von JASPER FINKE
Das ging schnell. Am 1. Dezember, d.h. vorgestern hat die Bundesregierung beschlossen, die internationale Allianz gegen den Islamischen Staat mit 1200 Soldaten zu unterstützen. Und schon morgen, am 4. Dezember soll der Bundestag den Einsatz abnicken. Zu den verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Problemen, die der Einsatz aufwirft, hat auch der Wissenschaftliche Dienst in einem Gutachten Stellung genommen. Die Quintessenz dieser rechtlichen Einschätzung lautet: alles kein Problem. Diesen Eindruck vermittelt auch der vorliegende Mandatstext für den Einsatz. Nach dem Schrotflintenprinzip werden dort alle erdenklichen Rechtsgrundlagen aufgeführt; getreu dem Motto: eine wird schon einschlägig sein. Der so erzeugte Eindruck rechtlicher Eindeutigkeit trügt jedoch. Der Einsatz der Bundeswehr bewegt sich gerade völkerrechtlich auf dünnem Eis und es ist alles andere als selbstverständlich, dass es trägt.
Völkerrechtlich führt die Bundesregierung zwei Rechtsgrundlagen für den Einsatz an: das kollektive Selbstverteidigungsrecht (Art. 51 UN-Charta) und die Sicherheitsresolution 2249 vom 20. November 2015. Im Vordergrund steht jedoch nicht der in die Jahre gekommene, aber immer noch nicht ausgestandene Streit darüber, ob auch nicht-staatliche Akteure und damit Terrororganisationen einen bewaffneten Angriff begehen können oder ob es dazu immer einer staatlichen Zurechnung bedarf (mehr dazu u.a. hier, hier und hier). Denn spätestens in der Konstellation, in der ein Staat nicht in der Lage ist, terroristische Angriffe, die von seinem Territorium ausgehen, zu unterbinden, kommt die Zurechnungslösung nicht mehr in Betracht. Das Ergebnis würde, wenn man ehrlich ist, die Grenze des rechtlich Absurden arg strapazieren: ein Staat ist tatsächlich nicht in der Lage zu handeln, trotzdem wird er rechtlich so gestellt als hätte er selbst einen anderen Staat mit militärischer Gewalt angegriffen. Allein die Konstruktion einer Duldungspflicht des insoweit nicht handlungsfähigen Staates scheint plausibel, was wiederum voraussetzt, dass der Angriff selbst vom nicht-staatlichen Akteur bzw. der Terrororganisation ausgeht.
Einmal angenommen diese Konstruktion ist das, was man als state of the art bezeichnen würde. Auch dann bleibt es bei der These, dass sich die Bundesregierung auf dünnem Eis bewegt und zwar aus folgenden Gründen. Die Resolution 2249 als Rechtsgrundlage für einen Militäreinsatz in Syrien heranzuziehen ist ziemlich weit hergeholt. Im Korrekturslang würde man das mit einem „nur schwer vertretbar“ quittieren. So verweist die Resolution in ihrem operativen Teil schon nicht auf Kapitel VII – kein „acting under chapter VII“ oder dergleichen. Man könnte nun einwenden, dass ein solch ausdrücklicher Verweis nicht konstitutiv dafür sei, dass der Sicherheitsrat auf Grundlage von Kapitel VII handelt. Stimmt – zumindest abstrakt betrachtet. Er hat es in der Vergangenheit jedoch regelmäßig getan, so dass es schon aufschlussreich ist, wenn ein solcher Bezug nunmehr fehlt. Interessant ist natürlich, dass der Sicherheitsrat den Begriff „all necessary measures“ verwendet, von dem auch der Einsatz militärischer Gewalt erfasst ist. Der Wissenschaftliche Dienst hat daraus auf S. 14 seines Gutachtens eine rechtliche Ermächtigung der Staaten hergeleitet. Diese Position ist zumindest kreativ. Wirft man nämlich einen Blick auf den Wortlaut der Resolution, so verwendet der Sicherheitsrat den Begriff „calls upon“. Dies wird vom Wissenschaftlichen Dienst mit „ermächtigt“ übersetzt. In der Praxis des Sicherheitsrats wird eine Ermächtigung jedoch durch den Begriff „authorize“ zum Ausdruck gebracht. „Calls upon“ ist eine Aufforderung oder ein Appell. Die Resolution appelliert mithin an die Staaten alle im Rahmen des Völkerrechts zulässigen Maßnahmen zu ergreifen, ohne deren Handlungsspielraum auszudehnen. Eine eigenständige rechtliche Bedeutung für den Einsatz militärischer Gewalt kommt der Resolution mithin nicht zu. Entscheidend ist allein das Selbstverteidigungsrecht.
