Von Emily Mary Laing
Digitale Lehre ist in aller Munde: Wie gestaltet man online Lehre? Was sind Bereicherungen und Herausforderungen? Wie funktioniert es bei Kolleg*innen, was hat sich bewährt? Zugleich fehlt es aber jenseits von allgemeinen Hinweisen an persönlichen Einschätzungen und Erfahrungsaustausch. Mein Erfahrungsbericht soll juristischen Kolleg*innen helfen, ihre digitalen Lehrveranstaltungen zu erstellen und durchzuführen. Ich möchte aufzeigen, wie ich meine Lehre im letzten halben Jahr gestaltet habe, was ich als interessant und bereichernd empfand und wo ich Herausforderungen für digitale Lehre im Allgemeinen wie auch im Konkreten sehe.
Im Herbst- und Wintertrimester 2020/2021 habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Katharina Goldberg eine wöchentliche Übung (AG) im allgemeinen Verwaltungsrecht abgehalten. Die AG ist Pflichtteil des Studiengangs „Rechtswissenschaft für die Öffentliche Verwaltung“ (LL.B.) an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Da die Veranstaltungsreihe zum ersten Mal stattfand, musste ich sie dementsprechend neu konzipieren und vorbereiten. Meine AG hatte zwölf regelmäßig Teilnehmende, der wöchentliche Austausch lief per Videokonferenz über „Microsoft Teams“ und die Lernplattform ILIAS.
Erfahrung – was habe ich getan?
Meine zentrale Frage für die Vorbereitung der AG lautete: wie möchte ich im digitalen Raum vorgehen? Besonders hilfreich war dabei für mich die „best pratice“ Handreichung für digitale Lehre vom ThinkTank Lehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg. Im Zuge dessen habe ich mir grob überlegt, wie eine Stunde in der Regel ablaufen soll.
Um eine erfolgreiche digitale Lehre durchzuführen, gilt es, den Fokus und die Konzentration der Studierenden aufrechtzuhalten. Jede Stunde begann deshalb mit der Frage „Was machen wir heute?“ Studierende mussten damit rechnen, bei Fragen von mir für eine Antwort ausgewählt zu werden. Das sogenannte Cold-Calling hat sich bewährt, denn es bietet stillen Studierenden die Chance, sich zu beteiligen und erhöht die generelle Aufmerksamkeit der Gruppe. Für die Studierenden hat sich kein Nachteil ergeben, wenn sie Antworten auf eine Frage nicht wussten.
Wenn das Thema der Stunde kein Vorlesungsgegenstand war oder eine vertieft werden sollte, gab es eine maximal 15-minütige Einführung von mir. Nur in solchen Fällen habe ich Powerpoint-Folien verwendet.
Im Anschluss begannen wir mit der Fallarbeit. Für die AG habe ich die Fälle komplett neu zusammengestellt und auf das jeweilige Thema angepasst. Neben klassischer Literatur wie Fall- und Lehrbüchern sowie Zeitschriften durfte ich mit Erlaubnis von meinem früheren AG-Leiter Materialien aus meinen Studienzeiten für die Fallkonzipierung verwenden. In der Regel habe ich einen bereits bestehenden Fall herausgesucht und an die Inhalte und Arbeitsweise der AG sowie das Niveau der Studierenden angepasst. Dies hieß vor allem: Fälle kürzen, um den Fokus auf den wesentlichen Lerninhalt zu legen.
Die Studierenden wurden in variierenden Gruppen von maximal vier Personen in Break-Out-Rooms geschickt. Dort bearbeiteten sie selbstständig den zuvor auf der Lernplattform hochgeladenen Fall. Für Rückfragen und kleine Hilfestellungen, habe ich jede Gruppe einmal besucht,
Im Anschluss wurde der Fall in der großen Runde besprochen. Parallel zur Diskussion wurde die Lösung von mir stichpunktartig auf einem Pad notiert. Über meinen digital geteilten Bildschirm konnten die Studierenden die Lösung nachverfolgen. Nach der Stunde habe ich die Lösung im Lernportal hochgeladen – in seltenen Fällen mit Verspätung. Der Grund: Manchmal erhielten die Studierenden von mir die Möglichkeit eine Falllösung auszuformulieren, um ihre Schreibkompetenz zu erweitern. Dieses Angebot gab es ein bis zwei Mal im Trimester. Zusätzlich konnten die Studierenden nach der Stunde noch Fragen stellen bzw. persönlich Kontakt aufnehmen. Wir boten regelmäßig an, uns per E-Mail zu kontaktieren.
