von ROBERT BÖTTNER
Bewerber*innen für den juristischen Vorbereitungsdienst müssen ein Mindestmaß an Verfassungstreue an den Tag legen, andernfalls darf die Aufnahme verweigert werden. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht am 10. Oktober 2024 im Fall von Matthias B. (dazu auch hier), der sich zuvor durch verschiedene Instanzen geklagt und zuletzt vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof seine Einstellung erwirkt hatte und mittlerweile als Rechtsanwalt zugelassen ist. Jüngst bestätigte das OVG Berlin-Brandenburg in einem ähnlich gelagerten Fall den Ausschluss vom Referendariat (dazu hier). Der folgende Beitrag entsteht unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung. Die Entscheidung des BVerwG offenbart erneut einen Widerspruch zwischen dem staatlichen Ausbildungsmonopol und freier Advokatur bzw. freier wirtschaftlicher Betätigung.
Zulässigkeit trotz unklarem Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Auslöser des Rechtsstreits war die Ablehnung des Präsidenten des OLG Bamberg, den Kläger in den juristischen Vorbereitungsdienst im Freistaat Bayern aufzunehmen. Der Präsident hielt den Bewerber wegen seiner hervorgehobenen Funktion in der Partei „Der III. Weg“ und seiner verfassungsfeindlichen Gesinnung, die er in von ihm gehaltenen Reden zum Ausdruck brachte, für ungeeignet. Gegen die bestätigende Entscheidung des Bayerischen VGH wandte sich nun die Revision des Klägers. Da er mittlerweile aber in Sachsen sein Referendariat absolvieren konnte und als Rechtsanwalt zugelassen ist, kann ein fortgesetztes Feststellungsinteresse letztlich nur auf ein Rehabilitationsinteresse oder einen möglichen späteren Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess gestützt werden.
Rechtsgrundlage und Maßstabsbildung
Streitig in der mündlichen Verhandlung war bereits das Bestehen einer ausreichenden Gesetzesgrundlage für die Nichtzulassung des Bewerbers zum juristischen Vorbereitungsdienst. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 BayJAPO kann die Aufnahme wegen Ungeeignetheit versagt werden. Nach Ansicht des Bayerischen VGH kann zur Auslegung des Begriffs der „Ungeeignetheit“ das Bayerische Gesetz zur Sicherung des juristischen Vorbereitungsdiensts (SiGjurVD) herangezogen werden. Dessen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 verweist unter anderem auf § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG. Danach darf nur derjenige in das Beamtenverhältnis berufen werden, der die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Der Bayerische VGH (ebenso wie das OVG Berlin-Brandenburg) hat in seinem Beschluss auf den Umstand hingewiesen, dass Bewerber*innen „nur“ in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis aufgenommen werden und daher nicht die gleiche Verfassungstreuepflicht wie Beamte zu erfüllen haben. Dies sieht nun auch das BVerwG so. Es hält fest, dass hinsichtlich der Aufnahme zum Rechtsreferendariat nicht die gleichen strengen Anforderungen an die Verfassungstreuepflicht gestellt werden dürfen, wie bei der Aufnahme ins Beamtenverhältnis. Gleichwohl müssen Referendar*innen für die Aufnahme in das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis ein Mindestmaß an Verfassungstreue an den Tag legen, da sie zumindest in dieser Zeit an der staatlichen Funktion der Rechtspflege teilnehmen. Die Beteiligten eines Rechtsstreits hätten nämlich, so das BVerwG, ein Anrecht darauf, dass niemand an der Bearbeitung ihrer Angelegenheiten mitwirke, bei dem*der begründete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Person verfassungsfeindliche Ziele verfolge oder aktiv unterstütze. Dies gelte auch unabhängig davon, dass das Referendariat nur eine kurze und absehbar endliche Zeit umfasst.
Diskrepanz zwischen staatlicher Ausbildung und freier Advokatur
Knackpunkt des Rechtsstreits und auch der mündlichen Verhandlung war dabei schließlich das Verhältnis der „Ungeeignetheit“ aus § 46 Abs. 2 Satz 1 BayJAPO zu § 7 Satz 1 Nr. 6 BRAO. Der Zugang zur Rechtsanwaltschaft ist nach der bundesrechtlichen Norm zu versagen, wenn die antragstellende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft. § 46 BayJAPO stellt hingegen weitergehend auch auf nicht-strafbares Verhalten ab. Dies führt nach Meinung des Klägers zu dem Widerspruch, dass Personen die Aufnahme in das Rechtsreferendariat versagt wird, obwohl sie – nach abgeschlossenem Vorbereitungsdienst – zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden müssten. Dadurch wird ihnen faktisch der Weg in die Anwaltschaft sowie alle nicht-staatlichen Berufe, die aber das Zweite Staatsexamen erfordern, verwehrt. So sah es im Ergebnis auch der Sächsische Verfassungsgerichtshof.
