von MICHAEL WRASE
Dass in der FAZ über juristische Themen geschrieben und gestritten wird, ist nicht neu. Dass sich aber mehrere Mitglieder einer Fakultät über grundlegende Fragen des juristischen Studiums austauschen, ist außergewöhnlich. Der Beitrag beleuchtet die verschiedenen Argumente der Debatte und regt an, sich erneut mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats für die Stärkung der „Juristischen Bildung“ auseinanderzusetzen.
Die Fragen der juristischen Ausbildung sind nach wie vor hochaktuell. Öffentliche Debatten darüber finden dennoch (zu) selten statt. Insofern ist es bemerkenswert, wenn Mitglieder einer Fakultät in einem öffentlichen Medium über Richtung und Inhalte des juristischen Studiums nachdenken und auch streiten. So geschehen vor kurzem in der FAZ, der „heimlichen Juristenzeitung“ (Klaus F. Röhl). Angestoßen wurde die Kontroverse von Peter Oestmann, Zivilrechtler und Rechtshistoriker in Münster. Auf seinen Beitrag folgten Gegenreden seiner Fakultätskollegen Hinnerk Wißmann, Inhaber eines Lehrstuhls im Öffentlichen Recht, und Nils Jansen, wiederum einem Zivilrechtler.
Worum geht es in der Debatte? Und wie lässt sie sich vor dem Hintergrund der Empfehlungen des Wissenschaftsrats zu den „Perspektiven der Rechtswissenschaft“ (dazu mein Beitrag auf dem JuWissBlog) einordnen?
Oestmanns Plädoyer für juristische Bildung
Den Anstoß für die Debatte gab, wie gesagt, Peter Oestmann Anfang Dezember in der FAZ unter der Überschrift „Das freie Denken kommt zu kurz“. Oestmann kontrastiert in seinem Artikel das heutige juristische Studium mit dem Bildungsideal des neunzehnten Jahrhunderts. Bildung habe sich damals nicht auf die Anhäufung von Faktenwissen oder Berufsfertigkeiten bezogen, sondern auf die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit. Es sei beim Studium nicht in erster Linie um Berufsqualifikation gegangen, was Freiheiten des akademischen Lehrens und Lernens ermöglicht hätte, die unter den heutigen Bedingungen verloren gegangen seien. Statt Wissen einzupauken sollten Studenten exemplarisch lernen, wie man selbständig Probleme erkennt und löst. In der heutigen Studienrealität sei es genau umgekehrt. Der Druck, der auf den Studierenden laste, sei von Anfang an hoch:
„Ein fest strukturiertes Studium, engmaschig vorgegebene Leistungskontrollen, eine zur handwerklichen Perfektion getriebene Technik juristischer Falllösungen lassen kaum mehr Luft für Blicke nach rechts oder links über den Tellerrand hinaus“.
Dabei, so meint Oestmann, sei das Studium nicht einfach, auch wenn es wenig mit Wissenschaft zu tun habe. Die Hochschullehrer hätten den Pflichtstoff immer weiter ausgedehnt und überspezialisierte Schwerpunktbereiche eingerichtet. Die Anhäufung von examensrelevantem „Papageienwissen“ sei die Regel, was durch die starke Fixierung auf die Abschlussklausuren noch verstärkt werde.
In seiner kritischen Analyse der momentanen Ausbildungs- und Studienstruktur trifft sich Oestmann in etlichen Punkten mit den Einschätzungen des Wissenschaftsrats. Auch dieser empfiehlt eine Entschlackung des examensrelevanten Pflichtstoffes und fordert, gerade die Schwerpunktbereiche für weiterführende wissenschaftliche und interdisziplinäre Inhalte zu nutzen. Ganz im Sinne Oestmanns empfiehlt der Wissenschaftsrat den Fakultäten, Konzepte für eine umfassend verstandene „Juristische Bildung“ zu entwickeln, „mit denen die Vermittlung von Kontext- und Grundlagenwissen systematisch gestärkt, die Methodenkompetenz zur Erfassung von strukturellen und systematischen Zusammenhängen gefördert und zum Ausgleich das Studium von Detailwissen entlastet wird“. Gerade hierfür bieten die Schwerpunktbereiche den nötigen Gestaltungsspielraum. Oestmann untermauert dies mit der konkreten Forderung, eine Reihe von Pflichtklausuren im juristischen Studium zugunsten von Seminaren und dem Besuch von fachfremden Lehrveranstaltungen zu streichen. Das kann ein guter Weg sein. Die geradezu „revolutionäre“ Forderung von Oestmann, das Staatsexamen zugunsten einer Universitätsprüfung abzuschaffen beziehungsweise gegenüber einer solchen deutlich abzuwerten, dürfte dagegen kaum Realisierungschancen haben.
