Synthetische Embryonen aus menschlichen Stammzellen im Lichte des Embryonenschutzgesetzes

von LUKAS PAUL KORN

Mehreren Forschungsgruppen ist es gelungen, aus menschlichen Stammzellen sog. synthetische Embryonen herzustellen. Wäre die Erzeugung derartiger Embryonen und die Forschung an ihnen auch nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz (ESchG) zulässig? Insbesondere die Tatsache, dass für die Entstehung der synthetischen Embryonen keine Verschmelzung von Ei- und Samenzelle mehr notwendig war, wirft hier Probleme auf.

Wann immer sich wissenschaftliche Durchbrüche in der Embryonen- und Stammzellforschung ereignen, ist das öffentliche Interesse groß. So wurde zuletzt in vielen großen Zeitungen darüber berichtet, dass es zwei verschiedenen Forschungsgruppen aus den USA und Israel gelungen ist, synthetische menschliche Embryonen aus embryonalen Stammzellen herzustellen. Beide Länder besitzen deutlich weniger restriktive rechtliche Vorschriften zur Embryonen- und Stammzellforschung als Deutschland. Interessant ist insofern die Frage, ob die Erzeugung oder jedenfalls die Forschung an solchen synthetischen Embryonen auch in Deutschland rechtlich zulässig wäre.

Anwendungsbereich des ESchG

Auf natürlichem Wege entsteht ein Embryo durch die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, die im Eileiter und damit im menschlichen Körper (in vivo) stattfindet. Ebenfalls möglich ist es, die Verschmelzung im Reagenzglas (in vitro) durchzuführen, was bei Methoden der assistierten Reproduktion wie der In-Vitro-Fertilisation (IVF) auch in Deutschland standardmäßig und legal durchgeführt wird. Die Erzeugung menschlicher Embryonen soll in Deutschland jedoch nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erfolgen, die Forschung an ihnen wird durch das bereits seit 1990 bestehende Embryonenschutzgesetz (ESchG) untersagt. So verbietet es § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt; durch § 1 Abs. 2 ESchG wird bereits das Eindringenlassen oder künstliche Verbringen einer Samenzelle in eine Eizelle verboten, sofern dies nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft dient. Menschliche Embryonen dürfen daher in Deutschland grundsätzlich nicht zu Forschungszwecken erzeugt werden.

Auch Forschung an sog. überzähligen Embryonen, also solchen die ursprünglich zu Fortpflanzungszwecken erzeugt wurden, aber dazu nicht mehr verwendet werden können (etwa, weil die Frau, von der die Eizelle stammt, in der Zwischenzeit verstorben ist), ist in Deutschland unzulässig. § 2 Abs. 1 ESchG verbietet die Verwendung eines Embryos zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck, mithin jede fremdnützige Verwendung menschlicher Embryonen.

Finden aber die die Verbotsnormen des ESchG auch auf die neuartigen synthetischen Embryonen Anwendung? Maßgeblich für den Anwendungsbereich des ESchG ist die Begriffsbestimmung des „Embryos“ in § 8 Abs. 1 ESchG. Danach gilt als Embryo „bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.“

Die Definition des ESchG knüpft also an die Befruchtung der Eizelle durch Kernverschmelzung an. Die synthetischen Embryonen wurden aber gerade nicht durch die Befruchtung einer Eizelle gewonnen, sondern aus embryonalen Stammzellen entwickelt.

Gewinnung von embryonalen Stammzellen

Embryonale Stammzellen sind selbst keine Embryonen: Während sich aus einer befruchteten Eizelle ein vollständiger Mensch entwickeln kann (die Zelle daher totipotent ist), besitzen embryonale Stammzellen diese Fähigkeit nicht, können sich aber zumindest noch zu verschiedenen Gewebetypen ausdifferenzieren (und sind daher pluripotent). Aufgrund dieser Fähigkeit sind auch sie für die Forschung von großem Interesse. Üblicherweise erfolgt die Gewinnung embryonaler Stammzellen dadurch, dass einem Embryo in vitro die Zellen entnommen und dieser dadurch getötet wird. Eine Gewinnung embryonaler Stammzellen auf diesem Weg ist daher in Deutschland durch das ESchG untersagt.

Zumindest die Forschung an embryonalen Stammzellen wird mangels deren Fähigkeit zur Entwicklung zu einem Menschen aus ethischer und verfassungsrechtlicher Sicht als weniger problematisch eingestuft und ist daher in Deutschland unter den strengen Voraussetzungen des 2002 erlassenen Stammzellgesetzes (StZG) zulässig. Forschung an embryonalen Stammzellen, die nicht in Deutschland gewonnen, sondern aus dem Ausland importiert wurden, ist nach vorheriger Genehmigung unter den Voraussetzungen insb. der §§ 4, 5 StZG möglich.

