Im Vertretungsfall hat die Stellvertreterin oder der Stellvertreter meist alles im Griff. Doch was ist, wenn es auch hier zu einer Verhinderung und damit zur Vertretung des Vertreters kommt? Eine spannende Antwort auf diese Frage liefert das Urteil des OVG Münster vom 26.3.2010 – 1 A 34049/06. Im Fokus stehen: Klaus Wowereit und das Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2003/2004.
Zur Bedeutung von Vertretungsregelungen allgemein …
Wer in der Verwaltung arbeitet, kennt sie nur zu gut: die Vertretungsregelungen. Sie sind wichtig, allein um einen ordnungsgemäßen Geschäftsablauf sicherzustellen, und werden in der Geschäftsordnung daher meist detailliert festgehalten. Vertretungsregelungen gibt es aber nicht nur in den Behörden. Sie sind vielmehr überall dort zu finden, wo es bei Krankheit und Urlaub oder bei einem Personalwechsel zu Fehlständen unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommen kann. Sie sind umso wichtiger, je spezieller beziehungsweise anspruchsvoller die Arbeitsbereiche sind. So kann ein unerfahrener und fachfremder Kollege beispielsweise eine Mitarbeiterin, die in einer Forschungsabteilung arbeitet und über spezielles Fachwissen verfügt, kaum sinnvoll vertreten. Im Bereich der Verwaltung sorgen dagegen der hierarchische Aufbau sowie der Umstand, dass Behörden bisweilen auch von Politikerinnen und Politikern geleitet werden, für zusätzliche Anforderungen bei der Aufstellung solcher Vertretungsregelungen. Kurzum: Vertretungsregelungen spielen allgemein, vor allem aber in der Verwaltung, eine wichtige Rolle.
… und im Besonderen: Urteil des OVG Münster vom 26.3.2010 – 1 A 3049/06
Dass Vertretungsregelungen auch in der rechtlichen Praxis besondere Bedeutung zukommt, dafür ist die Entscheidung des OVG Münster vom 26.3.2010 ein anschauliches Beispiel.
Zum Sachverhalt
Gegenstand der Entscheidung des OVG Münster war ein vom Kläger geltend gemachter Anspruch auf Zahlung einer höheren Sonderzuwendung für das Jahr 2004 (Rn. 3). Gemeint war damit die Zahlung eines erhöhten Weihnachtsgeldes, wie es der Kläger als Bundesbeamter noch im Vorjahr auf der Grundlage des Gesetzes über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung erhalten hatte. Für das Jahr 2004 blieb ihm diese erhöhte Zahlung jedoch versagt, denn das Gesetz über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung war zwischenzeitlich durch Art. 18 des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2003/2004 vom 10.9.2003 (BGBl. I, 1798) aufgehoben und mit Wirkung zum 1.1.2004 durch das Bundessonderzahlungsgesetz ersetzt worden. Dagegen wandte sich der Kläger – auch an das OVG Münster. Er trug unter anderem vor, dass das Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2003/2004 verfassungswidrig sei (Rn. 4).
Ein Gesetz zwischen Verfassungswidrigkeit und Vertretersuche
Die Ausführungen des OVG-Senats zur Frage der Verfassungswidrigkeit des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2003/2004 sind deshalb so spannend, weil sich der Kläger auch auf einen Formfehler berief, nämlich darauf, dass die Ausfertigung des Gesetzes in nicht verfassungsgemäßer Weise erfolgt sei.
