Datenschutz und Prüfungsrecht – Was das Nowak-Urteil für das Prüfungswesen bedeutet

von MALTE KRÖGER

KroegerAntworten in Prüfungsarbeiten sind personenbezogene Daten – so hat es der EuGH in der Rechtssache C-434/16 (Nowak) entschieden. Prüflinge können unter Berufung auf das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht Einsicht in ihre Prüfungsarbeiten nehmen. Das Datenschutzrecht verleiht ihnen zudem das Recht, unrichtige Daten zu berichtigen. Ob Prüflinge nun ihre unrichtigen Antworten nachträglich anpassen können und welche Konsequenzen aus dem Urteil für das Prüfungswesen zu ziehen sind, beleuchtet dieser Beitrag.

Die datenschutzrechtlichen Betroffenenrechte (z.B. Rechte auf Auskunft und Löschung von Daten) wurden bislang von Prüflingen selten geltend gemacht, nicht zuletzt weil die Einsicht in Prüfungsarbeiten häufig in den Prüfungsordnungen geregelt ist oder über das Akteneinsichtsrecht eingefordert werden kann. Allerdings kann die Akteneinsicht grundsätzlich nur bei der aktenführenden Behörde erfolgen. Inwiefern Kopien der Prüfungsarbeit erstellt werden dürfen, wird unterschiedlich gehandhabt. Die datenschutzrechtlichen Betroffenenrechte vermitteln zusätzliche Ansprüche. Dass sie Anwendung finden, hat der Gerichtshof in Luxemburg nun entschieden.

Die Nowak-Entscheidung des EuGH

Dass die von Prüflingen verfassten Antworten in Prüfungsarbeiten personenbezogene Daten sind, hatte die irische Datenschutzbehörde im Ausgangsverfahren allerdings bestritten. Sie hatte der Eingabe von Herrn Nowak auf Einsicht in seine Prüfungsarbeit auf Grundlage des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs nicht stattgegeben. Deshalb war die irische Berufsorganisation für Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, bei der Herr Nowak mehrmals eine Prüfung als Trainee Accountant nicht bestanden hatte, nicht verpflichtet gewesen, ihm seine Prüfungsarbeit herauszugeben. Der EuGH jedoch gab Herrn Nowak im Kern Recht.

Der Gerichtshof begnügte sich nicht damit, den Personenbezug unter Verweis auf den Namen des Prüflings oder eine Prüfungsnummer auf dem Deckblatt der Arbeit zu begründen, sondern verwies zusätzlich darauf, dass die Antworten selbst personenbezogen seien, da sie den individuellen Kenntnisstand und das Kompetenzniveau sowie gegebenenfalls Gedankengänge, Urteilsvermögen und das kritische Denken des Prüflings widerspiegelten. Bei berufsbezogenen Prüfungen seien zudem Informationen über berufliche Fähigkeiten und Eignungen gegeben. Ferner lägen bei handschriftlich verfassten Antworten kalligrafische Informationen vor.

Auch die Anmerkungen des Prüfers seien personenbezogene Daten, und zwar des Prüflings. Denn in den Anmerkungen zeige sich die Beurteilung der Leistungen des Prüflings. Dass diese Informationen zugleich personenbezogene Daten des Prüfers sind, stehe dem nicht entgegen, da eine Information einen Personenbezug zu verschiedenen Individuen haben könne.

Können Prüflinge ihre (falschen) Antworten nun im Nachhinein berichtigen lassen?

Selbstverständlich nicht, lautet die Antwort des EuGH, der damit der Empfehlung der Generalanwältin Kokott entsprach. Denn der Berichtigungsanspruch beschränkt sich darauf, dass „unrichtige Daten“ berichtigt werden können. Falsche Antworten eines Prüflings seien aber keine „unrichtigen Daten“, da sie zutreffend den Kenntnisstand und das Kompetenzniveau des Prüflings widerspiegelten.

Eine Berichtigung muss jedoch erfolgen, wenn die Prüfungsleistung unrichtig oder unvollständig dokumentiert ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Teile der Prüfungsarbeit verloren gegangen sind oder die Antworten verschiedener Prüflinge vertauscht wurden. Unrichtige Daten sind auch Anmerkungen des Prüfers, welche die Beurteilung der Antworten des Prüflings nicht richtig dokumentieren.

