Am 21. März 2016 hat die Verfahrenskammer III des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) den früheren Vize-Präsidenten des Kongo, Jean-Pierre Bemba, schuldig gesprochen. Der IStGH hat damit nicht nur das erste Mal in seiner Geschichte einen Angeklagten wegen sexueller Gewalt verurteilt, sondern es ist auch das erste Urteil des IStGH, das auf Grundlage der Vorgesetztenverantwort- lichkeit ergeht (Art. 28 IStGH-Statut).
Die Kammer kam einstimmig zu der Überzeugung, dass Bemba verantwortlich ist für die systematische Begehung von Vergewaltigungen und Tötungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Vergewaltigungen, Tötungen und Plünderungen als Kriegsverbrechen im Rahmen des Rom-Statuts. Bemba ist der hochrangigste Politiker, der bislang von dem Weltstrafgericht verurteilt wurde. Das gegen ihn verhängte Strafmaß wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Hintergrund und strafrechtliche Verantwortlichkeit
Die Anklage gegen Bemba bezieht sich auf die Jahre 2002-2003, in welchen in der Zentralafrikanischen Republik ein Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und aufständischen Gruppen herrschte. Nach Überzeugung des Gerichts war Bemba als Anführer der von ihm gegründeten Rebellengruppe Mouvement de Libération du Congo (MLC) den Regierungstruppen der Zentralafrikanischen Republik um Präsident Ange-Félix Patassé militärisch beigesprungen.
Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass die Rebellen des MLC unter Bembas effektiver Kontrolle Massaker, Vergewaltigungen und Plünderungen begingen. Weil Bemba die Macht hatte, die begangenen Taten zu verhindern, dies aber nicht tat, „trug er direkt dazu bei, dass Verbrechen verübt wurden“. Bemba wurde also nicht dafür verurteilt, Vergewaltigungen angeordnet oder selbst begangen zu haben, sondern weil er es als Oberbefehlshaber der MLC-Truppen unterlassen hatte, die ihm bekannten Vergewaltigungen zu verhindern oder gegen sie vorzugehen („Tatverhinderungsmacht“). Das Bemba-Urteil bestärkt damit die Forderung der internationalen Strafjustiz, insbesondere solche Personen strafrechtlich zu verfolgen, die Befehlsgewalt über Armeen und bewaffnete Gruppen haben, sich selbst an sexualisierter Gewalt beteiligen oder diese einfach geschehen lassen.
Die bisherige Bilanz zur Verfolgung sexueller Gewalt
Das Bemba-Urteil ist das vierte in der Geschichte des IStGH. Dem ersten Urteil des IStGH gegen den kongolesischen Rebellenführer Lubanga lagen keine Anklagen zu sexueller Gewalt zu Grunde, weil die Anklagebehörde sich auf die Rekrutierung von Kindersoldaten konzentrierte und sich dagegen entschied, die dokumentierten Fälle sexueller Gewalt – auch nach deren Bekanntwerden – zur Anklage zu bringen. Danach wurden Germain Katanga und Mathieu Ngudjolo wegen Vergewaltigung und sexueller Sklaverei angeklagt. Nachdem die Anklagebehörde jedoch die Anzahl der Opferzeug_innen – wohl aus prozessökonomischen Gründen – halbierte, wurde Ngudjolo freigesprochen. Nur Katanga wurde verurteilt, hinsichtlich der angeklagten Sexualdelikte aber freigesprochen. Im mittlerweile eingestellten Verfahren gegen den kenianischen Präsidenten Kenyatta weigerte sich die Vorverfahrenskammer, Genitalverstümmelungen und Penisamputationen als „sexuelle Gewalt“ anzuklagen, und verfolgte sie stattdessen als „andere unmenschliche Behandlungen“, allerdings ohne zu klären, weshalb Genitalverstümmelungen aus Sicht der Kammer keine sexuelle Gewalt darstellten.
Die Bilanz der bisherigen Verfahren des IStGH illustriert die historische Dimension des Bemba-Verfahrens, in dem die Anklagebehörde die Verfolgung sexueller Gewalt erstmals schwerpunktmäßig betrieben hat. Zum ersten Mal überwogen in einem Völkerstrafprozess die Anzahl der vom Gericht dokumentierten Fälle von Vergewaltigungen die der dokumentierten Tötungen.
