von JOHANNES SCHÖN
Strafvollzug erfolgt nicht mehr ausnahmslos „hinter Gittern“. Versehen mit einem Sender am Fußgelenk können Rechtsbrecher unbedingte Freiheitsstrafen auch in der eigenen Wohnung verbüßen. Die Haftform des elektronisch überwachten Hausarrests steht jedoch nicht allen Straftätern in gleicher Weise offen. Das österreichische Strafvollzugsgesetz sieht für bestimmte Sexualdelikte wie Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch oder Kinderpornographie im Vergleich zu anderen (Sexual-)Straftaten strengere Bewilligungsvoraussetzungen vor. Mit dem Erkenntnis VfGH 11.3.2014, G 93/2013 hat der Verfassungsgerichtshof diese Ungleichbehandlung für verfassungskonform erklärt. Im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes steht es dem Gesetzgeber frei, den Zugang zu einer bestimmten Strafvollzugsform auch innerhalb einer Deliktsgruppe differenziert auszugestalten.
Die Fußfessel als alternative Form des Strafvollzuges
Nach zwei erfolgreichen Pilotprojekten wurde im Jahr 2010 im Strafvollzugsgesetz (StVG) die Möglichkeit vorgesehen, den Vollzug einer unbedingten Freiheitsstrafe durch den elektronisch überwachten Hausarrest zuersetzen. Der gesetzlichen Regelung liegen zwei unterschiedliche Modelle der alternativen Haftform zugrunde: Einerseits kann sozial hinreichend integrierten Rechtsbrechern die Verbüßung der Haft in einer Strafvollzugsanstalt gänzlich erspart bleiben (front door-Variante). Andererseits bietet die Fußfessel in Strafhaft angehaltenen Rechtsbrechern im zeitlichen Nahebereich ihrer endgültigen Entlassung eine Hafterleichterung zum Zweck der schrittweisen Wiedereingliederung in die Gesellschaft (back door-Variante). Während durch die front door-Variante die – auch in Österreich – chronisch überfüllten Strafvollzugsanstalten entlastet und der Vollzug kurzer Haftstrafen tunlichst vermieden werden soll, dient die back door-Variante in erster Linie der rascheren Resozialisierung von Strafgefangenen.
Der Strafvollzug in Form des elektronisch überwachten Hausarrests ist auf Antrag des Rechtsbrechers zu bewilligen, wenn die (noch) zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt, der Rechtsbrecher im Inland über eine geeignete Unterkunft verfügt, einer Beschäftigung nachgeht, ein geregeltes Einkommen zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes bezieht, Versicherungsschutz genießt und die Einwilligung der im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen nachweist. Zudem ist eine Risikoprognose hinsichtlich des Missbrauchspotentials anzustellen (§ 156c Abs. 1 StVG). Der Straftäter hat bei Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen – unabhängig von dem der Verurteilung zugrundeliegenden Delikt – einen Rechtsanspruch auf Gewährung der Fußfessel.
Fußfessel(un)taugliche Sexualdelikte?
Veranlasst durch die mediale Entrüstung über die Anhaltung von Sexualstraftätern im elektronisch überwachten Hausarrest verschärfte der Gesetzgeber im Jahr 2013 die Bewilligungsvoraussetzungen: Zusätzlich zu den allgemeinen Kriterien haben bestimmte Sexualdelinquenten nunmehr eine Mindestzeit (die Hälfte der Strafzeit, mindestens jedoch drei Monate) in Strafhaft zu verbringen, bevor die Gewährung der Fußfessel überhaupt in Betracht kommt (§ 156c Abs. 1a StVG). Vom Gesetzgeber als besonders gravierend eingestufte Sexualdelikte sind demnach von der front door-Variante ausgeschlossen. Die Verschärfung betrifft insofern nicht alle strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung: Während u.a. die Vergewaltigung, der sexuelle Missbrauch besonders schutzbedürftiger Personen oder die pornographische Darstellung Minderjähriger (§§ 201 bis 207b öStGB) den additiven gesetzlichen Kautelen unterliegen, bleiben andere Sexualdelikte wie u.a. die Blutschande, der Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses, das Zuführen zur Prostitution oder die Zuhälterei (§§ 208 ff. öStGB) weiterhin auch ohne vorherigen Haftantritt fußfesseltauglich.