Auch die Argumentation des Wissenschaftlichen Dienstes, dass die Resolution durch die Formulierung „global and unprecedented threat to international peace and security“ einem weiten Verständnis des Selbstverteidigungsrechts Vorschub leistet, ist systematisch ein Drahtseilakt. Die Feststellung in Bezug auf den IS eröffnet dem Sicherheitsrat allein die Möglichkeit, Maßnahmen nach Kapitel VII zu erlassen. Egal wie global und beispielslos die Gefährdung des internationalen Friedens nach Auffassung des Sicherheitsrats auch ist: daraus lässt sich rechtlich kein Rückschluss auf die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts ziehen. Die Tatbestandsmerkmale – Art. 39 UN-Charta einerseits und Art. 51 UN-Charta andererseits – sind voneinander unabhängig. Daran ändert sich nichts, nur weil die Friedensbedrohung als „global and unprecedented“ bezeichnet wird.
Damit müssen sich die Terroranschläge von Paris als bewaffneter Angriff qualifizieren lassen, damit der Einsatz der Bundeswehr als Bestandteil des kollektiven Selbstverteidigungsrechts völkerrechtlich zulässig ist. Seit 9/11 wird bei Terroranschlägen vor allem auf die Intensität abgestellt, ob also der Anschlag dem Einsatz militärischer Gewalt gleichkommt. Ich habe bereits an anderer Stelle dargelegt, warum ich die Intensität des Anschlags und damit die Zahl der Opfer als maßgebliches Kriterium für zweifelhaft halte. Zum einen hängt es von Zufälligkeiten ab und zum anderen ist es ja gerade Sinn und Zweck eines Terroranschlags, dass er möglichst viele Menschen unmittelbar trifft. Es würde sich also nicht um ein Merkmal handeln, dass versucht, das Selbstverteidigungsrecht auf bestimmte Terroranschläge zu begrenzen. Vielmehr würde es zu einem Automatismus führen, sobald der Terroranschlag erfolgreich ist. Das Ziel muss jedoch sein, rechtliche Maßstäbe und damit Grenzen für das Selbstverteidigungsrecht in Reaktion auf Terroranschläge zu formulieren. Denn jede Ausdehnung des Selbstverteidigungsrechts führt dazu, dass auch die Eskalationsgefahr, die den Selbstverteidigungshandlungen immanent ist, steigt.
Was also unterscheidet 9/11 und Paris von Madrid und London? Nur zur Erinnerung: die Anschläge in Madrid im April 2004 haben deutlich mehr Todesopfer und Verletzte gefordert als die Anschläge in Paris. Entscheidend ist, dass sich 9/11 nicht allein gegen das World Trade Center richtete. Zwar war dieses Ziel wegen seines Symbolgehalts von besonderer Bedeutung. Weitere Ziele waren jedoch das Weiße Haus und das Pentagon und damit die USA als Staat. Ebendiese Zielrichtung fehlt im Fall von Madrid und London und erlaubt es, die Anschläge in Paris mit denen vom 11. September zu vergleichen. Denn das Stade de France soll auch deshalb Ziel der Angriffe gewesen sein, weil sich dort Präsident Hollande aufhielt. Es ist dieser Aspekt, der überhaupt eine Vergleichbarkeit mit 9/11 erlaubt und damit das Selbstverteidigungsrecht als Grundlage für den Militäreinsatz ins Spiel bringt. Gleichzeit ist auch dieser Vergleich der das Eis, auf dem sich die Bundesregierung bewegt, so dünn erscheinen lässt. Denn trotz eines unmittelbaren staatlichen Bezugs sind die Unterschiede zwischen den Pariser Anschlägen und denen vom 11. September doch offensichtlich. Es handelt sich also um eine nochmalige Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts, von der man mit sehr guten Argumenten behaupten kann, dass sie nicht mit dem Sinn und Zweck, den das Friedenssicherungssystem der UN verfolgt, vereinbar ist.
