von FELIX THRUN
Dass die AfD nun von Seiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Prüffall, ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“ sowie der sogenannte „Flügel“ um Björn Höcke darüber hinaus als Verdachtsfälle eingestuft werden, ist unter verfassungsschutz- und gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten lange überfällig. Schließlich wurde die Partei DIE LINKE jahrelang durch den Verfassungsschutz beobachtet und wird es hinsichtlich einzelner, als linksextremistisch geltender Gruppierungen noch.
Die zum Teil offen menschen- und demokratiefeindlichen Aussagen von Seiten der AfD sind lange bekannt und rechtfertigen eine Prüfung bzw. einen Verdacht des BfV zweifellos, wie etwa Gärditz auf dem Verfassungsblog klarstellt. Bei aller Zustimmung sollte das Vorgehen des BfV aber auch Anlass zu einer kritischen Reflexion des Umgangs mit potenziell verfassungsfeindlichen Parteien durch den Verfassungsschutz sein.
Auch wenn es nicht das erste Mal ist, dass eine im Deutschen Bundestag vertretene Partei in das Visier der Verfassungsschützer gerät, so legt der „Prüffall AfD“ die Probleme eines Verfassungsschutzes vor politischen Parteien doch in besonderer Weise offen. Denn im Gegensatz etwa zur Linkspartei ist die AfD ideologisch und rhetorisch in der Position, die Konfrontation mit dem Staatsschutz passgenau in ihr Narrativ der „demokratiefeindlichen Altparteien“ einzubinden und populistisch auszunutzen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade der AfD-Vorwurf politischer Instrumentalisierung den Verfassungsschutz für eine Unterminierung der Demokratie instrumentalisiert.
Demokratieschonender Umgang mit politischen Parteien erforderlich
Dieser Aspekt sollte bei der Debatte nicht aus dem Blick geraten und Anlass zu einer verfassungs(schutz)rechtlichen Diskussion sein, wie in Zukunft mit rechtspopulistischen und möglicherweise verfassungsfeindlichen Parteien umgegangen werden soll, ohne den demokratischen Prozess über Gebühr zu beeinträchtigen und Verschwörungstheoretikern argumentativ in die Hände zu spielen. Denn die AfD wird es besser als andere Parteien verstehen, die Paradoxie der wehrhaften Verfassung geschickt als ideologische Angriffsfläche zu nutzen und sich selbst als Verteidigerin der Demokratie zu inszenieren.
Jeder Akt des Verfassungsschutzes zulasten einer politischen Partei, dient er auch letztlich der Verteidigung der Demokratie (oder genauer: der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG), geht zwangsläufig mit einer rechtfertigungsbedürftigen Einschränkung des offenen demokratischen Prozesses einher. In die Abwägung mit einzustellen sind daher nicht allein die Grundrechte der Betroffenen oder das Recht auf Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb, sondern auch die mittelbare Wirkung auf die Demokratie als solcher. Dies gilt auch bereits für „unterschwellige“ Maßnahmen wie der öffentlichen Klassifizierung als Prüffall, mit der unweigerlich eine staatliche Be- bzw. Abwertung verbunden ist. Einem zukünftigen Verlust von Wählerstimmen wird nunmehr der demokratische „Makel“ anhaften, dieser sei nicht auf eine originär demokratieinterne Ablehnung der Wählerinnen und Wähler zurückzuführen, sondern auf staatliche Beeinflussung ihres Wahlverhaltens.
Kooperation mit und Information über politische Parteien als verfassungsrechtliche Probleme
Insofern wirft der Fall auch Fragen zu staatlichem Informationshandeln im Zusammenhang mit einem „Verfassungsschutz gegen politische Parteien“ auf. Dies betrifft in Bezug auf die aktuelle „transparente Berichterstattung“ des BfV insbesondere die Frage, ob mit der öffentlichen Erklärung der AfD bzw. ihrer Teilorganisationen zu Prüf- bzw. Verdachtsfällen dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht ein Bärendienst erwiesen wurde. Gärditz ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er auf folgendes hinweist: „Niemand sollte ein Interesse daran haben, auch diejenigen Teile des (bislang) nicht beobachteten Gesamtverbandes der AfD, die (noch) verfassungskonforme Ziele verfolgen, in die weitere Radikalisierung zu treiben.“ Genau dies droht aber, wenn man einem Fünftel der Partei, die einen zur selbsterfüllenden Prophezeiung kultivierten Opfermythos hegt und sich als Kämpferin gegen ein unrechtsstaatliches System darstellt, von hoheitlicher Seite extremistische Bestrebungen bescheinigt.
Unabhängig von den aktuellen Entwicklungen bleibt das Problem, dass der Verfassungsschutz als staatliche Stelle grundsätzlich nicht in den demokratischen Prozess eingreifen darf. Insofern kritisch zu hinterfragen ist zum einen die Kooperation mit politischen Parteien. Insbesondere „Beratungsleistungen“, wie sie mutmaßlich durch Hans-Georg Maaßen zugunsten der AfD erfolgt sind, stellen sich als unzulässige staatliche Beeinflussungen dar, die den Auftrag des Verfassungsschutzes konterkarieren können. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich eine Beratung auf die Außendarstellung bzw. das Verhalten einzelner Mitglieder erstreckt, denn grade auf diese ist der Verfassungsschutz zur Erfüllung seiner Aufgaben in unverfälschtem Zustand angewiesen. Eine Partei darf nicht aufgrund staatlicher Beratungen in die Lage versetzt werden, existierende verfassungsfeindliche Bestrebungen erfolgreich vor der Außenwelt zu verschleiern. Es braucht klarere Regeln für die Kommunikation und Zusammenarbeit von Staatsschutz und politischen Parteien.
Zum anderen sollte die Information der Öffentlichkeit kritisch hinterfragt werden, insbesondere hinsichtlich eines Prüffalls. Hier muss der Informationswert und die Schutzwirkung für die FDGO gegen die Beeinträchtigung des demokratischen Prozesses abgewogen werden. Tatsächlich geht die Klassifizierung als Prüffall mit keinen besonderen Rechtsfolgen einher und erfolgt unter äußerst vagen Voraussetzungen (im aktuellen Fall: „erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen FDGO ausgerichtete Politik“), hat also rechtlich zunächst keine besondere Bedeutung. Dem gegenüber steht aber eine erhebliche politische Wirkung, insbesondere ein nicht abschätzbarer Effekt auf die Wählerinnen und Wähler. Auch hier bedarf es einer klaren gesetzlichen Regelung, die den Ausgleich zwischen den berechtigten Informationsinteressen der betroffenen Partei und der Öffentlichkeit mit dem staatlichen Neutralitätsgebot sicherstellt.
Fazit
Das Prüfergebnis des BfV hinsichtlich der AfD sollte auch als Prüffall für den Verfassungsschutz genutzt werden. Es bedarf einer gesetzlichen Regelung des Verdachts- und des Prüffalls sowie ihrer öffentlichen Kommunikation, um das Vorgehen des Verfassungsschutzes auf eine legitimierende Grundlage zu stellen und einer argumentativen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes gegen die Demokratie vorzubeugen. Die Auswirkungen auf den demokratischen Prozess müssen stärker in den Blick genommen und auf das Notwendige beschränkt werden.
Zitiervorschlag: Thrun, Die AfD als Prüffall für den Verfassungsschutz, JuWissBlog Nr. 10/2019 v. 22.1.2019, https://www.juwiss.de/10-2019/
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