Können Weihnachtsmärkte nach dem geänderten Infektionsschutzgesetzes nicht mehr untersagt oder beschränkt werden?
von JAN STUMPER
In der Bundestagsdebatte vom 18.11.2021 hinsichtlich der Änderung des Infektionsschutzgesetzes entbrannte eine kontroverse Diskussion zwischen den Abgeordneten. Der Anlass in Form der Gesetzgebungsinitiative inkl. des § 28a VIII Nr. 3 IfSG ist auf der Seite des Bundestags abrufbar. Der spezielle Streit steht exemplarisch für Regelungen im Rahmen der Pandemiebekämpfung, an denen bereits in der Vergangenheit (bspw. hier und hier) kritisiert wurde, sie ließen Eindeutigkeit hinsichtlich der Folgen für die Bevölkerung vermissen. Die beteiligten Abgeordneten selbst scheinen schon nicht in der Lage zu sein, die Regelungsinhalte eindeutig darzulegen. Dies zeigte sich speziell an einer kontroversen Diskussion zwischen CDU und den Ampelparteien über den Gesetzentwurf im Bundestag. Als Beispielfall diente den diskutierenden Abgeordneten die Möglichkeit der Untersagung/Beschränkung von Weihnachtsmärkten.
Das Problem
In der Kritik standen hauptsächlich die Neufassungen des § 28a VII und VIII IfSG sowie das Auslaufen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Abgeordnete der CDU warfen der zukünftigen Ampelkoalition vor, dass mit dem neuen Gesetz generelle Untersagungen oder Beschränkungen von Veranstaltungen generell nicht mehr möglich seien. Dies sei in Anbetracht der gefährlichen Infektionslage unverantwortlich und nicht tragbar.
Verwiesen wurde dabei auf die Formulierung des § 28a VIII 1 Nr. 3 IfSG, in dem Schutzmaßnahmen ausgeschlossen sind, die „die Untersagung von Veranstaltungen (…)“ betreffen. Der Wortlaut scheint insofern eindeutig, dennoch stellten sich verschiedene Abgeordnete gegen diese Auslegung der neuen Norm und verwiesen auf die Gesetzesbegründung. Wie ist dieser Streit nun aufzulösen; können etwa Weihnachtsmärkte keinesfalls mehr nach der neuen Regelung beschränkt werden?
Insbesondere der Abgeordnete Jan-Marco Luczak (CDU) auf der einen Seite und Dirk Wiese (SPD) sowie Marco Buschmann (FDP) und Manuela Rottmann (B´90/Grüne) auf der anderen, stritten ausgiebig über das richtige Verständnis des § 28a VIII IfSG n.F (siehe auch die Live-Übertragung der Debatte von phönix, Ztp: 1:45:00). Aus juristischer Sicht geht es auch um interessante Auslegungsfragen hinsichtlich des Wortlauts, der Systematik und des Telos der neuen Norm des § 28 VIII Nr.3 IfSG.
Inhalt der neuen Regelung
28a VIII 1 Nr. 3 IfSG n.F. sieht zunächst wörtlich vor, dass ein Landesparlament § 28a I–VI IfSG weiterhin für anwendbar erklären kann, ohne dass eine epidemische Lage nationaler Tragweite besteht, sofern in dem jeweiligen Land eine entsprechende Bedrohungslage durch das Virus vorliegt. Gleichzeitig macht § 28a VIII IfSG aber die Einschränkung, dass bestimmte Maßnahmen, die über den allgemeine Katalog nach § 28a I Nr. 1 – 17 IfSG möglich wären, im Fall des § 28a VIII IfSG ausgeschlossen sind (§ 28a VIII 1 Nr. 1–5 n.F.). Nicht möglich – und Ausgangspunkt des oben erwähnten Streits – ist danach auch gem. Nr. 3 „die Untersagung von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften“.
Kernpunkte des Streits
Anhand der ersten Variante („Veranstaltungen“) meinte Herr Luczak (CDU) nun durch wörtliche Auslegung ermittelt zu haben, dass keinerlei Veranstaltung, egal welcher Art und zu welchem Zweck, mehr entsprechend beschränkt werden könnte. Allein der Wortlaut scheint dies auch so herzugeben. Insbesondere die folgende Abgrenzung zu Ansammlungen und religiösen Veranstaltungen deutet eigentlich darauf hin, dass mit „Veranstaltungen“ nur alle sonstig denkbaren Veranstaltungen gemeint sein könnten.
