Die Rückkehr der Studiengebühren

von ARMIN VON WESCHPFENNIG

Foto 2_verkleinert_von WeschpfennigKaum gehören allgemeine Studienabgaben nach einem kurzen Intermezzo flächendeckend wieder der Vergangenheit an, ist die Beteiligung der Studierenden an den Kosten des Studiums erneut Stein des Anstoßes. Diesmal geht es um selektive Abgaben für Ausländer. Den Auftakt im großen Stil macht Baden-Württemberg, wo ab dem Wintersemester 2017/18 eine „Gebühr“ in Höhe von 1.500 EUR pro Semester erhoben wird, um Einnahmen zu generieren. Nach dem frisch unterzeichneten Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP wird Nordrhein-Westfalen folgen.

Die sogenannte „Ausländermaut“ ist keineswegs neu. Lokal beschränkt beteiligt die Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig Nicht-EU-Ausländer bereits seit dem Wintersemester 2013/2014 mit Abgaben in Höhe von 1.800 EUR pro Semester. Auslöser in Baden-Württemberg war ursprünglich eine Kritik des Landesrechnungshofs über den hohen Anteil an ausländischen Studierenden an den Musikhochschulen. Dabei ist die Vereinbarkeit mit nationalen Grundrechten sowie insbesondere mit dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (Sozialpakt) keineswegs unproblematisch. Im Kern geht es nicht um die Frage, ob überhaupt Abgaben erhoben werden dürfen – dies hat die deutsche Rechtsprechung im Grunde anerkannt –, sondern um die Zulässigkeit einer Benachteiligung von Ausländern.

Die Regelung

Der baden-württembergische Gesetzgeber belastet selbstverständlich nicht sämtliche Studierende ohne deutsche Staatsangehörigkeit, sondern klammert von vornherein EU-Ausländer sowie darüber hinaus EWR-Staatsangehörige und Bildungsinländer aus. Ausnahmen sieht das Gesetz in weitgehender Parallele zu § 8 Abs. 1 bis 3 BAföG zudem etwa für anerkannte Flüchtlinge, anerkannte Asylberechtigte oder bei einer bestimmten Mindestaufenthaltsdauer mit Erwerbstätigkeit vor. Im Rahmen der Entwicklungshilfe können auch Studierende aus besonders armen Staaten befreit werden, womit der Gesetzgeber dem Cotonou-Abkommen Rechnung trägt. Weitere Befreiungen sind unter bestimmten Voraussetzungen bei völkerrechtlichen Vereinbarungen oder Hochschulvereinbarungen möglich. Der baden-württembergische Gesetzgeber folgt damit im Wesentlichen einem bereits 2013 erstatteten Gutachten, das ebenso wie der Referentenentwurf nicht unwidersprochen blieb.

Der Prüfungsmaßstab

Die Suche nach dem richtigen Prüfungsmaßstab gestaltet sich als recht komplex. Klar ist, dass jedenfalls das Teilhaberecht aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip nicht greift, weil es sich um ein Deutschengrundrecht handelt. Ungeachtet der Einzelheiten erfüllen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG eine gewisse Auffangfunktion, wobei die Wertung des Verfassungsgebers, die Berufs- und Ausbildungsfreiheit nur Deutschen zu gewähren, nicht unberücksichtigt bleiben kann. Speziell in Baden-Württemberg existiert jedoch mit Art. 11 Abs. 1 der Landesverfassung ein Grundrecht ohne Beschränkung auf Deutsche, welches nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg ein dem Art. 12 Abs. 1 GG äquivalentes Teilhaberecht gewährt.

Neben zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen, die potenziell relevant sein können, ist insbesondere Art. 13 Abs. 2 lit. c Sozialpakt zu nennen. Hiernach erkennen die Vertragsstaaten an, dass im Hinblick auf die volle Verwirklichung des Rechts auf Bildung der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch die allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass es im Kern nicht um ein kostenloses Hochschulstudium geht, sondern um eine gleichheitsgerechte Teilhabe ungeachtet der finanziellen Leistungsfähigkeit. Allerdings verpflichten sich die Vertragsstaaten nach Art. 2 Abs. 2 Sozialpakt u.a. zu gewährleisten, dass die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich der nationalen Herkunft ausgeübt werden. Hieraus könnte man schließen, dass selektive Studienabgaben ohne Weiteres völkerrechtswidrig sind. Dabei würden aber sowohl die auslegungsrelevante Vertragspraxis – es gibt zahlreiche selektive Abgabenmodelle – sowie die Äußerungen des UN-Sozialausschusses, der über die Einhaltung des Sozialpakts wacht, nicht berücksichtigt. Dieser hält Einschränkungen von Art. 13 Sozialpakt und Ungleichbehandlungen unter engen Voraussetzungen für rechtfertigungsfähig und hat in der Vergangenheit wiederholt höhere Abgaben für Ausländer implizit akzeptiert, was trotz der fehlenden Völkerrechtsverbindlichkeit dieser Äußerungen nicht ignoriert werden kann.