Tatsächlich war es so, dass das Gesetz nicht durch den amtierenden Bundespräsidenten beziehungsweise durch dessen Stellvertreter ausgefertigt worden war, sondern durch Klaus Wowereit, den man damals als Vertreter des Stellvertreters hatte unterschreiben lassen. Es war zu lesen:
„Für den Bundespräsidenten
Der Präsident des Bundesrates
Klaus Wowereit“
Hintergrund war, dass man die Streichung eines erhöhten Weihnachtsgeldes unbedingt noch mit Wirkung für das Jahr 2004 umsetzen und deshalb das Gesetz zeitnah erlassen wollte. Da sich der damalige Bundespräsident Johannes Rau aber auf Auslandsreise befand, wandte man sich zunächst an dessen Stellvertreter, den Präsidenten des Bundesrates Wolfgang Böhmer. Böhmer war zugleich Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Jedoch auch er war wie der Bundespräsident Rau am Tag der Ausfertigung des Gesetzes verhindert, da er an einer Konferenz in Bonn teilnahm. Daher suchte man weiter und wandte sich schließlich an den Vertreter des Bundesratspräsidenten, den Ersten Vizepräsidenten des Bundesrates Klaus Wowereit, der gleichzeitig Regierender Bürgermeister von Berlin war. Er fertigte anstelle der beiden Ortsabwesenden letztlich das Gesetz aus.
Rechtliche Bewertung
Für die rechtliche Bewertung des Geschehens bildet Art. 57 GG den Dreh- und Angelpunkt. Hierbei handelt es sich um eine Vertretungsregelung im Grundgesetz, der zufolge die Befugnisse des Bundespräsidenten „im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen“ werden.
Das Grundgesetz aber regelt den „Fall der Vertretung des Bundespräsidenten, wenn der Präsident des Bundesrates an der Wahrnehmung der Befugnisse ebenfalls gehindert ist“, nicht (Rn. 71). Ein Problem sah der OVG-Senat darin allerdings nicht, denn: „§ 7 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates, auf welchen in diesem Fall zurückgegriffen werden kann, bestimmt, dass die Vizepräsidenten den Präsidenten im Falle seiner Verhinderung (…) nach Maßgabe ihrer Reihenfolge vertreten. Bei Verhinderung auch des Bundesratspräsidenten sind dessen Befugnisse durch den ersten Vertreter des Bundesratspräsidenten, mithin den Ersten Vizepräsidenten, wahrzunehmen“ (Rn. 71). Weiter heißt es: „Dies entspricht einer langjährigen Staatspraxis“ (Rn. 71).
Das OVG-Münster gelangte schließlich zu dem Ergebnis, dass „kein Anhalt für den behaupteten Missbrauch der Vertretungsbefugnis gegeben“ sei (Rn. 73).
Schlussfolgerung: Politik ≠ Verwaltung
Die Entscheidung des OVG Münster ist bereits mit Blick auf das tatsächliche Geschehen spannend und in gewisser Weise kurios. Aber nicht nur das. Sie enthält auch, was die Eingangsfrage betrifft, Gedanken, die verallgemeinerungsfähig sind. So erscheint es zwar grundsätzlich unbedenklich, wenn es – hier wie dort – zu einer sogenannten Vertretung des Vertreters kommt. Darüber hinaus wird man jedoch bezweifeln dürfen, ob beamtenrechtliche Regelungen mit hochpolitischen Vertretungsregelungen vergleichbar sind. Während es in der Verwaltung kaum einen Unterschied machen dürfte, wer einen Vorgang dort bearbeitet, könnte man durch eine zu weit geschlagene Stellvertretungsoption den Bundespräsidenten gegebenenfalls umgehen, etwa wenn dieser vorher zu erkennen gegeben hatte, dass er möglicherweise die Unterschrift unter einem Gesetz verweigern wolle. Insofern passt auch die Erwägung des OVG-Senats, dass es „bei politisch wichtigen und umstrittenen Gesetzen“ verfassungsrechtlich geboten sein kann, „mit der Ausfertigung von Gesetzen zuzuwarten, bis der Bundespräsident seine Auslandsreise beendet hat und seine Amtsgeschäfte im Inland wieder wahrnehmen kann“ (Rn. 88). Im Endeffekt gilt hier: Politik ist nicht Verwaltung.
Zitiervorschlag: Bode, Lorenz, Vertretung gesucht!, JuWissBlog Nr. 7/2023 v. 13.03.2023, https://www.juwiss.de/7-2023/.
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