Von LAMIA AMHAOUACH
Ein Startup und bürgerliche Initiativen rufen dazu auf, „Demokratie erlebbar zu machen“. Diesen Aufruf teilen zahlreiche Influencer in Social Media und fügen einen Crowdfunding-Link an, der zum Ticketkauf für ein Demokratie-Festival führt. Für 1.800.000 € soll das Olympiastadion gemietet werden. Das Unterzeichnen einer Vielzahl an öffentlichen Petitionen als Ersatz üblicher politischer Teilhabe ist dort geplant. Doch braucht unsere repräsentative Demokratie Unterstützung durch privat initiierte Events wie das „Demokratie Festival“? Und wie groß kann der Einfluss öffentlicher Petitionen überhaupt sein?
Initiiert vom Berliner Startup „einhorn“, rufen Fridays for Future sowie Scientists for Future neben zahlreichen Influencern dazu auf, Demokratie erlebbar zu machen. Das soll wie folgt geschehen: Geplant ist, bis zu 90.000 Menschen im Olympiastadion zu versammeln, die dann über die Petitionsvorhaben zu den „drängendsten Problemen unserer Zeit“ unterrichtet werden, um sodann digital Unterzeichner*innen dieser Petitionen zu werden. Die Veranstalter geben allerdings nicht an, was konkret vorgestellt wird. Es würden die „renommiertesten Expert*innen aus allen Bereichen zusammenkommen“, um gebündelt die Lösung zu den sogenannten „drängendsten Problemen unserer Zeit“ vorzustellen. Das klingt zu schön, um wahr zu sein, und wirft ebenso viele Fragen auf.
Zunächst bleibt unklar, an wessen Empfinden sich die Beurteilung dieser „drängendsten Probleme unserer Zeit“ ausrichtet. Hat man die Themenbereiche (Klima-, Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitskrise, globale Ungerechtigkeiten, Rassismus, Gleichstellung der Geschlechter) ausgemacht, die aus Sicht der Veranstalter wohl diese Probleme bergen, schließt sich die Frage nach den „renommiertesten Expert*innen in diesen Bereichen“ an. Es mutet anmaßend an, all das für 90.000 Menschen, eine doch gezwungenermaßen heterogene Gruppe von potenziellen Teilnehmer*innen ohne vorherige Kommunikation zu bestimmen und vorzufertigen. Die Möglichkeit zur Teilnahme an der scheinbar inklusiven, wohltätigen Veranstaltung ist nicht gerade niedrigschwellig. Ein normales Ticket zur Teilnahme am Event kostet 29,95 €. Atmet das noch den Geist der Demokratie?
Demokratische Partizipation initiiert von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen quasi gegen Entgelt
Zwar gab es auch die Möglichkeit, für eine fremde Person ein Soli-Ticket zu finanzieren. Das ist zumindest ein Versuch, einen vielfältigen Teil der Gesellschaft an diesem Event abzubilden. Doch bleibt zweifelhaft, inwiefern diese Petitionen wirklich Menschen erreichen werden, die nicht den werbenden Promis in Social Media folgen, die keinen privilegierten Zugang zu den relevanten Informationen haben oder sich nicht auf ein Ticket „bewerben“ können. Am Ende des Tages wird sich voraussichtlich eine Vielzahl von Menschen mit ganz ähnlichem Hintergrund dort versammeln, eine homogene Gruppe, die „etwas verändern“ will.
Aus diesem Aktionismus wird auch gar kein Hehl gemacht. Auf der Website der Veranstalter heißt es, dass die Teilnehmer*innen zunächst emotionalisiert werden sollen. Dann sollen die „renommiertesten Expert*innen“ ihre Lösungen präsentieren. Die komplette Veranstaltung ist jedoch nicht als Frontalpräsentation geplant, sondern es sollen „gemeinsam Lösungen erarbeitet werden“. Wie das mit 90.000 Menschen in einem restlos ausverkauften Olympiastadion funktionieren will, sei dahingestellt. Alles in allem halten die Veranstalter die Vision für ihr Demokratie-Festival sehr vage. Die gezielte Emotionalisierung der Adressaten einerseits, die rudimentäre Themenvorgabe für das Event andererseits, erzeugen leeres Pathos. Hinzu kommt die inkonsistente Haltung der Initiatoren: In einem am 05.01.2020 veröffentlichten Interview sagte einer der „einhorn“-Gründer auf die Frage, ob denn auch Nazis bei dem Event willkommen seien: „Ja, wenn die sich konstruktiv an Lösungen der Probleme […] beteiligen möchten, dann…“. Auf der Spenden-Website zum Event heißt es jedoch, man lehne jegliche Form der Diskriminierung ab. Diese widersprüchlichen Äußerungen werfen kein gutes Licht auf die bevorstehende Konzeption der Inhalte.
Petitionsrecht
Das Petitionsrecht ist in Art. 17 GG verankert. Demnach hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Die Bitten (Forderungen und Vorschläge für ein Handeln oder Unterlassen) oder Beschwerden (Beanstandungen) stellen das jeweilige Petitum der Petition dar. Zuständige Stellen können beispielsweise Behörden sein, die jeweilige Volksvertretung ist das Parlament, also Bundes- oder Landtag.
