Somewhere over the rainbow – Regenbogenbeflaggung an öffentlichen Gebäuden und staatliche Neutralität

von FIENE KOHN

Anlässlich des Christopher Street Days wehten in Berlin dieses Jahr zum ersten Mal in der deutschen Geschichte Regenbogenflaggen auf dem Bundestag. Von queeren und progressiven Menschen bejubelt, sorgte die neue Beflaggung in anderen Kreisen für große Kritik. Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen des Hissens der Bundesflagge. Wofür steht Schwarz-Rot-Gold? Wann und wie werden die Flaggen geflogen? Und wie verhält sich das Hissen der Regenbogenflagge auf öffentlichen Gebäuden zum Gebot staatlicher Neutralität?

Schwarz-Rot-Gold

Art. 22 Abs. 2 GG stellt ganz nüchtern fest: „Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.“ 1832 im Rahmen des Hambacher Fests als Farben der Freiheit und politischen Einigung Deutschlands das erste Mal genutzt, wurden Schwarz, Rot und Gold in der Weimarer Republik zu den Farben der deutschen Staatsflagge (Art. 3 S. 2 WRV). Ab 1933 wurde diese Flagge schrittweise durch die Hakenkreuzflagge ersetzt. Nach Ende des zweiten Weltkriegs entschieden sich sowohl die Deutsche Demokratische Republik als auch die Bundesrepublik Deutschland für die Farben schwarz, rot und gold.

Als Staatssymbol dient die Bundesflagge der Selbstdarstellung des Staats nicht nur bei offiziellen Anlässen. Sie soll auch als Identifikations- und Integrationssymbol dienen und das gesamte Volk unter sich vereinen. Dabei steht sie für die gesamte freiheitliche demokratische Grundordnung und somit für alle Werte, die die Bundesrepublik verkörpert. Zu diesen Werten gehören vor allem die Grundrechte, also Achtung der Würde jedes – auch queeren – Menschen und Antidiskriminierung. Auch einer der Kritiker der Regenbogenbeflaggung sieht das so: „Unter den Farben Schwarz-Rot-Gold sollte sich jeder versammeln können.“

Dass sich nicht alle queeren Menschen mit den deutschen Staatssymbolen identifizieren können, zeigt sich unter anderem am Christopher Street Day, der in Köln 2020 unter dem Thema „Einigkeit! Recht! Freiheit!“, einem direkten Zitat der staatssymbolischen Nationalhymne, stattfinden sollte. Nach einem Shitstorm ersetzte man das Motto durch „Für Menschenrechte“. Kritisch geäußert hatten sich Betroffene, die auf den schwierigen Umgang des deutschen Staats mit queeren Menschen in Vergangenheit und Gegenwart hinwiesen.

Beflaggungspraxis

Wie sieht es also aus in der Praxis? Ist das Hissen einer anderen Flagge neben der Bundesflagge ein bemerkenswertes Novum?

Ein Blick auf die regelmäßige Beflaggung des Bundestags widerlegt das sofort: neben der deutschen Flagge kann man dort auch die europäische Flagge sehen. Auch das Bekenntnis zur Europäischen Union wird bereits als Teil der Verfassung (Art. 23 GG) durch die schwarz-rot-goldene Flagge abgedeckt, ist aber anscheinend kein Stein des Anstoßes. Die Europäische Union, die sich gerne als „Wertegemeinschaft“ bezeichnet, hat ihre eigenen Probleme mit Diskriminierung queerer Personen in den Mitgliedsstaaten: von den sogenannten „LGBT-free zones“ in Polen bis zum ungarischen Mediengesetz, nach welchem Filme und Bücher über queere Lebensentwürfe nicht verbreitet werden dürfen. Das Europäische Parlament seinerseits hisste 2021 die Regenbogenflagge als Zeichen der Unterstützung für queere Menschen.