Auch verfassungsrechtlich ist die Lage bestenfalls unübersichtlich. So führt der Wissenschaftliche Dienst Art. 87a II GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den Streitkräfteeinsatz an. Verteidigung bedeute nicht nur Landesverteidigung, sondern jegliche Form kollektiver Selbstverteidigung im Rahmen von Art. 51 UN-Charta – eine Position, die auch vom Bundesverwaltungsgericht geteilt wird. Begründet wird dies mit Art. 5 NATO-Vertrag und der EU-Beistandsklausel in Art. 42 VII EUV, die jeweils auf Art. 51 UN-Charta Bezug nehmen. Die Bezugnahme auf Art. 51 UN-Charta sagt aber nur etwas über das völkerrechtliche Verhältnis von Beistandspflicht und Selbstverteidigungsrecht aus. Die Beistandspflicht wird an Art. 51 UN-Charta gekoppelt, um klarzustellen, dass letztere den rechtlichen Maßstab für die völkerrechtliche zulässige Ausübung von Gewalt darstellt. Wenn also Deutschland auf Grundlage von Art. 5 NATO-Vertrag die Bundeswehr einsetzt, ohne unmittelbar selbst betroffen zu sein, ist sie institutionell eingebunden in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für solche Systeme ist jedoch Art. 24 II GG. Dasselbe gilt vor dem Hintergrund des Art. 42 VII EUV eigentlich auch für die EU.
Warum wird also Art. 87a II GG ins Feld geführt? Einer der Gründe könnte darin liegen, dass das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil davon ausgegangen ist, dass es sich bei der EU (noch) nicht um ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit handelt. Hält es an dieser Position fest, fällt Art. 24 II GG als verfassungsrechtliche Grundlage weg. Denn der NATO-Bündnisfall wurde im Gegensatz zu den Terroranschlägen vom 11. September nicht ausgerufen. Auch handelt die Bundesrepublik beim geplanten Einsatz in Syrien mangels eines entsprechenden Mandats nicht im Rahmen der UN als einem weiteren System gegenseitiger kollektiver Sicherheit, das in den Anwendungsbereich von Art. 24 II GG fällt. Will man also den Einsatz nicht mit dem Verdikt „verfassungswidrig“ belegen, bleibt nur die Verteidigung im Sinne des Art. 87a II GG.
Dies führt jedoch zu einer seltsamen Situation. In dem Moment, in dem Art. 24 II GG nicht greift, steht Art. 87a II GG bereit. Legt man die Perspektive des BVerfG aus dem Lissabon-Urteil zu Grunde, beteiligt sich Deutschland also bewusst an einem militärischen Einsatz außerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Verfassungsrechtlich wird dies auf Art. 87a II GG gestützt, obwohl das Grundgesetz eigentlich von dem Primat ebensolcher Systeme ausgeht, um eine internationale institutionelle Einbindung Deutschlands beim Einsatz der Bundeswehr sicherzustellen. Genau an diesem institutionellen Element fehlt es jedoch bei kollektiven Selbstverteidigungshandlungen, die sich allein auf Art. 51 UN-Charta stützen.
Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung der Linken, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu erwägen, nur zu begrüßen. Natürlich könnten wir uns auch danach vortrefflich über dieselben Rechtsfragen streiten und werden dies auch mit Sicherheit tun. Ein Vorteil hätte eine solche Klage, sollte sie zulässig sein, jedoch: mehr Rechtssicherheit – hoffentlich.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
[…] As Dapo and Marko have pointed out, the novelty of SC res. 2249 is not so much that it does not mention Chapter VII, but rather that it does not “decide” or “authorize” but only “calls upon” Member States “to take all necessary measures”. The omission to mention Chapter VII, together with the softer verb “call”, deliberatively leaves open whether the resolution would allow for coercive measures without Syrian consent or not. Thereby, reservations by Russia and China against an infringement of Syrian sovereignty, as their delegates had voiced at the two previous occasions in the Security Council, when they vetoed draft resolutions which had foreseen an arms embargo against Syria (2011) and humanitarian assistance to the civilian population in Syria (2012), could be appeased. It is by no means clear that this resolution could function as an independent basis of military action (see for a negative answer Jasper Finke). […]
[…] has been written on the persuasiveness of this line of argument (see e.g. blogs by Anne Peters. Jasper Finke, Carolyn Moser or Sophia Müller and Chris Gutmann). The multitude of justifications introduced […]