Im Rahmen des Demokratie-Festivals sollen öffentliche Petitionen elektronisch bei der Petitionsplattform des Bundestages eingereicht werden. Öffentliche Petitionen sind besonders qualifizierte Petitionen; diese werden gem. Ziff. 2.1 RLöP dann als solche angenommen, wenn sie ein Petitum zum Gegenstand haben, das von allgemeinem Interesse ist. Darüber hinaus darf die Petition nicht für eine sachliche öffentliche Diskussion ungeeignet, unpräzise oder unsachlich sein, was hier nicht der Fall sein dürfte. Die formelle Hürde stellt insofern lediglich die Anforderung an die allgemeine Bedeutung des Petitums dar.
Bei den hier geplanten Petitionen soll es um Gesetzesanregungen gehen. Diese werden sodann von den Anwesenden auf der Petitionsplattform des Deutschen Bundestages online unterzeichnet. Im Grunde bräuchte es dazu kein Event, für eine öffentliche Beratung der Petition vor dem Petitionsausschuss sowie eine persönliche Anhörung der Petenten werden gem. Ziff. 8.4 Abs. 4 der Verfahrensgrundsätze innerhalb von 4 Wochen 50.000 Unterzeichner benötigt, die auch online mobilisiert werden könnten. Das zeigt der prominente Petitionserfolg der Initiatoren aus dem letzten Jahr: „einhorn“ hatte eine Petition zur Senkung der „Tamponsteuer“ eingereicht. Tausende Male wurde diese Petition in Sozialen Medien geteilt und besprochen. Weit über 50.000 Menschen hatten die Petition unterzeichnet und im Ergebnis wurde der Steuersatz auf Menstruationsprodukte von 19% auf 7% gesenkt. An diesen Erfolg soll mit dem „Demokratie Festival“ angeknüpft werden. Jedoch ist keineswegs selbstverständlich, dass aus einer Petition ein erfolgreiches Gesetzgebungsverfahren folgt.
Direkte Demokratie?
Politische Partizipation findet in unserem System der repräsentativen Demokratie vor allem durch Wahlen statt. In Abgrenzung dazu gibt es Instrumente der direkten Demokratie, wie z.B. Volksbegehren oder Volksentscheide, welche in Deutschland auf Bundesebene nicht vorgesehen sind. Kennzeichnend für diese originären Formen direkter Demokratie ist, dass das Volk unmittelbar eine Entscheidung trifft und diese eine hoheitliche Entscheidung ersetzt.
Bei Petitionen handelt es sich jedoch um Anregungen und nicht um eine Form direkter Demokratie. Das muss den Unterzeichner*innen der Petitionen beim Demokratie-Festival bewusst sein, wird jedoch von den Veranstaltern so nicht kommuniziert. Im Gegensatz zu demokratischer Teilhabe an staatlicher Willensbildung, etwa durch Wahlen, handelt es sich bei Petitionen im Kern um eine individuelle Freiheitsrechtsausübung, die keine staatliche Entscheidung ersetzen kann. Dem Petitionsrecht kommt insoweit allenfalls eine plebiszitäre Note zu. Diese Unterscheidung wird von den Veranstaltern nicht vorgenommen, sondern im Gegenteil scheinen diese Grenzen bewusst verwischt zu werden.
Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages veröffentlicht jährlich Berichte zu den im Vorjahr eingegangenen Petitionen. Aus dem Bericht für 2018 geht hervor, dass dem Petitum in 11% der Fälle nach parlamentarischer Beratung entsprochen wurde. Abgesehen von einer nicht bestehenden Pflicht zur Abhilfe, führen Petitionen also auch tatsächlich nur selten zum Erfolg.
Fazit
Die Ausübung des grundrechtlich garantierten Petitionsrechts gilt in seiner öffentlichen Ausgestaltung seit jeher als „politisches Frühwarnsystem“. Auch das „Demokratie Festival“ dürfte zumindest als ein Signal an die Politik zu verstehen sein. Das Ziel, politikverdrossene junge Menschen zu politischer Partizipation zu motivieren, ist per se begrüßenswert. Jedoch sind die hier vorgenommene Emotionalisierung inklusive Event-Charakter kein geeignetes Instrument. Durch doch allermeist fruchtlose Petitionen eine vermeintlich neue Ära einleiten zu wollen, erweckt ein falsches Bild von den Möglichkeiten demokratischer Teilhabe. Es ist zu befürchten, dass durch die Eventisierung von partizipatorischen Elementen eher ein Misstrauen in vorhandene demokratische Prozesse und erst recht Politikverdrossenheit geschürt wird.
Zitiervorschlag: Lamia Amhaouach, „Wohlfühl-Demokratie“ im Olympiastadion – Zur Eventisierung politischer Teilhabe beim Demokratie-Festival „12062020 Olympia“, JuWissBlog Nr. 14/2020 v. 17.2.2020, https://www.juwiss.de/14-2020/
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