Sexualstraftäter vs. sonstige Rechtsbrecher: Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken gegen eine unterschiedliche Behandlung im Strafvollzug
Im nun entschiedenen Fall begehrte ein Sexualstraftäter den Vollzug der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests front door. Er war des Vergehens der pornographischen Darstellung Minderjähriger schuldig erkannt und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden, nachdem auf seinem Rechner kinderpornographisches Material sichergestellt werden konnte. Sein Antrag wurde auf Basis der neuen Rechtslage abgewiesen und eine Bewilligung der Fußfessel erst nach Haftantritt und Verbüßung einer Mindeststrafe in einer Strafvollzugsanstalt für möglich erachtet. Kein Hausarrest ohne vorherigen Gefängnisaufenthalt.
Der Verfassungsgerichtshof prüfte aus Anlass der an ihn herangetragenen Beschwerde § 156c Abs. 1a StVG von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit, der die besonderen Voraussetzungen der Fußfessel für bestimmte Sexualstraftäter enthält. Der Gerichtshof hegte hierbei keinerlei Bedenken gegen die unterschiedliche Behandlung von Sexualstraftätern im Vergleich zu sonstigen Rechtsbrechern im Strafvollzug an sich, da das Sexualstrafrecht in der jüngeren Vergangenheit auch in verschiedenen anderen Bereichen (Verjährung, Probezeit, Tilgung Tätigkeitsverbote) abweichende Regelungen erfahren habe. Demgegenüber äußerte der Verfassungsgerichtshof jedoch zunächst Bedenken angesichts der Differenzierung innerhalb der Gruppe der Sexualstraftäter. Das Gesetzesprüfungsverfahren beschränkte sich demnach auf die Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Fußfessel allen Sexualdelinquenten unter denselben gesetzlichen Bedingungen gewährt werden muss. Anders formuliert: Wie weit reicht der Grundsatz der Gleichbehandlung im Strafvollzug?
Sexualstraftäter vs. Sexualstraftäter: Weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Strafvollzug
Der Verfassungsgerichtshof geht im Ergebnis durchaus nachvollziehbar davon aus, dass der Gesetzgeber – wenn auch nicht ganz konsequent – zwischen „besonders schwerwiegenden bzw. sozialschädlichen“ und „weniger schweren“ Sexualdelikten unterscheidet. Die Schwere manifestiert sich insbesondere in der Höhe der jeweiligen Strafdrohung. Die einzelnen Sexualstraftatbestände schützen unterschiedliche Rechtsgüter (neben der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung auch das Vermögen), verfolgen divergente Zielrichtungen (teilweise handelt es sich bloß um Vorbereitungs- und Ergänzungsdelikte) und unterscheiden sich maßgeblich in ihrer faktischen Bedeutung, weshalb eine Gleichbehandlung von zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilten Sexualstraftätern nicht in jeder Hinsicht geboten ist. In Anbetracht des dem Gesetzgeber auch auf dem Gebiet des Strafvollzuges eingeräumten Gestaltungsspielraumes – so der Verfassungsgerichtshof mit bekannter Formulierung – kann ihm aus gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn er die Voraussetzungen zur Erlangung elektronischer Überwachung als Haftsubstitution für bestimmte Sexualdelikte durch das Erfordernis der Verbüßung einer Mindeststrafzeit strenger fasst. Eine Differenzierung innerhalb der Gruppe der Sexualstraftäter begegnet insofern keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken.
Verfassungsgerichtshof prüft Strafrechtsfolgen am Maßstab des Gleichheitssatzes
Vor dem Hintergrund des grundrechtsinvasiven Charakters von Freiheitsentziehungen und Freiheitsbeschränkungen im Rahmen des Strafvollzuges berührt die Frage der Bewilligung der Haftalternative des elektronisch überwachten Hausarrests die subjektive Rechtssphäre des Rechtsbrechers. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass der vom Verfassungsgerichtshof zu beurteilenden Rechtsfrage kein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zugrunde lag, sondern der Gerichtshof lediglich unterschiedliche Strafrechtsfolgen am Maßstab des Gleichheitssatzes zu beurteilen hatte. Da der Gesetzgeber Sexualstraftäter nicht schlechthin vom Zugang zur Fußfessel (sondern nur von der front door-Variante) ausgeschlossen hat und deliktsunabhängig jedenfalls eine Prüfung der Eignung der Fußfessel als Vollzugsform im Einzelfall vorzunehmen ist, geht der Verfassungsgerichtshof von der Sachlichkeit der in Prüfung gezogenen Sonderbestimmung aus. Die nähere Ausgestaltung der Bewilligungsvoraussetzungen stellt insofern keine verfassungsrechtliche Kategorie dar und obliegt dem weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.