Von THOMAS SENDKE
Lange Zeit war die steuerliche Behandlung der Aufwendungen eines Erststudiums zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung umstritten. Auf Vorlage des Bundesfinanzhofs musste daher das Bundesverfassungsgericht entscheiden. In seinem nun veröffentlichten Beschluss hat der Zweite Senat entschieden, dass die gesetzliche Regelung, nach der die Kosten eines Erststudiums nicht als Werbungskosten abzugsfähig sind, verfassungskonform ist. Für Studenten sind das schlechte Nachrichten. Der folgende Beitrag erläutert den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Hintergrund der Entscheidung und ordnet diese kritisch ein. Aufgezeigt wird außerdem, wieso die derzeitige Rechtslage bildungspolitisch nicht überzeugen kann.
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Leistungsfähigkeitsprinzip ist das Fundamentalprinzip einer gerechten Besteuerung. Jeder Steuerpflichtige soll entsprechend seiner individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Indikator dieser Leistungsfähigkeit ist im Rahmen der Einkommensteuer das Erwerbseinkommen. Wer ein höheres Einkommen erwirtschaftet, soll entsprechend höhere Steuern zahlen. Als Subprinzipien des Leistungsfähigkeitsprinzips existieren das objektive und subjektive Nettoprinzip.
Nach dem objektiven Nettoprinzip sind die beruflich veranlassten Aufwendungen von den Erwerbseinnahmen abzuziehen, sodass nur das Nettoeinkommen besteuert wird. Derartige Aufwendungen werden je nach Einkunftsart als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bezeichnet. Wer beispielsweise einen Gesetzeskommentar für die tägliche Arbeit als Richter benötigt, muss diese Kosten auch von den Einnahmen abziehen dürfen.
Demgegenüber dürfen Kosten der privaten Lebensführung grundsätzlich nicht in Abzug gebracht werden. Allerdings wird im Rahmen des subjektiven Nettoprinzips berücksichtigt, dass ein Teil des Einkommens für den existenznotwendigen privaten Lebensbedarf des Steuerpflichtigen verwendet wird, also nicht disponibel ist. Klassisches Beispiel sind Aufwendungen für die Kranken- oder Pflegeversicherung. Derartige Kosten sind in einem gewissen Rahmen als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen abziehbar.
Besonders problematisch ist die Behandlung sog. gemischter Aufwendungen, die also teilweise beruflich und teilweise privat veranlasst sind. Diesem Bereich lassen sich auch die Aufwendungen für ein Erststudium zuordnen.
Steuerliche Behandlung von Aufwendungen eines Erststudiums
Der Entscheidung des BVerfG ging ein jahrelanger Streit zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung voraus. Zuletzt ordnete der Gesetzgeber in § 9 Abs. 6 EStG und § 4 Abs. 9 EStG ausdrücklich an, dass Aufwendungen eines Erststudiums weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind. Stattdessen ordnet der Gesetzgeber die Aufwendungen der Sphäre der privaten Lebensführung zu und gewährt einen Abzug als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Aufwendungen eines dem Erststudium nachfolgenden Zweitstudiums (z.B. Master-Studium/Promotion/LL.M./Referendariat) oder eines im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindenden Erststudiums sind demgegenüber als Werbungskosten abzugsfähig.
Die Einordnung als Sonderausgaben hat für Studenten zwei Nachteile. Zum einen ist der Abzug auf einen Betrag i.H.v. 6.000 EUR im Jahr begrenzt. Zum anderen können nur Werbungskosten als vorweggenommene Aufwendungen in späteren Jahren (z.B. der erstmaligen Einnahmeerzielung) Berücksichtigung finden. Demgegenüber wirken sich Sonderausgaben nur aus, wenn im selben Jahr auch Einnahmen erzielt und Steuern gezahlt wurden.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das BVerfG sieht in der gesetzgeberischen Einordnung der Aufwendungen als Sonderausgaben keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar bestehe eine Ungleichbehandlung im Vergleich mit Aufwendungen eines Zweitstudiums oder eines im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindenden Erststudiums. Diese Ungleichbehandlung sei aber gerechtfertigt, weil ein Erststudium nicht nur Berufswissen vermittle. Vielmehr diene es auch der individuellen Persönlichkeitsentwicklung, indem es die Möglichkeit biete, sich seinen Begabungen und Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln und allgemeine Kompetenzen zu erwerben, die nicht zwangsläufig für einen künftigen konkreten Beruf notwendig seien. Der Veranlassungszusammenhang zwischen Erststudium und späterem Beruf sei vergleichsweise gering.
