VON ROBERT FRAU UND SIMON GAUSEWEG
Kein Personal – kein Bundestag: Ist das wirklich die geltende Verfassungsrechtslage für den Einsatz bewaffneter oder unbewaffneter deutscher Drohnen im Ausland? Kann die Bundesregierung Drohnen, die in Deutschland gesteuert aber in fremdem Luftraum Kampfhandlungen durchführen, ohne Beteiligung des Bundestags einsetzen? Ist die Gefährdung von BundeswehrsoldatInnen allein ausschlaggebend? Aus der einschlägigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich noch andere Aspekte, die die Verfassungsrechtslage prägen. So sind auch die Auswirkungen deutscher Militäroperationen im Einsatzland und auf die deutschen auswärtigen Beziehungen zu berücksichtigen. Im Ergebnis muss der Bundestag dem Einsatz deutscher Drohnen zustimmen.
Gute alte Verfassungstradition kann zugunsten neuer Entwicklungen aufgegeben werden. Warum sollte also nicht auch der seit 1918 zur deutschen Verfassungstradition gehörende Parlamentsvorbehalt für den Einsatz deutscher Streitkräfte entfallen? Anders gefragt: Warum die Zustimmung des Bundestages für den Einsatz deutscher Drohnen fordern? Nur weil der Parlamentsvorbehalt „mit dem Roten Baron im Hinterkopf“ geschaffen wurde?
Das derzeitige Recht um den Parlamentsvorbehalt steht offenbar kurz vor einer Reform. Der Bundestag hat im März 2014 die Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr des Bundestags eingesetzt. Was sie dem Bundestag empfehlen wird, bleibt abzuwarten.
Eine Umgehung des verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehaltes durch den Einsatz weitestgehend automatisierten und autonomisierten Kriegsgerätes scheint manchen verlockend, bleibt jedoch unzulässig. Unabhängig vom Bericht der Kommission unterliegt der Einsatz sowohl bewaffneter als auch unbewaffneter deutscher Drohnen schon nach der derzeitigen Rechtslage dem Parlamentsvorbehalt. Oliver Daums gegenteilige Einschätzung ist zurückzuweisen. Denn dass die Rechtsgüter deutscher Soldatinnen und Soldaten „Grundmotiv“ des Parlamentsvorbehalts sind, schließt nicht aus, dass es daneben andere Grundmotive des Parlamentsvorbehaltes gibt. Die Bundesregierung kann das Parlament nicht ausschalten, indem sie ausschließlich hochentwickelte Technologien einsetzt und deswegen nicht länger Menschen in ein Krisengebiet entsenden muss. Olivers Handlungsappell ist für uns daher schon aus diesem Grund nicht erforderlich.
Ist der Parlamentsvorbehalt noch zeitgemäß?
Der „Weg fortschreitender Bündnisintegration“, wie der Bundestag in seinem Einsetzungsbeschluss formuliert, bringt, zugegebenermaßen, eine weitgehende Technisierung mit sich, die sich vor allem in gesteigerter Automatisierung und Autonomisierung der Waffensysteme manifestiert. Drohnen, ob bewaffnet oder unbewaffnet, sind dabei nur das prominenteste Beispiel.
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz geht aber noch immer vom „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland“ aus. Die Formulierung weckt Bilder von deutschen Soldaten, die mit Gewehr im Vorhalt durch Kunduz patrouillieren oder vor der Küste Somalias Piratenschiffe aufbringen. An Piloten, die in Zivilkleidung im Einsatzführungskommando Potsdam Kampfdrohnen steuern, welche sich in weit entfernten, krisengeschüttelten Lufträumen aufhalten, um ihren Feierabend im Berliner Umland zu verleben, denkt bei dieser Formulierung wohl niemand.
In der Tat ist es auf den ersten Blick schwierig, unter die Formulierung vom „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland“ auch solche Szenarien zu subsumieren. So geht auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz davon aus, dass ein „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ dann vorliegt „wenn Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist.“
Dennoch: Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz sprechen nicht explizit von bewaffneten „Auseinandersetzungen“, sondern von „Unternehmungen“. Der Begriff ist daher weiter auszulegen als die unmittelbare Anwendung militärischer Gewalt. Dafür spricht schon, dass auch der Einsatz eines unbewaffneten Soldaten als Mitglied eines integrierten NATO-Stabes zur Führung bewaffneter Unternehmungen, Hunderte Kilometer vom Einsatz entfernt, den Parlamentsbeschluss erfordert. Es kommt daher nicht auf die direkte Teilnahme an Kampfhandlungen an, sondern darauf, dass Soldatinnen und Soldaten einen Beitrag zur konkreten Anwendung militärischer Gewalt leisten oder leisten können. Olivers Gleichsetzung von Drohneneinsätzen und Flottenbesuchen verkennt dies.
Sinn und Zweck des Parlamentsvorbehalts
Deutlich macht diese Voraussetzung eines: Der Parlamentsvorbehalt soll helfen, die Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten zu sichern. Die Entscheidung darüber obliegt, im Sinne der von der Gegenposition beleuchteten Wesentlichkeitstheorie, dem Bundestag.