Die Beflaggung der Bundesbehörden wird durch den Flaggenerlass der Bundesregierung geregelt. Täglich beflaggt werden dürfen sie nur mit der deutschen und der europäischen Flagge (Art. II Abs. 3). Andere Flaggen bedürfen der Erlaubnis des Bundesinnenministeriums (Art. IV Abs. 4). Zu regionalen Anlässen sind auch die Flaggen der Bundesländer und der Gemeinden erlaubt (Art. IV Abs. 3). Der Bundestag richtet sich in seiner Beflaggung grundsätzlich nach diesem Flaggenerlass. Doch 2022 erließ die Bundestagspräsidentin die neue, umstrittene Anweisung: ab jetzt darf ergänzend auf dem südwestlichen Turm des Bundestags die Regenbogenflagge gehisst werden. Beschränkt ist die Flaggenerlaubnis allerdings auf bestimmte Anlässe wie den Christopher Street Day in Berlin oder den 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie.

Gefährdung der staatlichen Neutralität?

Trotzdem wenden sich immer wieder Menschen gegen die als Solidaritätsbekundung gemeinten Regenbogenflaggen auf öffentlichen Gebäuden. Kläger sahen die negative Weltanschauungsfreiheit, den Schutz der Ehe und der Familie aus Art. 6 GG und insbesondere das Gebot der staatlichen Neutralität verletzt. Gefährdet die Regenbogenflagge auf dem Bundestag die staatliche Neutralität?

Ein staatliches Neutralitätsgebot in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht wird aus Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, 33 Abs. 3 GG und 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1, 4, 137 Abs. 1 WRV abgeleitet. Der Staat darf sich danach nicht mit einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Richtung identifizieren. Weltanschauung ist eine Vorstellung vom Sinn der Welt und der Stellung des Menschen in dieser Welt. Nach allgemeiner Auffassung, auch der Gerichte, steht die Regenbogenflagge für Toleranz, Akzeptanz und Offenheit. Diese (auch verfassungsimmanenten) Werte sind eben keine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Weltgeschehens und damit keine Weltanschauung. So sah das auch das Verwaltungsgericht Dresden im Jahr 2020, das über die Klage eines Bürgers gegen die Regenbogenflaggen am Gebäude des sächsischen Justizministeriums zu entscheiden hatte. Die Regenbogenflagge als Zeichen der Solidarität mit queeren Menschen kann daher nicht gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität verstoßen.

Den Staat trifft auch ein Neutralitätsgebot in politischer Hinsicht aus Art. 38 I i.V.m. Art. 21 I GG. Genau dieses sah im Jahr 2015 ein Kläger gefährdet und wandte sich wegen Beeinflussung seines Rechts auf freie Wahl an das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil v. 03.06.2015 – 33 K 332.14). Das Hissen der Regenbogenflagge direkt neben der Bundesflagge auf Berliner Dienstgebäuden sei mehr als nur politische Öffentlichkeitsarbeit. Die Berliner Richter wiesen die Klage schon wegen Unzulässigkeit ab: der Dresdener sei offensichtlich und eindeutig nach jeder in Betracht kommenden Weise nicht in seinen Rechten verletzt. Einerseits sei der Flaggenerlass als interne Regelung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Andererseits sei die Regenbogenflagge keiner Partei zugeordnet, sodass sich der Staat nicht mit politischen Parteien identifiziere oder sie unterstütze.

Fazit

Die Regenbogenflagge steht für Toleranz, Offenheit und Antidiskriminierung. Genau diese Werte werden auch durch das Grundgesetz, und damit durch die schwarz-rot-goldene Bundesflagge verkörpert. Der Staat verstößt also mitnichten gegen das Neutralitätsgebot, wenn er zeitweise seine öffentlichen Gebäude mit Regenbogenfarben ziert. Neben der Bundesflagge auch die Regenbogenflagge zu hissen, ist weder verboten noch notwendig – aber an bestimmten Tagen ein Zeichen der Solidarität an eine marginalisierte Gruppe

 

Zitiervorschlag: Kohn, Fiene, Somewhere over the rainbow – Regenbogenbeflaggung an öffentlichen Gebäuden und staatliche Neutralität, JuWissBlog Nr. 59/2022 v. 20.10.2022, https://www.juwiss.de/59-2022/.

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Antidiskriminierung, Bundesflagge, Bundestag, Neutralitätsgebot, Regenbogen
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