Kritische Einordnung der Entscheidung
Das BVerfG gesteht dem Gesetzgeber im Bereich gemischt veranlasster Aufwendungen seit jeher einen weiten Gestaltungs- und Typisierungsspielraum zu (BVerfGE 122, 210, 238 f.). Überzeugen kann dies im konkreten Fall aber nur teilweise.
Zunächst kann bezweifelt werden, ob der Veranlassungszusammenhang zwischen Erststudium und Beruf so gering ist, wie vom BVerfG angenommen. Für viele Studenten dürften die späteren Berufsbilder bei der Wahl eines Studiums eine große Rolle spielen. Außerdem gibt es eine zunehmende Zahl an Studiengängen, die ganz konkret auf einen Beruf vorbereiten. Dies gilt insbesondere für Fachhochschulen mit ihren stark spezialisierten Studiengängen. Auch darüber hinaus lässt sich kaum bestreiten, dass z.B. das Lehramtsstudium auf den Beruf des Lehrers und das Studium der Zahnmedizin auf den Beruf des Zahnarztes vorbereitet. Vielleicht haben sich die Richterinnen und Richter in Karlsruhe zu sehr vom eigenen Jurastudium leiten lassen. Ein hinreichend konkreter und objektiv feststellbarer Zusammenhang mit späteren Einnahmen lässt sich daher in vielen Fällen – ebenso wie im Rahmen eines Zweitstudiums – annehmen.
In der Psychologie ist im Übrigen mittlerweile anerkannt, dass die Persönlichkeitsbildung nicht schon mit 30 Jahren abgeschlossen ist, sondern ein Leben lang anhält. Dann aber sollte man der Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen eines Erststudiums keine übermäßige Bedeutung zumessen.
Umgekehrt spricht viel dafür, dass die gesetzgeberische Einordnung allein fiskalisch motiviert war. Durch die Berücksichtigung der Aufwendungen eines Erststudiums als Werbungskosten hätte ein erhebliches Steuerausfallrisiko von ca. 1,15 Mrd. Euro im Jahr gedroht (BT-Drs. 15/3339, S. 2). Durch die Einordnung als Sonderausgaben sollten eben diese Steuerausfälle verhindert werden (vgl. auch BT-Drs. 17/7524, S. 5). Rein fiskalisch motivierte Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips sind nach der Rechtsprechung des BVerfG aber nicht zulässig (BVerfGE 122, 210, 233).
Schließlich hieß es in der Gesetzesbegründung aus 2004, die Einordnung als Sonderausgaben unterstütze das bildungspolitische Anliegen der Förderung des berufsbezogenen Lernens (vgl. BT-Drs. 15/3339, S. 10). Dieses Ziel wurde angesichts neuer Rekorde bei den Studentenzahlen nicht erreicht. Dagegen bleiben in der Wirtschaft – trotz aller Attraktivität der dualen Ausbildung – nach wie vor viele Lehrstellen unbesetzt. Grund genug, die gesetzgeberische Entscheidung zu überdenken.
Reformvorschlag
Dass die Aufwendungen eines Erststudiums sowohl Bezüge zur privaten als auch zur beruflichen Sphäre aufweisen, ist nicht von der Hand zu weisen. Eine einseitige Zuordnung der Aufwendungen zu den privaten Lebensführungskosten überzeugt aber nicht. Der BFH hat in den vergangenen Jahren ein sog. Aufteilungsgebot für gemischt veranlasste Aufwendungen entwickelt (vgl. BFH GrS, BStBl. II 2010, 672). Zwar sind private und berufliche Veranlassungszusammenhänge bei einem Erststudium untrennbar. Der Gesetzgeber könnte aber im Rahmen seines weiten Gestaltungs- und Typisierungsspielraums beispielsweise die Hälfte der Aufwendungen zum Werbungskostenabzug zulassen. Dies dürfte genauso wenig willkürlich sein, wie die gesamten Aufwendungen der Sphäre der privaten Lebensführung zuzuordnen.
Fazit
Das BVerfG räumt dem Gesetzgeber einen zu weiten Gestaltungs- und Typisierungsspielraum ein. Als bildungspolitisch verfehlt ist aber die ursprüngliche gesetzgeberische Entscheidung anzusehen. Wenn Deutschland als Bildungsstandort attraktiver werden will, gehört dazu auch die Gewährung steuerlicher Entlastungen für die mit Bildung verbundenen Aufwendungen. In Zeiten voller Haushaltskassen wäre eine Steuerentlastung denkbar. Gefragt ist nun der Gesetzgeber. Bleibt zu hoffen, dass die zuständigen Entscheidungsträger im Rahmen ihres Erststudiums genug fürs Leben gelernt haben.
Zitiervorschlag: Thomas Sendke, Bundesverfassungsgericht: Für das Leben lernen wir!, JuWissBlog Nr. 5/2020 v. 28.1.2020, https://www.juwiss.de/5-2020/
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