von STEFAN MICHEL
Die umstrittene Aktion „Neutrale Schule“ der AfD-Fraktionen in Hamburg und zahlreichen anderen Bundesländern ruft neben Fragen der parteipolitischen Neutralität im Unterricht auch datenschutzrechtliche Bedenken hervor. Mit dem Argument, dass parlamentarische Tätigkeiten nicht dem Datenschutzrecht unterfielen, erklärte sich jüngst die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit für die Aufsicht über das Berliner Meldeportal für unzuständig. Dies bietet Anlass für einen genaueren Blick auf das Verhältnis von Datenschutz und parlamentarischer Arbeit sowie deren Grenzen.
Die Meldeportale der AfD
Mit dem Launch mehrerer Informations- und Meldeportale zum Thema Neutralitätspflicht in der Schulbildung ist ein verfassungsrechtlicher Dauerbrenner, nämlich die Frage nach der Äußerungsbefugnis und der Neutralitätspflicht hoheitlicher Stellen, in den Klassenzimmern angekommen. Auf der Webseite wird dazu aufgerufen, bei „plumpem AfD-Bashing“ durch Lehrkräfte, Demonstrationsaufrufen oder einseitiger Gestaltung des Unterrichts gegen die jeweiligen Lehrkräfte vorzugehen (z.B. durch ein Gespräch mit dem Fachlehrer oder der Schulleitung). Zudem bietet die Partei den Service an, Dienstaufsichtsbeschwerden direkt an die Schulbehörde weiterzuleiten, wenn die Betroffenen Repressionen in der Schule fürchten oder sich einem Gespräch mit dem Lehrer nicht gewachsen fühlen.
Die Meldung mutmaßlicher Verstöße erfolgt dabei zunächst über ein Kontaktformular. Die Informationen werden seitens der AfD gesichtet und gespeichert, jedoch nicht veröffentlicht.
Parlamentarische Arbeit und Datenschutzrecht
Besondere datenschutzrechtliche Brisanz erlangen die Angebote dadurch, dass sie jeweils von Fraktionen in den Landesparlamenten betrieben werden. Nach einhelliger Auffassung untersteht die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht dem Datenschutzrecht, soweit sie im Rahmen parlamentarischer Aufgaben erfolgt. Im Hinblick auf lediglich verwaltende Tätigkeiten bzw. fiskalisches Handeln sei das Datenschutzrecht hingegen anwendbar.
Im Sinne der Gewaltenteilung darf das Parlament innerhalb des Kernbereichs seiner Aufgabe als Legislativorgan nicht einer verwaltungsrechtlichen Aufsicht bezüglich der Verarbeitung personenbezogener Daten unterstehen. Die DSGVO macht zu diesem Aspekt keine genauen Vorgaben, was zeitweise Unsicherheit über ihre Anwendbarkeit in den Parlamenten auslöste. Das diesbezügliche Schweigen der DSGVO wird jedoch bei Betrachtung des Art. 2 Abs. 2 lit. a) DSGVO verständlich. Danach findet die DSGVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen von Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. Da die EU nur Rechtsakte im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenzen erlassen kann, erscheint diese Feststellung (selbst-) verständlich. Die Arbeit in den mitgliedstaatlichen Parlamenten innerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts zu begreifen, wäre in Bezug auf nationalstaatliche Autonomie und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung widersinnig. Dementsprechend obliegt es nach wie vor den Mitgliedstaaten, Regelungen für die Datenverarbeitungen innerhalb ihrer Parlamente zu treffen. Da der Grundsatz der Gewaltenteilung jedoch eine (Datenschutz-)Aufsicht der Exekutive über die Vorgänge innerhalb der Legislativorgane verbietet, ist eine Regelung nur im parlamentarischen Binnenrecht möglich.
Datenschutz im Parlament de lege lata
Im Bundestag kam es bislang – trotz dahingehender Initiativen – noch nicht zu einer Verabschiedung einer parlamentarischen Datenschutzordnung. Das BDSG nimmt den Bundestag als öffentlich-rechtliche Einrichtung des Bundes gemäß § 2 Abs. 1 BDSG nicht von seinem Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BDSG) aus. Bei konsequenter Anwendung wäre nach § 1 Abs. 8 BDSG sogar eine entsprechende Anwendung der DSGVO denkbar.