Doch darin erschöpft sich das Grundmotiv des Parlamentsvorbehaltes nicht. Vielmehr zeigen die anderen Facetten dieses verfassungsrechtlichen Instituts, wie modern es ist. Das Verfassungsgericht zentriert seine Argumentation nicht auf Bundeswehrsangehörige. Die Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist viel facettenreicher:
Von zentraler Bedeutung sind neben der Gefährdung deutscher Soldatinnen und Soldaten auch die außenpolitischen Belange Deutschlands und die Auswirkungen auf „andere von militärischen Maßnahmen Betroffene“ – mit anderen Worten, Auswirkungen auf (potentielle) Opfer. Dieses Abstellen auf die Auswirkungen einer deutschen bewaffneten Unternehmung ist Kennzeichen der Modernität des Parlamentsvorbehalts: Es geht eben nicht nur darum, was mit „unseren Jungs“ passiert, sondern auch darum, was der Einsatz der deutschen Streitkräfte anrichtet (der Satz wirkt etwas eleganter ohne die Anführungszeichen – Es ist durchaus gewollt, das „unsere Jungs“ unelegant herauszustellen. wir würden gerne diese furchtbare Formulierung stehen lassen und uns durch die Anführungszeichen von ihr abgrenzen).
Daher ist es missbräuchlich, den Parlamentsvorbehalt nicht für bewaffnete Drohnen gelten zu lassen. Wäre dies der Fall, bezöge sich der Parlamentsvorbehalt also nur auf bewaffnete deutsche Soldatinnen und Soldaten im Ausland – die Exekutive könnte diese Lücke schamlos ausnutzen. Hinge die Reichweite des Parlamentsvorbehalts von der eingesetzten Technik ab, und nicht von den Auswirkungen auf Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, anderen Betroffen und außenpolitische Belange Deutschlands, wäre der Parlamentsvorbehalt im Ergebnis wirkungslos – ein Papiertiger.
Das Verfassungsgericht betont seine andere Auffassung in der Entscheidung zur Luftraumüberwachung in der Türkei (BVerfGE 121, 135) deutlich. Es führt aus, dass der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt „ein wesentliches Korrektiv für die Grenzen der parlamentarischen Verantwortungsnahme im Bereich der auswärtigen Sicherheitspolitik“ darstellt: Der „weit bemessene Gestaltungsspielraum der Exekutive“ endet „mit der Anwendung militärischer Gewalt“. Diese soll der Bundestag nicht nur mittelbar lenken und kontrollieren, sondern die grundlegende, konstitutive Entscheidung treffen. Explizit soll der Bundestag den bewaffenten Außeneinsatz der Bundeswehr verantworten. Der rechtserhebliche Einfluss auf die Verwendung des „Parlamentsheeres“ Bundeswehr kann dabei nur vor Beginn des militärischen Unternehmens ausgeübt werden – nach Beginn der Kampfhandlungen würde ein Mitentscheidungsrecht „maßgeblich zu einer Frage militärischer Zweckmäßigkeit“. Vereinfacht: Wird über die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten in ein Gebiet entschieden, in dem die Bundeswehr bereits (mit Drohnen) schießt, ist es zu spät.
Kurz: Der Bundestag ist zu beteiligen, wenn deutsches militärisches Engagement die auswärtigen Beziehungen Deutschlands fundamental verändern und, im Extremfall, in einem internationalen bewaffneten Konflikt gipfeln kann. Warum diese Risiken mit dem Einsatz von Kampfdrohnen nicht verbunden sein sollten, erschließt sich nicht.
Unbewaffnete Drohnen
Im Ergebnis gilt diese Argumentation gleichfalls für unbewaffnete Drohnen. Schon in der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994ging es nicht um (reine) Kampfeinsätze, sondern um den Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen von AWACS-Flügen, die vor allem der Luftraumaufklärung und -überwachung dienen. AWACS-Flugzeuge sind nicht bewaffnet, können aber allerdings als Einsatzleitzentrale fungieren. Unbewaffnete Drohnen sind mit solchen Einsätzen vergleichbar, auch wenn sie nicht als Einsatzleitzentrale genutzt werden können. Die Übertragung von Aufklärungsdaten in Echtzeit über einen langen Zeitraum hinweg kann zum Schlüssel – oder sogar zur notwendigen Voraussetzung – einzelner Operationen werden. Daher können durch den Einsatz unbewaffneter Drohnen die außenpolitischen Belange Deutschlands in einem Maße betroffen sein, das die Beteiligung des Parlamentes verfassungsrechtlich erforderlich macht.
Ergebnis
Der Parlamentsvorbehalt bleibt auch knapp hundert Jahre nach seiner Einführung ein uneingeschränkt sinnvoller Teil der deutschen Verfassungstradition. Der Parlamentsvorbehalt hat sich nicht überlebt; er ist im Gegenteil so grundlegend und entwicklungsoffen strukturiert, dass nach einer seriösen Auslegung weder bewaffnete noch unbewaffnete Drohnen ohne konstitutive Zustimmung des Bundestags eingesetzt werden dürfen. Zwischen dem Roten Baron und dem „Sensenmann“ in Drohnengestalt mögen technisch und militärisch Welten liegen – verfassungsrechtlich ist es nicht so weit.