich die Rechtfertigung unter dem ius ad bellum in der Intervention auf Einladung. Sollte dagegen keine völkerrechtliche Rechtfertigung existieren, bleibt es beim Verstoß gegen das Gewaltverbot. Ich meine, dass sich die Völkerrechtswissenschaft und -praxis in dieser rechtlichen Bewertung eigentlich einig sein dürfte. Eine andere – spannende und sicher noch vertieft diskussionswürdige – Frage ist, ob sich ein von deutschem Boden ausgehender Verstoß gegen das ius ad bellum drittschützend auf die Kläger auswirkt, ein solcher also auch grundrechtliche Schutzpflichten der BRD auslöst oder vielmehr nur das zwischenstaatliche Verhältnis (dann zwischen der BRD und dem Jemen als dann unterstelltes Opfer der Gewaltanwendung) betrifft. Darauf kann und möchte ich hier aber aus Platzgründen im Rahmen meiner (wahrscheinlich ohnehin schon viel zu langen) Antwort nicht eingehen.
2. Nach dem ius in bello können sich die USA auf das humanitäre Völkerrecht berufen, wenn und soweit sie Partei eines bewaffneten Konflikts sind. Sind sie dies nicht, gilt für einen Gewalteinsatz (unabhängig von einem möglichen Verstoß gegen das ius ad bellum) jedenfalls der völkerrechtliche Mindeststandard der Menschenrechte, der m.E. auch drittschützend wirken dürfte. D.h., dass willkürliche Tötungen völkerrechtswidrig sind und dieser Umstand (unabhängig von zusätzlichen Argumenten aus dem ius ad bellum) eine grundrechtliche Schutzpflicht der BRD auslöst, wenn der Verstoß auf einen hinreichend konkreten Bezug zu ihr zurückgeht (wie ich es oben bejahe). Die Bewertung womöglich willkürlicher Tötungen ist aber stets anhand der Tatsachen des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen.
Dies war nun eine ganze Menge an Vertiefung. Ich hoffe, dass ich Deine Fragen einigermaßen zufriedenstellend beantworten konnte und freue mich auf mögliche weitere Diskussionsbeiträge.
Herzliche Grüße aus Köln!
Björn
Lieber Björn,
vielen Dank für Deinen Beitrag! Die Lektüre des Urteils lohnt sich wirklich. Oliver hat die interessanten Dinge schon vorweg genommen, einige Sachen möchte ich gerne noch ergänzend fragen.
1. Grundrechtsbindung
Wenn ich Dich richtig verstehe, dann ist die Bundesrepublik gehalten, aufgrund ihrer Grundrechtsbindung auf ein grundrechtskonformes Verhalten der USA hinzuwirken. Das kann ich gut nachvollziehen (also eine umfassende Grundrechtsbindung Deutschlands).
Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die USA sich grundrechtswidrig verhalten haben? Anders gefragt: Müssen sich die USA im Ausland an deutsche Grundrechte halten? Und wie verhalten sich die deutsche und amerikanische Bindung zueinander?
Um es vorwegzunehmen: Das VG begründet mir eine Grundrechtsbindung der USA nicht überzeugend genug. Ich würde eine solche Bindung der USA an die grundgesetzlichen Grundrechte aus folgenden Gründen auch nicht annehmen.
In Bezug auf das NATO-Truppenstatut statuiert das VG Köln: „Zwar verpflichtet Artikel II des Nato-Truppenstatuts (NTS) die in Deutschland stationierten Streitkräfte dazu, deutsches Recht zu achten. Eine allgemeine, damit korrelierende Befugnis zum ordnungsbehördlichen Einschreiten kennt das Stationierungsrecht jedoch nicht.“ Vielleicht habe ich die entsprechende Stelle überlesen, aber Deine Ergänzung, dass dazu eine Grundrechtsbindung gehört, finde ich im Urteil nicht.
