von LORENZ BODE
Die Frage nach einem Internetzugang für Maßregelpatienten ist, soweit ersichtlich, bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Rechtslehre näher thematisiert worden. Das ist bedauerlich und soll deshalb – am Beispiel von Nordrhein-Westfalen und vor dem Hintergrund einer Entscheidung des OLG Hamm, das diese Frage jüngst gestreift hat – nachfolgend geschehen.
Rechtliche Vorgaben für den Internetzugang
Maßregelvollzug bedeutet: Besserung und Sicherung. Es geht einerseits um die therapeutische Behandlung von Menschen, die im Zusammenhang mit einer Suchterkrankung oder einer psychischen Erkrankung eine Straftat begangen haben, andererseits um den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Die Unterbringung richtet sich maßgeblich nach den §§ 63 und 64 StGB. Sie kann vom Gericht isoliert oder neben einer Strafe (vgl. § 67 Abs. 1 StGB) angeordnet werden. Das Ziel der Unterbringung ist die (Wieder-)Eingliederung der untergebrachten Person in die Gesellschaft.
Der Maßregelvollzug ist Ländersache. Im Fokus steht hier das nordrhein-westfälische „Strafrechtsbezogene Unterbringungsgesetz“ (kurz: StrUG NRW). Dieses Gesetz hat in Nordrhein-Westfalen das Maßregelvollzugsgesetz (MRVG) abgelöst und gilt seit dem 31.12.2021. § 20 StrUG NRW regelt die Bereiche „Information, Kommunikation und Mediennutzung“. In dessen Absatz 1 Satz 1 ist ein grundsätzliches Recht der Untergebrachten festgeschrieben „von der Einrichtung zur Verfügung gestellte Medien oder elektronische Geräte zum Zwecke der Information oder Unterhaltung zu nutzen“. Satz 2 enthält einen Erlaubnisvorbehalt für den Besitz und die Nutzung eigener Geräte. Absatz 2 regelt Einschränkungs- beziehungsweise Untersagungsmöglichkeiten.
Passend dazu heißt es – auch explizit die Internetnutzung erwähnend – in der Gesetzesbegründung zu § 20 StrUG NRW (NRWLT-Drs. 17/12306, S. 68):
„Die Einrichtung unterstützt die mediale Kompetenz der untergebrachten Person. Hierzu zählen insbesondere der Zugang zu Büchern und Presseerzeugnissen, der Empfang von Radio- und Fernsehprogrammen sowie die Nutzung des Internets.“
Zugleich wird dort ausgeführt:
„Ein unkontrollierter Zugang zum Internet wie auch der Besitz von eigenen Telefongeräten und von PCs und vergleichbaren Geräten würde eine Gefahr für den Behandlungserfolg und die Sicherheit und Ordnung in der Einrichtung und unter Umständen auch für die öffentliche Sicherheit darstellen.“
Damit wird deutlich, dass der Landesgesetzgeber den Internetzugang in § 20 StrUG NRW regeln wollte. Fraglich erscheint indes, ob dies für sämtliche Formen der Internetnutzung gilt, also nicht nur für den Informationsaspekt, sondern auch für den Bereich der Kommunikation. Insofern könnte auch § 21 StrUG NRW eine Rolle spielen, der den Untergebrachten ein Recht einräumt, „in sonstigen Formen zu kommunizieren“. Ob dieser nebulöse (oder besser: zukunftsoffene) Begriff auch das Internet umfasst, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Zwar spricht mit Blick auf die Regelung im nordrhein-westfälischen Strafvollzugsgesetz zunächst einiges dafür. Denn § 27 StVollzG NRW enthält als Vorschrift aus dem Bereich der Außenkontakte von Gefangenen eine ähnliche Formulierung („andere […] zugelassene Formen der Telekommunikation“), die nach dem Willen des Gesetzgebers (NRWLT-Drs. 16/5413, S. 109) auch die Internetnutzung, genauer „E-Mailing, E-Learning, Internetnutzung und Bildtelefonie“, betrifft. Im Unterschied dazu regelt § 20 StrUG NRW schon seiner Überschrift nach – „Information, Kommunikation und Mediennutzung“ – sowohl den Bereich der Information als auch der Kommunikation. Hinzu kommt, dass auch in der Gesetzesbegründung zu § 20 StrUG NRW explizit vom Besitz eigener Kommunikationsmittel, namentlich „eigenen Telefongeräten“, die Rede ist. Während also die besseren Argumente dafür sprechen, dass § 20 StrUG NRW sämtliche Formen der Internetnutzung – und damit auch den Internetzugang im Maßregelvollzug – abschließend regelt, dürften sich selbst dann, wenn man dieser Auffassung nicht folgt, bei der praktischen Handhabung keine großen Unterschiede ergeben. Denn in § 21 Absatz 2 StrUG NRW finden sich (in enger Anlehnung an § 20 Absatz 2 StrUG NRW) ebenfalls Einschränkungs- und Versagungstatbestände, sodass auch hier – wie in der Gesetzesbegründung zu § 20 StrUG NRW erwähnt – etwa ein unkontrollierter Internetzugang als Sicherheitsgefahr gelten müsste.