In einer Intervention der Abgeordneten Rottmann (B`90/Grüne) wies diese aber mit Verweis auf die Gesetzesbegründung darauf hin, dass dort vorgesehen sei, dass „Untersagungen und Beschränkungen von Freizeitveranstaltungen (z.B. Weihnachtsmärkte) nach Absatz 1 Nummer 5“ weiter möglich sein sollten. Herr Luczak entgegnete mit spöttischem Unterton, als Juristin müsse die verehrte Kollegin aber wissen, dass die Gesetzesbegründung keine rechtliche Wirkung entfalte und der Wortlaut eben das Gegenteil suggeriere.
Auslegung der Norm aus systematischer und teleologischer Sicht
Letzte Anmerkung verkennt jedoch, dass aus systematischer Sicht die Formulierung des neuen § 28a VIII 1 Nr. 3 IfSG exakt die gleiche ist, wie jene in § 28a I Nr. 10 IfSG. Im Maßnahmenkatalog des § 28a I IfSG wurde also bisher auch schon zwischen „Veranstaltungen“ nach Nr. 10 und Freizeitveranstaltungen (Nr. 5), Kulturveranstaltungen (Nr.7) oder Sportveranstaltungen (Nr. 8) differenziert. Nun kann man kritisieren, dass diese Unterscheidung missverständlich ist. Denn hier wird der allgemeine Begriff der Veranstaltung mit spezielleren Arten von Veranstaltungen auf eine Abstraktionsstufe gestellt. Gleichwohl scheint innerhalb der bisherigen Regelungssystematik des § 28a I IfSG der Hinweis seitens Frau Rottmann und der Verweis in der Gesetzesbegründung berechtigt. Denn somit wäre der neue § 28a VIII 1 Nr. 3 IfSG lediglich so zu verstehen, dass nur die Beschränkung und Untersagung von Veranstaltungen i.S.d. § 28a I Nr. 10 IfSG untersagt sein soll. „Freizeitveranstaltungen“ und „Kulturveranstaltungen“ hingegen könnten trotz der Regelung des § 28a VIII 1 Nr. 3 IfSG somit entsprechenden Maßnahmen nach § 28a VIII S.1, I Nr. 5,7 IfSG unterzogen werden. Der Blick auf die Systematik unter Einbeziehung der Formulierungen in § 28a I Nr. 10 IfSG gibt daher Frau Rottmann und ihren Kollegen Recht. Für diese Auffassung scheint im Übrigen auch der Zweck des § 28a VIII Nr. 3 IfSG zusprechen, welcher kaum alle Veranstaltungsbeschränkungen unmöglich machen soll, sondern lediglich solche mit Bezug zur Meinungsbildung oder Religionsausübung, oder sonstigen Veranstaltungen, die nicht auch schon über die spezielleren Nummern des § 28 I 1 Nr. 5, 7, 8 IfSG erfasst sind (vgl. Kießling, IfSG, § 28a, Rn. 59.). Gestützt wird dies mit Blick auf § 28a II S.1 IfSG. Dort werden genau jene Maßnahmen, die nun von § 28 VIII Nr. 3 IfSG erfasst werden sollen, auch während des Bestehens der epidemischen Lage nationaler Tragweite schon unter qualifizierte Voraussetzungen gestellt. Die Regelung des § 28a VIII Nr.3 IfSG soll im Ergebnis nur diese nun neu regeln.
Fazit
Insgesamt zeigt der Streit unter den Abgeordneten, dass die Formulierung des § 28a IfSG generell, insofern er von „Veranstaltungen“ spricht, missverständlich ist. Wenn selbst die an dem Gesetz Beteiligten in der (wenn auch hitzigen und spontanen) Debatte keine Auskunft über die intendierten Zusammenhänge und gewollte Auslegung geben können, bedarf es einer generellen Überarbeitung. Eine Klarstellung, dass mit „Veranstaltungen“ nach § 28a I Nr. 10 und § 28a VIII 1 Nr. 3 IfSG eben nicht allgemein alle denkbaren Veranstaltungen gemeint sind, wäre wünschenswert – auch, um den betroffenen Bürgern offenzulegen, mit welchen Freiheitseinschränkungen sie zukünftig ggf. rechnen müssen. Zyniker mögen aber vielleicht behaupten, dass die Unklarheit aus Angst der Politik vor klaren Bekenntnissen für und gegen bestimmte Maßnahmen, gewollt ist. Für den hier strittigen Fall ergibt sich allerdings: Weihnachtsmärkte können auch in diesem Jahr und unter dem geänderten IfSG untersagt oder beschränkt werden, wenn es die Infektionslage fordert.
Stumper, Jan, Veranstaltungen sind nicht gleich Veranstaltungen – Können Weihnachtsmärkte nach dem geänderten Infektionsschutzgesetzes nicht mehr untersagt oder beschränkt werden?, JuWissBlog Nr. 103/2021 v. 23.11.2021, https://www.juwiss.de/103-2021/.
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