von JULIAN HOFMANN und STEPHAN KOLOßA
Die aktuell zunehmenden Fälle, in denen der unter dem Titel „L’Amour Toujours“ bekannte Song des DJs Gigi D’Agostino missbraucht und zu dem lautstark ausländerfeindliche Parolen gegrölt werden, sind erschreckend. Lukas Paul Korn kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass das Spielen des Songs polizei- und ordnungsrechtlich verboten werden könne. Selbst wenn der Künstler D’Agostino persönlich ein Konzert in Deutschland geben würde, sei es rechtmäßig, ihm die Darbietung von „L’Amour Toujours“ zu verbieten. Ein solch generelles und pauschales Verbot missachtet jedoch die Grundrechte der Beteiligten, insbesondere die der Veranstalter oder des Künstlers selbst. Ein Verbot kann lediglich in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, bedarf jedoch einer sorgfältigen Grundrechtsabwägung.
Missbrauch eines harmlosen Songs
Der Eurodance-Song „L’Amour Toujours“ von Gigi D’Agostino war insbesondere in den frühen 2000er Jahren ein Hit. Das Lied erreichte diverse Chart-Platzierungen und wurde mehrmals ausgezeichnet. Es handelt von der Liebe zu einer Person und dem Traum einer glücklichen gemeinsamen Zukunft. Die aktuell häufigen ausländerfeindlichen Parolen sind eine Perversion dieses Liedes. Für viele steht das Lied vermutlich für Liebe, Toleranz, Diversität und eine gute Zeit. Kein Wunder, dass es zu einem festen Bestandteil auf der Love Parade wurde. Es ist nur zu verständlich, dass sich der Künstler selbst höchst erschüttert über die aktuellen Vorfälle zeigt und sich über mögliche Verbote seines Werks empört.
Stellen wir uns vor, anlässlich der anstehenden Fußball-Europameisterschaft kommen Fans zusammen und feiern gemeinsam. Ein Partyveranstalter sorgt für die passende musikalische Unterhaltung und plant, D’Agostinos Hit „L’Amour Toujours“ aufzulegen. Mit einer pauschalen Begründung, der Veranstalter sei Zweckveranlasser für möglicherweise von einzelnen angestimmten volksverhetzenden Parolen, ließe sich das Spielen des Liedes jedenfalls nicht untersagen. Auch eine Inanspruchnahme als Nichtstörer wird regelmäßig nicht überzeugen. Korns Argumentation greift zu kurz.
Die Fälle, wie sie aus dem Beispiel von Sylt bekannt geworden sind, werfen rechtlich freilich verschiedene Probleme auf. Für ein polizei- und ordnungsrechtliches Verbot auf der Grundlage der gefahrenabwehrrechtlichen Generalklausel müsste eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen. Über die Frage, ob die ausländerfeindlichen Zeilen den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 StGB erfüllen, lässt sich trefflich streiten (vgl. hier oder hier). An dieser Stelle sei die nötige Gefahr jedoch unterstellt.
Figur des Zweckveranlassers ist kein polizeirechtliches Allheilmittel
Die spannende Frage, auf die hier eingegangen werden soll, widmet sich der Eigenschaft des Party-Veranstalters als sog. Zweckveranlasser. Ein solcher Zweckveranlasser wird definiert als eine Person, die einen eigenen Beitrag zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit dadurch schafft, dass sie andere Personen zu störendem Verhalten veranlasst. Dabei mag sie sich selbst rechtmäßig und gefahrneutral verhalten (Heckmann, in: Öffentliches Recht in Bayern, 8. Auflage 2022, 3. Teil, Rn. 170). Die konkreten Voraussetzungen für die Eigenschaft des Zweckveranlassers sind umstritten. Nach häufiger Ansicht ist eine Person dann Zweckveranlasser, wenn sie eine Gefahr subjektiv oder objektiv bezweckt, das heißt die Person die Gefahr bewusst provoziert oder die Gefahr eine zwangsläufige Folge des Verhaltens der Person ist (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 29.5.1995 – 1 S 442/95; OVG Münster Beschl. v. 19.2.2018 – 4 A 218/16). Weder dürfte in dem genannten Beispiel im Spielen des Liedes eine Aufforderung für ausländerfeindliche Parolen liegen, noch dürfte die Zwangsläufigkeit der Gefahr gegeben sein.
Abspielen des Liedes bezweckt ohne Weiteres weder subjektiv noch objektiv eine Gefahr
Bei dem Fußball-Event geht es gerade nicht um politische oder verhetzende Meinungsbildung. Vielmehr steht die Euphorie um den Sport im Mittelpunkt. Die musikalische Untermalung dient der Feierstimmung und dem Verbundensein der Fans. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass es seit den jüngsten Vorfällen eine zwangsläufige Folge des Liedes ist, dass ausländerfeindliche Parolen angestimmt werden oder dies unterstützt wird. Das Lied hat sich jahrzehntelang als friedlicher, die Liebe feiernder Song bewährt. Die aktuellen Vorfälle versetzen die zahlreichen (wahren) Fans des Liedes nicht in potentielle Störer. Um ein Verbot rechtfertigen zu können, müssten weitere konkrete Aspekte hinzutreten, die einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigen ließen. Selbst wenn sich ausmachen ließe, dass sich auf einem Event eine kleine Gruppe von Personen mit rechtsextremistischer Gesinnung aufhielten, so wäre aus Verhältnismäßigkeitsgründen unmittelbar gegen diese Gruppe vorzugehen.
