Wie hält es das BVerwG mit der isolierten Anfechtung von Nebenbestimmungen?

von LENNART KOKOTT

Zwei Senate des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) streiten über die isolierte Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen. Was Examenskandidat:innen wie ein schlechter Scherz vorkommen wird, hat für den Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen greifbare Konsequenzen – und könnte ihn deutlich beschränken.

Voraussetzungen der isolierten Anfechtung von Nebenbestimmungen

Grob umrissen wird in der Literatur einerseits vertreten, die isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen sei stets zulässig. Andere meinen, eine solche Anfechtung komme nur bei gebundenen Entscheidungen in Betracht und im Übrigen sei eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines neuen Verwaltungsakts ohne Nebenbestimmungen zu erheben. Wieder andere differenzieren für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage nach der Art der Nebenbestimmung (für einen umfangreicheren Überblick s. Fricke, JuS 2020, 647).

Das Bundesverwaltungsgericht hält in ständiger Rechtsprechung seit der Leitentscheidung in BVerwGE 112, 221 aus dem Jahr 2000 die isolierte Anfechtungsklage gegen Nebenbestimmungen in der Zulässigkeitsprüfung dann für statthaft, wenn die isolierte Aufhebbarkeit nicht offenkundig von vorneherein ausscheidet. Sie ist begründet, wenn erstens die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und zweitens der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. In aller Regel ist somit – wie nach überwiegender Ansicht in der Literatur – die Anfechtungsklage statthaft. Das einschränkende Kriterium wird erst in der Begründetheit eingeführt.

Unterschiedliche Auffassungen des BVerwG über die Auslegung der Rechtsprechungslinie

Die Voraussetzungen dieses einschränkenden Kriteriums im Rahmen der Begründetheitsprüfung stehen nun im Mittelpunkt der Kontroverse zwischen den beiden Senaten des Gerichts. Es geht dabei um folgende Konstellation: Die isoliert angefochtene Nebenbestimmung ist rechtswidrig, sodass die erste Begründetheitsvoraussetzung vorliegt. Darüber hinaus ist auch der nach isolierter Aufhebung der Nebenbestimmung verbleibende Verwaltungsakt rechtswidrig. Für die Rechtswidrigkeit ist aber nicht der Wegfall der Nebenbestimmung kausal, sondern ein anderer Grund, der allein den verbleibenden Verwaltungsakt betrifft.

Um es anhand eines Beispiels zu verdeutlichen: Die Klägerin hat eine Baugenehmigung erhalten. Mit der Anfechtungsklage wendet sie sich gegen eine Nebenbestimmung zu der Genehmigung, die diese Genehmigung auf einige Monate befristet. Danach soll die Klägerin erneut eine Genehmigung beantragen. Die Befristung ist rechtswidrig. Die verbleibende Baugenehmigung selbst hätte auch ohne Befristung erteilt werden können, ist also nicht schon deswegen rechtswidrig, weil die Befristung wegfällt. Allerdings ist die Baugenehmigung rechtswidrig, weil sie gegen drittschützende Normen des Bauplanungsrechts verstößt. Die Senate streiten nun darüber, ob die Klägerin in einem solchen Fall Erfolg hätte.

Nach Ansicht des 8. Senats in einem Urteil vom 6. November 2019 (Az. 8 C 14.18) verhindert die Rechtswidrigkeit des verbleibenden Verwaltungsakts die isolierte Aufhebbarkeit der Nebenbestimmung auch dann, wenn sie nicht vom Wegfall der Nebenbestimmung ausgelöst wird. Ein Anspruch auf einen begünstigenden Verwaltungsakt bestehe nur, wenn dieser rechtmäßig sei. Daraus folge, dass auch kein Recht auf die isolierte Aufhebung einer Nebenbestimmung bestehe, wenn diese Voraussetzung nicht vorliege. Anderenfalls beanspruche ein rechtswidriger und dem Adressaten nicht zustehender Verwaltungsakt weiterhin Geltung (Rn. 19) ­– im Beispiel die gegen Bauplanungsrecht verstoßende Baugenehmigung. Nach Ansicht des 8. Senat hat die Rechtswidrigkeit des verbleibenden Verwaltungsakts somit stets die Unbegründetheit der isolierten Anfechtungsklage zur Folge. Die Klägerin im Beispiel könnte nicht erfolgreich gegen die Befristung ihrer Baugenehmigung vorgehen.

