Von STEFAN MICHEL
Ein neuer Gesetzesentwurf zu den Auskunftsrechten der Presse gegen Bundesbehörden soll eine seit Jahren bestehende Regelungslücke schließen und für mehr Rechtsicherheit für Journalistinnen und Journalisten sorgen. Dieser Beitrag geht den dagegen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nach und befasst sich mit der Frage, ob eine Kodifizierung wünschenswert ist.
Hintergrund des gesetzgeberischen Vorstoßes: BVerwGE 146, 56
Der vom Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Gesetzesentwurf zum Auskunftsrecht der Presse gegenüber Bundesbehörden reagiert auf eine (angenommene) medienrechtliche Gesetzeslücke, die seit einer Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2013 besteht.
Das BVerwG setzte dem bis dahin gängigen Verständnis, dass Auskunftsansprüche in den Landespressegesetzen auch gegen Bundesbehörden anwendbar seien, ein Ende. Zwar stehe den Ländern die alleinige Kompetenz im Bereich des Pressewesens zu, jedoch erfasse dieser Kompetenztitel nicht die Befugnis zu bestimmen, unter welchen Umständen der Öffentlichkeit sowie der Presse Informationen zu erteilen sind. Der Auskunftsanspruch wurde dementsprechend nicht im Presserecht, sondern im jeweiligen Fachrecht verortet. Nach Auffassung des BVerwG geht mit der Kompetenz zur Regelung einer bestimmten Sachmaterie zugleich die Annexkompetenz einher, Auskunftsrechte gegen die mit der jeweiligen Sachmaterie befassten Behörden zu normieren. Daraus folgt, dass es im Rahmen seiner Kompetenzen allein dem Bund obliegt, zu bestimmen, unter welchen Umständen der Presse Auskünfte gegeben werden müssen bzw. dürfen. Der Behördenbegriff in den Landespressegesetzen sei dementsprechend verfassungskonform so auszulegen, dass Bundesbehörden nicht erfasst sind. Bis zum Tätigwerden des „zuständigen Gesetzgebers“ ergibt sich ein Auskunftsanspruch der Presse unmittelbar auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Damit der Gesetzgeber nicht in seiner Ausgestaltungspräorgative beschnitten wird, ist der Anspruch jedoch bloß auf einen „Minimalstandard“ beschränkt, den auch der Gesetzgeber angesichts seiner Grundrechtsbindung nicht unterschreiten dürfe. Zur Konkretisierung von Umfang und Grenzen des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruches könnten wiederrum landesrechtliche Regelungen herangezogen werden.
Reaktionen und Folgerechtsprechung
Trotz der nahezu einhelligen Ablehnung der Entscheidung in der Literatur wurde die Linie des Gerichts in mehreren Folgeentscheidungen bestätigt (BVwerGE 151, 348;BVerwGE 154, 222). Ferner verzichtete das Bundesverfassungsgericht darauf, in der Sache zu positionieren. Die Verfassungsbeschwerde des Journalisten, der vom Urteil von 2013 betroffen war, nahm das Gericht nicht zur Entscheidung an, da eine Grundrechtsverletzung nicht ersichtlich sei. Solange der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch inhaltlich nicht hinter den auf eine Abwägung zielenden Auskunftsansprüchen der Landespressegesetze zurückbleibe, könne keine Verletzung der Pressefreiheit gerügt werden. Damit ist die verfassungsrichterliche Klärung der Kompetenzfrage unwahrscheinlich geworden. Die Initiative der SPD-Fraktion für eine bundesrechtliche Regelung unmittelbar nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde nicht mehr weiterverfolgt.