Sogar bei Veranstaltungen, bei denen (vermutlich) ein größerer Teil des Publikums rechtsextremes Gedankengut vertritt, folgt aus dem Abspielen des Liedes nicht zwangsläufig die Äußerung ausländerfeindlicher Parolen, wie Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen. Auch wenn die hierbei durch „Dog-Whistling“ transportierten Botschaften entschiedene Ablehnung verlangen, steht selbst hier ein zwangsläufiger Geschehensablauf in Frage. Doch auch wenn dies zukünftig anders zu bewerten wäre, etwa durch eine massive Häufung solcher Vorfälle, wären Auflagen an den Veranstalter, z.B. das entschiedene Vorgehen gegen Störer, das mildere und damit verhältnismäßigere Mittel im Vergleich zu präventiven Verboten. Bei Vorliegen solcher Konzepte von Veranstalterseite wäre dieser mit den Worten des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes lediglich Anlassgeber, nicht aber Zweckveranlasser (Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 7.7.2023 – 8 B 921/23).
Der Künstler darf ein Zeichen setzen
Umso weniger ließe sich ein Verbot des Songs auf einem Konzert des Künstlers rechtfertigen. Hier verkennt Korn die hohen Anforderungen an die Inanspruchnahme von Nichtstörern. Bei Zusammenarbeiten von Polizei, Veranstaltern und Sicherheitsdiensten und einer entsprechenden Sensibilisierung des restlichen Publikums, etwa über vorherige Aufforderungen zur Meldung von Vorfällen, erscheint ein Vorgehen gegen die eigentlichen Störer deutlich erfolgsversprechender als von Korn unterstellt. Entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität der Inanspruchnahme von Nichtstörern ist dies regelmäßig vorzuziehen. Insbesondere aufgrund der Historie als eine der Hymnen auf Love Parades und als ein Zeichen für Liebe und Toleranz ist das Lied erst recht (rechts-)politisch zuzulassen, um den jahrelangen Fans des „echten“ Lieds das Feiern in Anbetracht der eigentlichen Botschaft und den Protest gegen extremistische Vereinnahmung zu ermöglichen. Dem Künstler darf es dabei am wenigsten verwehrt werden, ein Zeichen zu setzen.
Fazit
Ein pauschales Verbot, das Lied „L’Amour Toujours“ anzustimmen oder abzuspielen, lässt sich polizei- und ordnungsrechtlich nicht mit der Figur des Zweckveranlassers rechtfertigen. Insbesondere aufgrund der jahrelangen Bewährtheit als Zeichen für Liebe und Toleranz fehlt es gerade an der Zwangsläufigkeit einer Gefahr. Das Lied führt nicht unmittelbar zu einer entsprechenden Gefahr. Das Lied hat sich auch nicht als „Remigrationshymne“ durchgesetzt, nur weil ein paar Personen dies mit allen Mitteln versuchen zu erreichen. Auch die Inanspruchnahme des Veranstalters (oder Künstlers) als Nichtstörers ist nicht haltbar. Ein Verbot lässt sich nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen weiterer greifbarer Gefahrenmerkmale rechtfertigen und bedarf einer Abwägung im Einzelfall.
Zitiervorschlag: Hofmann, Julian/Koloßa, Stephan, Behördliche Verbote von „L’Amour Toujours“ sind abzulehnen – eine Replik auf Lukas Paul Korn, JuWissBlog Nr. 35/2024 v. 06.06.2024, https://www.juwiss.de/35-2024/.
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank für die Ergänzung – den großen Widerspruch zu meinem Beitrag (der eine „Replik“ erfordern würde) sehe ich allerdings nicht. Bewusst habe ich mich für die Konstellationen, in denen ein behördliches Verbot des Abspielens in Betracht kommt, auf solche beschränkt in denen nach der behördlichen Gefahrenprognose bereits ex ante mit volksverhetzenden Gesängen zu rechnen ist, etwa auf Partys und Veranstaltungen rechtsextremistischer Gruppierungen. Nur für diese bin ich davon ausgegangen, dass die Gesänge sowohl objektiv erwartbar als auch subjektiv bezweckt sind. Dass auch bei einer durchschnittlichen Fußball-EM-Party eine entsprechende Gefahrenprognose gerechtfertigt wäre, steht in der Tat zu bezweifeln. Ein „generelles und pauschales Verbot“ habe ich daher natürlich zu keinem Zeitpunkt für rechtmäßig erklärt. Erforderlich ist selbstverständlich eine Einzelfallbetrachtung zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des Gefahreintritts, das Ausreizen von Alternativen vor der Inanspruchnahme von Nichtstörern sowie eine sorgfältige Abwägung betroffener Grundrechtspositionen. Das sollte aber eigentlich klar sein.
Ein Vorabverbot wirkt etwas wie eine grundssätzlich unzulässige Vorzensur. Das Lied muss nicht sicher srafbare Äußerungen hervorrufen, sondern kann unter Umständen auch straffreie Äußerungen veranlassen. Dies eventuell sogar in einem betont politisch rechts(extrem) orientierten Umfeld. Ein Vorabverbot als mögliche grundsätzlich unzulässige Vorzensur sollte sich da allenfalls nur in sehr engen Grenzen verhältnismäßig zulässig aufrechterhalten lassen.