Das Netzwerk der europäischen Finanzaufsicht: Alte Probleme im neuen Kleide?

von MONA PHILOMENA LADLER

Mona Ladler SWEs gibt in der Europäischen Union keine Behörde, die alleinverantwortlich die Aufsicht über den europäischen Finanzmarkt wahrnimmt. Europäische Finanzaufsicht versteht sich als ein komplexes Netzwerk nationaler und europäischer Einrichtungen und Behörden, die auf unterschiedlichsten Rechtsgrundlagen beruhen und auf formeller und informeller Basis zusammenwirken. Auf der untersten Ebene beaufsichtigen nationale Aufsichtsbehörden die auf ihrem Staatsgebiet zugelassenen Finanzintermediäre, sowie deren Zweigstellen in anderen Ländern. Angesichts des Umstandes, dass Finanzintermediäre nicht bloß national, sondern auch auf supra- und internationaler Ebene Tätigkeiten entfalten, ist eine enge Zusammenarbeit nationaler Behörden erforderlich. Diese erfolgt durch bi- und multilaterale Memoranda of Understanding bzw durch eine regelmäßige Abstimmung in auf freiwilliger Basis etablierten Gremien. Darüber hinaus erleichtert die EU die nationale Kooperation durch Vereinheitlichung nationalen Aufsichtsrechts und -handelns durch die Einsetzung von Ausschüssen und Behörden auf europäischer Ebene. Schließlich wirken auch europäische Organe an der Finanzaufsicht mit.

Aus dieser mehrschichtigen Organisation europäischer Finanzaufsicht resultierte ein umfangreiches Netzwerk beteiligter Institutionen, das – um zu funktionieren – auf ein hohes Maß an Kooperation und Koordination angewiesen ist. Kooperation und Koordination bilden daher das Fundament europäischen Finanzaufsichtsrechts.

Die Reform der Finanzaufsicht

Im Zuge der Finanzkrise zeigte sich jedoch, dass dieses Fundament Risse aufwies. Nationale Aufsichtsbehörden verfolgten primär nationale, denn gemeineuropäische Interessen. Die bloße Koordinierung nationalen Aufsichtshandelns auf europäischer Ebene erwies sich als nicht ausreichend, um die Risiken grenzüberschreitend tätiger Finanzintermediäre zu erfassen. Ein Ziel der Reform der Finanzaufsicht nach der Krise war es daher, die Kooperation der Aufseher zu stärken und Finanzaufsicht in der EU effizienter zu gestalten. Zu diesem Zweck wurde das Europäische Finanzaufsichtssystem (ESFS) zur engeren Zusammenarbeit etabliert, drei Behörden (ESAs) zur intensiveren Angleichung nationalen Aufsichtsrechts und -handelns geschaffen, sowie der Europäische Rat für Systemrisiken (ESRB) zur Überwachung des gesamten EU-Finanzsystems gegründet.

Doch wurden damit die Strukturprobleme, die zur Krise beigetragen haben, beseitigt? Erweist sich die aktuelle Finanzaufsichtsarchitektur als effizienter als jene vor der Krise? Hat die Neustrukturierung tatsächlich eine Verbesserung bewirkt oder präsentiert sich die institutionelle Finanzaufsichtsarchitektur lediglich in neuem Kleide?

Ungelöste Strukturprobleme

Eine Analyse der aktuellen Struktur der Finanzaufsicht in der EU drängt die Schlussfolgerung auf, dass dem Ziel der Schaffung effizienter Finanzaufsichtsstrukturen nicht entsprochen werden konnte. Die institutionelle Struktur der Finanzaufsicht in der EU weist nach der Reform eben jene Probleme auf, die zur Krise beigetragen haben.

Nationale Organisation

Nationale Aufsichtsbehörden sind weiterhin die primären Träger der Finanzaufsicht in der EU. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Befugnisse, dem Grad der Einbindung nationaler Zentralbanken, ihrer Unabhängigkeit, Verantwortlichkeit und politischer Einflussnahme. Auch sind sie – als Resultat der institutionellen Autonomie der Mitgliedstaaten – verschieden strukturiert: Manche Mitgliedstaaten wählten das sektorale Modell mit je einer zuständigen Aufsichtsbehörde für den Bankensektor, einer für den Versicherungssektor und einer für den Kapitalmarkt; andere entschieden sich für eine Strukturierung nach dem integrierten Modell mit bloß einer, für den gesamten Finanzmarkt zuständigen Behörde; wiederum andere strukturierten die nationale Finanzaufsicht nach dem finalen Modell, in welchem eine Behörde Systemstabilität und eine andere Konsumentenschutz sicherstellt. Diese Faktoren erweisen sich als wenig förderlich für die grenzüberschreitende Kooperation, die das Fundament der Aufsicht über den europäischen Finanzmarkt bildet.

Sektorales Modell

Auf europäischer Ebene wurde das sektorale Modell mit eigenen Behörden für den Bankensektor, den Versicherungssektor und den Kapitalmarkt – entgegen nationaler Trends – beibehalten. Fraglich ist, ob dieses Modell – wenngleich unter enger Zusammenarbeit im Gemeinsamen Ausschuss der ESAs – den Bedürfnissen moderner Finanzmärkte mit sektorübergreifenden Finanzdienstleistungen noch gerecht wird.

Duale Zuständigkeiten

Auch innerhalb der Sektoren hat die Reform keine Vereinfachung des Netzwerks der europäischen Finanzaufsicht bewirkt. Deutlich wird dieser Umstand insbesondere in der Bankenaufsicht, in der die EBA und die EZB parallel mitwirken. Beide sind zur Erarbeitung technischer Regulierungs- und Durchführungsstandards befugt, veröffentlichen Leitlinien und vertreten die EU in internationalen Finanzaufsichtsorganisationen.

Duale Zuständigkeiten bestehen ferner in der Aufsicht über Wertpapierabwicklungssysteme, die einerseits in den Kompetenzbereich der EZB fällt, andererseits aber durch Sekundärrechtsakte der ESMA zugewiesen wird. Es ist noch ungeklärt, wie die Abstimmung dieser beiden Institutionen erfolgt und duale, unter Umständen widersprüchliche Arbeiten vermieden werden.

Conclusio

Die institutionelle Struktur der europäischen Finanzaufsicht ist nicht geeignet, transparente Strukturen mit klaren Verantwortlichkeiten zu bieten. Strukturprobleme, die als Katalysator der Krise betrachtet werden, wurden nicht beseitigt, sondern verschärft. Das Dickicht der europäischen Aufsichtsbehörden wurde nicht vereinfacht, sondern verkompliziert. Auf europäischer Ebene sind künftig nicht weniger, sondern mehr Institutionen in die Finanzaufsicht involviert, deren Befugnisse sich vielfach überschneiden. Es kann daher der Schluss gezogen werden, dass sich die Struktur der Finanzaufsicht in der EU lediglich in neuem Kleide präsentiert, ohne eine effektive Lösung für althergebrachte Probleme zu bieten.

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