Sechs Fragen an Frau Bundesministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Quelle: leutheusser-schnarrenberger.de
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Neben Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier und Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof haben wir auch die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Anschluss an Ihre Teilnahme an der Podiumsdiskussion auf der 55. Assistententagung Öffentliches Recht interviewen dürfen. Gefragt haben wir nach Assoziationen zum Tagungsthema, Aufgaben für die junge Wissenschaft, dem Gutachten des EuGH zum EMRK-Beitritt der EU, dem Europäischen Verfassungsgerichtsverbund, der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit und ihrer Meinung zum auf der Tagung heiß diskutierten Thema der muslimischen Friedensrichter in Deutschland.

Was kam Ihnen in den Sinn, als Sie vom Thema der diesjährigen Assistententagung gehört haben? Welche Assoziationen hat das Thema bei Ihnen ausgelöst?

Ich habe sofort Assoziationen zur Frage „Innerer und Äußerer Frieden“ gehabt. Ist das nach wie vor abzugrenzen oder trifft die Behauptung zu, eine Abgrenzung zwischen innerer und äußerer Sicherheit bzw. inneren und äußeren Gefährdungen sei obsolet. Dem widerspreche ich vehement. Auch das Spannungsfeld Freiheit und Sicherheit, das sich je nach Herausforderung immer verändert, gerade mit Blick auf die Digitalisierung, kam mir in den Sinn.

Welchen Themen oder Herausforderungen sollten sich junge Rechtswissenschaftler Ihrer Ansicht nach annehmen?

Zwei Themenfelder: Erstens Europäisierung. Alle Fragen, die mit Europäischem Recht und dem Verhältnis von EuGH, EGMR und nationalen Verfassungsgerichten ergibt, zu tun haben.
Zweiter Punkt ist die Digitalisierung. Was bedeutet das wirklich für Grundrechte und Grundwerte – können sie erhalten bleiben, verändern sie sich nur oder müssen sie aufgegeben werden?

Sie haben die Europäischen Gerichte angesprochen: In der Podiumsdiskussion haben Sie auf die grenzüberschreitenden Herausforderungen für den Datenschutz hingewiesen. Vor welchen Aufgaben steht eine gesamteuropäische, über das Recht der Europäischen Union hinausgehende Grundrechtssicherung, insbesondere nach dem Gutachten des EuGH zum EMRK-Beitritt der EU?

Mit diesem Gutachten des EuGH zum Beitritt der EU zur EMRK ist dieser in weite Ferne gerückt. Das heißt, dass die sich aus der EMRK ergebenden Grundrechte, die teilweise nicht in der GrCh enthalten sind, für die Bürger der Europäischen Union nicht unmittelbar Geltung erlangen können. Das finde ich schade. Denn ich glaube, dass bei diesem Gutachten des EuGH weniger die Grundrechte selbst eine Rolle gespielt haben, sondern vielmehr die Fragen, in welchem Umfang welches Gericht was prüfen darf und welches Gericht das andere vielleicht durch Vorfestlegungen binden kann, im Vordergrund standen. Aber ich glaube, beim Grundrechtsschutz ist damit eine Chance der Gleichstellung aller Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union zunächst auf die lange Bank geschoben worden.

Der Präsident des BVerfG betont oft den Europäischen Verfassungsgerichtsverbund, dem auch der EGMR angehört. Ist das Gutachten geeignet, diesen Gerichtsverbund herauszufordern?

Dieser Verbund besteht darin, dass man sich in einem verständigenden Austausch befindet, was ich gut finde. Aber es ist nicht ein Verbund in dem Sinne, dass ein Gericht ständig auf die Spruchpraxis des anderen schaut und seine Rechtsprechung entsprechend ausrichtet, sondern es ist ein Spannungsverhältnis. Es sind drei Leuchttürme, die man für sich sehen muss, die aber nicht deckungsgleich sind, sondern durch ihre Spannung leben und Mehrwerte an Schutz für die Bürgerinnen und Bürger gewähren können. Es wird deshalb nach dieser gutachterlichen Bewertung des EuGH sicher notwendig sein, intensive Gespräche zwischen EGMR und EuGH zu führen. So wie es zwischen dem BVerfG und dem EGMR in Zusammenhang bspw. mit der Stellung des biologischen Vaters eher gegenseitiges Unverständnis als Begeisterung darüber gab, dass im deutschen Recht der biologische Vater einen ganz anderen Stellenwert bekommen soll. Der Verbund lebt also von Spannungen, das kann aber auch sehr fruchtbar sein.

Ergeben sich aus Ihrer Sicht für die wissenschaftliche Auseinandersetzung besondere Anforderungen an die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit, insbesondere mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Dresden bzw. Bremen?

Sie sprechen PEGIDA an, aber auch die Durchsuchungen und das Vorgehen der Polizei mit Blick auf die Salafisten, gewaltbereite extremistische Religionsanhänger. Diese Gefährdung muss man sehr ernst nehmen. Man muss um sie wissen und man muss sie im Blick haben. Das darf aber nicht in einer Art und Weise geschehen, dass dadurch unsere Rechtstraditionen in Frage gestellt werden. Sie müssen auch nicht in Frage gestellt werden. Man muss sich auch mit Blick auf Rechte, Rechtsextremisten und Rechtsradikale fragen, ob genug Fachleute vorhanden sind, die die klassische Aufgabe wahrnehmen, die zum Beispiel einem inländischen Geheimdienst sprich in Deutschland den Verfassungschutzämtern zukommt. Ich bin nach NSU und all dem, was damit an Defiziten zusammenhängt, der Überzeugung, dass wir im Bereich unserer Verfassungsschutzbehörden einen riesigen Handlungsbedarf haben.

Im bisherigen Verlauf der Tagung wurde ein Thema besonders intensiv diskutiert: Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Handlungen muslimischer Friedensrichter in Deutschland. Ergeben sich aus Ihrer Sicht dadurch besondere Herausforderungen für das Justizsystem, denen sich auch die Wissenschaft annehmen sollte?

Ich halte es für sehr wichtig und geboten, dass sich die Wissenschaft gerade auch mit diesen sogenannten Friedensrichtern – ich denke da insbesondere an den familiären Bereich – beschäftigt. Gerade im Bereich des Strafrechts, der Durchsetzung des Gewaltmonopols, darf sich keine religiös geprägte Alternativjustiz bilden. Das ist nicht mit unserer Gewaltenteilung und mit der Stellung unserer Justiz in Einklang zu bringen. Aber wir haben andere Ebenen, wo über das internationale Privatrecht gerade im Familienrecht auch Elemente der Scharia zur Anwendung kommen. Schlichtungsverfahren, die da durchgeführt werden, die dazu führen, dass man nicht zu den ordentlichen Gerichten geht, muss man sich genau ansehen, weil verhindert werden muss, dass das eine totale Abwendung von den deutschen Gerichten mit sich bringt. Ich halte es wegen dieser Vielgestaltigkeit für wichtig, sich damit auch in der Wissenschaft viel näher zu befassen und das nicht nur mit Schlagworten zu belegen wie Parallelgesellschaft. Es ist viel zu einfach, entweder pauschal zu sagen, dass all das nicht gelten kann und verboten werden muss, oder es aber im Gegenteil dazu schlicht willkommen zu heißen, dass es hier eine Schlichtung gibt, die von den Beteiligten akzeptiert wird, weil sie das an zu Hause erinnert.

 

Die Fragen stellten Hannes Rathke und Thomas Wierny.

EMRK, EU, EuGH, Friedensrichter, Pegida, Rechtswissenschaft, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Terrorismusbekämpfung, Wissenschaft
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