Mehr Rechtssicherheit herrscht zum Teil in den Ländern. So sind der Landtag und die Fraktionen im LDSG Rheinland-Pfalz explizit vom Anwendungsbereich des LDSG ausgenommen. Zugleich wird dem Landtag aufgetragen, sich eine Datenschutzordnung zu geben. Zahlreiche Landesparlamente (u.a. Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg) – nicht aber das Berliner Abgeordnetenhaus – haben sich ähnliche Datenschutzverordnungen auferlegt. Die Bestimmungen gleichen weitgehend den althergebrachten Prinzipien des Datenschutzrechts (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, Einwilligung und gesetzliche Erlaubnistatbestände als maßgebliche Zulässigkeitskriterien, Auskunfts- und Löschungsrechte des Betroffenen). Die Aufsicht erfolgt durch innerparlamentarische Gremien wie Ausschüsse oder Ältestenräte, sodass der Parlamentsbetrieb vor einer exekutiven Aufsicht geschützt ist. Dementsprechend verwundert es nicht, dass die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit sich für unzuständig hielt.
Reichweite der parlamentarischen Aufgaben
Allerdings entbindet auch eine Regelungslücke nur von der Anwendbarkeit des Datenschutzrechts, soweit die Datenverarbeitung im Rahmen von parlamentarischen Tätigkeiten erfolgt. Schließlich besteht bei reinen Verwaltungstätigkeiten keine Gefahr für den durch die Ausnahme geschützten Kernbereich parlamentarischer Tätigkeit. Doch wo sind hier die Grenzen zu ziehen? Ist ein Meldeportal für mutmaßliche Neutralitätsverstöße von Lehrkräften noch parlamentarische Arbeit? Die Berliner Datenschutzbeauftragte legte den Begriff weit aus und gesteht den Parlamentariern insofern auch einen weiten Beurteilungsspielraum zu. Das ist zunächst einmal begrüßenswert. Die von Parteien und Fraktionen verantwortete parlamentarische Willensbildung erfolgt nicht nur durch Beratungen und Abstimmungen im Parlament, sondern gerade auch im Dialog mit der Öffentlichkeit. In der Folge zählen auch die Werbung für den eigenen politischen Standpunkt und allgemein die Kommunikation mit Wählerinnen und Wählern zu den parlamentarischen Tätigkeiten. Eine enge Auslegung würde überdies die Parlamentsautonomie gefährden, zumal diesbezüglich jedes Zugeständnis die parlamentarische Arbeit weniger „verwaltungsfest“ gegenüber den Datenschutzaufsichtsbehörden macht. Dementsprechend ist auch an offensichtlichen Grenzfällen des Begriffs der Parlamentsarbeit Vorsicht geboten. Zwar erscheint sich die Aktion „Neutrale Schule“ auf den ersten Blick fernab von parlamentarischer Arbeit zu bewegen. Zugleich hat sich die AfD (wenn wohl auch nur für die eigene Sache) die strikte Einhaltung des Neutralitätsgebots auf die Fahne geschrieben und ist dafür in zweifellos medienwirksamer Weise in einen Dialog mit der Öffentlichkeit getreten. Mit etwas Fantasie wird dann auch das Schalten eines Informations- und Meldeportals eine Maßnahme zur politischen Werbung und zur „Stärkung eines demokratischen und freien Diskurses“.
Schlupflöcher schließen!
So fragwürdig eine „Aufforderung zum Lehrer-Petzen“ sein mag, so nachvollziehbar ist das Bestreben die parlamentarische Arbeit vom Einfluss exekutiver Aufsicht fernzuhalten. Momentan bewegt sich das Berliner Portal in einer rechtlichen Grauzone, in der es nun gilt, für Rechtssicherheit zu sorgen. Wie andere Bundesländer auch muss das Abgeordnetenhaus die innerparlamentarische Datenverarbeitung regulieren, um Betroffene nicht weitgehend schutzlos zu stellen (unbenommen bleibt freilich die Möglichkeit – Kenntnis von den gespeicherten Einträgen vorausgesetzt –, im Einzelfall zivilrechtlich gegen mögliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorzugehen). Die in der Lehrerschaft herrschende Ungewissheit, welche Daten über sie gespeichert sind, ob und wie diese gegen sie verwendet werden und damit einhergehende Hemmnisse im Unterricht sind geradezu klassische Beispiele für eine Gefährdung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Rechtsgut zu schützen und Gesetzeslücken zu schließen, ist nun zunächst die Verantwortung des Abgeordnetenhauses und anschließend, wie auch in anderen Bundesländern, die Aufgabe der parlamentarischen Aufsichtsgremien.
Zitiervorschlag: Michel, AfD-Aktion „Neutrale Schule“ und Datenschutz in der parlamentarischen Arbeit, JuWissBlog Nr. 96/2018 v. 29.11.2018, https://www.juwiss.de/96-2018/
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