Sexuelle Gewalt an Männern
Das Bemba-Verfahren ist auch deshalb beispielhaft, weil sowohl Vergewaltigungen an Frauen als auch an Männern angeklagt und von den Richter_innen bei der Urteilsfindung berücksichtigt wurden. Während des Verfahrens sagte etwa „Zeuge 69“ aus, dass er von zwei männlichen Soldaten anal vergewaltigt wurde, weil er gegen die Vergewaltigung seiner eigenen Frau protestierte. Besonders eindrücklich sind die Aussagen eines männlichen Vergewaltigungsopfers („Zeuge 23“), der aufgrund seiner Position als Ortsvorsteher von Mitgliedern der Bemba-Rebellen vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder vergewaltigt wurde. Auffällig ist, wie die Aussagen den Erfahrungen und Schilderungen weiblicher Opfer von sexualisierter Gewalt ähneln, insbesondere hinsichtlich der erlittenen Traumata, der sozialen Stigmatisierung, der Abkehr und Verstoßung durch Familienangehörige sowie der medizinischen Komplikationen, die sich aus den Vergewaltigungen ergeben. Es ist erfreulich, dass der IStGH – im Gegensatz zu anderen Strafgerichtshöfen – erste Schritte unternimmt, Sexualverbrechen an Männern nicht geschlechtsspezifischer Selektivität zum Opfer fallen zu lassen und bereits in drei Verfahren (Bemba, Ntaganda und Kenyatta) sexualisierte Gewalt an Männern untersucht und zur Anklage gebracht hat.
Der Tatbestand der Vergewaltigung
Das gegenwärtige Völkerstrafrecht entnimmt den Tatbestand der Vergewaltigung der Rechtsprechung der beiden ad hoc-Gerichte für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda sowie den Verbrechenselementen des IStGH-Statuts. Damit kommt dem IStGH die Aufgabe zu, den letzten Stand eines allgemeingültigen Tatbestands wiederzugeben.
Die Definition der Vergewaltigung in den Verbrechenselementen zu Art. 7(1)(g), Art. 8(2)(b)(xxii) IStGH-Statut ist besonders weit gefasst. Danach umfasst die Tathandlung jede Invasion in den Körper des Opfers oder des Täters mit einem Sexualorgan sowie die Penetration des Anus und der Genitalien des Opfers mit einem Gegenstand oder einem anderen Körperteil.
Die Vergewaltigungs-Definition des Bemba-Urteils bestätigt nun den völkergewohnheitsrechtlichen Befund, dass nicht nur die Invasion von Körperöffnungen wie Anus oder Vagina sondern auch die Invasion des Mundes des Opfers durch ein Sexualorgan eine Vergewaltigung darstellen kann (Rn. 101). Gleiches gilt auch für Gegenstände, durch die vergewaltigt wird, sodass bspw. auch das gewaltsame Einführen eines Astes in die Sexualorgane einer Frau eine Vergewaltigung darstellt (Rn. 99). In Anlehnung an die geschlechtsneutrale Ausgestaltung der Vergewaltigungsdefinition hebt die Kammer hervor, dass sowohl der Täter als auch das Opfer der Vergewaltigung jeden Geschlechts sein kann, sodass – im Gegensatz zu den ad hoc-Gerichten – auch die Täterstellung der Frau erfasst wird (Rn. 100).
Die Kammer stellt ferner klar, dass der Tatbestand der Vergewaltigung neben den körperlich-invasiven Handlungen insgesamt vier alternative Tathandlungen umfasst, die selbständig nebeneinander stehen („Gewalt“, „Drohung mit Gewalt oder Zwang“, „Ausnutzen von Zwangsumständen“, „das Opfer war eine willensunfähige Person“). Erst diese Tathandlungen verleihen der körperlich-invasiven Handlung „a criminal character“ (Rn. 102), wobei die Verwirklichung einer Tathandlung zur Tatbestandserfüllung ausreicht. So stellt etwa das „Ausnutzen von Zwangsumständen“ eine eigene Tatalternative dar, bei deren Vorliegen die invasiven Handlungen zur Vergewaltigung werden. Entscheidend daran ist, dass nach Ansicht der Kammer beim „Ausnutzen von Zwangsumständen“ ein Rückgriff auf das (fehlende) Einverständnis des Opfers weder zulässig noch geboten ist: „the victim´s lack of consent is not a legal element of the crime of rape under the Statute“ (Rn. 105). Vielmehr ergebe sich bereits aus dem bloßen Vorliegen von Zwangsumständen – die, wie die Vorverfahrenskammer im Bemba-Verfahren festgehalten hat, bei Bestehen einer Kriegssituation oder einer Völkermordkampagne angenommen werden können – eine Willensbeugung des Opfers, weshalb es auf das Einverständnis des Opfers in solchen Fällen nicht mehr ankomme. Daraus folgt, dass im besonderen Kontext bewaffneter Konflikte weder unmittelbarer Zwang durch den Täter (Nötigungsmittel) noch eine ausdrückliche Nichtzustimmung des Opfers verlangt wird. Das tatbestandlich erforderliche Zwangselement richtet seinen Fokus also nicht auf eine den Willen des Opfers beugende Zwangshandlung des Täters, sondern auf die Zwangssituation, in der sich das Opfer aufgrund der konkreten Begleitumstände der Tat befindet. Im Gegensatz zum deutschen Strafrecht liegt damit der Schwerpunkt der Vergewaltigungsdefinition nicht auf dem entgegenstehenden Willen des Opfers, sondern auf der Ausübung bzw. dem Bestehen von Zwang.
