von MARTIN LEIßING
Im Rahmen der Umsetzung der jüngsten Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) zur Verminderung der Zahl an Corona-Infektionen wurden in den vergangenen Tagen und Wochen in vielen Ländern Regeln für Weihnachtsmärkte erlassen. Solche „Weihnachtsmärkte“ juristisch präzise zu fassen ist allerdings weniger einfach, als es auf den ersten Blick scheint. Daher ist der sprachlichen Ungenauigkeit mithilfe der juristischen Auslegungsmethoden zu begegnen, wobei die spezifische infektionsschutzrechtliche Verortung zu berücksichtigen ist. So lässt sich auch klären, ob es dem Begriff an hinreichender Bestimmtheit und Klarheit mangelt.
Deutschland erlebt aktuell in der vierten Welle der Corona-Pandemie einen Anstieg der Infektionszahlen und eine Abnahme von Kapazitäten auf Intensivstationen, wie es seit Beginn der Pandemie nicht vorgekommen ist. Es verwundert daher nicht, dass die MPK vom 18.11.2021 schärfere Maßnahmen zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens beschlossen hat; zentrales Ziel bleibt die Kontaktreduzierung.
Viele solcher Kontakte können in der Vorweihnachtszeit insbesondere auf Weihnachtsmärkten entstehen (zu Problemen der Untersagung nach der IfSG-Änderung hier). Zwar adressieren die MPK-Beschlüsse diese nicht unmittelbar (sie sind (Kultur‑)Veranstaltungen i.S.d. Ziff. 8 und werden en passant in Ziff. 18 angesprochen); anders dagegen sieht es bei den Landes-Corona-Schutzverordnungen aus. Hier wurden vielfach Sonderregeln für „Weihnachtsmärkte“ wie 2G(-Plus)-Regelungen, besondere Anforderungen an Hygienekonzepte oder auch Maskenpflichtanordnungen aufgenommen (siehe Baden-Württemberg, § 11; Berlin, § 16 Abs. 4, 5; Hamburg, § 18c; Niedersachsen, § 11b; Nordrhein-Westfalen, § 4 Abs. 2 Nr. 5; Sachsen-Anhalt, § 10 Abs. 1; Schleswig-Holstein, § 5 Abs. 5; Verbot in Bayern, § 10 Abs. 2; Brandenburg, § 20 Abs. 2; Sachsen, § 12 und Thüringen, § 29 Abs. 1).
Trotz dieser bisweilen weitreichenden Sonderregeln findet man keine (Legal-)Definition oder Präzisierung des „Weihnachtsmarktes“, was auch vor dem Hintergrund der notwendigen hinreichenden Normbestimmtheit problematisch ist (zu ähnlichen Bestimmtheitsproblemen in Corona-Verordnungen etwa bereits Fischer-Uebler/Thrun, aus der Rechtsprechung exemplarisch OVG Bremen oder der BayVGH). Wenngleich etwa Klagen gerichtet auf die Feststellung, kein Weihnachtsmarkt zu sein, bisher nicht bekannt sind, wurde die Qualifikation als Weihnachtsmarkt zumindest implizit relevant: Wenn z.B. in Gelsenkirchen eine Weihnachtswelt im Hinterhof aufgebaut wird oder wie in Heidelberg ein einzelner Glühweinstand bleiben darf, alle anderen Stände aber geschlossen werden müssen, stellt sich die Frage, wo die Grenze für Weihnachtsmärkte zu ziehen ist. Auch in Bayern werden die Grenzen des Verbots ausgetestet. Deshalb soll im Nachfolgenden die Frage geklärt werden, was ein „Weihnachtsmarkt“ (i.S.d. Verordnungen) ist und insbesondere, ob der Begriff dem bundesverfassungsgerichtlichen Bestimmtheitsgebot genügt. Die Beantwortung der ersten Frage nach dem (infektionsschutzrechtlichen) Weihnachtsmarktbegriff erfordert dabei nicht mehr (aber auch nicht weniger) als die Auslegung des Begriffs im Hinblick auf Wortlaut, „Historie“, Systematik und Telos.
