von MAGDALENA OKONSKA
Am Mittwoch, den 26. Juli 2017, hat die Europäische Kommission aufgrund der neusten Justizentwicklungen in Polen in ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause eine neue Empfehlung an den Mitgliedstaat angenommen. Wird dieser dritte Versuch, die Probleme der Rechtsstaatlichkeit zu lösen, jetzt einen Erfolg bringen oder ist das Handeln der EU in diesem Fall überflüssig?
Ursprung der Konfliktlage
Die rechtliche Situation in Polen ist schon seit dem Machtwechsel im November 2015 angespannt. Diese problematische Lage der Justiz wurde unter anderem durch das Verfassungsgerichtshofgesetz vom Juni 2015 und dessen Reform vom November 2015 verursacht, welche zu zwei enorm wichtigen Entscheidungen im Dezember des gleichen Jahres geführt haben. Da die umstrittenen Gesetze gegen die polnische Verfassung verstoßen haben und das Parlament die Urteile des Verfassungsgerichtshofs nicht veröffentlicht hat, hat sich die Kommission am 13. Januar 2016 entschieden, das Verfahren zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit gegen Polen einzuleiten. Die Lage in Polen sollte dann anhand des Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips geprüft werden. Nach einer Sachstandsanalyse hat die Kommission, gestützt auf Art. 292 AEUV, am 27. Juli 2016 und am 21. Dezember 2016 zwei Empfehlungen an Polen gerichtet. Die Kommission war der Auffassung, dass diese Reformen ernste Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit in Polen erzeugt haben. Die Umsetzung rechtskräftiger und verbindlicher Urteile des Verfassungsgerichtshofes gehört ‒ so die Kommission ‒ zu den wichtigsten Voraussetzungen der Rechtsstaatlichkeit.
Weitere umstrittene Justizreformen
Dies ist jedoch noch nicht das Ende der Reformierung des polnischen Rechts und der Justiz. Wie bereits am 14. Juli 2017 berichtet, hat der polnische Sejm neue Reformen des Justizrats, der ordentlichen Gerichte und des Obersten Gericht beschlossen. Diese kontroversen Regelungen haben zu vielen Demonstrationen der polnischen Bürger geführt und weitere Bedenken der Kommission hervorgerufen, da sie gegen das geltende Verfassungsrecht der Republik Polen sowie das EU-Recht verstoßen. Der polnische Präsident Andrzej Duda hat jedoch am 24. Juli 2017 angekündigt, sein Vetorecht bezüglich der Reform des Justizrates und des Obersten Gerichts auszuüben. Das dritte umstrittene Gesetz, das die ordentlichen Gerichte betrifft, wird er hingegen unterschreiben. Der Präsident ist weiterhin der Meinung, dass die jeweiligen Gesetze auf jeden Fall reformiert werden müssten, sie dürften jedoch nicht in der gerade bestehenden Form beschlossen werden. Er hat weiterhin angekündigt, dem Parlament innerhalb von zwei Monaten eigene Gesetzesentwürfe vorzulegen.
Erneute Empfehlung der EU-Kommission und Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens
Aus diesen Gründen hat sich die Versammlung der EU-Kommissare am 26. Juli 2017 entschieden, eine dritte Empfehlung an Polen zu richten. Die Kommissare haben zwar die Ausübung des Vetorechts durch den Präsidenten mit Zufriedenheit wahrgenommen, jedoch sei die schon früher problematische Lage durch die neuen Reformen nur noch verschärft worden. Außerdem habe der polnische Sejm die Probleme der Besetzung des Verfassungsgerichtshofs immer noch nicht gelöst und die umstrittenen Urteile seien noch nicht veröffentlicht, obwohl nach Art. 190 II der Verfassung gefordert. In der Einleitungsrede hat Frans Timmermans auch angemerkt, dass durch die oben genannte Reformen nicht nur polnische Bürger, sondern auch die Unionsbürger betroffen werden und die Unabhängigkeit der Gerichte in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden muss. Laut der neuen Empfehlung soll die polnische Regierung einen Monat Zeit haben, der Europäischen Kommission zu antworten und die bestehenden Missstände zu beheben. Werden in der Zwischenzeit die gegenwärtig tätigen Richter des Obersten Gericht aufgrund der derzeit nicht unterschriebenen Reform in Ruhezustand gesetzt, kündigt die EU an, unverzüglich das Verfahren nach Art. 7 EUV gegen Polen einleiten. Eine solche Versetzung der Richter in den Ruhestand verkürze nämlich ihre verfassungsrechtlich gesicherte Amtszeit ohne ausreichender Rechtfertigung. Die Kommission verschärft dadurch deutlich ihre Tonlage, da ihrer Ansicht nach die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte unmittelbar gefährdet werde. Ein solcher massiver Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit und die Gewaltenteilung müsse sofortige Maßnahmen der EU mit sich bringen. Die Kommission erscheint aufgrund dieser neuen Problemlage fest entschlossen zu sein, den Art. 7 zu aktivieren, wenn die polnische Regierung in diesem Fall nicht kooperieren wird. Damit wird sie auch eine klare Grenze aufzeigen, wann ein Mitgliedstaat mit rechtlichen Konsequenzen rechnen muss.
