Zeitmangel im Gefängnis – Ein Kommentar zum Beschluss des Landgerichts Stendal vom 20. März 2025

von LORENZ BODE

Das Landgericht Stendal hat eine wichtige Entscheidung getroffen und die Rechte von Gefangenen gestärkt. Der Verfahrenshistorie nach könnte man zwar meinen, dass es sich um keine große Sache handelt, schließlich wurde von der JVA lediglich die Frist für die Erstellung des Vollzugsplans überschritten. Und so oder so sitzt der betroffene Gefangene doch weiterhin im Gefängnis, also kein Grund zur Eile?

(K)ein Grund zur Eile

Wer aber so denkt, nimmt das übergeordnete Vollzugsziel der Resozialisierung entweder nicht ernst oder hat es nicht verstanden. Jedenfalls ist der Sachverhalt alles andere als harmlos. Mehr noch: Er steht exemplarisch für ein Problem, das Gefangene bundesweit haben und das uns alle angeht, aber kaum gesehen wird. Gemeint ist der Zeitmangel. Gefangene haben keine Zeit – klingt komisch, ist aber so: Zeit im Gefängnis wird schnell zur toten Zeit. Vor allem dann, wenn Behandlungs- beziehungsweise Resozialisierungsmaßnahmen (z.B. Lockerungen) nicht oder zu spät eingeleitet werden. Dabei verbüßen die meisten Gefangenen im deutschen Strafvollzug gerade keine hohen oder gar lebenslangen Freiheitsstrafen. Umso wichtiger ist es also, ihren Vollzugsplan zeitnah nach der Aufnahme schriftlich zu erstellen. Dieser Plan ist nämlich, so hat es das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 21. Januar 20032 BvR 406/02 = BeckRS 2003, 21328) ausdrücklich klargestellt, „vom Strafvollzugsgesetz als zentrales Element des dem Resozialisierungsziel verpflichteten Vollzugs konzipiert“. Und weiter: „Als eine Art ‚Gesamt-Fahrplan‘ (…) bildet er das ‚Kernstück‘ eines behandlungsorientierten Vollzugs.“ Zugleich bietet er „einen Orientierungsrahmen“ auch für die Vollzugsbediensteten und enthält nähere Angaben insbesondere zu Arbeits- und Freizeitmaßnahmen sowie zur Unterbringung. Kurzum: Der Vollzugsplan ist nicht irgendein unbedeutender Plan, sondern er ist für Gefangene die zentrale – individuelle – Resozialisierungsgrundlage.

Zur Planerstellung in der JVA

Zur Verdeutlichung: Im vorliegenden Fall stellt sich der zeitliche Verlauf der Planerstellung nach der Entscheidung des Landgerichts Stendal (Beschluss vom 20. März 2025 – 509 StVK 147/24, 509 StVK 148/24 = BeckRS 2025, 6813) wie folgt dar:

Der Gefangene wurde am 15. Dezember 2023 der JVA Burg zugeführt. Es ist zu lesen: „Mit Schreiben vom 01.05.2024 beantragte der Antragsteller zunächst, die Antragsgegnerin zu verpflichten, für den Antragsteller unverzüglich einen Vollzugsplan zu erstellen.“ Später teilte ihm die Anstalt mit, „dass ihr erst ab dem 14.05.2024 die vollständigen Unterlagen wie das Einweisungsurteil und der Bundeszentralregisterauszug zur Durchführung des Diagnoseverfahrens sowie Erstellung des Vollzugsplans vorlagen.“ Aber auch 8 Wochen nach Erhalt der notwendigen Unterlagen lag der Vollzugsplan dem Antragsteller nicht schriftlich vor.“ Schließlich wurde dem Gefangenen der Vollzugsplan am 2. August 2024 übergeben.