„Weihnachts-Markt“ und allgemeiner Sprachgebrauch
Ausgangspunkt für eine Wortlautanalyse ist zunächst, dass es sich beim Wort „Weihnachtsmarkt“ um ein Kompositum handelt, zusammengesetzt aus den Begriffen „Weihnacht(s)“ und „Markt“. So selbstverständlich dieser Befund wirkt, bleibt er nicht ohne Aussagekraft: Durch den Verweis auf Weihnachten wird eine zeitliche Komponente vorgegeben; der Begriff „Markt“ legt jedenfalls eine Mehrzahl von Ständen nahe, die auf begrenztem Gebiet eine gewisse Zusammengehörigkeit aufweisen.
Auch bei Betrachtung des Alltagsverständnisses des zusammengesetzten Begriffs lassen sich Ansatzpunkte für eine Charakterisierung finden: Glühweinstände, gebrannte Mandeln, Verkaufsstände für allerlei weihnachtlichen „Krimskrams“ – solche Stände dürften vielfach (zurecht) mit einem Weihnachtsmarkt in Verbindung gebracht werden.
Begründungen der Landesverordnungsgeber
Die Bestimmung des Willens der Verordnungsgeber kann am authentischsten über die offiziellen Verordnungsbegründungen erfolgen. Jedenfalls in einigen Bundesländern kann man so Hinweise auf das jeweils intendierte Verständnis des „Weihnachtsmarktes“ i.S.d. Corona-Verordnungen gewinnen.
So ist etwa die Öffentlichkeit ein Kriterium – es gehe um den „Volksfestcharakter“ (Baden-Württemberg, S. 3). Isolierte Stände ohne räumlichen Bezug zueinander sollen vom Begriff mangels Auslösung eines „Markttreibens“ ebenso ausgenommen sein wie mobile Freizeitparks (Niedersachsen, S. 4).
Eine eindeutige Festlegung findet sich in Sachsen-Anhalt, wo nur solche Veranstaltungen erfasst sein sollen, die gewerberechtlich als Jahr- oder Spezialmärkte festgesetzt sind; dem allgemeinen Sprachgebrauch wird keine Bedeutung zugemessen (S. 41). Auch Schleswig-Holstein sieht die gewerberechtliche Festsetzung wohl als maßgeblich an.
Heranziehen gewerberechtlicher Regelungen?
Bei der Suche nach systematischen Anknüpfungspunkten kann zunächst der Blick in die Verordnungen selbst gerichtet werden. Dabei wird zwar oft der Bezug zu größeren Veranstaltungen deutlich. Eine Bestimmung dessen, was nun spezifisch einen Weihnachtsmarkt ausmacht, ist dadurch aber nicht zu erreichen.
Allerdings bleibt noch der systematische Vergleich mit ähnlichen Begriffen in angrenzenden Rechtsgebieten – und bei „Märkten“ rückt, wie auch die Begründungen aus Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein zeigen, insbesondere das Gewerberecht ins Blickfeld: Die Gewerbeordnung (GewO) regelt nämlich in ihrem Titel IV „Messen, Ausstellungen und Märkte“. Und auch wenn der Begriff „Weihnachtsmarkt“ nicht auftaucht, so kennt § 68 GewO doch immerhin den Spezialmarkt (Abs. 1) und den Jahrmarkt (Abs. 2). Die Subsumtion eines Weihnachtsmarktes hierunter kann Schwierigkeiten bereiten (dazu etwa hier, S. 3 f.). Dem soll in diesem Beitrag nicht weiter nachgegangen werden. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass viele Weihnachtsmärkte unter die Spezialregelungen der GewO gefasst werden können.
Allerdings ist aufgrund der unterschiedlichen Regelungsintention die Perspektive der GewO nur bedingt geeignet, Rückschlüsse auf das infektionsschutzrechtliche Verständnis des Weihnachtsmarktbegriffes zu liefern: Schließlich wird hier nur geklärt, ob ein bestimmter (Weihnachts-)Markt unter bestimmte gewerberechtliche Regelungen fällt, nicht aber, was nun ein Weihnachtsmarkt ist und was ihn von anderen Märkten abhebt. Auch ist – sofern nicht besondere Anhaltspunkte bestehen – nicht zwingend davon auszugehen, dass Märkte, die nicht nach der GewO festgesetzt sind, ohne Weiteres ausgenommen sein sollen; so gelten etwa nach § 18c Abs. 2 S. 2 der Hamburger Verordnung die Bestimmungen explizit „unbeschadet einer etwaigen gewerberechtlichen Festsetzung“.