Der 4. Senat stellt sich der Ansicht des 8. Senats in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 29. März 2022 (Az. 4 C 4.20) entgegen und möchte in seiner Entscheidung von ihr abweichen. Gem. § 11 Abs. 3 S. 1 VwGO ist in einem solchen Fall zunächst eine Anfrage des erkennenden Senats bei dem Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, notwendig. Zur Begründung führt der 4. Senat aus, die Rechtmäßigkeits-Voraussetzung stehe in einem engen Zusammenhang mit der Teilbarkeit von Nebenbestimmung und Verwaltungsakt. Sie sei nicht in einem allgemeinen Sinne zu verstehen, sondern nur eng bezogen auf den Gegenstand der Nebenbestimmung. Es gehe darum, „ob die Genehmigung (Begünstigung) ohne die belastende Nebenbestimmung rechtswidrig wäre bzw. erteilt werden dürfte.“ (Rn. 9). Die isolierte Anfechtungsklage könnte nach dieser Ansicht somit auch dann begründet sein, wenn nach Aufhebung der Nebenbestimmung ein rechtswidriger Verwaltungsakt verbleiben würde. Die Rechtswidrigkeit dürfe sich nur nicht daraus ergeben, dass dem Verwaltungsakt keine Nebenbestimmung mehr beigefügt ist. Im Beispielsfall hätte die Klägerin also Erfolg, obwohl die verbleibende Baugenehmigung gegen Bauplanungsrecht verstößt.

Über fünf Randnummern (Rn. 13–17) seziert der 4. Senat dann in durchaus strengen Formulierungen die Schwächen der Ansicht des 8. Senats: Die Bestandskraft des begünstigenden Verwaltungsakts stehe der umfangreichen gerichtlichen Prüfung seiner Rechtmäßigkeit entgegen. Andernfalls würde der Rechtsschutz gegen belastende Nebenbestimmungen „entwertet“ (Rn. 15): Käme bei Rechtswidrigkeit des verbleibenden Verwaltungsakts unter keinen Umständen eine isolierte Anfechtung in Betracht, könnte der Schwerpunkt der Begründetheitsprüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf die Rechtmäßigkeitsprüfung des verbleibenden Verwaltungsakts gelegt werden. Dies entspreche zum einen nicht dem Rechtsschutzbegehren der Kläger:innen in solchen Fällen; zum anderen sei es auch nicht prozessökonomisch, denn eine Aufhebung des verbleibenden Verwaltungsakts ist im Rahmen dieser Klagen nicht möglich.

Diese Argumentation überzeugt im Ergebnis. Die Ansicht des 8. Senats verengt die bisherige Rechtsprechung des BVerwG in problematischer Weise. Prämisse der isolierten Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen ist deren Abtrennbarkeit vom Verwaltungsakt. Die Teilbarkeit von Verwaltungsakt und Nebenbestimmung ist nicht mehr viel wert, wenn die isolierte Anfechtung eine umfangreiche Rechtmäßigkeitsprüfung des Verwaltungsakts erforderte.