Haltlosigkeit der kompetenzrechtlichen These des BVerwG
Beim genaueren Blick auf die nunmehr gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird deutlich, dass sie zu widersprüchlichen Ergebnissen führt. Die Annahme einer Annexkompetenz des Bundes erweist sich dabei als unhaltbar. So hat sogar das Bundesverwaltungsgericht selbst bestätigt, dass Auskunftsrechte der Presse wesensmäßig und historisch zur Materie des Presserechts gehören. Sofern nun das Gericht die eigentliche Landeskompetenz wieder dem Bund zuschlägt, konterkariert es damit das Bekenntnis des verfassungsändernden Gesetzgebers zur Föderalisierung des Presserechts durch die Streichung der – überdies mit Ausnahme des § 41 BDSG a.F. nie ausgeübten – Rahmenkompetenz des Bundes auf diesem Gebiet. Auch die Annahme der Annexkompetenz vermag nicht zu überzeugen. Zwar greifen Auskunftspflichten zweifelsohne in die Funktionsweise der Bundesbehörden ein, doch ist nicht zu erkennen, warum der Bund eine ihm zugewiesene Sachmaterie nicht verständigerweise regeln können soll, ohne etwaige Auskunftsansprüche mitzuregeln. Offenbar wird dies beim Blick auf die derzeitige Rechtsprechungspraxis zur Reichweite des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs, die nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht unterschritten werden darf. Der Anspruch auf dem Niveau eines „Minimalstandards“ erweist sich praktisch mitunter weniger „minimalistisch“ als die Bezeichnung vermuten lässt. Jedenfalls betont die Rechtsprechung, dass sektorale Bereichsausnahmen (wie z.B. im Jedermann-Anspruch des IFG) der institutionellen Bedeutung der Presse nicht gerecht werden und daher unzulässig sind. Vielmehr ist bei jedem Auskunftsersuchen die Abwägung im Einzelfall maßgeblich. Wenn aber, wie das Bundesverwaltungsgericht voraussetzt, der Gesetzgeber diesen Standard nicht unterschreiten darf, verengt sich sein Spielraum schlussendlich auf eine abwägungsoffene, generalklauselartige Ausgestaltung des Auskunftsanspruchs. Damit verbietet sich sowohl eine pauschalisierte Abwägung oder eine komplexe Ausdifferenzierung der Anspruchsnormen in bestimmten Konstellationen. Dies gilt insbesondere, wenn es sich, wie im Entwurf, nicht nur um Regelungen im jeweiligen Fachrecht handelt, sondern um eine „große Lösung“, die alle Bundesbehörden erfasst. Insofern befindet sich die vom Bundesverwaltungsgericht für verfassungsrechtlich geboten gehaltene Lösung faktisch im Gleichlauf mit der Rechtslage, die bei Anwendung der jeweiligen Landespressegesetze bestünde. Warum im Hinblick auf den notwendigerweise abwägungsoffen und letztlich richterrechtlich zu konkretisierenden Auskunftsanspruch eine Regelung zusammen mit der bundesrechtlichen Sachmaterie zwingend sein soll, bleibt schleierhaft.
Wie soll der Gesetzgeber reagieren?
Somit stellt sich für den Gesetzgeber die Frage, wie mit dieser Ausgangslage umzugehen ist. Dabei befindet er sich gewissermaßen in einer Zwickmühle. Eine einheitliche Regelung für alle Bundesbehörden widerspricht zum einen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die wohl verlangt, dass ein Auskunftsanspruch auf Grundlage der Annexkompetenz im jeweiligen Fachrecht zu verorten ist. Schließlich führt das Bundesverwaltungsgericht für die Annexkompetenz an, dass nur eine auf die jeweilige Sachmaterie zugeschnittene Regelung, die gesetzliche Aufgabenerfüllung sicherzustellen vermag. Zum anderen käme eine „große Lösung“ durch die die kumulative Ausübung von seiner Annexkompetenzen faktisch einer allgemeinen presserechtlichen Regelung gefährlich nahe, die – wie selbst das Bundesverwaltungsgericht zugibt – Ländersache ist. Neben derartigen föderalismusrechtlichen Unannehmlichkeiten würde die Hoffnung auf eine Abkehr von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch ihre gesetzliche Perpetuierung begraben werden. Gleichwohl stehen die Chancen für eine Änderung des status quo nach dem Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls schlecht. Ohnehin sollte man sich aber angesichts der letztlich einzelfallabhängigen Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Auskunftsanspruchs von einer Kodifizierung zudem inhaltlich keinen erheblichen Zugewinn an Rechtsklarheit versprechen.
Trotz der gewichtigen Kritikpunkte lassen sich aber auch Argumente für eine bundesrechtliche Normierung ins Feld führen. Bei der Gewährung von behördlichen Auskünften kommt es regelmäßig zum Konflikt der Pressefreiheit mit widerstreitenden Grundrechtspositionen – beispielsweise mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von der Auskunft Betroffenen. Ein solcher Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen verlangt nach einem Tätigwerden des Gesetzgebers und ist nur schwerlich mit einem durch die Rechtsprechung geschaffenen und zugleich verfassungsunmittelbaren Rechtsinstitut zu legitimieren. Dies gilt umso mehr deshalb, weil die Pressefreiheit ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG in den allgemeinen Gesetzen und nicht in Rechtsinstituten aus Richterhand findet. Zwar mag man das derzeitige Regelungs-Vakuum für funktional halten, doch ist auch nicht zu leugnen, dass durch eine gesetzgeberische Entscheidung zur Verfestigung des Ist-Zustandes immerhin eine „rechtsstaatliche Normalisierung“ (Cornils) eintritt. Des Weiteren böte ein formelles Gesetz auch neue Potentiale für die finale Klärung der Kompetenzfrage vor dem Bundesverfassungsgericht aufgrund einer abstrakten Normenkontrolle. Damit stellt sich ausgerechnet die Bestätigung der Grundsatzentscheidung als Möglichkeit zur Rückabwicklung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar.
Zitiervorschlag: Michel, Nächster Anlauf für Bundespresseauskunftsgesetz – Hat der Bund die Kompetenz für die „große Lösung“?, JuWissBlog Nr. 46/2019 v. 9.4.2019, https://www.juwiss.de/46-2019/
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
[…] STEFAN MICHEL takes a look at the new draft law on the right of the press to information against federal authorities in Germany. […]