Positive Aspekte
Der größte Pluspunkt von Lehre in digitalen Räumen ist die Gruppenarbeit. 90-minütiger Frontalunterricht ist schon im analogen Raum eine schlechte Idee und bringt die Studierenden online über die Grenzen der Aufmerksamkeit hinaus. Die Studierenden können in Break-Out Rooms störungsfrei arbeiten und so selbstständiger üben, Normen anzuwenden.
Durch die Arbeit mit einem Pad konnten die Studierenden die wichtigen Punkte einer Falllösung sofort erkennen: Die Lösung entstand vor ihren Augen. Außerdem bietet ein Pad die Gelegenheit, auf die Ideen und Lösungen der Studierenden einzugehen und nicht an der Reihenfolge der Falllösung zu kleben. Eine Stichpunktliste durch die AG-Leitung sorgt zusätzlich dafür, dass die Gruppe sich auf die wesentlichen Aspekte besinnt.
Positiver Höhepunkt, den ich im vergangenen halben Jahr erleben durfte: Durch die geringe Größe meiner AG-Gruppe blieben viel Zeit für Austausch und vor allem viel Raum für Fragen. Das schätzen die Studierenden wert. Ergänzend entstand durch die Gruppengröße eine vertrautere Atmosphäre.
Bei mir hat die digitale AG auch dazu geführt über die eigene Rolle und Funktion als Übungsleitung (gerade neben Professor*innen) zu reflektieren. Es kann nicht meine Rolle sein, eine weitere Vorlesung nur mit mehr Fallbezug zu gestalten. In (rein) digitalen Zeiten ist es besonders wichtig, Ansprechperson zu sein und die Sorgen der Studierenden immer wieder aufzunehmen. Am Beispiel des Verwaltungsrechts heißt dies über die digitale Lehre hinaus, den Studierenden Rückhalt zu geben: Verwaltungsrecht AT ist am Anfang schwer und unzugänglich. Gerade als Verwaltungsrechtsfan (zu denen ich mich auch zähle) sollte man den mühevollen Beginn nicht vergessen, sondern diesen empathisch in die eigene Lehre integrieren.
Schwierigkeiten bei der digitalen Lehre
Vielbemängelt an digitaler Lehre ist – wie immer – die persönliche Ebene. Gespräche nach einer Sitzung entfallen weitgehend, ein gemeinsamer Abschluss nach vielen gemeinsamen AG-Stunden ebenso. Das ist traurig und auf keinen Fall etwas, was nach der gegenwärtigen Krise beibehalten werden sollte.
Die digitale und gruppenarbeitsbezogene Herangehensweise an die AG machte mir endgültig deutlich, dass das Fach „Verwaltungsrecht“ (inkl. Verwaltungsprozessrecht) überladen ist. In dem Moment, in dem man eine alternative Herangehensweise wählt, ist eine Beschränkung auf das Wesentliche zwingend – mit all den Schwierigkeiten und Lücken, die eine solche Beschränkung mit sich bringt. Gutes Lernen sollte zwar mehr methoden- und weniger inhaltsorientiert sein, aber es ist nicht einfach, wissentlich Lerninhalte nicht zu vertiefen. Hier lohnt sich ein vertiefter Blick – entweder muss man den Stoff der üblichen Verwaltungs(prozess)recht-Vorlesungen reduzieren oder mehr Zeit dafür einräumen
Eine dritte Schwierigkeit ist die Fülle an Möglichkeiten und Werkzeugen, die digitale Lehre mit sich bringt. Genau dieses Übermaß führt manchmal zu einem Rückfall auf den altbekannten AG-Aufbau. Das kommt daher, dass die Einarbeitung in die Werkzeuge und Gedanken über ihre Nutzbarkeit zeitlich wie auch didaktisch herausfordern. Ebenso kann die Nutzung von online-tools in einer AG an ihre Grenzen geraten, weil die Studierenden selbst die Anwendung sofort verstehen und umsetzen müssen. Um Studierende und Lehrende also nicht zu überfordern, wäre es sinnvoll, nur eine bestimmte Anzahl an Tools zu verwenden – einheitlich und konsequent.
Zitiervorschlag: Emily Mary Laing, Erfahrungsbericht: Verwaltungsrecht Digital, JuWissBlog Nr. 43/2021 v. 06.05.2021, https://www.juwiss.de/43-2021/.
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