In der neueren Forschung wurden jedoch Methoden entwickelt, durch die embryonale Stammzellen ohne die Zerstörung von Embryonen gewonnen werden konnten. So gelang es, einfache Körperzellen derart zu reprogrammieren, dass sie erneut Pluripotenz erlangten. Derartige „induzierte pluripotente Stammzellen“ (iPS-Zellen) fallen nicht unter die Forschungsbeschränkungen des Stammzellgesetzes, da nach dessen Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 2 StZG embryonale Stammzellen nur solche sind, die aus Embryonen gewonnen wurden. Jedenfalls die Erzeugung der iPS-Zellen, aus denen dann in einem zweiten Schritt die synthetischen Embryonen gewonnen wurden, wäre damit auch in Deutschland zulässig.

Erzeugung von Embryonen aus Stammzellen

Mit den aktuell diskutierten Forschungsprojekten ist es nun gelungen, diese grundsätzlich nur pluripotenten Stammzellen zu voraussichtlich totipotenten synthetischen Embryonen zu entwickeln. Im Fall der israelischen Forschungsgruppe geschah dies durch die Verwendung verschiedener Wachstumsfaktoren im Nährmedium der Stammzellen, im US-amerikanischen Forschungsprojekt durch Genveränderungen.

Aufgrund der engen Begriffsdefinition des StZG fielen diese beiden mit iPS-Zellen verwirklichte Forschungsansätze nicht unter dessen Genehmigungspflicht. Aber wäre hier nicht jedenfalls das ESchG einschlägig, das die Erzeugung menschlicher Embryonen zu anderen Zwecken als der (hier nicht geplanten) Herbeiführung einer Schwangerschaft verbietet?

Dem steht im Hinblick auf die Begriffsdefinition des Embryos in § 8 Abs. 1 ESchG einerseits die noch nicht abschließend geklärte Frage entgegen, ob sich die so erzeugten synthetischen Embryonen selbst bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen überhaupt zu einem vollständigen Menschen entwickeln könnten, also tatsächlich totipotent sind. Insbesondere sind sie aber nicht durch die vom ESchG vorausgesetzte Kernverschmelzung entstanden, sondern durch eine weitere Reprogrammierung der iPS-Zellen. Auch das Klonverbot in § 6 ESchG ist für diese Art der Herstellung nicht einschlägig. Das ESchG ist auf die synthetischen Embryonen somit nicht unmittelbar anwendbar.

Keine analoge Anwendung des ESchG

Auch eine analoge Anwendung der Verbotsvorschriften des ESchG ist nicht möglich, da dieses als Strafgesetz ausgestaltet ist. So werden Verstöße gegen §§ 1, 2 ESchG mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Hauptgrund für den Erlass als Strafgesetz war es, dass der Bundesgesetzgeber im Jahr 1990 noch keine Gesetzgebungskompetenz für die Embryonenforschung an sich besaß (nun Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG). Aus dem Charakter als Strafgesetz folgt jedoch das Verbot einer Analogie zu Lasten des Täters. Auch eine analoge Anwendung des ESchG auf synthetische Embryonen ist daher nicht möglich. Sowohl ihre Erzeugung, als auch die Forschung an ihnen wäre in Deutschland mangels einer gesetzlichen Regelung zulässig.

Fazit und Ausblick

An jeder neuen Entwicklung im Bereich der Embryonen- und Stammzellforschung zeigt sich, dass das seit 1990 nahezu unverändert bestehende ESchG zahlreiche Lücken enthält und daher den heutigen wissenschaftlichen Möglichkeiten nicht gewachsen ist. Nicht nur im Hinblick auf die Fortpflanzungsmedizin, sondern auch für die Forschung sollte eine grundlegende Überarbeitung der Regelungen zum Embryonenschutz erfolgen, die bislang aufgrund der damit verbunden ethischen und verfassungsrechtlichen Konfliktpunkte gescheut wurde.

Für die rechtliche Bewertung von synthetischen Embryonen dürfte dabei insbesondere relevant werden, ob sich diese tatsächlich zu einem vollständigen Menschen entwickeln können, was dafür sprechen würde, dass auch ihnen das Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) zukommen.

 

Zitiervorschlag: Korn, Lukas Paul, Synthetische Embryonen aus menschlichen Stammzellen im Lichte des Embryonenschutzgesetzes, JuWissBlog Nr. 39/2023 v. 04.07.2023, https://www.juwiss.de/39-2023/

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Biomedizin, Embryo, Embryonenschutz, Forschung, Lukas Paul Korn, Stammzellen
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