Verfassungs- und Völkerrechtmäßigkeit

Klar ist, dass sich jedenfalls im Inland befindliche Ausländer umfänglich auf Grund- und Menschenrechte berufen können. Dies dürfte auf (nahezu) alle erfassten Personen spätestens ab der Aufnahme des Studiums zutreffen, sodass die Frage nach einem Grundrechtsschutz bei einem aus dem Ausland gestellten Immatrikulationsgesuch praktisch irrelevant ist. Naheliegend ist zudem, dass allgemeine Abgaben in Höhe von 1.500 EUR pro Semester ohne nennenswerte soziale Mechanismen – insbesondere ohne Darlehensmodelle – von den Verwaltungsgerichten als (potenziell) abschreckend und damit als verfassungs- (und völkerrechts-)widrig klassifiziert würden. Ungeachtet der Einzelheiten ist also fraglich, ob ein Landesteilhaberecht auf Hochschulbildung auch einer selektiven Erhebung ohne sozialgerechte Ausgestaltung gegenüber einer nur kleinen Gruppe entgegensteht und ob überhaupt Ausländer – bei oben genannten Ausnahmen – benachteiligt werden dürfen, was eine primär gleichheitsrechtliche Prüfung erfordert. Beides ist miteinander verwoben.

Auch die Teilhabe an der Hochschulbildung steht unter dem Vorbehalt des Möglichen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Hierzu zählt nicht ein kostenloses Hochschulstudium, wohl aber die sozialgerechte Ausgestaltung der Abgabenerhebung. Nicht erwartet werden kann aber ein kostenloses Studium für sämtliche Studieninteressierte auf der ganzen Welt, die ausschließlich zum Zwecke des Studiums nach Deutschland kommen (auch wenn dies derzeit in fast allen Bundesländern praktiziert wird). Eine Unterscheidung nur nach der Territorialität ist daher wenig zielführend, weil dann alle in Deutschland lebenden Studierenden nicht belastet werden dürften oder zumindest gleich behandelt werden müssten.

Sinnvoll ist es dagegen, nach Kriterien wie einer Verankerung zum Lebens- und Kulturkreis (Solidargemeinschaft) oder – schon aus sozialstaatlichen Gründen – einer besonderen Schutzbedürftigkeit zu unterscheiden. Nach dieser Maßgabe sind z.B. Bildungsinländer, langjährig in Deutschland wohnende und arbeitende Ausländer bzw. deren Kinder, Ausländer nach Maßgabe von gegenseitigen Verpflichtungen sowie (wohl) auch etwa anerkannte Flüchtlinge freizustellen. Die Anlehnung des baden-württembergischen Gesetzgebers an § 8 Abs. 1 bis 3 BAföG ist daher mindestens rechtspolitisch zu begrüßen, ohne dass hier jeder einzelne Tatbestand auf seine verfassungsrechtliche Notwendigkeit überprüft werden soll. Auf die Frage, ob tatsächlich ein nennenswerter Teil nach dem Studium in Deutschland bleibt und arbeitet, kommt es nicht an, weil Deutschland keine besondere Verantwortung hinsichtlich der Kosten des Hochschulstudiums gegenüber solchen Ausländern hat, die (zunächst) nur oder im Wesentlichen zum Studium kommen. Unter diesen Voraussetzungen sind Ungleichbehandlungen ebenso möglich wie Belastungen ohne nennenswerte soziale Ausgestaltung, die als allgemeine Regelung teilhaberechtlich unzulässig wären. Schließlich erlaubt das Bundesverfassungsgericht trotz deutlicher Skepsis die Berücksichtigung fiskalischer Interessen bei der unterschiedlichen Behandlung von Personengruppen, wenn sie nicht aufgrund einer sachfremden Differenzierung erfolgt, was hier – wie gezeigt – nicht der Fall ist. Eine bestimmte weitergehende Zwecksetzung (z.B. Lenkung) ist nicht notwendig.

Wer in diesen Differenzierungsmöglichkeiten ein „vormodernes Zugehörigkeitsverständnis“ erblickt und eine absolute Gleichbehandlung fordert, verengt den Handlungsspielraum des Gesetzgebers, überstrapaziert Teilhaberechte an kostspieligen (und endlichen) Ressourcen und verschließt im Übrigen die Augen vor der Staatenpraxis und den durchaus moderaten Äußerungen des UN-Sozialausschusses. Auch der EGMR akzeptiert höhere Studienabgaben für Ausländer, wenngleich es dort nicht entscheidungserheblich war. In Nordrhein-Westfalen ist ebenso zu berücksichtigen, dass es – anders als in Baden-Württemberg – kein allgemeines Teilhaberecht gibt und bei der Prüfung von Auffanggrundrechten die in Art. 12 GG angelegte Unterscheidung nicht völlig ignoriert werden kann. Richtig ist allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht in der jüngeren Vergangenheit die Anforderungen an eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit verschärft hat (Kindergeld, Erziehungsgeld, Bayerisches Landeserziehungsgeldgesetz, Elterngeld). Dort ging es aber um sensible Bereiche, die durch Art. 6 GG besonders geschützt sind, sowie um Fälle, in denen selbst jahrelang in Deutschland lebende Ausländer benachteiligt wurden. Derartige Konstellationen werden durch das Gesetz ausreichend aufgefangen. Zudem bezweckte der Gesetzgeber die Begünstigung in Abhängigkeit von einem voraussichtlichen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland, der den Studienabgaben gerade nicht zugrunde liegt.

Schluss

Wie gezeigt, sind selektive Studienabgaben für „Internationale Studierende“ unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich zulässig. Die Gerichte sollten in etwaigen Verfahren gesetzgeberische Spielräume beibehalten und nicht verfassungsrechtlich überlagern. Über Sinn und Unsinn der „Ausländermaut“ auf dem Campus haben der politische Diskurs sowie die Bewährung in der Praxis zu entscheiden. Das gilt insbesondere für die Frage, ob die Abgaben zu unerwünschten Verdrängungseffekten führen und es künftig schwerer wird, qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt benötigte Ausländer für ein Studium in Deutschland zu gewinnen.

Armin von Weschpfennig, Ausländer, Diskriminierung, Hochschule, Sozialpakt, Studienbeiträge, Studiengebühren
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