Abgeschirmte Bürgerlichkeit? – Wißmanns Erwiderung
Problematisch erscheint aus meiner Sicht aber vor allem die Forderung, die juristische Ausbildung der Mehrheit der Studierenden an die Fachhochschulen zu verlagern. Nach Oestmanns Vorstellung soll die Universitätsausbildung nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Studierenden zugutekommen. Denn nur eine Minderheit sei offen für anderes, interessiere sich für die Hintergründe von „Recht, Gericht und Gerechtigkeit“. Nach allem, was wir über die soziale Selektivität elitär strukturierter Bildungseinrichtungen wissen, muss man gegenüber solchen Forderungen skeptisch sein – zumal sich Oestmann auch verfassungsrechtlich (numerus clausus!) auf höchst wackeligem Boden bewegt. Und hier liegt auch ein klarer Widerspruch zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Dieser fordert keine strikte Trennung, sondern vielmehr eine größere Durchlässigkeit zwischen der Ausbildung an den Universitäten und den Fachhochschulen. Dafür würde es in der Tat Sinn machen, auch die juristischen Berufsfelder weiter für Studierende der Fachhochschulen zu öffnen.
Ganz in dem hier vertretenen Sinn repliziert Hinnerk Wißmann („Hier geht es um Indianer, nicht um Häuptlinge“) auf den Beitrag Oestmanns, indem er ihm ein mitunter verklärtes Bild auf die universitäre Juristenausbildung des neunzehnten Jahrhunderts vorhält. Auch im Mittelpunkt der reformierten „modernen Universität“ habe die qualifizierte Ausbildung hoher Staats- und Funktionsämter gestanden, aber dies war eben nur eine Bildung für sehr wenige. In der Gegenwart herrschten andere Bildungsideale:
„Die Hochschulen bilden in Deutschland schon längst nicht mehr nur Häuptlinge, sondern auch Indianer aus. Und es gehört zu den (allerdings gut nachvollziehbaren) Lebenslügen des deutschen Hochschulwesens, dass diese Entwicklung zu einem großen Teil innerhalb der Universitäten stattgefunden hat und nicht zu einer überwiegenden Verlagerung auf die Fachhochschulen geführt hat. Doch irritiert mich sehr, dass eine Trennung der ‚beiden Arten von Studierenden von Beginn an‘ die Lösung sein soll: Denn unser System der großen Universitäten erlaubt jedem Indianer, sich doch noch zum Häuptling aufzuschwingen. Wer wollte im G8-System verantworten, die Studierenden auf ihr Bildungsinteresse mit siebzehn Jahren festzulegen? Das hieße einen Rückmarsch in eine hermetisch abgeschirmte Bürgerlichkeit anzutreten, bei der Eltern für ihre Kinder zu wissen meinen, wie hoch die Ansprüche denn reichen sollen.“
Dogmatische Ausbildung und juristische Bildung
In seiner Forderung, am Staatexamen grundsätzlich festzuhalten, erhält Wißmann von seinem Kollegen Nils Jansen („Bildet Anwälte des Rechts, nicht Rechtstechniker“) Unterstützung. Die Vorzüge des deutschen Wegs sieht Jansen vor allem in Vergleich mit den US-amerikanischen law schools. Dort gebe es kein Staatexamen; und an den Spitzenuniversitäten zähle allein interdisziplinäre Wissenschaft. Leitdisziplinen seien law and economics, legal anthropology, critical legal studies oder law and literature. Man arbeite also nicht mit dogmatischen, sondern mit ökonomischen, politischen, soziologischen oder literaturwissenschaftlichen Methoden. Dem Rechtssystem, so meint Jansen, habe „das nicht gut bekommen. Denn wer auf dogmatische Jurisprudenz mit Verachtung herabschaut, wird nicht leicht ein guter Jurist.“
Ganz ungeachtet der Frage, ob man dieser Analyse der US-amerikanischen Rechtswissenschaft folgen mag (und hier auch nicht – wie es der Wissenschaftsrat tut – so einiges Positive sehen kann oder muss), habe ich den Eindruck, dass sich – bei aller Uneinigkeiten auch in grundsätzlichen Fragen – doch ein gewisser Konsens aus der Münsteraner Debatte herauslesen lässt. Und dieser scheint mir sehr nahe bei dem zu liegen, was der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen 2012 erarbeitet hat: Eine grundsätzliches Festhalten am Staatsexamen bei gleichzeitiger Stärkung der Ausbildung in den sogenannten „Grundlagen“ der Rechtswissenschaft – mit der notwendigen Konsequenz einer (angemessenen) Reduktion des abzuprüfenden Pflichtstoffs in den dogmatischen Fächern. Damit wären gerade die Grundlagenfächer und Schwerpunktbereich der richtige Ort für die Öffnung des juristischen Studiums für stärker wissenschaftliche und interdisziplinär orientierte Inhalte. „Juristische Bildung“ würde damit einerseits den Bezug zur Praxis bewahren, sich aber andererseits weitergehenden Inhalten und Perspektiven öffnen. Eine solche Bildung muss allerdings, das soll nochmal betont werden, allen offenstehen, die daran Interesse haben und die erforderlichen Qualifikationen mitbringen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Alter.
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