Darüber hinaus finde ich es gewagt, aus Art. II NTS eine solch weitreichende Bindung anzunehmen. Das NTS regelt Stationierungsfragen, also vor allem das Verhalten von Streitkräften im Ausland. Deutlicher: Im verbündeten Ausland. Gegenstand des NTS sind Fragen, die für den Alltag von NATO-Truppen in anderen NATO-Ländern von Bedeutung sind (Zölle, Steuern, Gerichtsbarkeit, Fahrerlaubnis etc.). Die Kriegführung wird durch das NTS nicht erfasst. Folgerichtig kann Art. II NTS auch nur schwer die Anwendung von militärischer Gewalt der USA im Ausland regulieren, selbst wenn diese Gewalt ihren Wurzeln im deutschen Boden hat.
Teilt man diesen Standpunkt, dann stellt sich die Frage, wie sich die fehlende Grundrechtsbindung der USA zu der deutschen Grundrechtsbindung verhält. Wir hätten dann eine Verpflichtung der Bundesregierung, auf ein völkerrechtskonformes Verhalten zu drängen, was aber beim Empfänger anders ankommt, denn die USA sind eben nicht zu 100% an dasselbe Völkerrecht gebunden, wie Deutschland, sondern haben andere Verträge ratifiziert (oder eben nicht). Das deutsche Einwirken verpufft vielleicht. Noch anders: Die USA können so pauschal völkerrechtskonformes Verhalten zusichern, weil sie eine andere Position vertreten (s. nächster Punkt).
Diese Frage des Verhältnisses sei mal dahingestellt.
2. Menschenrechtsbindung
Der erste Punkt ist verknüpft mit der US-Position zu Menschenrechten. Befinden wir uns nicht im bewaffneten Konflikt (dafür gab es ja im Jemen 2012 gute Argumente, wie Du überzeugend darlegst), dann gilt das Gewaltverbot auf der Makroebene und ggf. Menschenrechte für die Individuen. Ich glaube, das „gegebenenfalls“ muss man betonen. Warum? Weil die entsprechenden Verträge extraterritorial nur bei der Ausübung von Hoheitsgewalt anwendbar sind. Diese Anwendungsschwelle muss erst einmal überschritten werden. Wenden wir die Bankovic-Entscheidung auf Drohneneinsätze an, dann unterliegen Drohneneinsätze keinen menschenrechtlichen Schranken. Die USA könnten es sich bzgl. der Menschenrechtskonformität einfach machen und sich freiwillig dem höchsten Menschenrechtsschutzstandard der Welt unterwerfen, nämlich dem der EMRK, und dennoch haben sie schwarz auf weiß, dass Überflug und Bombenabwurf nicht an Maßstab der Menschenrechte zu messen sind. Der Unterschied zwischen Bankovic und dem Jemen ist der (fehlende) Pilot in der Maschine. Da muss man erstmal kontern.
Um hier nicht missverstanden zu werden: Ich finde diese Argumentation im Ergebnis nicht überzeugend und halte Menschenrechte für anwendbar (genauer hier: https://groningenjil.files.wordpress.com/2015/04/grojil_vol1-issue1_frau.pdf).
Die USA vertreten bekanntlich eine noch restriktivere Auslegung der Anwendungsschwelle und meinen, „Hoheitsgebiet“ und „Hoheitsgewalt“ müssten kumulativ vorliegen. An dieser Ansicht halten sie noch immer fest (vgl. UN Doc. CCPR/C/USA/CO/4 vom 23. April 2014, Rn. 4).
Ehrlich gesagt ärgert es mich, dass sich Kritiker von Drohnen nicht mit Bankovic auseinandersetzen und Befürworter die Rechtsprechung des EGRM seit damals übersehen, genauso wie die technischen Unterschiede zwischen bemannten und unbemannten Luftfahrzeugen, die eine Gleichbehandlung meiner Meinung nach ausschließen. Das VG Köln reiht sich da ein, weil es die Frage gar nicht thematisiert. Damit tut es in erster Linie den Opfern und ihren Angehörigen Unrecht und sekundär den beteiligten Staaten.