Wäre eine isolierte Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen nur möglich, wenn der verbleibende Verwaltungsakt unter allen Gesichtspunkten rechtmäßig ist, läge eine unverhältnismäßige Last auf den Adressat:innen. Diese müssten im Fall einer Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, die nicht mit der Nebenbestimmung zusammenhängt, entweder auf die Anfechtung verzichten und einen rechtswidrigen Verwaltungsakt mit einer rechtswidrigen Nebenbestimmung in Bestandskraft erwachsen lassen. Alternativ müssten Sie gleich den gesamten Verwaltungsakt samt Nebenbestimmung anfechten, was die Rechtsschutzmöglichkeiten verkürzen würde. Es ist Aufgabe der Behörde, im Fall einer erfolgreichen isolierten Anfechtung von Nebenbestimmungen den verbleibenden rechtswidrigen Verwaltungsakt zurückzunehmen oder zu widerrufen (§§ 48, 49 VwVfG) – mitsamt den Vorteilen des Bestands- und Vermögensschutzes für die Adressat:innen, die sich daraus ergeben. Auf diese müsste die Adressatin eines rechtswidrigen Verwaltungsakts mit rechtswidriger Nebenbestimmung bei Anwendung der Sichtweise des 8. Senats in der Regel verzichten: Die Behörde wird im Normalfall kein Interesse haben, den Verwaltungsakt zurückzunehmen, wenn die Nebenbestimmung nicht erfolgreich angefochten werden kann.

Ausblick

Welche Folgen hat die Kontroverse zwischen dem 4. und dem 8. Senat? Zunächst einmal gilt zumindest vorübergehend nicht mehr, dass das BVerwG „richtigerweise klare Verhältnisse geschaffen [hat] in einem bislang unsicheren und überladenen Streit“ (Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 12 Rn. 27), was der Rechtsprechung seit der Leitentscheidung im Jahr 2000 zugutegehalten wurde. Stattdessen ist nun wieder offen, unter welchen Voraussetzungen rechtswidrige Nebenbestimmungen erfolgreich angefochten werden können.

Eine Bereicherung der dogmatischen Kontroverse um die isolierte Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen ist von der Auseinandersetzung der Senate nicht zu erwarten. Im Sinne der Rechtssicherheit wäre es wünschenswert, dass sie schnell beigelegt wird. Sollte der 8. Senat aber an seiner Rechtsauffassung festhalten, so hält § 11 Abs. 3 S. 1 VwGO noch einen Verfahrensschritt bereit: Die isolierte Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen würde dann den Großen Senat beim Bundesverwaltungsgericht beschäftigen, der eine Rückkehr zu klaren Verhältnissen vollziehen dürfte.

 

Zitiervorschlag: Kokott, Lennart, Wie hält es das BVerwG mit der isolierten Anfechtung von Nebenbestimmungen?, JuWissBlog Nr. 61/2022 v. 01.11.2022, https://www.juwiss.de/61-2022/.

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Anfechtungsklage, Bundesverwaltungsgericht, Nebenbestimmungen, Rechtsschutz, Verwaltungsprozessrecht
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Thilo Hueske
    1. November 2022 19:26

    Der 8. Senat hat die Anfrage mit Beschluss vom 12.10.2022 – 8 AV 1.22 (https://www.bverwg.de/de/121022B8AV1.22.0) bereits dahingehend beantwortet, dass an seiner Rechtsauffassung, dass eine belastende Nebenbestimmung, die einem begünstigenden Verwaltungsakt beigefügt wird, im Anfechtungsprozess nur dann isoliert aufgehoben werden darf, wenn der verbleibende Verwaltungsakt für sich genommen rechtmäßig ist nicht festhält.

    Antworten
  • […] Gegen diese Ansicht spricht jedoch bereits – wie der 8. Senat zutreffend ausgeführt hat –, dass ansonsten der Rechtsschutz gegen rechtswidrige Nebenstimmungen entwertet würde. Denn der Adressat des Verwaltungsakts müsste entweder auf eine Anfechtung der Nebenbestimmung verzichten oder gleich den gesamten Verwaltungsakt mit Nebenbestimmung anfechten. Es ist jedoch die Aufgabe der Behörde, den rechtswidrigen Restverwaltungsakt nach § 48 VwVfG aufzuheben. Dabei sind auf Tatbestandsseite die Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zu berücksichtigen und auf Rechtsfolgenseite muss die Verwaltung pflichtgemäßes Ermessen ausüben. Diese Mechanismen zur Gewährleistung des Vertrauensschutzes würden nach der vom 8. Senat vorübergehend vertretenen Rechtsansicht umgangen (vgl. auch Kokott JuWissBlog Nr. 61/2022 v. 01.11.2022). […]

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