Alte Grundsätze im neuen Recht
Gegenstand der Entscheidung des OLG Hamm vom 9.11.2023 (Az. 1 Vollz 356/23) ist die Rechtsbeschwerde eines Untergebrachten. In seinem Beschluss hebt der OLG-Senat – erstmals – auch auf den in § 20 Absatz 1 Satz 2 StrUG NRW neu geregelten Erlaubnisvorbehalt ab, denn es ging dem Betroffenen, der sich als Schriftsteller etablieren wollte, um die Gestattung des Besitzes und der Nutzung eines eigenen Laptops in der Maßregelvollzugsklinik. Bemerkenswert und mit Blick auf die Frage des Internetzugangs zugleich nicht unbedeutend ist dabei das Vorgehen des OLG-Senats, das in zwei Schritten erfolgt:
In einem ersten Schritt referiert der OLG-Senat seine zur früheren sogenannten Kann-Vorschrift des § 7 Abs. 3 MRVG NRW entwickelten – und ihrerseits der Rechtsprechung zu § 70 StVollzG entnommenen – Grundsätze für den Besitz und die Nutzung elektronischer Geräte. § 70 StVollzG regelte bundeseinheitlich den Besitz von Freizeitgegenständen im Strafvollzug. Die vom OLG Hamm insoweit entwickelten Grundsätze zum Besitz und zur Nutzung elektronischer Geräte sind nicht nur relativ alt (die vom Gericht in Bezug genommenen eigenen Beschlüsse stammen von 2010 und 2013), sondern auch streng. So führt der OLG-Senat (Az. 1 Vollz 356/23, Rn. 26) wörtlich aus:
„Dabei schloss diese einem PC innewohnende Gefährlichkeit bereits ein Recht auf dessen Besitz im Strafvollzug – und entsprechend der gleichen Zielrichtung der entsprechenden Regelungen des Strafvollzugsgesetzes und des Maßregelvollzugsgesetzes – auch im Maßregelvollzug regelmäßig aus, ohne dass in der Person des Gefangenen bzw. des Untergebrachten liegende Anhaltspunkte für eine Gefährdung von Sicherheit und Ordnung vorliegen mussten.“
Das OLG Hamm wählt also einen abstrakten Gefährdungsmaßstab. So konnte der Besitz eines eigenen PCs regelmäßig versagt werden, ohne dass die Entscheider die beantragende Person, den konkreten Nutzungszweck oder die (sicherheits-)technische Entwicklung überhaupt auch nur in den Blick zu nehmen brauchten. Eine konkrete, mithin tatsächliche Gefahrenbeurteilung war nicht erforderlich. Auch bedurfte es – wie der OLG-Senat (Az. 1 Vollz 356/23, Rn. 27) weiter ausführt – für die Annahme der grundsätzlichen Gefährlichkeit eines PCs „regelmäßig keiner näheren Begründung, ebenso wenig die Annahme nicht ausreichender Kontrollmöglichkeiten, soweit nicht etwa bestimmte bauliche bzw. technische Besonderheiten des von dem Betroffenen konkret begehrten Gerätes zumindest eine entsprechende nähere Überprüfung“ nahelegten.
Im zweiten Schritt überträgt der OLG-Senat diese alten Grundsätze auf das neue Recht, namentlich auf § 20 StrUG NRW. Dazu führt der OLG-Senat unter anderem aus, der Gesetzgeber habe – trotz der geänderten Systematik – das von der Rechtsprechung zu § 7 Abs. 3 MRVG NRW entwickelte Regel-Ausnahme-Verhältnis „aufgegriffen, konkretisiert und statuiert“ (Az. 1 Vollz 356/23, Rn. 33). Mit anderen Worten: Das OLG Hamm sieht keinen Grund, an seiner Rechtsprechung etwas zu ändern. Vielmehr fühlt sich der Senat offensichtlich durch den Gesetzgeber bestätigt in seinem Kurs: Einen eigenen Laptop soll es im Maßregelvollzug nicht geben – auch (und gerade?) nicht zur Nutzung des Internets.
Fazit
Der Internetzugang im Maßregelvollzug ist – in Nordrhein-Westfalen – rechtlich bereits möglich. Als Anknüpfungspunkt dient § 20 StrUG NRW. Die besprochene Entscheidung des OLG Hamm bildet insoweit jedoch eher einen Hemmschuh denn einen Schrittmacher: Durch sie wird ein restriktiver Umgang mit elektronischen Geräten – insbesondere solchen, die für den mobilen Internetzugang notwendig sind – einstweilen praktisch etabliert.
Zugegeben: Man bewegt sich – wie stets im Maßregelvollzug – auch in diesem Fall in einem Spannungsfeld zwischen Therapie und Sicherung. Dennoch darf man ernsthaft bezweifeln, ob der vom OLG Hamm unbeirrt weiter vertretene, abstrakte Gefährdungsmaßstab, demzufolge eigene Laptops im Maßregelvollzug pauschal gefährlich sind, im Jahre 2024 noch sachgerecht ist. Denn die „mediale Kompetenz der untergebrachten Person“ lässt sich – wie vom Gesetzgeber gefordert – nur sinnvoll unterstützen, wenn auch zeitgemäße Technikausstattung zur Verfügung steht. Das gilt für den Internetzugang umso mehr, als die mobile Internetnutzung via Tablet oder Laptop in der Außenwelt längst gang und gäbe ist.
Schließlich lohnt es sich, einmal mehr den Blick auf den Strafvollzug zu richten. Auch dort besteht ein Spannungsfeld, nämlich zwischen Resozialisierung und Sicherheit. Und dort ist nicht nur den Gefangenen die mobile Internetnutzung via Tablet und, soweit ersichtlich, ohne nennenswerte Sicherheitsvorfälle bereits gewährt worden. Sondern dort hat auch der EGMR schon 2017 mit seiner Entscheidung im Fall Jankovskis vs. Litauen (Az. 21575/08) den Weg frei gemacht für eine Neujustierung des Gefährdungsmaßstabs – unter besonderer Berücksichtigung der Informationsfreiheit. Die Erwägungen sind übertragbar.
Zitiervorschlag: Bode, Lorenz, Internetzugang im Maßregelvollzug, JuWissBlog Nr. 34/2024 v. 03.06.2024, https://www.juwiss.de/34-2024/.
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