(Auch das BMVg und die Bundeswehr sind zurückhaltend, was die Frage der Anwendbarkeit von Menschenrechten bei Drohneneinsätzen angeht. Bislang ist die Position der Bundesregierung ja immer, dass sich die Bundeswehr im Ausland an Grundrechte hält. Szenarien wie Jemen dürften für deutsche Drohnen auch nicht in Frage kommen.)
Diese ersten beiden Punkte präzisieren hoffentlich noch einmal das Problem, dass wir hier mittelbar über das Verhalten eines souveränen Staates sprechen. Die rechtliche Bewertung der Handlungen/Unterlassen des Bundesregierung ist, vermute ich, deutlicher in diesem Licht zu sehen, als es das VG Köln getan hat.
3. Völkerrechtskonformität der Drohneneinsätze
Entscheidend ist wirklich, ob die Drohneneinsätze der USA im Jemen völkerrechtswidrig sind. So formuliert wirft das VG Köln ja die Ebenen des Gewaltverbots und der Menschenrechte zusammen, wie Du dargelegt hast. Interessant ist, ob die beiden Ebenen zusammenhängen. Macht der Verstoß gegen Art 2 Nr. 4 UNCh den Einsatz automatisch menschenrechtswidrig?
4. global war on terror
Der Bezug zum Krieg gegen den Terror geht glaube ich fehl. Präsident Obama hat vor einiger Zeit erklärt, dass der „global war on terror“ beendet sei und gerade in Bezug auf Drohneneinsätze wird diese „Rechtsgrundlage“ nicht mehr herangezogen (https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2013/05/23/remarks-president-national-defense-university).
Beste Grüße
Robert
Lieber Robert,
vielen Dank für Deine Anmerkungen! Allein die Tatsache, dass die Reaktionen auf meine kurze (und dennoch die übliche Zeichengrenze eines Juwiss-Blogbeitrags überschreitende) Abhandlung so umfangreich ausfallen, zeigt immer wieder aufs Neue, dass das Urteil des VG Köln natürlich deutlich mehr Rechtsfragen aufwirft als diejenigen wenigen, die ich unter bewusster Inkaufnahme von Lücken selektiert hatte.
Auf die von Dir konkret angesprochenen Punkte möchte ich (diesem Format entsprechend und auf Dein Verständnis hoffend) nur impulsweise eingehen – wohl wissend, dass jeder einzelne mitunter Stoff für nicht wenige wissenschaftliche Abhandlungen liefern kann:
1. Grundrechtsbindung
Die von mir bejahte weite Grundrechtsbindung der BRD, die zu einer Einwirkungspflicht auf die USA führt, erzeugt im Umkehrschluss keine Grundrechtsbindung der USA. Allerdings nehme ich die Formulierung von Art. II NTS, nämlich „die Pflicht, das Recht des Aufnahmestaates zu achten“, sehr wörtlich. Das Recht des Aufnahmestaates ist doch dessen gesamter acquis, also grundsätzlich auch dessen Grundrechte. Deren Bindung ist jedoch nach dem Wortlaut von Art. 1 III GG an die Ausübung wohl nur deutscher Hoheitsgewalt geknüpft; man kann daraus mit guten Gründen schließen, dass die USA dann vielleicht doch nicht an deutsche Grundrechte gebunden sind. Dies befreit sie aber nicht von der grundsätzlichen Achtung deutschen Rechts, insbesondere des Strafrechts. Demnach sind ungerechtfertigte Tötungen i.d.R. jedenfalls als Totschlag, § 212 I StGB, zu qualifizieren. Dies gilt namentlich auch für jeden Mitarbeiter der Air Base, der an gezielten Tötungen beteiligt ist (und auch grundsätzlich keine Immunität genießt). Die Pflicht, solche Tötungen – also Eingriffe in Art. 2 II GG – zu verhindern, statuiert also für die handelnden Akteure das Strafrecht, das seinerseits bereits ein Produkt der grundrechtlichen Schutzpflichten der BRD ist. Diese Schutzpflichten führen sodann nach begangener Tat zu einer Strafverfolgungspflicht. Sind außerdem (weitere) ungerechtfertigte Tötungen zu befürchten, sind deutsche Behörden im Rahmen der Gefahrenabwehr dazu verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen gegen drohende Rechtsverstöße zu ergreifen. Eine solche Maßnahme wäre hier die Einwirkung auf die USA zur Sicherstellung, dass das deutsche (Straf-)Recht geachtet wird. Die völkerrechtliche Bewertung der gezielten Tötungen im Jemen ist in diesem Rahmen eine Frage des materiellen Strafrechts, nämlich der Rechtfertigung einer Tötung in Form eines völkerrechtlichen Erlaubnissatzes. Dann ist die konkrete völkerrechtliche Lage in diesem Fall tatsächlich conditio sine qua non einer deutschen Einwirkungspflicht.
