von SÖNKE E. SCHULZ
Die Neufassung der europäischen Richtlinie über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (PSI-Richtlinie) zwingt den deutschen Gesetzgeber zum Handeln. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veröffentlichte vor Kurzem den Entwurf zu einem neuen Informationsweiterverwendungsgesetz (im Folgenden: IWG-E). Gestützt auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Recht der Wirtschaft werden Regeln für den Fall getroffen, dass eine öffentliche Stelle Informationen (eigentlich: Daten) zugänglich macht und deren Weiterverwendung gestattet. Das Ziel, den zunehmenden Open-Data-Bestrebungen einen zeitgemäßen rechtlichen Rahmen zu geben und so die Rechtssicherheit für alle Beteiligten – gerade auch die veröffentlichenden Verwaltungseinheiten – zu erhöhen, steht zu Recht im Mittelpunkt der Novelle. Die weitergehende Öffnung staatlicher Datenbestände ist ein Schritt zur modernen, offenen Verwaltung.
Proaktive Veröffentlichung und unbeschränkter Zugang oder behördliches Ermessen
Ausgangspunkt ist Art. 1 Abs. 1 der PSI-Richtlinie, der den Anwendungsbereich als „vorhandene Dokumente, die im Besitz öffentlicher Stellen der Mitgliedstaaten sind“ beschreibt. Die Weiterverwendung dieser Dokumente (auf Papier oder in elektronischer Form, Ton-, Bild- oder audiovisuelles Material) soll erleichtert werden. Weiterverwendung ist die Nutzung dieser Dokumente durch natürliche oder juristische Personen für kommerzielle oder nichtkommerzielle Zwecke, die sich vom ursprünglichen Zweck im Rahmen des öffentlichen Auftrags, für den die Dokumente erstellt wurden, unterscheiden. Allein die Wahrnehmung einer Information und die Verwertung des dadurch erlangten Wissens stellen keine Weiterverwendung dar. Um Daten öffentlicher Stellen in diesem Sinne und nach den Vorgaben der PSI-Richtlinie verwenden zu können, muss aber ein Zugang bestehen bzw. diese müssen veröffentlicht sein. Der deutsche IWG-Gesetzgeber war – und ist – der Auffassung, Zugang und Weiterverwendung ließen sich separat betrachten. Wenn aber Erwägungsgrund Nr. 8 davon spricht, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten eine eindeutige Verpflichtung auferlegt, alle Dokumente weiterverwendbar zu machen, es sei denn, der Zugang ist im Rahmen nationaler Vorschriften eingeschränkt oder ausgeschlossen, setzt dies eigentlich früher an – nämlich bei (proaktiver) Veröffentlichung und (freiem) Zugang – und stellt das deutsche System des behördlichen Ermessens hinsichtlich des Zugangs infrage.
Verhältnis von Datenzugang und Datenweiterverwendung
Vor diesem Hintergrund scheint es, als würde der deutsche Umsetzungsgesetzgeber auf halber Strecke stehen bleiben. Dies dürfte der begrenzten Bundeskompetenz geschuldet sein. Diese erfasst lediglich die Weiterverwendung der Daten, nicht deren Bereitstellung (die traditionell Regelungsgegenstand der Landesinformationsfreiheitsgesetze ist). Das Verhältnis zwischen Zugang zu staatlichen Daten (bzw. der proaktiven Veröffentlichung) und deren Weiterverwendung (eigentlich: Gestattung der Weiterverwendung) ist – und wird – nicht abschließend geklärt.
Der Bundesgesetzgeber verzichtet nicht nur auf eine klare Positionierung in diesem Punkt, sondern stellt sich damit auch in Widerspruch zum europäischen Recht. Es erscheint fraglich, ob eine Veröffentlichung (zur Weiterverwendung) »aller im Besitz von öffentlichen Stellen« befindlichen Informationen gesetzlich verpflichtend vorgegeben oder ob lediglich eine Verpflichtung ausgesprochen wird, für alle veröffentlichten (»zur Verfügung gestellten«) Informationen (so § 2 Abs. 1 IWG-E) auch die Weiterverwendung zu gestatten. Nur die erstgenannte Variante dürfte dem europäischen Recht entsprechen. Sie ergibt sich aus einer Zusammenschau des neuen Grundsatzes des Art. 3 Abs. 1 RL 2013/37/EU mit dem unveränderten Art. 1 Abs. 1 RL 2003/98/EG. Sieht man im IWG eine ausschließlich auf die Weiterverwendung bezogene Regelung, wäre das Ermessen der Behörde hinsichtlich des „Ob“ der Veröffentlichung – vorbehaltlich der Landesinformationsfreiheits- oder Transparenzgesetze – weiterhin unbegrenzt.