Verfahrenskritik
Während das Urteil im Ergebnis zu begrüßen ist, weist der Gang des Verfahrens einige Schwachstellen auf.
So wurde Bemba ursprünglich nicht nur wegen Vergewaltigung, sondern auch wegen erzwungener Nacktheit als „andere Form sexueller Gewalt“ (Art. 7(1)(g) IStGH-Statut) angeklagt. Im Gegensatz zur Rechtsprechung der ad hoc-Gerichte lehnte die Vorverfahrenskammer des IStGH die Einstufung erzwungener Nacktheit als „andere Form sexueller Gewalt“ jedoch mit der Begründung ab, dass eine solche Handlung den erforderlichen Schweregrad, wie ihn der Auffangtatbestand explizit voraussetzt („of comparable gravity“), nicht erreiche. Leider hat es die Anklagebehörde in diesem Zusammenhang versäumt, das Erreichen des Schweregrades durch eine Charakterisierung der Erheblichkeitsschwelle näher zu begründen.
Ferner sind die Konkurrenzerwägungen des IStGH im Bemba-Verfahren kritisch zu sehen. Für Verfahren vor internationalen Strafgerichtshöfen ist es geradezu typisch, dass Beschuldigte nicht eines einzelnen, sondern mehrerer Verbrechen angeklagt und Täter häufig wegen derselben Handlung für mehrere Verbrechen für schuldig befunden werden. Der Praxis der ad hoc-Gerichte entsprechend hatte die Anklagebehörde die von ihr ermittelten Vergewaltigungen sowohl als Folter (Art. 7(1)(f) IStGH-Statut) als auch als Vergewaltigung (Art. 7(1)(g) IStGH-Statut) angeklagt. Die Vorverfahrenskammer hingegen ließ den Tatbestand der Folter bereits im Stadium der Anklagebestätigung (confirmation of charges) hinter die Vergewaltigung zurücktreten, obwohl dies dem in der völkerstrafrechtlichen Konkurrenzenlehre herrschenden Celibici-Test entgegensteht. Danach sind Tatbestände stets dann nebeneinander anwendbar, wenn jeder von ihnen mindestens ein Merkmal enthält, das der jeweils andere nicht voraussetzt, wie es für Folter und Vergewaltigung der Fall ist. Auch wenn es nahe liegt, die Verfolgung eines einzigen Tatbestands mit dem Gedanken der Prozessökonomie zu begründen, hat dies zur Folge, dass die Tatsachenfeststellung im Verfahren verkürzt und die Schwere der Tat nicht in vollem Umfang ermittelt werden kann. Insbesondere bei Vergewaltigungen besteht dann die Gefahr, dass die Folgen der Tat für die Opfer nur ungenau wiedergegeben werden, weil in einem Anklagepunkt nicht das gesamte Ausmaß der Einzeltaten des Täters zum Tragen kommen kann.
Fazit und Ausblick
Fatou Bensouda, die amtierende Chefanklägerin des IStGH, hatte bei ihrem Amtsantritt 2012 beteuert „to continue to prioritize the sexual and gender‐based crimes“. Das Bemba-Urteil kann als Teileinlösung dieses Versprechens gesehen werden. Doch darf es dabei nicht bleiben. Im Bemba-Verfahren wurde mit dem Tatbestand der Vergewaltigung „lediglich“ die Urform sexualisierter Gewalt angeklagt. Darüber hinaus bleiben im Rahmen des Rom-Statuts noch viele Fragen offen, allen voran die Entwicklung einer Definition des Begriffes „sexueller Gewalt“. Während der Begriff gerne etwas ungenau als Sammelbezeichnung für unterschiedliche Sexualverbrechen verwendet wird, kommt ihm im Rahmen des Auffangtatbestands „jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere“ (Art. 7(1)(g) IStGH-Statut) eine Schlüsselfunktion zu. Auch wenn sich mehrere Kammern des IStGH bislang davor gedrückt haben, den Begriff näher zu interpretieren, wird erst eine genauere Definition des konkreten Sexualbezugs in „sexuelle Gewalt“ Aussage darüber treffen können, ob bislang vernachlässigte Formen sexualisierter Gewalt, wie Genitalverstümmelungen, Penisamputationen oder das Abschneiden von Brüsten, künftig als „sexuelle Gewalt“ erfasst werden.