Keine missbräuchliche Umgehung des Prüfungsrechts durch das Datenschutzrecht

Das Nowak-Urteil setzt die Rechtsprechungslinie des EuGH fort, die sich bereits zuvor in der Rechtssache Breyer gezeigt hatte, nach der der Begriff der personenbezogenen Daten weit auszulegen ist. Dieses weite Begriffsverständnis hat Auswirkungen auf das Datenschutzniveau, denn es bestimmt die Reichweite des Datenschutzrechts. Die extensive Auslegung des EuGH kann als eine datenschutzfreundliche Haltung des Gerichtshofs gewertet werden. Es bedeutet aber auch, dass datenschutzrechtlich Verantwortliche vermehrt IT-Systeme und Personal einsetzen müssen, um die datenschutzrechtlichen Pflichten zu erfüllen, und dass die Rolle der Datenschutzbehörden durch eine Erweiterung der Zuständigkeiten beeinflusst wird.

Der hohe Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 EU-Grundrechtecharta) sollte auch für Prüfungsarbeiten gelten. Gleichzeitig darf das Datenschutzrecht nicht die Funktion von Prüfungen untergraben, die auch darin besteht, aussagekräftige Angaben zu Fähigkeiten und Kenntnissen einer Person zu erhalten. Diese ginge verloren, wenn jeder Prüfling im Nachhinein seine Antworten ändern dürfte. Die Nowak-Entscheidung zeigt, dass es möglich ist, derartige Problemlagen im Rahmen der datenschutzrechtlichen Regelungen zu lösen. Durch die Anwendung des Datenschutzrechts kommt es nicht zu einer missbräuchlichen Umgehung prüfungsspezifischer Regelungen.

Änderungen durch die DS-GVO und zusätzliche Beschränkungen der Rechte der Prüflinge

Im Nowak-Urteil legte der EuGH die EU-Datenschutzrichtlinie aus, die ab dem 25. Mai 2018 durch die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) ersetzt werden wird. Was sich ab Geltung der DS-GVO nicht ändern wird: Antworten in Prüfungsarbeiten sind auch weiterhin personenbezogene Daten. Ändern wird sich hingegen der Umfang der Betroffenenrechte. Prüflingen wird beispielsweise ein Recht auf eine Kopie der Prüfungsarbeiten zustehen (Art. 15 Abs. 3 DS-GVO). Zwar weist der EuGH darauf hin, dass diese Kopie nicht die Rechte und Freiheiten anderer Personen beinträchtigen dürfe, allerdings wird dies bei Prüfungsarbeiten kaum eine Rolle spielen. Denn die Herausgabe der Prüfungsarbeit unter Verweis auf die Rechte des Prüfers zu verweigern, wird in der Regel nicht zulässig sein, da die Anmerkungen des Prüfers ebenfalls personenbezogene Daten des Prüflings sind.

Es ist aus unionsrechtlicher Sicht jedoch zulässig, die Betroffenenrechte auf gesetzlicher Grundlage zu beschränken, und zwar auch speziell in Bezug auf berufliche Prüfungsarbeiten. Für die Bundesländer, die für einen Großteil des staatlichen Prüfungswesens zuständig sind, kann dies bei den anstehenden Anpassungen der Landesdatenschutzgesetze eine Rolle spielen. Sie müssten dabei die Mindeststandards des Art. 23 Abs. 2 DS-GVO berücksichtigen.

Mehr Rechte für Prüflinge und mehr Pflichten für Prüfungseinrichtungen

Das Nowak-Urteil stärkt die Rechte von Prüflingen. Sie können jederzeit verlangen, dass eine Prüfungseinrichtung ihnen Auskunft zu ihren Prüfungsarbeiten gibt. Dieses Recht kann nicht durch Prüfungsordnungen eingeschränkt werden. Die Auskunft muss innerhalb kurzer Fristen erfolgen und ist für die Prüflinge kostenfrei. Soweit die Prüfungsarbeiten unrichtige Angaben zum Prüfling enthalten, müssen diese berichtigt werden.

Zugleich verschärft das Urteil die datenschutzrechtlichen Pflichten von Prüfungseinrichtungen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der DS-GVO. Prüfungseinrichtungen müssen den Prüflingen von sich aus Informationen unter anderem zur Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung, zur Dauer der Speicherung sowie zu den Betroffenenrechten zur Verfügung stellen. Ferner müssen Prüfungsarbeiten so verwahrt werden, dass sie angemessenen technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen entsprechen. Anforderungen wie die Pseudonymisierung von Daten sprechen ferner dafür, auf Prüfungsarbeiten grundsätzlich keine Namen, sondern nur noch Kennziffern (z.B. Matrikelnummern) anzugeben.

Private Prüfungseinrichtungen müssen diese datenschutzrechtlichen Anforderungen ebenfalls einhalten. Sollten sie bislang nicht zur Akteneinsicht verpflichtet gewesen sein, stehen Prüflingen aufgrund des datenschutzrechtlichen Rechts auf Auskunft erweiterte Rechte in Bezug auf ihre Prüfungsarbeiten zu.

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