IWG-E: Weiterverwendung bereits veröffentlichter Datenbestände
Die Formulierung im IWG-E spricht für diese restriktive Auslegung. Der Anwendungsbereich wird von § 2 Abs. 1 IWG-E einschränkend definiert, indem er auf das tatsächliche Zurverfügungstellen abzustellen scheint. Ein solches Verständnis würde gegenüber dem aktuellen IWG lediglich eine geringfügige Veränderung darstellen. Bisher besteht jeweils eine gesonderte Entscheidungsbefugnis der öffentlichen Stellen hinsichtlich der Gewährung von Zugang (oder der proaktiven Veröffentlichung) und der Frage, ob auch die Weiterverwendung gestattet werden soll. Lediglich für den Fall der Gestattung der Weiterverwendung wird vom IWG ein (einfachgesetzlicher) Gleichbehandlungsgrundsatz festgeschrieben. Auch nach der Neufassung des IWG bliebe die Veröffentlichungsentscheidung unberührt, sie wäre jedoch im Regelfall mit der Pflicht zur Gestattung der Weiterverwendung verbunden.
PSI-RL: Veröffentlichungspflicht
Die Neufassung der PSI-Richtlinie will aber einen weitergehenden Open-Data-Ansatz realisieren. Sie will den Mitgliedstaaten eine eindeutige Verpflichtung auferlegen, Dokumente weiterverwendbar zu machen, es sei denn, der Zugang ist im Rahmen nationaler Vorschriften eingeschränkt. Maßgeblich ist also nicht die tatsächliche Zugänglichkeit im Sinne einer erfolgten Veröffentlichung durch die Behörde (wie § 2 Abs. 1 IWG-E suggerieren könnte), sondern vielmehr die rechtliche Zugänglichkeit. Nur wo gesetzliche Vorgaben der Mitgliedstaaten einem Zugang entgegenstehen, fehlt es daran. Dafür sprechen auch die Ausnahmen (Art. 2 Abs. 2 RL 2003/98/EG, § 2 Abs. 2 Nr. 3 und 4 IWG-E). Diese beschreiben Fallkonstellationen, die nicht erst der Weiterverwendung entgegenstehen, sondern bereits eine Veröffentlichung delegitimieren. Offensichtlich ist dies beim Verbot, personenbezogene Daten zu veröffentlichen und die Weiterverwendung zu gestatten (Art. 2 Abs. 2 lit. c) cc) RL 2003/98/EG, § 2 Abs. 2 Nr. 6 IWG-E).
Gründe für die Zurückhaltung des Bundesgesetzgebers
Entnimmt man dem europäischen Recht den Grundsatz, dass alle im Besitz öffentlicher Stellen befindlichen Daten zur Weiterverwendung offen stehen sollen, impliziert dies eine Veröffentlichungspflicht, soweit keine Ausnahmen vorliegen. Aus Sicht der betroffenen öffentlichen Stellen mag – angesichts der mit einem umfassenden Open-Data-Ansatz verbundenen Kosten – zwar die vom Bundesgesetzgeber zugrunde gelegte Auslegung vorzugswürdig sein. Es erscheint aber fraglich, ob dies europarechtskonform ist.
Die Zurückhaltung des Bundesgesetzgebers dürfte sich neben kompetenziellen Gründen und einer gewissen Skepsis gegenüber den Open-Government-Data-Bestrebungen auch damit erklären, dass im Fall einer umfassenden Veröffentlichungspflicht die Veröffentlichung nicht wie bisher »Nebenfolge« und »Abfallprodukt« der eigentlichen Aufgabenwahrnehmung ist, sondern eine neue (Verwaltungs-)Aufgabe darstellt. Dafür spricht die Ausrichtung an wirtschaftlichen Zielsetzungen im Sinne der Förderung vor allem des Marktes für Produkte und Dienstleistungen mit digitalen Inhalten, wie sie in § 1 IWG-E zum Ausdruck kommt. Diese unterscheidet sich von den Zielen, die mit den Verwaltungsaufgaben verfolgt werden, in deren Kontext die Daten und Informationen originär anfallen. Insofern ist hinsichtlich der Einbeziehung auch kommunaler Stellen an das Aufgabenübertragungsverbot des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG und – wenn die zulässigen Gebühren und Entgelte den zusätzlichen Aufwand nicht vollständig abdecken – die landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzipien zu erinnern.
Weitergehender Handlungsbedarf
Betrachtet man diese weitergehende Perspektive, wird deutlich, dass der Handlungsbedarf im Bereich Open Data über eine bundesgesetzliche Anpassung des IWG und eine landesrechtliche Modernisierung der Landesinformationsfreiheitsgesetze hinaus geht. Da auch § 12 E-Government-Gesetz des Bundes Vorgaben enthält, droht eine Zersplitterung des »Rechts der staatlichen Informationen«. Es gibt daher gute Argumente, von der bisherigen Praxis der Normierung in verschiedenen, fachspezifischen Gesetzen abzuweichen und einen allgemeingültigen Rechtsrahmen zu schaffen, der die gemeinhin geltenden Grundsätze zu Rechtsregime, Datenschutz, Lizenzen und Nutzungsbedingungen, Kosten und sonstigen Zugangsmodalitäten möglichst einheitlich zusammenfasst und so der Verwaltung und den Nutzern gleichermaßen die erforderliche Rechtssicherheit im Umgang mit geöffneten staatlichen Datenbeständen gibt.