Über ein halbes Jahr planlos

Seit Aufnahme in die JVA Burg hat es also über ein halbes Jahr gedauert, bis dem Gefangenen der Vollzugsplan schriftlich vorlag. Das ist zu lang – ungeachtet der Gründe. Gegen § 14 Absatz 2 Satz 1 JVollzGB I LSA, der regelmäßig eine achtwöchige Frist für die Erstellung vorgibt, wurde daher verstoßen. So sieht es auch das Landgericht Stendal (BeckRS 2025, 6813) und findet hierfür deutliche Worte:

„Die regelmäßige Dauer von 8 Wochen (§ 14 JVollzGB I LSA) war bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht unwesentlich überschritten. Ebenso verhält es sich bei einer hypothetischen Entscheidung am 07.07.2024, als der Antragsteller erneut zurecht auf Entscheidung in der Sache drängte, da nunmehr knapp 7 Monate seit Aufnahme in die JVA vergangen waren. Verzögerungen im Justizablauf sind dem Antragsteller in der Regel nicht bekannt und müssen von diesem auch nicht unbegrenzt hingenommen werden.“

Diese Worte des Gerichts sind richtig, wichtig und sie imponieren, denn aus dem Vorgehen der Anstalt spricht eine Nonchalance, die für Außenstehende kaum verständlich ist. Darüber hinaus wird es dem Gefangenen, den man ja eigentlich resozialisieren und an die Einhaltung der Regeln unserer Gesellschaft gewöhnen will, kaum verständlich sein, dass nunmehr er gegenüber der Anstalt um die Einhaltung rechtlicher Vorgaben kämpfen muss.

Hilfreich: Anwesenheitsrecht der Verteidigung und digitaler Austausch

Was also tun? Zwar existiert in allen Landesstrafvollzugsgesetzen bereits die ausdrückliche Pflicht, einen Vollzugsplan zu erstellen, teilweise sogar mit konkreten Zeitvorgaben (siehe exemplarisch auch § 8 Absatz 1 Satz 1 BremStVollzG: „innerhalb der ersten drei Monate nach der Aufnahme“). Zur praktischen Beschleunigung könnte es jedoch hilfreich sein, zusätzlich ein Anwesenheitsrecht der Verteidigung bei der Vollzugsplankonferenz, also der Konferenz, bei der der Vollzugsplan erstellt wird, im Gesetz festzuschreiben. Als Vorbild dient das sächsische Strafvollzugsgesetz: In § 8 Absatz 6 Satz 3 ist bereits geregelt: Die Teilnahme der Verteidigerin oder des Verteidigers ist zu gestatten“. Diese Regelung würde sicherstellen, dass die Verteidigung bei der Erstellung des Plans aktiv beteiligt ist, was den Prozess effizienter gestalten und die Informationsgewinnung verbessern könnte. Ganz ähnlich hat sich auch das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 29. Januar 2001 (Az. 4 Ws 15/2001 = NStZ 2001, 392) positioniert. Der Senat wies darauf hin, dass es im Einzelfall „durchaus sinnvoll sein“ kann, „in der Vollzugsplankonferenz – etwa wenn der Gefangene dort persönlich gehört wird – auch dessen Rechtsanwalt zu hören, insbesondere wenn dieser ihn besonders gut kennt und sich bereits an der Vollzugsplanung beteiligt hat (…) oder der Gefangene selbst nicht ausreichend in der Lage ist, im Rahmen der Vollzugsplanung seine Belange darzulegen und auch eine schriftliche Stellungnahme seines Rechtsanwalts nicht ausreichend erscheint.“ Flankierend sollte geprüft werden, ob der Austausch von Unterlagen zwischen JVA, Gericht und Staatsanwaltschaft verstärkt auf digitalem Wege erfolgen kann, um den Prozess weiter zu beschleunigen.

Am Ende hinterlässt die Stendaler Entscheidung – trotz der klaren Worte des Gerichts – einen faden Beigeschmack. Es bleibt nur zu hoffen, dass es sich um einen Einzelfall handelt.

Der Beitrag gibt ausschließlich die Privatmeinung des Autors wieder.

Zitiervorschlag: Bode, Lorenz, Zeitmangel im Gefängnis – Ein Kommentar zum Beschluss des Landgerichts Stendal vom 20. März 2025, JuWissBlog Nr. 41/2025 v. 13.05.2025, https://www.juwiss.de/41-2025/

Dieses Werk ist unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 lizenziert.

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