von ALEXANDER MELZER
Im vergangenen Jahr erhoben drei Mitglieder des Deutschen Bundestages Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG), um für mehr Transparenz bei den Verhandlungen des transatlantischen Freihandelsabkommens („TTIP“) zu streiten. Was als verfassungsrechtliche Offensive zur Verteidigung der Demokratie startete, fand jedoch vor wenigen Tagen als prozessrechtliche Randnotiz in Luxemburg mit Verweis auf ein Brüsseler Mittagessen ein jähes Ende. Die Klage wurde durch Beschluss des EuG am 9. Februar 2017 (Rs. T-142/16) zu Recht als unzulässig abgewiesen.
Was bisher geschah:
Nach erheblicher Kritik an den sog. „TTIP-Geheimverhandlungen“ zwischen der EU und den USA wurde zunächst den Mitgliedern des Europäischen Parlaments (EP) sowie den Mitgliedern des US-Kongresses Zugang zu den bislang geheimen Verhandlungsdokumenten gewährt. Dieser Zugang schließt eine Einsicht durch sicherheitsüberprüfte Mitarbeiter der Fraktionen und der zuständigen Ausschusssekretariate mit ein. Wenig später, im Dezember 2015, einigten sich die Mitgliedstaaten auf eine Veröffentlichung der Dokumente auch auf Ebene der Mitgliedstaaten (Rastdokument Nr. 14029/15). Neben ausgewählten Behörden sollen auch die Abgeordneten der nationalen Parlamente in einem besonders gesicherten Raum die Möglichkeit haben, die Verhandlungsdokumente einzusehen (Annex I des Ratsdokuments). Ein Zugang durch sicherheitsüberprüfte Mitarbeiter wie im EP ist nicht vorgesehen. Hiergegen regte sich im Deutschen Bundestag schnell Widerstand, da eine genaue Analyse der Dokumente ohne eine Unterstützung von Experten für die Bundestagsabgeordneten nur schwer möglich sei. Eine Schlechterstellung der Mitglieder der nationalen Parlamente im Vergleich zum Europäischen Parlament in Bezug auf die TTIP-Verhandlungen sei nicht zu rechtfertigen.
Wer gegen wen oder was woraus?
Diese Vorfrage, so lernt man bereits im Jurastudium, ist essentiell und regelmäßig im Rahmen der Zulässigkeit einer Klage zu beantworten. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Verfahren, da nicht ganz klar ist, wer hier eigentlich den Dokumentenzugang verbindlich festlegt und wer sich wie zulässigerweise gegen diese Regelung wehren kann. Die Kläger argumentieren hierzu wie folgt (vgl. Klageschrift): Die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV der Bundestagsabgeordneten richtet sich gegen die Entscheidung der Kommission, parlamentarischen Mitarbeitern den Zugang zu den Verhandlungsdokumenten zu verwehren. Für die Klägerseite war offensichtlich, dass die Kommission zusammen mit den USA das betreffende Zugangsregime im Rahmen einer völkerrechtlichen Vereinbarung verbindlich festlegte. Daher solle auch die auf den Abschluss einer solchen Vereinbarung gerichtete Willenserklärung der Kommission Klagegenstand sein. Hilfsweise werde der Anordnungsbeschluss der Kommission zur Verbindlichkeit des lediglich politisch ausgehandelten Zugangsregimes Klagegegenstand. Weiterhin seien die Abgeordneten des Deutschen Bundestages als juristische Personen i.S.d. Art. 263 Abs. 4 AEUV zu qualifizieren. Begründet wird dieser ungewöhnliche Schluss mit einem weiten Verständnis von juristischen Personen im Unionsrecht und dem besonderen Status der Kläger im deutschen Verfassungsrecht. Vor diesem Hintergrund sind die Kläger nach Art. 263 Abs. 4 Var. 2 oder 3 AEUV klagebefugt, da diese durch die Zugangsverweigerung für fachlich versierte Mitarbeiter zu den Dokumenten in ihrer Funktion als Bundestagsabgeordnete unmittelbar und individuell betroffen sind.
Die Antwort aus Luxemburg
Das EuG hat sich in seinem Beschluss zur Klage geäußert – allerdings wohl nicht wie von den Klägern erwartet. Das Gericht machte kurzen Prozess und wies die Klage bereits als unzulässig ab. Die Richter bemängelten, dass den in der Klage definierten Klagegegenständen keine rechtliche Relevanz zukomme, die eine zulässige Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV jedoch voraussetze. Das Gericht führte aus (Rn. 7 ff.), dass sich der zuständige Kommissar bei einem informellen Mittagessen am 11. Dezember 2015 mit dem United States Trade Representative (amerikanischer Handelsbeauftragter) traf. Hierbei wurde dem amerikanischen Verhandlungspartner mitgeteilt, dass die Union beabsichtige, unter anderem den Parlamenten der Mitgliedstaaten Zugang zu den Verhandlungsdokumenten zu gewähren. Einwände gegen diesen Vorschlag hätten die amerikanischen Verhandlungspartner nicht erhoben. Diese Information übermittelte die Kommission kurz darauf dem Rat, sodass der Ausschuss der ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (AStV) sich auf die Zugangsmodalitäten verständigte und diese im Dokument Nr. 14029/15 festhielt. Danach weisen die Handlungen der Kommission allenfalls vorbereitenden Charakter auf und seien nicht als rechtserheblich zu qualifizieren, mithin kein tauglicher Klagegegenstand, so das EuG. Als Klagegenstände i.S.d. Art. 263 AEUV kämen nur solche Handlungen in Betracht, die verbindliche Rechtswirkungen zeitigen und geeignet sind, den Kläger in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Das Gericht deutete zudem an, dass es den AStV als eigentlichen Urheber des Zugangsregimes betrachtet. Sämtliche Handlungen der Kommission wirkten lediglich auf die Verständigung im AStV hin. Schließlich konnten die Kläger keinen Nachweis erbringen, der die Aussage der Kommission widerlege, dass keine verbindliche völkerrechtliche Absprache mit den USA oder ein Anordnungsbeschluss der Kommission zum Dokumentenzugang existiere.