Das Bundesverwaltungsgericht tritt der Argumentation des Klägers entgegen und hält die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst und die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für so unterschiedlich, dass die Anforderungen an die Verfassungstreuepflicht nicht deckungsgleich sein müssen. Das Leipziger Gericht scheint dabei auch an dieser Stelle auf den Umstand abzustellen, dass ein*e Rechtsreferendar*in an der staatlichen Rechtspflege teilnimmt. Zugleich folgt es der Sichtweise des Bayerischen VGH und dem jüngst ergangenen Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg, wonach Bewerber*innen für das Rechtsreferendariat nicht die Zulassung erhalten – auch wenn sie die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht in strafbarer Weise bekämpfen –, weil sie an einer weitergehenden Verfassungstreuepflicht scheitern.
Dass damit auch von allen Personen erwartet wird, die Voraussetzungen für eine (dauerhafte) Anstellung beim Staat zu erfüllen, selbst wenn sie das später gar nicht wollen, scheint zumindest paradox. Im Ergebnis liegt der Entscheidung des BVerwG damit wohl ein Treueverständnis zugrunde, dass weniger von der Treue zur Verfassung allgemein als vielmehr von der Treue zum Staat getragen ist. Natürlich müssen sich auch Rechtsanwält*innen – gerade als Organe der Rechtspflege – auch im Rahmen des durch die FDGO definierten freiheitlichen Verfassungsstaat bewegen. Im Unterschied zu treueverpflichteten beamteten (oder ähnlichen) Staatsvertreter*innen genießt aber die Anwaltschaft dem Schutz der freien Berufsausübung und damit insbesondere den Schutz vor staatlicher Kontrolle und Bevormundung (so das BVerfG hier, S. 251 f. oder hier, Rn. 19). Die anwaltliche Tätigkeit umfasst dabei auch die Vertretung von Mandant*innen gegen den Staat. Dass es ein legitimes staatliches Interesse daran gibt, zumindest solche Rechtsanwält*innen – eben als Organ der Rechtspflege – vom Anwaltsberuf auszuschließen, die selbst die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise (und damit aktiv) bekämpfen, leuchtet zwar ein. Alles unterhalb dieser Schwelle muss aber streng am Maßstab der Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Die Zulassungsvoraussetzungen zum Referendariat als notwendige Vorstufe für den Anwaltsberuf stellen eine subjektive Berufswahlbeschränkung dar, die nur gerechtfertigt ist, wenn sie zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend gefordert sind.
Der schmale Grat zwischen Staatskritik und Verfassungsfeind
Um dies hier deutlich zu sagen: Der III. Weg ist eine rechtsextremistische Partei mit neonationalsozialistischer und geschichtsrevisionistischer Grundausrichtung (so auch der Sächsische Verfassungsschutzbericht, S. 29 ff.). Insoweit mag man die behördlichen Entscheidungen und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im konkreten Fall nachvollziehen. Das BVerwG hält mit seiner Entscheidung nunmehr aber eine Situation aufrecht, in der auch staatskritische Anwaltsaspirant*innen (egal ob von links oder von rechts) durch die für den Staatsdienst geforderte Verfassungstreuepflicht zu leicht auch aus der Advokatur ferngehalten werden können. Dass die Zulassung zum Referendariat damit auch zu einer Art Gefahrenabwehrrecht wird, ist rechtspolitisch zumindest bedenklich.
Der Schutz des Staates vor Feinden im Inneren wird damit nämlich in einer Weise vorverlagert, die in einem enormen Spannungsverhältnis zur Berufsfreiheit steht, weil die Tätigkeit als Rechtsanwalt*in vom Durchlaufen des beim Staat monopolisierten Rechtsreferendariats abhängig ist und die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst an der für den eigentlichen Staatsdienst geforderten Verfassungstreuepflicht scheitert. Somit können letztlich höchstens diejenigen Voraussetzungen gelten, die den Zugang zu mindestens einem an diese Ausbildung geknüpften Beruf ermöglichen. Man muss dazu die bestehende Ausbildungsordnung nicht ändern. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war im Ergebnis aber nicht grundrechtssensibel genug. Denn auch das geltende Recht verhindert, dass Extremist*innen in die Anwaltschaft drängen, selbst wenn man Personen eine juristische Ausbildung ermöglicht, die nicht „aktiv für … die geltende verfassungsrechtliche Ordnung“ eintreten, sie aber eben auch nicht bekämpfen (BVerfGE 39, 334 (348)).
Zitiervorschlag: Böttner, Robert, Dürfen Extremisten Rechtsanwälte werden?, JuWissBlog Nr. 71/2024 v. 22.10.2024, https://www.juwiss.de/71-2024/
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