Die Kommission hat außerdem ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet, da Präsident Duda das Gesetz zur Reform der ordentlichen Gerichte unterzeichnet hat. Das neue Gesetz soll laut der Kommissare eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellen, weil dort ein unterschiedliches Mindestalter für den Ruhestand für weibliche Richter (60 Jahre) und männliche Richter (65 Jahre) festgesetzt wurde. Eine solche Regelung kann gegen Art. 157 AEUV sowie die Richtlinie 2006/54 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeitsfragen verstoßen. Die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte, so die Kommission, erscheint auch in diesem Fall gefährdet zu werden, da der Justizminister dazu ermächtigt wird, nach eigenem Ermessen die Amtszeit von Richtern, die das Ruhestandsalter erreicht haben, zu verlängern und Gerichtspräsidenten zu entlassen und zu ernennen. Solche Regelungen können nämlich einen Verstoß gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht nach Art. 47 EU-Grundrechtecharta darstellen, sodass der Europäischer Gerichtshof gem. Art. 19 Abs. 1 EUV in einem solchen Fall darüber entscheiden kann. Mit diesen geplanten und vorgenommenen Maßnahmen zeigt die Europäische Union, dass sie die kontroversen Reformen nicht mehr dulden wird und schöpft damit fast vollständig die rechtlichen Möglichkeiten aus, die für solche Fälle vorgesehen sind. Ein anderes oder weiterreichendes Handeln der Kommission kann aus rechtlicher Perspektive zur Zeit nicht erwartet werden.
Ausblick und Erfolgsaussichten
Ob die erneute Empfehlung der Kommission einen Erfolg, also die Beseitigung der Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in Polen, für sich verbuchen können wird, erscheint eher unwahrscheinlich. Die polnische Regierung weigert sich schon seit über einem Jahr, die von der EU vorgeschlagenen Maßnahmen vorzunehmen und sieht in ihrem Handeln keine Fehler. Die Kommission gibt Polen mit diesem Schreiben eine letzte Chance, die rechtliche Situation zu verbessern. Ein weiteres Abwarten der EU kommt danach nicht in Frage. Diese klare und eindeutige Haltung der Kommission sowie eine deutlich kürzere Zeit für die Antwort der polnischen Regierung zeigt, dass die EU keinen weiteren Dialog mit Polen führen möchte, sondern die Beachtung des europäischen Rechts und seiner Grundsätze gewährleisten will. Die derzeitigen Reformen der Justiz in Polen haben sie in ihren Bedenken bezüglich der Rechtsstaatlichkeit bestätigt, sodass sie zur Aktivierung des Verfahrens nach Art. 7 EUV entschlossen scheint. Wie bereits im Juli beschrieben, wird meiner Ansicht nach das Einleiten eines solchen Verfahrens wahrscheinlich keine Lösung der Problemlage mit sich bringen, da Viktor Orbán die Ausübung seines Vetorechts in einem solchen Verfahren gegen Polen angekündigt hat. Eine interessante Auslegung dieses Artikels nimmt Kim Scheppele vor, die eine gleichzeitige Einleitung des Verfahrens gegen Ungarn und Polen für erforderlich hält. Ob sich die EU für eine solche Möglichkeit entscheidet, bleibt unklar. Mit der dritten Empfehlung zeigt die Kommission jedoch, dass eine Grenze überschritten wurde und rechtliche Konsequenzen unerlässlich erscheinen. Unabhängig davon, wie ein solches Verfahren in diesem Fall ausgehen wird, macht die EU deutlich, an ihren Prinzipien festhalten und alle Bürger der Union vor unrechtmäßigen Maßnahmen der Staaten schützen zu wollen.