Die einzelnen Bundestagsabgeordnete sind für das Unionsrecht „nur“ einfache Bürger
An dem Beschluss des Gerichts gibt es kaum etwas auszusetzen. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann vielleicht, dass die Erklärungen der Kommission zur Nichtexistenz möglicher Vereinbarungen mit den USA so unkritisch vom EuG akzeptiert werden. An der Schilderung, man habe lediglich bei einem Mittagessen über den Umgang bisher streng geheimer Dokumente geplaudert und die amerikanischen Partner hätten nach dem hors-d’œuvre ohne eine schriftliche Fixierung einer substanziellen Erweiterung des bisherigen Kreises der Zugangsberechtigten zugestimmt, bestehen berechtigte Zweifel. Verantwortlich für das schnelle Ende des Verfahrens ist aber nicht das Gericht, sondern sind die Kläger selbst. Klüger wäre es gewesen, den sicheren Weg zu gehen und direkt die im Ratsdokument durch den AStV niedergelegten Modalitäten anzugreifen.
Allerdings wäre dann noch die Frage nach der Klagebefugnis der Kläger gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV zu beantworten, wozu das Gericht sich mangels eines tauglichen Klagegenstandes nicht mehr äußern musste. Nach Art. 263 Abs. 4 Var. 2 oder 3 AEUV müssen sog. teilprivilegierte Kläger vom angegriffenen Rechtsakt zumindest unmittelbar betroffen sein. Eine Betroffenheit liegt dann vor, wenn die angegriffene Handlung der Unionsorgane die Kläger in irgendeiner Weise beschwert und diese nicht nur potentiell betroffen sein könnten. Zu Erinnerung, nicht die Mitarbeiter der Abgeordneten klagen hier auf Zugang zu den Verhandlungsdokumenten, sondern die Abgeordneten klagen selbst für den Zugang ihrer Mitarbeiter. Daher ist bereits fraglich, ob in diesem Fall eine Betroffenheit vorliegt, da den Abgeordneten selbst Zugang zu den Dokumenten gewährt wird. Art. 263 Abs. 4 AEUV ist im Hinblick auf den sich aus dem deutschen Verfassungsrecht ergebenden besonderen Status der Kläger blind. Die Bundestagsabgeordneten sind aus der Perspektive des europäischen Prozessrechts natürliche Personen. Eine Qualifikation der Kläger als juristische Personen, um damit eine unmittelbare Betroffenheit ihrer Funktion als Parlamentarier durch den Zugangsausschluss der Mitarbeiter zu konstruieren, ist abwegig. Daher wären in diesem Fall die Abgeordneten auch nicht klagebefugt gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV.
Was wären die Alternativen gewesen?
Das durch die Klage verfolgte wichtige Ziel, mehr Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen zu schaffen, hätte man möglicherweise auch auf anderem Wege effektiver erreichen können. Bevor man den Weg nach Luxemburg auf Sicht nimmt, hätte man zunächst schneller und kostengünstiger in Berlin für mehr Transparenz streiten können. Der tatsächliche Zugang zu den Dokumenten wird erst in Deutschland durch die Ministerialverwaltung oder die Parlamentsverwaltung ermöglicht. Bei dieser verwaltungsrechtlichen Entscheidung wäre das betreffende Ratsdokument unter Berücksichtigung des Grundgesetzes und des EUZBBG so auslegen, dass auch ausgewählten parlamentarischen Mitarbeitern der Dokumentenzugang möglich wäre. Zumal im Ratsdokument ausdrücklich auf eine Erweiterung der Zugangsberechtigung verwiesen wird, soweit das nationale Verfassungsrecht dies erfordere (Ratsdokument 14029/15, Nr. 4 Fn.1 spricht von sog. „other government officials“). Hierunter könnte man eventuell auch Mitarbeiter der Ausschusssekretariate subsumieren. Sollte die Verwaltung sich hierauf nicht einlassen, könnten die Bundestagsabgeordneten sich vor einem deutschen Verwaltungsgericht gegen diese Entscheidung wehren. Dabei bestünde auch die Möglichkeit im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens, die Rechtmäßigkeit der Zugangsmodalitäten durch ein Unionsgericht prüfen zu lassen. Daher sollten die Bundestagsabgeordneten auf eventuelle Rechtsmittel gegen diese Entscheidung verzichten und ihr Prozessglück lieber vor einem Berliner Verwaltungsgericht suchen.
Fazit: Ein Mittagessen allein ist noch kein tauglicher Klagegenstand und Bundestagsabgeordnete sind auch nur Menschen, zumindest i.S.d. Art. 263 AEUV.