Von Sinn und Zweck der Corona-Weihnachtsmarktregeln
Die Heranziehung des Telos der Norm rückt zunächst die anfangs beschriebene Kontaktreduzierung in den Mittelpunkt. Der Begriff ist also vor dem Hintergrund des Regelungsbedürfnisses zur Kontaktreduzierung auszulegen Dies deckt sich mit den bereits genannten Verordnungsbegründungen, die etwa den „Volksfestcharakter“ und die Öffentlichkeit der Veranstaltung betonen. Soweit explizit auf die GewO Bezug genommen wird, kann darin eine besondere Intention im Hinblick auf Sinn und Zweck zu ersehen sein.
Auch der Umstand, dass Weihnachtsmärkte häufig Orte des Alkoholkonsums sind, könnte teleologisch für die weihnachtsmarktbezogenen Sonderregeln beachtlich sein. Immerhin besteht die Gefahr, dass es bei alkoholinduzierter Enthemmung häufiger zur Missachtung etwa der Abstands- oder Maskenpflicht kommt. Unumstößlich ist dieser Befund allerdings nicht. Insbesondere fehlt es an einer Verankerung im Wortlaut, sodass der Alkoholausschank kein maßgebliches Kriterium darstellt.
Ein Definitionsversuch – und das Bestimmtheitsgebot
Im Rahmen der Auslegung sind nun viele Aspekte angesprochen worden, die den Begriff des Weihnachtsmarktes konturieren bzw. teilweise konkretisieren. Insofern soll nun auch die zweite zu Beginn aufgeworfene Frage angegangen werden – nämlich, ob der Begriff den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben (siehe exemplarisch Rn. 106 ff.) hinsichtlich der Bestimmtheit von Normen genügt. Danach muss etwa das Handeln der Exekutive in gewissem Maße voraussehbar sein und der Bürger in der Lage sein, sein Verhalten nach den geforderten Maßstäben auszurichten. Die Einhaltung dieser Leitlinien ist im Hinblick auf die Auslegung des Begriffes „Weihnachtsmarkt“ zu prüfen.
Nach dem Ergebnis der Auslegung zeigt sich, dass ein Weihnachtsmarkt i.S.d. Verordnungen – bei allen Unschärfen im Detail – zumindest folgende Merkmale erfüllen muss:
- Die Veranstaltung findet in der (Vor-)Weihnachtszeit statt (welche, ohne dass es für Beginn oder Ende völlig strenge Grenzen gibt, mindestens den Zeitraum 1. Advent bis 24. Dezember erfasst).
- Es handelt sich um eine thematisch auf die Advents-/Weihnachtszeit abgestimmte Veranstaltung. Dies kann durch Indizien wie beispielsweise Musik, Dekoration oder Bezeichnungen festgestellt werden. Auch ein „Wintermarkt“ kann erfasst sein; ein religiös-weihnachtlicher Bezug ist nicht erforderlich.
- Es gibt mehrere Stände unter freiem Himmel, an denen Waren, Speisen oder Getränke angeboten werden. Eine Gewinnerzielungsabsicht dürfte nicht notwendig sein, sodass etwa auch rein spendenbasierte Stände und Märkte erfasst sind.
- Es muss eine infektionsschutzrechtliche Relevanzschwelle überschritten werden. Erst, wenn von einer gewissen Anzahl an Besuchern auszugehen ist, besteht ein relevantes Infektionsrisiko. Jedenfalls öffentliche Werbung dürfte die Erfüllung des Kriteriums jedoch indizieren.
Unter Zugrundelegung dieser Punkte ist der Begriff des Weihnachtsmarktes durchaus bestimmbar. Von einer verfassungswidrigen Unbestimmtheit kann angesichts der gefundenen Anknüpfungspunkte wohl kaum ausgegangen werden. Mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot ist daher gegen die Sonderregeln für Weihnachtsmärkte verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.
Zitiervorschlag: Martin Leißing, Was ist eigentlich ein „Weihnachtsmarkt“?, JuWissBlog Nr. 106/2021 v. 02.12.2021, https://www.juwiss.de/106-2021/.
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Hervorragender und sehr schlüssiger Aufsatz!