2. Menschenrechtsbindung
Dies restriktive Auslegung der USA zur Bindung an Menschenrechte ist mir natürlich bekannt, ich halte sie aber jedenfalls völkerrechtlich für kaum haltbar. (Zu welch absurden Ergebnissen die kumulative Anknüpfung an Hoheitsgewalt und Staatsgebiet führt, zeigen i.Ü. seit vielen Jahren die US-Aktivitäten in Guantánamo. Mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen.) Interessant finde ich die von Dir ins Feld geführte Parallele zur Banković-Entscheidung des EGMR. Ich meine, dass dessen restriktive Auslegung von Art. 1 EMRK der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass die Vertragsstaaten sich bewusst für ein regionales, in sich abgeschlossenes (und dafür mit hohen Standards ausgestattetes) Rechtsregime entschieden haben und die darin formulierten Standards nur untereinander gelten lassen woll(t)en. Die EMRK konsumiert aber nicht den allgemein völkergewohnheitsrechtlichen (niedrigeren, dafür globalen) Menschenrechtsschutz, wie er etwa in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte seinen Ausdruck findet. Auf ein Herrschaftsverhältnis kommt es dabei (auch wenn die USA ihre nationale Sichtweise gern auf das Völkerrecht übertragen möchten) nicht an. Vor diesem Hintergrund dürfte es eigentlich keinen Unterschied machen, ob Tötungen durch bemannte oder unbemannte Flugkörper durchgeführt werden. (I.Ü. entspräche es der häufig in anderen Rechtsgebieten bemühten „Rosinentheorie“, wollte man den USA tatsächlich zugestehen, sich auf die EMRK – und die „Rosinen“ ihrer beschränkten Anwendbarkeit – zu berufen, ohne sich als Vertragspartei ihren umfangreichen Pflichten zu unterwerfen.)
3. Völkerrechtskonformität Drohneneinsätze
Die Frage, ob ein Verstoß gegen das Gewaltverbot zugleich auch menschenrechtliche Auswirkungen hat, habe ich auch schon in meiner Antwort auf Olivers Anmerkungen (dort unter II.1.) unter dem Stichwort „Drittschutz“ aufgeworfen. Über eine Antwort bin ich mir allerdings noch nicht so recht im Klaren.
4. „global war on terror“
Es ist natürlich zu begrüßen, dass heute auf einen „global war on terror“ jedenfalls seitens des aktuellen US-Präsidenten nicht mehr rekurriert wird. Mein Optimismus in dieser Sache ist aber zu begrenzt, um sicher zu sein, dass diese zweifelhafte Rechtsfigur zukünftig unter keiner weiteren US-Administration wieder aufgegriffen werden würde. Mit anderen Worten: Ich habe mir mein „ceterum censeo“ erlaubt, weil ich noch nicht überzeugt bin, dass die Rede Obamas das Karthago des „Krieges gegen den Terror“ endgültig zerstört hat. Und selbst wenn, dann geschah dies erst 2013, also ein Jahr nach den im Fall des VG gegenständlichen Ereignissen im Jemen.
Herzliche Grüße
Björn